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DEN Antrieb der Zukunft gibt es nicht

Was kommt nach Otto & Diesel?
DEN Antrieb der Zukunft gibt es nicht

Die Elektrifizierung des Antriebs nimmt allmählich Fahrt auf – allerdings in vielfältiger technischer Konfiguration und unterschiedlicher Marktausrichtung.

Die Luftreinhaltungspläne von nationalen Regierungen, Regionen und Städten in wichtigen Märkten wie China, den USA oder der Europäischen Union forcieren den Wechsel von fossilen Kraftstoffen hin zur Elektromobilität. Unterstützt wird dieser Trend durch elektrische Innovationen, die die Effizienz der verbrennungsmotorischen Antriebe verbessern – siehe die Rekuperation von Bewegungsenergie und elektrifizierte Nebenaggregate. Nicht zuletzt werden die fallenden Kosten für Traktionsbatterien die elektrischen Antriebe stärken. „Wir erwarten in der ersten Hälfte des nächsten Jahrzehnts eine Kostenparität für Stadtfahrzeuge mit verbrennungsmotorischem und elektrischen Antrieb“, wagt Prof. Dr. Uwe Dieter Grebe, Geschäftsführer im Unternehmensbereich Entwicklung Antriebssysteme der AVL List GmbH, einen Ausblick. Allerdings: Weltweit wird auf absehbare Zeit weiterhin der Verbrennungsmotor große Teile der Pkw und vor allem Lkw antreiben, aber sukzessive ergänzt und teilweise ersetzt durch elektrische Lösungen. 48 Volt-Mildhybridsystemen etwa werden mittelfristig große Marktpotenziale vorhergesagt. Die Analysten von IHS erwarten, dass 2025 weltweit jedes zehnte Fahrzeug mit einem 48 Volt-Mildhybrid-Antrieb ausgerüstet sein wird. Das wären etwa 11 Millionen Einheiten pro Jahr. In Europa könnte dann sogar jedes zweite oder dritte Neufahrzeug diese Technik an Bord haben.

