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Die Zukunft ist nicht vorhersehbar, aber gestaltbar

Managementmethode: Agiles Denken
Die Zukunft ist nicht vorhersehbar, aber gestaltbar

Unternehmen geraten immer häufiger in die Situation, dass sie wissen: Wir müssen etwas grundsätzlich ändern, um langfristig erfolgreich zu sein. Sie können aber weder das Ziel exakt bestimmen, noch können sie den Weg dorthin beschreiben. Dann stößt das klassische (Projekt-)Management an seine Grenzen.

Firmen müssen agiler werden – also schneller und flexibler. Das hört man derzeit überall. Dies wollen die meisten Unternehmen jedoch schon lange. Was aber bedeutet Agilität im Unternehmenskontext? Googled man den Begriff, stößt man auf das „Agile Manifest für Softwareentwicklung“, das 2001 in den USA verfasst und veröffentlicht wurde. In ihm sind 12 Prinzipien für die Softwareentwicklung formuliert. Sie basieren auf folgenden vier Axiomen:

  • Menschen und Interaktionen sind wichtiger als Prozesse und Werkzeuge.
  • Eine funktionierende Software (Problemlösung) ist wichtiger als eine umfassende Dokumentation.
  • Die Zusammenarbeit mit dem Kunden (in dem Projekt) ist wichtiger als Aushandeln von Verträgen. Und:
  • Ein Reagieren auf Veränderungen ist wichtiger als das Befolgen eines vorab formulierten Plans.
Dahinter steckt die Erkenntnis: Die Welt und somit die Projekte in den Unternehmen werden stets komplexer. Deshalb stehen die Unternehmen an einer Schwelle, an der die alten (Projekt-)Managementmodelle und -methoden nicht mehr ausreichen. Das Unternehmensumfeld ist so „VUCA“ (volatility, uncertainty, complexity and ambiguity), also volatil, unsicher, komplex und mehrdeutig geworden, dass die tradierten Methoden zwar noch ihre Berechtigung haben, sie benötigen aber eine Ergänzung. Es geht also nicht um ein „entweder-oder“, sondern ein „sowohl-als-auch“.
Ausgearbeitet wird dieser agile (Projekt-)Management-Ansatz in dem von Saras D. Sarasvathy, Professor an der University of Virginia (USA), entwickelten Effectuation-Ansatz. Er wurde für Situationen und Konstellationen entwickelt, in denen Entscheidungen nicht auf Basis einer kausalen Logik, die auf begründeten Vorhersagen der Zukunft basieren, getroffen werden können, weil belastbare Prognosen aufgrund der hohen Unsicherheit nicht möglich sind.
Der Effectuation-Ansatz geht davon aus: Die Zukunft ist nicht oder nur bedingt vorhersehbar. Sie kann jedoch durch Vereinbarungen zwischen autonomen Akteuren aktiv gestaltet werden. So zum Beispiel, wenn ein Unternehmen entscheidet: Wir forcieren die Entwicklung einer bestimmten Technologie. Oder: Wir erschließen uns einen bestimmten Markt. Oder: Wir setzen bei unserer Produktentwicklung auf die Trends Nachhaltigkeit, Vernetzung oder Miniaturisierung. Dann reduziert sich die Unklarheit, weil gewisse Basisentscheidungen über das Ziel und die Anforderungen, die beispielsweise die Problemlösungen erfüllen müssen, getroffen wurden. Ebenso verhält es sich, wenn das Management, weil noch keine belastbaren Zukunftsaussagen möglich sind, zum Beispiel entscheidet: Wir investieren versuchsweise den Betrag X in die Entwicklung der Technologie A und den Betrag Y in die Entwicklung der Technologie B, weil wir noch nicht wissen, welche Technologie sich durchsetzt, wir aber auf keinen Fall den technologischen Anschluss verlieren möchten. Dann plant das Unternehmen sozusagen ausgehend von den vorhandenen Ressourcen und Mitteln die Zukunft und die zentrale Frage lautet: Was ist der maximale Betrag, den wir verschwenden können, sollten unsere Versuche nicht von Erfolg gekrönt sein oder unsere Annahmen/Prognosen sich als unzutreffend erweisen? Auch das reduziert die Unklarheit.
Entscheidungs- und Handlungsprinzipien
Saras D. Sarasvathya nahm in empirischen Studien Erfolgsmodelle unter die Lupe und leitete daraus folgende vier Prinzipien zur Entscheidungsfindung in Situationen der Ungewissheit ab:
Das Prinzip der Mittelorientierung. Es besagt, dass die jeweils verfügbaren Mittel und Ressourcen bestimmen, welche (veränderlichen) Ziele angestrebt werden – und nicht umgekehrt.
Das Prinzip des leistbaren Verlusts: Es besagt, dass der Verlust beziehungsweise Einsatz, den das Unternehmen verschmerzen kann, ohne zum Beispiel seine Existenz zu gefährden (und nicht der erwartete Ertrag), bestimmen, welche Gelegenheiten wahrgenommen werden beziehungsweise welche Schritte in einem Vorhaben tatsächlich unternommen werden.
Das Prinzip der Umstände und Zufälle. Es besagt, dass unerwartete Ereignisse, Geschehnisse, Umstände sowie Zufälle als Hebel zur Veränderung genutzt und in Innovationen und unternehmerische Gelegenheiten transformiert werden.
