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Nanopartikel machen Bauteile sicherer

Visualisierung kritischer Belastungen durch Fluoreszenz
Nanopartikel machen Bauteile sicherer

Werden Bauteile zu stark belastet, können sie brechen. Das gilt auch für Komponenten aus Faserverbundwerkstoffen. Bislang waren kritische Belastungen aufwendig zu erkennen. Eine Problemlösung bietet eine mit fluoreszierenden Nanopartikeln beschichtete Folie. Problematische Belastungen werden schon bei Routinewartungen mit bloßem Auge erkennbar.

Wie welkes Blattwerk hängen die Rotorblätter der Windkraftanlage an der Gondel. War es der starke Wind, der Mitte Februar 2016 im nördlichen Emsland wehte? Der Besitzer ist unsicher. Seine anderen Windkraftanlagen seien unbeschädigt geblieben, sagte er der Zeitung.

Möglicherweise hätte der Vorfall, bei dem niemand verletzt wurde, vermieden werden können. Doch der Aufwand wäre hoch gewesen: „Natürlich lassen sich Sensoren einsetzen“, sagt Dr. Jörg Martin vom Chemnitzer Fraunhofer-Institut ENAS. „Doch sie müssen an der richtigen Stelle platziert und mit Energie versorgt werden. Auch müssen die Informationen, die sie liefern, kontinuierlich erfasst und analysiert werden.“
Für bestimmte Einsatzzwecke vielversprechender erscheint den Forschern daher der Weg, mittels einer fluoreszierenden Mehrschichtfolie kritische Belastungen für das bloße Auge sichtbar zu machen. „Eine solche Dünnschichtsensorik kommt ohne Energieversorgung aus und erlaubt die Kontrolle größerer Flächen“, ergänzt Martin Möbius vom Zentrum für Mikrotechnologien der TU Chemnitz.
Der prinzipielle Aufbau der Sensorik
Der Aufbau der Sensorfolie ist im Prinzip recht einfach: Auf eine einfache PET-Folie, auch Substratfolie genannt, wird eine spezielle Schicht aufgetragen: die Sensorschicht. „Diese Schicht, das Herzstück unserer Entwicklung, enthält nanoskopisch große Halbleiterpartikel. Derzeit verwenden wir noch Cadmiumselenid-Quantum-Dots, ein stark fluoreszierendes Material. Zudem fällt der Kontrast bei Änderungen der Fluoreszenz gut sichtbar aus“, erklärt Martin. Da das Schwermetall Cadmium aber keinen allzu guten Ruf genießt, experimentiert das fünfköpfige Projektteam auch mit Indiumphosphid. „Allerdings fallen die Fluoreszenz-Intensität und damit auch die Sichtbarkeit der Hell-Dunkel-Differenzen hier kleiner aus“, ergänzt Martin.
Die Sensorschicht wird mit piezoelektrischen Elementen verbunden. „Konkret setzen wir dünne Keramikschichten ein“, sagt Möbius. „Wir experimentieren aber auch mit Polyvinylidenfluorid, also PVDF-Folie.“
Bei einer Verformung, wie sie bereits bei einem stärkeren Schlag oder Stoß auftritt, generiert die Piezoschicht elektrische Ladungen, die in die Sensorschicht – genauer gesagt in die Nanopartikel – abgeleitet werden. Diese extrem geringen Ströme im Nanoamperebereich bewirken eine lokale Verringerung der Quantum-Dot-Fluoreszenz, was letztlich als optischer Kontrast mit bloßem Auge sichtbar ist.
Überhaupt fällt der Aufbau der Dünnschichtsensorik in der Realität komplizierter aus, als hier beschrieben: weil mehrere aufeinander abgestimmte Schichten für den Ladungstransport hinzukommen und auch weil die Piezowandler mit den Elektroden der Sensorfolie, das heißt der Quantum-Dot-Schicht, verbunden werden müssen. Über die Zahl, Platzierung und Art der Ladungstransportschichten wollen die Forscher aber derzeit keine Auskunft geben.
Sicher ist jedoch: Die Mehrschichtfolie ist hauchdünn: Auf maximal 100 Mikrometer für die Trägerfolie kommen bis zu 200 Nanometer für Quantum-Dot- und Ladungsschichten. Polymere Piezofolien haben eine vergleichbare Dicke. „Damit kann die Sensorik prinzipiell an jede Oberflächenform angepasst werden“, erklärt der Forscher. Aber wie wird die Folie in ein Bauteil aus glasfaser- oder kohlenstofffaserverstärktem Kunststoff integriert? Durch Einlaminieren. „Die Folie kann oberflächennah in die entsprechende GFK- oder CFK-Komponente eingebracht werden. Im Herstellungsprozess wird sie dabei mit einem transparenten Kunststoffharz überzogen, um die visuelle Kontrolle zu ermöglichen“, erklärt Martin.
Mögliche Anwendungsbereiche
Dünnschichtsensorik könnte die Wartung und damit den Betrieb aller möglichen Bauteile und Anlagen sicherer machen: Rotorblätter von Windkraftanlagen, Ruderblätter kleinerer Schiffe und Radaufhängungen bei Kraftfahrzeugen sind einige der möglichen Anwendungen. Fahrrad- und Motorradhelme könnten Nutzer über das Ende ihrer Lebensdauer informieren, ebenso tragende GFK- bzw. CFK-Teile einer Brücke.
„Der Einsatz unserer Dünnschichtsensorik erscheint im Prinzip überall dort sinnvoll, wo einerseits die Verwendung von klassischen Sensoren unpraktikabel ist, wo es andererseits aber genügt, kritische Belastungen im Rahmen der üblichen Wartungszyklen festzustellen“, erläutern die Chemnitzer Forscher. Kann also beispielsweise sichergestellt werden, dass das Rotorblatt einer Windkraftanlage durch Starkwinde nicht unvorhergesehen abknickt oder abbricht, ließe sich sein sicherer Zustand im Rahmen der üblichen halbjährlichen Wartung konstatieren.
Offene Fragen
Quantum-Dots sind ein vergleichsweise neues Thema. Forschungen zur gezielten Fluoreszenzbeeinflussung der Halbleiter-Nanopartikel durch elektrische Ladungsträger begannen erst um das Jahr 2002. So haben die Chemnitzer in den kommenden Jahren einige Fragen zu klären: Beispielsweise, wie sich etwa der Zeitraum verlängern lässt, innerhalb dessen Änderungen der Fluoreszenz sichtbar bleiben. Bislang dauert es einige Stunden, bis sich die Fluoreszenz wieder aufhellt. Ein mehrmonatiger Zeitraum, entsprechend üblicher Intervalle für viele Maschinen und Anlagen, wäre wünschenswert.

