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Permanente Bewertung der Lieferantenleistung

Beschaffung von Nicht-Produktionsmaterial
Permanente Bewertung der Lieferantenleistung

Die enormen Veränderungen auf den Absatzmärkten führten in der deutschen Automobilindustrie zur Reduzierung der Wertschöpfungstiefe und Konzentration auf die Kernkompetenzen mit der Konsequenz, dass sowohl der Lieferant mit seinem Potenzial für den internationalen Unternehmenserfolg als auch die Beschaffungsfunktion als Schnittstelle zu den Märkten mehr und mehr in den Mittelpunkt unternehmerischen Handelns rücken.

Tilman M. Knapp leitet die Funktion Lieferantenmanagement innerhalb der NPM-Einkaufsorganisation der Daimler-Chrysler AG; Prof. Dr. Klaus Bichler,langjährige Tätigkeit in der Chemischen Industrie; 1975 Berufung an die FH Nürtingen als Professor für BWL, Industriebetriebslehre und Logistik, ist seit 1989 Geschäftsführer der MBS Prof. Dr. Bichler, Schwarz und Partner GmbH, Nürtingen. Michael Durst ist im Einkauf der Debis Systemhaus GmbH zuständig für die Beschaffung von Midrange-Software und Dienstleistungen von Hard- und Softwareherstellern; Prof. Dr. Klaus Bichler, langjährige Tätigkeit in der Chemischen Industrie; 1975 Berufung an die FH Nürtingen als Professor für BWL, Industriebetriebslehre und Logistik, ist seit 1989 Geschäftsführer der MBS Prof. Dr. Bichler, Schwarz und Partner GmbH, Nürtingen.

Die Tendenz zu langfristiger und partnerschaftlicher Zusammenarbeit zwischen den Unternehmen und die Anwendung von Sourcing-Strategien, Simultaneous Engineering und Just-in-time-Anlieferungskonzepten gestalten die Kunden-Lieferanten-Beziehungen zunehmend komplex und erfordern eine genaue Kenntnis über die Leistungsfähigkeit der eingesetzten Lieferanten.
Obwohl die Bewertung von Lieferanten seit langem intensiv diskutiert wird und verschiedene Bewertungsverfahren in der Praxis eingesetzt werden, liegt der Schwerpunkt auf der Bewertung von Leistungen, die im Bereich Produktionsmaterial erbracht werden, ohne die spezifischen Rahmenbedingungen beim Einkauf von Nicht-Produktionsmaterial in die Überlegungen einzubeziehen.
Lieferantenbewertung im Rahmen des Lieferantenmanagements
Die Lieferantenbewertung schafft im Rahmen des Lieferantenmanagements Transparenz über die Leistungsfähigkeit von Lieferanten und ist die Grundlage für deren Förderung und Entwicklung – mit dem Ziel, Ertragspotenziale für das Unternehmen zu erschließen. Sie dient der planmäßigen und systematischen Sammlung, Auswahl, Aufbereitung und Beurteilung von Informationen zur Auswahl neuer und zur Kontrolle bereits eingesetzter Lieferanten. Sie kann gezielt als Steuerungs- und Controllingsystem genutzt werden und wird so zu einem Instrument aktiver, marktgestaltender Beschaffungspolitik.
Grundsätzlich ist zu beachten, dass ein Lieferantenbewertungsverfahren, das im Einkaufsalltag bestehen will, eine systematische und kontinuierliche Beurteilung der wichtigsten Lieferanten trotz der großen Arbeitslast in den Einkaufsabteilungen zulassen und die Leistungsfähigkeit der Lieferanten transparent und nachvollziehbar darstellen sollte.
In der Praxis werden hauptsächlich Benotungs- und Punktbewertungsverfahren eingesetzt. Die Varianten der Benotungsverfahren haben sich durch ihre einfache, zeitsparende Einführung und Anwendung sowie die Anpassung an spezielle Anforderungen in der Einkaufspraxis bewährt. Die Einfachheit der Verfahren ermöglicht eine gründliche und gezielte Analyse der Lieferanten und deren Umfeld und bietet bei hauptsächlich auf Überprüfung der Zuverlässigkeit ausgerichteten Beurteilungen einen geeigneten Ansatzpunkt. Allerdings wirkt sich bei diesen Verfahren die häufig fehlende Gewichtung der Faktoren auf die für eine optimale beschaffungspolitische Entscheidung notwendige Objektivität negativ aus.