Mehr Spannung – mehr Fahrspaß
Ein technischer Ansatz der 48-Volt-Technik ist der Ersatz des Riementriebs durch elektrifizierte Nebenaggregate. Viel wichtiger sind aber die Synergien zwischen Verbrennungsmotor und elektrifizierten Systemen: Etwa ein mit 48 Volt angetriebener Verdichter, der das Turboloch stopft, einen anders ausgelegten Abgasturbolader und somit effizientes Downsizing ermöglicht. Oder die E-Maschine des 48 Volt-Mildhybridsystems: Sie fungiert nicht nur als Anlasser und Generator, sondern kann auch sehr effizient Bewegungsenergie rekuperieren und den Verbrennungsmotor beim Antrieb unterstützen. AVL hat beispielsweise auf 48-Volt-Basis Effizienz-Fahrzeuge mit einem spezifischen Kraftstoffverbrauch von 200 Gramm pro Kilowattstunde entwickelt. Aber auch Leistungskonzepte mit bis zu 200 Kilowatt Leistung pro Liter Hubraum sind möglich.
Essenziell für das Zusammenspiel der beiden Antriebsquellen von Hybridfahrzeugen ist eine prädiktive Fahrstrategie. Sie berechnet aus GPS-, Navigations-, Sensor- und anderen Daten schon im Voraus den energieoptimalen Einsatz von Verbrennungs- und Elektromotor. Mithilfe dieser Daten können durch sogenanntes „Peak Shaving“ auch die Leistungsspitzen des Verbrennungsmotors durch den gezielten Einsatz des elektromotorischen Leistungspotenzials gekappt und so die Emissionen und der Aufwand für die Abgasnachbehandlung nachhaltig reduziert werden.
Unter dem Strich sind die prognostizierten 20 Prozent Verbrauchsvorteil gar nicht mal so teuer: Der britische Zulieferer Delphi Automotive rechnet damit, dass ein 48-Volt-Mildhybridsystem sich schon bald für einen dreistelligen Eurobetrag darstellen lässt.
Maßgeschneiderte Antriebe für den Markt
Die Zukunftschancen der deutlich aufwändigeren Plug-in-Hybride werden wohl weiterhin stark von den Berechnungsformeln für den Kraftstoffverbrauch abhängen. Sprich, ob die elektrischen Fahranteile in den Gesamt-Kraftstoffverbrauch einfließen oder – wie bisher in der EU – nicht.
Vollhybrid-Konzepte a la Toyota Prius sind zwar etwas aus dem Rampenlicht gerückt, haben aber nach Ansicht der Experten durchaus Zukunftschancen. Beispielsweise könnten sie in kostensensiblen Märkten wie Indien auch mit Handschaltgetriebe mit automatisierter Kupplung kombiniert werden. Ein anderer Ansatz stark kostenoptimierte „Dedicated Hybrid Transmissions“, ein integriertes Hybridgetriebe, bei dem ein Elektromotor direkt in das Automatikgetriebe integriert wird. Diese als Vollhybrid, Plug-in-Variante und mit variablen elektrischen Fahrmodi darstellbare Lösung spart Kosten, Gewicht, Bauraum und ist nach Angaben von AVL energieeffizient.
Anders als die Hybridkonzepte setzt ein Brennstoffzellenantrieb lediglich auf die E-Maschine als Traktionsmotor. Die Brennstoffzelle selbst liefert lediglich die elektrische Energie. Allerdings leiden Brennstoffzellenantriebe noch an der fehlenden Wasserstoff-Infrastruktur, auch wenn erste Schritte in Richtung Wasserstoff-Wirtschaft bereits getan sind. Als Alternative gelten Systeme mit anderen Kraftstoffen wie etwa Ethanol. AVL etwa hat mit Renault Nissan für Brasilien einen ethanolbetriebenen Prototypen einer SOFC (Solid Oxid Fuel Cell, Fest-Brennstoffzelle) als Range Extender für Elektrofahrzeuge entwickelt. Brennstoffzellen könnten sich auch als kleine mobile Stromgeneratoren, etwa zum Betrieb einer Lkw-Klimaanlage, durchsetzen.
Reichweite rauf und Ladezeit runter
Für viele Experten gelten die rein batterieelektrischen Antriebe als Königsdisziplin der Elektrifizierung. Sie scheinen derzeit angesichts stark fallender Batteriekosten (dank Produktions-Überkapazitäten), einer stetig wachsenden Energiedichte und einer immer dichteren Ladeinfrastruktur kurz vor dem Durchbruch zu stehen. Beispielsweise haben etliche Automobilhersteller für die nächsten Jahre Elektrofahrzeuge mit etwa 300 Kilometer Reichweite angekündigt. Diese Marke gilt allgemein als kritische Schwelle für die Marktakzeptanz dieser Antriebe. Prof. Dr. Grebe: „Die Kostenreduzierung ist das wichtigste Entwicklungsziel. Durch technische Weiterentwicklungen und Skaleneffekte dürften bis in die erste Hälfte des nächsten Jahrzehnts die Kosten in etwa zu halbieren sein. Dann sind Produktkosten von etwa 100 Euro pro Kilowattstunde für das einbaufertige Batteriepack vorstellbar. Gleichzeitig ist noch eine volumetrische Verdoppelung der Speicherdichte bei lithiumbasierter Technik möglich.“ Parallel dazu wird an einer Verkürzung der Ladezeiten für eine 80 prozentige Aufladung der Batterien auf etwa 15 Minuten gearbeitet. Das 80-Prozent-Ladeniveau dürfte bei künftigen Batterien für weitere drei Stunden Fahrt reichen. „Technisch lässt sich das beschleunigte Aufladen durch eine Anhebung der Betriebsspannung der Batterie auf 800 Volt erreichen, was unter anderem die AVL vor einigen Jahren vorgeschlagen hat“, erläutert Prof. Dr. Grebe. „Diese Spannungsebene setzt sich jetzt auf breiter Front durch.“ Mit der 15-minütigen Ladedauer nähert man sich dem etwa fünfminütigen herkömmlichen Tankvorgang deutlich an. Aktuell dauert der elektrische Ladevorgang an Schnellladestationen noch 30 bis 40 Minuten.
Der elektrische Traktionsmotor als automobiler Antrieb bewegt sich nach Ansicht von Experten aktuell auf einem Entwicklungsniveau wie der Verbrennungsmotor der 50er Jahre. Insbesondere beim Geräuschverhalten, Wirkungsgrad, der Ansteuerung und den Werkstoffen in der Leistungselektronik steckt wohl noch viel Optimierungspotenzial. Auffällig ist der Trend zu immer höheren Drehzahlen – 20.000 oder 30.000 Umdrehungen pro Minute sind keine Ausnahme mehr. Auch das thermische Management der Elektroantriebe steckt noch in den Kinderschuhen, eine intelligente Verteilung der Abwärme von Elektrokomponenten und der Energieströme ist noch lange nicht erreicht.

Hartmut Hammer, freier Journalist
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