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Lean sehen lernen

Schlanker Materialfluss
Lean sehen lernen

Gut zwei Jahrzehnte nach der „zweiten Revolution in der Autoindustrie“ hat der Begriff des „Lean Management“ etwas Staub angesetzt. Dabei sind Lean-Konzepte für einen möglichst schlanken Materialfluss in der Praxis gefordert wie nie. Das zeigen die zwei Beispiele aus der Automobilzulieferindustrie.

Auch wenn „Lean“ als konzeptioneller Ansatz heute kaum noch als modern bezeichnet werden kann, so verzichtet kein im internationalen Wettbewerb stehendes Unternehmen darauf, sich aus dem Instrumentenkasten der Vordenker zu bedienen und praxistaugliche Standards zu entwickeln. Ein Beispiel ist das „Magna Factory Concept“ (Mafact), das der weltweit vertretene Automobilzulieferer seit der Jahrtausendwende entwickelt, und ab 2012 als weltweiten Standard für den Konzern ausgegeben hat. Das Konzept ist untergliedert in Module mit definierten Zielen. Im Fokus stehen dabei die Aspekte Sicherheit, Qualität, Liefertreue, Kosten und Motivation. Im Rahmen dieses Konzeptes, das die klassischen Lean-Bausteine von Kanban bis Kaizen umfasst, auch noch ein Audit zu implementieren, bedurfte zunächst einiger Überzeugungsarbeit, räumte Steffen Konrad, Assistant General Manager, Magna Mirrors GmbH & Co. KG, Dorfprozelten, im Rahmen des Münchner Forums Schlanker Materialfluss, das die Bayern Innovativ GmbH zum sechsten Mal veranstaltete, freimütig ein. Dahinter steht der Gedanke, Lean nicht als befristetes Projekt zu begreifen, sondern ähnlich einem KVP einzelne Elemente zu implementieren und diese regelmäßig zu auditieren.

Parallel erfolgten am Magna-Mirrors-Standort Dorfprozelten die Etablierung des Shop Floor Management sowie die Definition von Kennzahlen und deren Umwandlung in „Management Boards“. Diese reichen von der Management-Ebene bis herunter an die Montagelinien. Jede Linie hat ein einzelnes Board mit Kennzahlen. Hinzu kam „5 S“, also die aus dem Toyota-Produktionssystem bekannte Methode, mit fünf Ansätzen durch Ordnung und Sauberkeit Fehler zu vermeiden und die Effizienz zu steigern.
In diesem Jahr kamen dann weitere Schwerpunkte hinzu. Ein Projekt umfasste die Materialversorgung an der Montagelinie. Dabei wurden die Taktung der Linien und die Materialreichweiten geprüft. Ziel war, Möglichkeiten der Standardisierung zu ermitteln und das „Taxi-Prinzip“ abzulösen, bei dem jede Montagelinie einen Transporteur hat, der auf Zuruf das fehlende Material beschafft. Ein weiterer Punkt war das Erkennen und Eliminieren von Verschwendung an den Montageplätzen.
Als eine wirklich echte Herausforderung entpuppte sich die Frage, wie der einmal erreichte Status quo mit allen damit verbundenen Verbesserungen auch langfristig gehalten werden kann. „Wir müssen sehen, dass das, was gut ist und funktioniert, auch so bleibt“, so Konrad. Die Lösung war ein „Layered Audit“ im Montage- und Logistikprozess. Dabei werden alle Ebenen bis zur Geschäftsführung regelmäßig einbezogen und alle Arbeitselemente in bestimmten Intervallen überprüft. Ferner kann die Durchführung eines Assessment oder die Arbeitsanweisung an sich überprüft werden. Assessments sind damit auch Teil des Layered Audit. Unverzichtbare Elemente sind die Kommunikation und Visualisierung des Konzepts.