Um der fehlenden Gewichtung der Notensysteme entgegenzuwirken, werden Punktbewertungsverfahren wie das Scoring-Modell eingesetzt. Das Scoring-Modell ist ein Verfahren zur Bewertung von Tatbeständen und Entscheidungsalternativen auf der Basis von Teilurteilen, den sogenannten Scores. Die Anwendung bietet sich gerade bei der Lieferantenbewertung an, da neben der Berücksichtigung quantifizierbarer Faktoren auch die Vergleichbarkeit und Rechenbarkeit qualifizierter Kriterien möglich wird und diese voll bei der Entscheidungsfindung berücksichtigt werden können.
Beim Scoring-Modell werden die für die Gesamtbewertung relevanten Kriterien bestimmt, diese einzeln mit Bewertungsziffern (Noten, Punkten oder Prozenten) mit Hilfe einer kardinalen Skala (z.B. Schulnotenskala) beurteilt, mit den Gewichten multipliziert (Bewertungsformel: Bewertungsziffer x Gewichtungsfaktor) und zu einer Gesamtbewertung zusammengefasst.
Der Entscheidungsträger kann die entscheidungsrelevanten Kriterien quantifizierbarer und nicht-quantifizierbarer Art in einer Checkliste bewerten, wodurch die Dokumentation der Bewertungen und die Entscheidungsfindung speziell bei strategischen Einkaufsentscheidungen transparenter und kontrollierbarer werden.
Für den Einsatz des Scoring-Modells bei der Lieferantenbewertung sprechen unter anderem:
–transparente Struktur,
–problem-adäquater Einsatz,
–Anpassbarkeit an das Informationsbedürfnis,
–systematische und objektivierte Urteilserfassung,
–leichte Handhabung,
–Möglichkeit der Bewertung qualitativer und quantitativer Anforderungskriterien.
Kritisch anzumerken ist, dass diese Methodik die Bewertung zwar transparent und nachvollziehbar gestaltet, aber auch eine nicht vorhandene, quantitative Genauigkeit vortäuscht.
Kriterien für die Lieferantenbewertung
Eines der Hauptkriterien der Einkäufer bei der Materialbeschaffung war traditionell der Preis des Produktes, d.h. die bisherigen Einkaufsstrategien zielten darauf, durch kurzfristige Verträge und Preiswettbewerb zwischen den Lieferanten die Wettbewerbsintensität zu erhöhen und niedrige Preise zu erreichen. Das führte dazu, dass gewachsene und bewährte Geschäftsbeziehungen durch Ausnutzen kurzfristiger Preisvorteile bei Spontananbietern gefährdet wurden und die Transaktionskosten der Beschaffung, wie z.B. Aufwendungen für die Lieferantensuche, Preis- und Konditionenverhandlungen, Qualitätssicherung und Logistik, zunahmen.
Die Praxis kurzfristiger Verträge erhöht die Unsicherheit für den einzelnen Lieferanten und führt auf lange Sicht zum Anstieg der Herstell- und Lohnkosten sowie zur Verringerung der Qualität und Produktivität. Eine weitere Folge kurzfristiger, konkurrenzbetonter Geschäftsbeziehungen ist, dass es dem Lieferanten nicht mehr möglich ist, für die Probleme der Kunden die wirklich beste Lösung anzubieten.
Daher müssen bei der Bewertung eines Lieferanten auch Faktoren Eingang finden, die über die gängige betriebswirtschaftliche und technische Beurteilung hinausgehen, um sicherzustellen, dass man sich an einen verlässlichen und langfristig berechenbaren Partner bindet. Neben dem Preis sind daher Qualität, Zuverlässigkeit, Liefertreue und Konditionen, Service und Zusatzleistungen, Know-how, Flexibilität, Image, praktiziertes Kostendenken sowie die Bereitschaft und Fähigkeit zu raschen Hilfeleistungen wichtige Bewertungskriterien.