Das Prinzip der Vereinbarung und Partnerschaften. Es besagt, dass Partnerschaften mit Personen oder Organisationen eingegangen werden, die bereit sind, trotz der bestehenden Ungewissheit verbindliche Vereinbarungen zu treffen und eigene Mittel in die Kreation von Gelegenheiten zu investieren, sodass die Erfolgsaussichten steigen und die Erfolgsrisiken für die einzelnen Partner sinken.
Ziel: Gemeinsam etwas ganz Neues schaffen
Basierend auf diesen vier Prinzipien entwickelte Saras D. Sarasvathya das dynamische Effectuation-Modell. Dieses zielt darauf ab, eine Vielzahl von Personen oder Organisationen in einer von Ungewissheit geprägten Situation auf neue Wege oder Ziele einzuschwören, sodass gemeinsam etwas ganz Neues geschaffen werden kann.
Dieses (Projekt-)Managementmodell ist eine Herausforderung für das tradierte Managementdenken. Denn es stellt vieles auf den Kopf, was Manager gelernt und verinnerlicht haben – beispielsweise das Credo: Je genauer und detaillierter ein Projekt im Vorfeld geplant wird, umso wahrscheinlicher und schneller erreicht es sein Ziel. Zumindest bei Projekten und Vorhaben, bei denen die Entscheidungssituation komplex oder gar chaotisch ist, ist dies fraglich.
Sich von starren Plänen verabschieden
Das klassische Projektmanagement ist es zudem gewohnt, dass das Ziel vorgegeben ist und Projekte ausgehend von diesem sozusagen rückwärts geplant werden – mit Meilensteinen, um den Projektfortschritt zu kontrollieren. Ist das Ziel jedoch unklar oder steht es unter Vorbehalt, was für viele Projektmanager ungewohnt und hochgradig verunsichernd, ist, dann erfolgt die Planung ausgehend von den vorhandenen Ressourcen und Mitteln – und man schaut mal, wie weit und wohin man damit kommt.
Ein solches (Verfahrens-)Modell setzt voraus, dass Führung (Entscheidungs-)Macht zum Beispiel an die Projektbeauftragten abgibt, und sie es auch aushält, wenn diese ungewohnte oder unkonventionelle Lösungswege beschreiten – schließlich soll ja etwas ganz Neues geschaffen werden. Aber auch bei den Mitarbeitern, die es gewohnt sind, dass die Führung ihnen klare Zielvorgaben macht, ist ein Umdenken nötig. Sie müssen lernen, mit einem vorübergehenden Führungsvakuum zurechtzukommen.
Auf ein unklares Ziel zuzusteuern und sich immer wieder kritisch zu fragen, ob man sich (noch) auf dem richtigen Weg befindet – ein solches Vorgehen lässt sich mit den tradierten Managementmethoden, die sich vor allem auf definierte Maßnahmenpläne mit hinterlegten Meilensteinen und Kennzahlen stützen, nur schwer vereinbaren. Das gilt insbesondere dann, wenn die Methoden und Verfahren in keinem Verfahrenshandbuch beschrieben sind, sondern agil, also situativ und kontextabhängig entschieden wird, welcher Problemlösungsansatz gewählt wird.
Eine Verschwendung von Ressourcen und wenig zielführend und effektiv wäre es, einfach lösbare Probleme agil anzugehen. Anders ist es, wenn aufgrund des dynamischen Umfelds die Entscheidungssituation kompliziert oder komplex ist. Dann ist es hilfreich, sich vor dem Start eines Projektes bewusst zu machen, welchen Charakter das Vorhaben hat, um sich anschließend für ein mehr oder weniger agiles Vorgehen zu entscheiden. Wird ein Projekt jedoch unreflektiert agil angegangen, ohne dass den Beteiligten die Notwendigkeit hierfür bewusst ist, ist nicht nur die Wahrscheinlichkeit eines Scheiterns hoch, sondern auch, dass die Beteiligten anschließend sagen: Agilität funktioniert nicht. Das heißt: Agilität setzt voraus, dass die Projektbeteiligten das Denken verinnerlicht haben.
Agilität vorleben und viral kommunizieren
Doch wie können solche agilen Denkmuster unter die Leute gebracht und in den Köpfen von Menschen verankert werden? Nicht durch eine Anordnung von oben „Ihr müsst künftig flexibler, agiler agieren“. Eine solche Einstellung und Haltung kann sich nur viral in Unternehmen verbreiten. Viragil vorzugehen, bedeutet zum Beispiel: Einzelne Mitglieder oder Teilbereiche einer Organisation starten einfach mal ein (Klein-)Projekt, um den Virus Agilität zu verbreiten – also das angestrebte Verhalten oder Vorgehen vorzuleben und hierfür ein Vorbild zu sein. So funktioniert auch die virale Kommunikation im Netz: Einer macht es vor, andere mögen es und folgen dem Beispiel, so dass dieses eine immer größere Wirksamkeit entfaltet. Seien Sie also „viragil“ – gehen Sie mit gutem Beispiel voran und infizieren Sie andere Menschen.

Katja von Bergen, Unternehmens- und Managementberaterin, Dr. Kraus & Partner, Bruchsal
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