Der Ausgangspunkt ist die Definition und Implementierung eines Prozesses bzw. des zu auditierenden Bereichs. Bei Magna Mirrors handelt es sich zum Beispiel um einzelne Montagelinien. Die Audit-Karten sollen maximal zehn Fragen beinhalten, die möglichst einfach zu beantworten sein sollten. Dieses Prinzip soll dazu beitragen, dass der Audit nicht länger als 10 Minuten dauert. Dabei spielt allerdings auch die Werkgröße eine Rolle, da es nur jeweils ein Board an einer zentralen Stelle gibt, das zu erreichen dann auch mehrere Minuten dauern kann. Auf dem Board hängt auch der namentliche Hinweis, wer die Auditoren sein sollen. Dieser Hinweis wird wöchentlich aktualisiert, dementsprechend steht eine Woche für die Durchführung des Audits zur Verfügung. Probleme in der Praxis ergeben sich wegen Krankheit oder Urlaub fehlenden Mitarbeitern, die der Zufallsgenerator in der Excel-Datei nicht kennt. Der jeweilige Bereichsverantwortliche hat regelmäßig zu prüfen, was notiert wurde und welche Abweichungen vom Soll ermittelt wurden. Ein einfaches Beispiel: Wenn nicht alle Paletten in den dafür gekennzeichneten Bereichen stehen, wird das Team instruiert, diese Regeln künftig einzuhalten. „Das ist sehr hilfreich, was Fragen der Disziplin angeht“, betonte Konrad.
Das System funktioniert nach den bisherigen Erfahrungen besser, wenn es auch KPIs gibt, die in das Shop Floor Management integriert sind. Dabei zeigen drei Kennzahlen an, ob und welche Audits durchgeführt wurden, wie viele Audits Abweichungen ergeben haben und welche Punkte aus der letzten Woche noch offen sind, um so die Abarbeitung zu kontrollieren.
Wichtig, so Konrad, sei allerdings, dass dieses Konzept nur für definierte und implementierte Prozesse genutzt wird. „Layered Audits können nicht genutzt werden, um einen Prozess zu implementieren oder zu reparieren. Man wird durch das Layered Audit auch nicht besser. Es geht darum, Prozesse zu prüfen, diese instand zu halten und eventuell Defizite aufzudecken.“
Doch wie nachhaltig sind derartige Lean-Konzepte? „Es gibt keinen Schalter, den ich umlegen kann, um Nachhaltigkeit zu erreichen. Es ist kontinuierliches Arbeiten mit den Menschen auf allen Ebenen“, betonte Andreas Wiertz, Leiter Produktionssystem, ZF Friedrichshafen AG, Standort Passau, der in München das „ZF Production System“ vorstellte, das im Jahr 2011 lanciert wurde, um das Ideal eines möglichst verschwendungsfreien Automotive- und Technology-Zulieferers zu erreichen. Dieser Ansatz verfolgt zwar durchaus das Ziel, zu einheitlichen Produktionsstandards in den weltweit über 100 Produktionsgesellschaften des Konzerns zu gelangen, dennoch streben die Initiatoren dabei keineswegs unmittelbar die perfekte Lösung an.
„80 Prozent heute umgesetzt, sind besser als 100 Prozent irgendwann“, so Wiertz. Vielmehr werden Pilotprojekte entwickelt, die sehr schnell anderen Bereichen als Vorbild in der Umsetzung dienen können. Hinzu kommt: Der schnelle und spürbare Erfolg soll auch die anderen Bereiche zu weiteren oder neuen Initiativen anregen und motivieren. Das heißt allerdings nicht, dass sich der KVP auf diese vereinzelten Bereiche beschränkt. Auch auf der Werksebene werden Visionen entwickelt, die sich an optimalen Wertströmen orientieren. Dabei gilt das Prinzip der größtmöglichen Transparenz: Allen Mitarbeiter sollen die Ziele und der aktuelle Status quo jederzeit bekannt und verständlich sein.