Zusätzlich sind folgende Nebenleistungen bei der Bewertung zu berücksichtigen:
–termingerechte Angebotserstellung und prompte Auftragsbestätigung,
–korrekte administrative Arbeit,
–Informationen über Lieferterminentwicklungen,
–technischer Kundendienst,
–rasche Erledigung von Reklamationen, Kulanz,
–Zusammenarbeit bei Lösungen von Problemen in der Produktion, Qualitätssicherung und Konstruktion.
Die für die Lieferantenbewertung nötigen Kriterien und eine eventuelle Gewichtung müssen unternehmens-individuell festgelegt werden. Bei der Auswahl und Festlegung der Bewertungskriterien ist zu beachten, dass eine beschaffungssituations-unabhängige Festschreibung die realitätsnahe Abbildung der vorherrschenden Beschaffungssituation z.B. hinsichtlich Teilekomplexität, Versorgungsstrategien oder den jeweiligen Gegebenheiten auf den Beschaffungsmärkten einschränkt. Andererseits ist bei zu vielen Kriterien eine höhere Qualität der Bewertungsergebnisse trotz steigender Informations-, Mess- und Bewertungsprobleme nicht zu erwarten. Ziel sollte es daher sein, eine situationsspezifische Anpassung von Kriterien für typische, häufig vorkommende Beschaffungskonstellationen zu ermöglichen.
In Zusammenhang mit den Bewertungskriterien sind die Probleme bei der Messung der Lieferantenleistung zu berücksichtigen. Die Festlegung eines Bewertungsmaßstabs ist generell eine subjektive Einschätzung. Trotzdem sollte ein Maßstab definiert sein, der nachvollziehbar ist. Daher müssen auf einem Werturteil basierende Maßstäbe so beschrieben werden, dass ein Sachverhalt bei unterschiedlichen Beurteilern zum gleichen Ergebnis führt.
Schwierigkeiten sind auch mit der Erfassung qualitativer Kriterien verbunden, denn diese Größen lassen sich nur beschreiben, eine objektive Messbarkeit des Zielerreichungsgrades ist nicht möglich. Um ein Gesamturteil über die Leistungsstärke eines Lieferanten zu erhalten, müssen die qualitativen Indikatoren in numerische Werte transformiert werden.
Permanente Bewertung der Lieferantenleistung
Zu den Beschaffungsobjekten der Einkaufsorganisation Nicht-Produktionsmaterial gehören sämtliche Güter, die nicht unmittelbar in die Produkte eingehen. Diese reichen vom Büromaterial über Hard- und Software, Energie, Marketingleistungen sowie das breite Spektrum der Dienstleistungen bis zu komplexen Produktionsanlagen. Im Unterschied zum Produktionsmittel-Einkauf sind folgende NPM-spezifische Sachverhalte für die Bewertungskonzeption zu berücksichtigen:
–heterogene und sehr breite Lieferantenbasis,
–breites Spektrum an zu beschaffenden Gütern und Dienstleistungen,
–durch konkreten Bedarfsfall ausgelöster Vergabeprozess,
–schwer prognostizierbare Bedarfe,
–aperiodische und diskontinuierliche Geschäftsbeziehungen zu Lieferanten.
Allgemeines Ziel, das mit dem Einsatz eines Verfahrens zur permanenten Bewertung der Lieferantenleistung verfolgt wird, ist die kontinuierliche, einzelfallorientierte Ex-post-Überprüfung der beauftragten Zulieferer und Dienstleister durch den Fachbereich.
Grundsätzlich soll das Bewertungsinstrument den NPM-Einkauf unterstützen, indem
•die gewonnenen Erkenntnisse die Lieferantenauswahl transparenter gestalten und dem Einkäufer eine zusätzliche Entscheidungsgrundlage geben,
•dokumentierte Informationen über die Lieferantenleistung die Grundlage für den sachlichen Dialog zwischen Einkäufer und Fachbereich herstellen,
•der Einkäufer mit dem zusätzlichen Know-how seine Stellung als beratender Dienstleister für den Kunden verbessert,
•mit der Identifikation der faktischen Stärken und Schwächen innerhalb des Lieferantenstamms eine intensivere Zusammenarbeit mit herausragenden Lieferanten bzw. eine Reduzierung der Schlechtleister ermöglicht wird.