Clevere Folie

Info

Eine Mehrschichtfolie haben Wissenschaftler des Fraunhofer-Instituts für ElektronischeNanosysteme (ENAS) und der Technischen Universität Chemnitz entwickelt, unterstützt von der Deutschen Forschungsgemeinschaft im Bundesexzellenzcluster Merge. Die fluoreszierende Nanobeschichtung der Folie ändert unter Druck eine Zeit lang ihre Helligkeit. So sind problematische Belastungen schon bei Routinewartungen mit bloßem Auge zu erkennen.

Von der Forschung zur Anwendung

Industrial Supply

Die Chemnitzer Forscher zeigen ihre Entwicklungen auf dem Gemeinschaftsstand des IVAM Fachverband für Mikrotechnik (Halle 6, Stand C30) auf der Industrial Supply, der Leitmesse der Zuliefertechnik im Rahmen der Hannover Messe vom 24. bis 27. April 2017. Im vergangenen Jahr hatte die Schau 92 000 Besucher angelockt, davon mehr als ein Drittel aus dem Ausland. Damit präsentiert die Leitmesse in den Hallen 4 bis 6 aktuelle und künftige Zulieferlösungen in der ganzen Breite der Materialien und Verfahren. Das gebotene Spektrum reicht von der Oberflächentechnik, Leichtbau, Keramik und CFK über Massivumformung und Guss bis hin zu Fügetechnik, Gummi und Keramik.

Oliver Züchner, Fachjournalist in Hannover
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