Das Gebot der Vermeidung von Verschwendungen setzt ZF auch auf der konzeptionellen Ebene um. „Harte“ Zahlen, wie Produktivitäten, Lagerbestände oder Umschlaghäufigkeiten sind im Lean Reporting enthalten und müssen nicht mehr über das Produktionssystem abgefragt werden. Das ZF Produktionssystem hat zwar auch konkrete Ziele, aber der gesamte Ansatz wird ausschließlich als Unterstützungsfunktion betrachtet. Dieses System dient dazu, die Ziele in allen Werken erfolgreich umzusetzen. Dabei helfen lokale Unterstützungsteams und Lean-Koordinatoren, aber auch Schulungen für die Mitarbeiter und Road Maps. So werden die Methodik von Wertstromanalysen und Workshops vermittelt.
Eines der Ziele im ZF Produktionssystem ist, mindestens einmal pro Jahr eine Lean Bewertung im Werk durchzuführen. Dabei handelt es sich nicht um ein Audit, vielmehr geht es darum, mit dem Team vor Ort ein Selbstbild zu schaffen und den aktuellen Status quo zu ermitteln. Das dahinter stehende Ziel soll laut Wiertz nicht sein, einen Vergleichsmaßstab zwischen den einzelnen Standorten und Werken zu haben, sondern „Lean sehen zu lernen“. Der Konzern begreift das Konzept eher als Qualifizierungsmaßnahme der Beteiligten in den einzelnen Werken. Schließlich soll der Mitarbeiter im Mittelpunkt der Veränderung stehen. Was zählt, sind Verbesserungen, die die Mitarbeiter in interdisziplinären Teams auf dem Shop Floor umsetzen. „Hier kommt es nicht auf irgendwelche schönen Tafeln an, sondern darauf, dass gemeinsam und kontinuierlich daran gearbeitet wird“, betonte Wiertz. Voraussetzung hierfür sind nicht nur permanente Trainingsangebote, vielmehr beginnen Schulungen bei ZF bereits in der Ausbildung.
Nach drei Jahren Praxiserfahrung mit dem ZF Production System hat sich gezeigt, dass der Zeitfaktor für die Umsetzung eine entscheidende Rolle spielt. „Wir kommen vor lauter Bäume fällen nicht dazu, die Axt zu schärfen“, bringt es Andreas Wiertz auf den Punkt. Daher sei es wichtig, dass die Führungskräfte den Mitarbeitern auch tatsächlich ermöglichen, an Workshops teilzunehmen. Daran drücke sich auch das klare Bekenntnis des Managements zum ZF Production System aus. Für wirklich nachhaltige Ergebnisse entscheidend sei Führung vor Ort, die mehr bedeute als „Führung mit dem erhobenen Zeigefinge und noch so schöne Audit-Charts.“ Als konkretes Beispiel für die Umsetzung auf der Werkebene nannte Wiertz die Einführung eines „Tool-Supporter“. Ziel ist, herumliegende Werkzeuge oder Hilfsmittel auf größeren Flächen zu vermeiden. Mit dem Supporter kann nur das bereitgelegt werden, was auch konkret gebraucht wird. Sollte etwas fehlen, muss es im Rahmen eines neuen KVP ergänzt werden.
Zählbare Erfolge in der Umsetzung zeigen die Implementierungen von Prinzipien des ZF Production Systems im brasilianischen Werk Sorocaba, in dem Kugelbolzen für Toyota gefertigt werden. Hier wurden die Prinzipien konsequent ohne Ausnahmen eingeführt. Ziel war es, zu möglichst gleichförmigen Abläufen zu kommen. Nach der vollständigen Umgestaltung der Montagelinie konnten der Output um 69 Prozent, die Personal-Produktivität um 59 Prozent gesteigert sowie die Rüstzeiten um 60 Prozent und die Lagerbestände um über 70 Prozent reduziert werden. Um diese Ergebnisse zu erreichen, bedurfte es aber zuvorderst der „Prozessintelligenz“ des Mitarbeiters, betonte Wiertz. Allerdings dämpft der ZF-Manager überzogene Erwartungen: Nicht jede Einzelmaßnahme zeitige tatsächlich messbare Ergebnisse. Vielmehr müsse das Gesamtbild betrachtet werden.
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