Die Bewertungskonzeption wurde im Rahmen des Lieferantenmanagements entwickelt und stellt sich wie folgt dar:
•Autonome, eigeninitiative Bewertung durch den Fachbereich mit Hilfe des Bewertungsformulars;
•Bewertungsgespräch auf Initiative des Einkäufers mit dem Fachbereich auf Grundlage des Bewertungsformulars. Für die einzelnen Einkaufssachgebiete wurden Bestellwertgrenzen definiert, ab denen ein Bewertungsgespräch zu erfolgen hat.
Die Fachbereiche bewerten die Lieferantenleistung ex-post mit Hilfe eines einfach gehaltenen Formulars, die Eigenschaften der erbrachten Leistung/des gelieferten Produktes und die Art der Leistungserbringung und Projektabwicklung anhand von zwölf Kriterien mit Hilfe eines einfachen, ungewichteten Schulnotensystems. Die Notenskala reicht von 1 = sehr gut bis 6 = unbefriedigend. Die Kriterien im Einzelnen:
Eigenschaften der erbrachten Leistung/ des gelieferten Produktes
–Qualität,
–Vollständigkeit der Lieferung/Leistung,
–Einhaltung der vorgegebenen Anforderungen/Vorschriften,
–Güte der Dokumentation,
–Preis-/Leistungsverhältnis,
Art der Leistungserbringung und Projektabwicklung
–Administration,
–Projektorganisation/-management,
–Kundenorientierung,
–Termineinhaltung,
–Fairness im Geschäftsgebaren,
–eigener Beitrag zur Leistungsoptimierung.
Um ein für alle Materialgruppen anwendbares Instrument zu erhalten, wurde mit dem Feld NR (nicht relevant) die Möglichkeit geschaffen, ein für eine Leistungsbewertung ungeeignetes Kriterium unberücksichtigt zu lassen. Neben der Vergabe von Schulnoten muss der Bewerter mittels eines qualitativen Kriteriums die Gesamtleistung durch eine Empfehlung einer erneuten Lieferantenbeauftragung abschließend beurteilen. Dieses Verfahren wird derzeit in der NPM-Einkaufsorganisation der Daimler-Chrylser AG praktiziert. Neben der vergangenheitsorientierten Bewertung von Einzelleistungen der Lieferanten kann auch die kontinuierliche Kontrolle von Lieferantenleistungen, die im Rahmen von Abschlüssen erbracht werden, Bestandteil der Bewertungskonzeption sein.
Abschlüsse werden dann mit Lieferanten vereinbart, wenn durch Wiederholungsbedarf und Bedarfsbündelung günstigere Konditionen erzielbar sind. Gerade bei Abschlüssen ist während des Abschlussleistungszeitraums ein rechtzeitiges Gegensteuern bei unzureichenden Lieferantenleistungen im Sinne eines Lieferantencontrollings z.B. durch entsprechende Zielvereinbarungen mit Festlegung von Ver-besserungsmaßnahmen notwendig. Abhängig davon, ob der Lieferant bei einer erneuten Bewertung die Erwartungen erfüllt oder nicht, ist in Form eines dokumentierten Fazits, gegebenenfalls gemeinsam mit dem Fachbereich, die zukünftige Behandlung des Lieferanten festzulegen, was zur Transparenz kommender Lieferantenauswahlentscheidungen beiträgt und den internen Entscheidungsprozess vereinfacht.
Identifikation und Segmentierung der Materialgruppen
Die flächendeckende Bewertung unterschiedlichster Güter und Dienstleistungen zur ganzheitlichen Betrachtung der Lieferantenleistung im NPM-Bereich ist eine wesentliche Forderung, die an das Bewertungsverfahren gestellt wird. Aufgrund der Vielzahl an Materialgruppen müssen die Bewertungsmaßnahmen auf die Einkaufssachgebiete konzentriert werden, die aufgrund ihrer strategischen Bedeutung für das Unternehmen wichtig sind, um die vorhandenen Ressourcen auf die Bewertung der volumenträchtigen und strategisch wichtigen Materialgruppen zu fokussieren.
Mit Hilfe eines Portfolios, das die Kriterien „Objektbezogene Bedeutung für das Unternehmen“ und „Wertmäßige Bedeutung“ beinhaltet, wurden diese Materialgruppen identifiziert und segmentiert. Das genannte Materialgruppenportfolio gestaltet sich wie folgt: Die Achse „objektbezogene Bedeutung der Materialgruppe für das Unternehmen“ spiegelt sich in den Faktoren
–Produkt- und Prozessrelevanz,
–Ökologische Bedeutung,
–Innovationspotenzial,
–Bedeutung für die Wettbewerbsfähigkeit.
Der Faktor Wertmäßige Bedeutung beschreibt den prozentualen Anteil des jährlichen Auftragsvolumens der Materialgruppe am gesamten NPM-Beschaffungsvolumen. Die Materialobergruppen mit einer wertmäßig hohen Bedeutung (35 % der Materialobergruppen, mit denen ca. 90% des Gesamtbeschaffungsvolumens beauftragt werden) wurden durch eine modifizierte ABC-Analyse ermittelt.
Das mit den Materialobergruppen gefüllte Materialgruppen-Portfolio ermöglicht die fokussierte Steuerung der Intensität der Bewertungsaktivitäten durch die Festlegung von prozentualen Abdeckungsgraden der Beschaffungsvolumen in den einzelnen Portfolio-Feldern.
Kommunikation der Bewertungsergebnisse
Die aus der Bewertung gewonnenen Daten müssen strukturiert erfasst und den Einkaufsmitarbeitern allgemein zugreifbar gemacht werden, um den Lieferanten vorhandene Leistungslücken aufzeigen zu können und als Basis für Zielvereinbarungen bei langfristigen Verträgen mit den wichtigsten Lieferanten zu dienen.
Bei der Darstellung mit Hilfe eines datenbank-gestützten Informationssystems muss sowohl die Bereitstellung von Informationen über die Leistungsfähigkeit von Lieferanten als auch die Frühwarnung bei schleichenden Leistungsveränderungen gewährleistet sein. Geeignet dafür sind allgemein zugängliche Online-Datenbanken, die einen schnellen Zugriff und eine ständige Verfügbarkeit der Daten gewährleisten.
Unter Berücksichtigung einer sinnvollen Datenaggregation, die sich am Informationsbedarf der tangierten Entscheidungsebenen (Facheinkäufer, Einkaufsleitung, Unternehmensleitung) orientiert, muss der Aufwand für Datenerfassung, Systemhandling und -pflege stets in vertretbarer Relation zum Nutzen des Beurteilungssystems stehen. Die Daten können dabei in unterschiedlich verdichteter Form aufbereitet werden, um dem Einkäufer folgende Fragen beantworten zu können:
–Wie ist die Gesamtnote des Lieferanten zustande gekommen?
–Treten Abweichungen zum wiederholten Male auf?
–Tritt der Fehler nur bei einem bestimmten Material oder einer bestimmten Materialgruppe auf?
Maßnahmenkatalog für Gut- und Schlechtleister
Die Ergebnisse der Bewertung und die Klassifizierung der Lieferanten müssen Konsequenzen zur Folge haben, denn oftmals werden trotz auftretender Qualitätsprobleme und Lieferschwierigkeiten bei Lieferanten langjährige Geschäftsbeziehungen fortgesetzt.
Hierzu muss der Lieferant die Vorgehensweise bei der Bewertung kennen und mindestens einmal pro Jahr bzw. bei Erzielung von Verbesserungspotenzialen in kürzeren Zyklen über Bewertungsergebnisse informiert werden. Erst dadurch wird es dem Lieferanten möglich sein, sich an den Bewertungsmaßstäben zu orientieren und entsprechend seine Lieferungen und Leistungen danach auszurichten.
Schlechte Beurteilungsergebnisse eines bestimmten Lieferanten müssen nicht unbedingt zu einem Wechsel der Bezugsquelle führen. Der Beschaffung bieten sich verschiedene Maßnahmen an, die den Anbieter dazu veranlassen können, seine Mängel hinsichtlich Qualitätsniveau, Verkürzung der Lieferzeit oder Verbesserung der Termintreue bei der Leistungserstellung abzubauen oder die Leistungen auf bestimmten Gebieten zu verändern.
Die Festlegung von Handlungsalternativen als Reaktion auf herausragend gute oder schlechte Leistungen sind abhängig von verschiedenen Faktoren. Bei der Festlegung dieser Faktoren wurden die Kriterien des dargestellten Materialgruppen-Portfolios berücksichtigt und durch praxisrelevante Gesichtspunkte ergänzt:
–Präferenzen der Fachabteilungen bei der Lieferantenauswahl,
–Marktmacht des Lieferanten.
Mit Hilfe eines zweidimensionalen Lieferanten(leistungs)-Portfolios können Maßnahmen und Konsequenzen unter den Kriterien „beschaffungspolitischer Handlungsspielraum für weitere Maßnahmen“ und „strategische Bedeutung der Leistung“ festgelegt werden, deren Achsen einer näheren Beschreibung bedürfen.
•Beschaffungspolitischer Handlungsspielraum für weitere Maßnahmen:
Der beschaffungspolitische Handlungsspielraum orientiert sich vor allem am Entscheidungsspielraum des Einkäufers: inwieweit kann er bei einer erneuten Beauftragung die Erkenntnisse aus der Bewertung umsetzen. Dabei spielt sowohl die Stellung des Lieferanten auf dem jeweiligen Beschaffungsmarkt (Monopolist, Oligopolist, Polypolist) als auch die Einflussnahme des Fachbereichs bei der Festlegung des Lieferanten eine wichtige Rolle.
•Bedeutung der Leistung für das Unternehmen:
Lieferantenleistung ist nicht gleich Lieferantenleistung. Besonders bei der Vielfalt an vorhandenen Materialgruppen muss analysiert werden, wo Bewertungsergebnisse weitere Maßnahmen unbedingt erfordern. Neben allen Lieferungen, die eine hohe objektbezogene Bedeutung für das Unternehmen haben, sind die Leistungen mit einem hohen Auftragsvolumen besonders zu berücksichtigen.
Auf der Grundlage dieses Portfolios werden nachfolgend für den Einkäufer Handlungsalternativen in Form eines auf dem Lieferanten(leistungs)-Portfolio aufbauenden Maßnahmenkataloges dargestellt und erläutert:
More Business: Die dokumentierte, positiv beurteilte Leistungserbringung bietet dem Einkäufer bei zukünftigen Vergaben ein weiteres Entscheidungskriterium für die Lieferantenauswahl. Zwangsläufig ergibt sich dadurch eine Konzentration der Geschäftsbeziehungen auf diejenigen Lieferanten, die in der Vergangenheit ihre Leistungsfähigkeit bewiesen haben.
Anerkennungsschreiben: Bei herausragenden Leistungen eines Lieferanten gibt es im Sinne einer offenen, vertrauensschaffenden Kommunikation die Option, ihn durch konkrete Anerkennung der Leistung zu motivieren. Ein einfaches Medium stellen dafür standardisierte Anerkennungsschreiben dar, die vom Einkäufer an die Lieferanten weitergeleitet werden können. Dies ist aber nur als Ergänzung zu einer periodischen (z.B. jährlichen) Kommunikation zu sehen, in der die bewerteten Lieferanten über ihre Leistung in einem abgelaufenen Geschäftsjahr informiert werden.
Lieferantenaward: Die Honorierung herausragender Leistungen kann durch die Vergabe einer Urkunde im Rahmen eines Lieferantentages gesteigert werden. Neben der Motivation der ausgezeichneten Zulieferer für zukünftige Aufgabenstellungen trägt der Lieferantenaward auch zur positiven öffentlichen Darstellung des auszeichnenden Unternehmens bei. Der Lieferantenaward sollte allerdings nur Lieferanten vorbehalten sein, deren Leistungen für das Unternehmen im NPM-Bereich eine strategisch hohe Bedeutung haben.
Partnerschaft und Kooperationskonzepte: Auf der Grundlage von Partner-Strategie-Gesprächen werden mit denjenigen NPM-Lieferanten über die übliche Geschäftsbeziehung hinausgehende, aktive Partnerschaften angestrebt, die folgende Kriterien erfüllen:
–Feststellung guter Lieferleistungen,
–hohe wertmäßige und objektbezogene Bedeutung der Lieferantenleistung für das Unternehmen,
–der Lieferant besitzt eine monopolartige Stellung bzw. die Transformationskosten beim Lieferantenwechsel sind sehr hoch.
Im Rahmen der Partner-Strategie-Gespräche, die mindestens einmal im Jahr zwischen Vertretern beider Unternehmen stattfinden sollten, können die partnerschaftlichen Beziehungen zwischen den Unternehmen intensiviert werden.
Zielvereinbarung mit Lieferanten: Mit denjenigen Lieferanten, deren Leistung als unzureichend beurteilt werden, die aber dennoch für das Unternehmen einen hohen Stellenwert haben und bei denen der Einkauf einen geringen beschaffungspolitischen Handlungsspielraum besitzt, sollte vor einer erneuten Beauftragung eine detaillierte Dokumentation der Defizite in der Lieferantenleistung durchgeführt und eine Vorgabe von gemeinsam erarbeiteten Verbesserungsmaßnahmen getroffen werden.
Lieferantenwechsel: In Anbetracht des enormen Lieferantenpools ist die Identifikation und Reduktion von Schlechtleistern in Materialgruppen mit alternativen Bezugsquellen durch Lieferantenwechsel ein wichtiges Ziel des Verfahrens. Der Lieferantenwechsel kann allerdings nur bei entsprechend hohem beschaffungspolitischen Handlungsspielraum durchgeführt werden und bedarf gegebenenfalls der Abstimmung mit dem Fachbereich.
Fazit
Die permanente Bewertung der Lieferantenleistung ist eine unverzichtbare Basis für ein systematisches Lieferantenmanagement. Sie ist die Grundlage, auf der die strategischen Zielsetzungen „Lieferantenkonsolidierung“ und „Kooperation mit World-best-Lieferanten“ überhaupt erst umgesetzt werden können. Dies gilt für den Bereich des Produktionsmaterialeinkaufs genauso wie für die Beschaffung von Nicht-Produktionsmaterial einschließlich der Dienstleistungen mit ihren spezifischen Besonderheiten.
Die Herausforderung im Bereich des Nicht-Produktionsmaterials liegt darin, mit einfachen Bewertungsverfahren zu arbeiten, die ein enormes Spektrum unterschiedlichster Beschaffungsobjekte abdecken und gleichzeitig von einer Vielzahl von Bewertern im Unternehmen angewendet werden können. Vor diesem Hintergrund muss die Balance zwischen methodischem Anspruch an ein Verfahren und schlichtem Pragmatismus gefunden werden.
Ein effizientes, aussagekräftiges und allgemein anwendbares Bewertungsverfahren ist in der Lage, die tendenziell weichen Aussagen von Lieferantenkooperations-Philosophien mit Leben zu füllen. Ist es nicht die elementarste Form der oft propagierten Fairness in einer Geschäftsbeziehung, dem Partner direkt die Wahrnehmung seiner Leistung mitzuteilen? In dieser Weise können produktive Veränderungsprozesse unmittelbar angestoßen werden. Andererseits wird Geschäftspartnern, die nicht bereit sind, solche Prozesse zu verfolgen, transparent, weshalb sie eventuell ihr Geschäftsvolumen verlieren.
Eine systematische Bewertung der Lieferantenleistung dient jedoch nicht nur der bewussten Gestaltung der Lieferantenbasis eines Unternehmens. Das Instrument ist in der Lage, dem internen Umfeld des Einkaufs zu signalisieren, was die Rolle der Beschaffungsfunktion im Unternehmen ist: Nicht nur die Administration von intern vorgegebenen Bestellvorgängen und Lieferantenauswahlentscheidungen, sondern die umfassende, kundenorientierte Realisierung von qualitätssichernden Entscheidungsprozessen.
Literaturverzeichnis
–Bichler, Klaus: Beschaffungs- und Lagerwirtschaft, 7. Aufl., Wiesbaden 1997
–Bachmann, Reinhard: Für kurzfristige Preisvorteile nicht alles aufs Spiel setzen, in: Beschaffung aktuell 2/1995, S. 42 bis 45
–Hartmann, Horst; Pahl, Hans-Joachim; Spohrer, Hans: Lieferantenbewertung – aber wie? Lösungsansätze und erprobte Verfahren, hrsg. von: Hartmann, Horst, 2. Aufl., Gernsbach 1997
–Köglmayr, Hans-Georg: Wettbewerbsvorteile für Einkäufer und Lieferanten, in: Beschaffung aktuell 4/1996, S. 44 bis 46
–Muschinski, Willi: Lieferantenbewertung, in: Strub, M. (Hrsg.): Das große Handbuch Einkaufs- und Beschaffungsmanagement, Landsberg/Lech 1998, S. 80 bis 126
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