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Strategie, Prozesse und IT

Allgemeine Supplier Relations im Rahmen der Beschaffungsgesamtstrategie, Teil 1
Strategie, Prozesse und IT

Die in Theorie und Praxis zum Beschaffungsmanagement etablierte Differenzierung in den strategischen und operativen Beschaffungsprozess wird im folgenden Beitrag um eine dritte, übergeordnete Ebene der Beschaffungsgesamtstrategie erweitert. Das Autorenteam um Professor Buchholz hat ein Modell entwickelt, das General-Features-of- Supplier-Relations- Modell, das zur Beschreibung aller grundsätzlich in Frage kommenden Supplier Relations verwendet werden kann.

Wieland Appelfeller, E-Mail: wappelfe@fh-muenster.de Wolfgang Buchholz, E-Mail: wbuchholz@fh-muenster.de Marcus Schulte in den Bäumen, E-Mail: msidb@eic-partner.de

Die Optimierung von Beschaffungsprozessen bietet immense Einsparpotenziale sowohl für Groß- als auch insbesondere für Klein- und mittelständische Unternehmen. Nach der primär IT-getriebenen E-Procurement-Welle zu Beginn des Jahrzehnts stellt Supplier Relationship Management (SRM) die ganzheitliche Optimierung von Beschaffungsstrategie, -prozessen und IT-Unterstützung in den Vordergrund. Entsprechend wird unter Supplier Relationship Management die von einer Beschaffungsgesamtstrategie ausgehende Gestaltung der strategischen und operativen Beschaffungsprozesse sowie die Gestaltung des Lieferantenmanagements verstanden. Für diese Gestaltung ist an vielen Stellen der abgestimmte Einsatz von konventioneller und internetgestützter IT von großer Bedeutung. Aus diesem Grund kann kurz gefasst vom IT-gestützten Beschaffungs- und Lieferantenmanagement gesprochen werden. Den konzeptionellen Rahmen für SRM stellt das 3-Ebenen-Modell dar.
Die in Theorie und Praxis zum Beschaffungsmanagement etablierte Differenzierung in den strategischen und operativen Beschaffungsprozess wird hier um eine dritte, übergeordnete Ebene der Beschaffungsgesamtstrategie erweitert.
Der strategische Beschaffungsprozess auf Ebene 2 bezieht sich auf die einzelne Materialgruppe, wohingegen Ebene 1 aus einer übergreifenden Perspektive heraus eine Gesamtstrategie über alle Materialgruppen entwickelt. In dem dreiteiligen Beitrag werden jeweils ausgewählte Schwerpunkte zu den drei Ebenen vorgestellt. Die Relevanz einer Beschaffungsgesamtstrategie ist umso höher, je heterogener die Unternehmensstruktur ausgeprägt ist. Nur durch eine übergreifende Strategie lässt sich den verbreiteten „Geschäftsbereichsalleingängen“ entgegenwirken und es können Synergiepotenziale realisiert werden.
Zunächst sind die gemeinsamen Ziele der beteiligten dezentralen Beschaffungseinheiten zu entwickeln. Darauf aufbauend ist im nächsten Schritt der Entwicklung einer Beschaffungsgesamtstrategie eine strategische Analyse durchzuführen. Differenziert wird hier in die externe und interne Analyse. Die externe Analyse untersucht die Beschaffungsmärkte sowie die Lieferantenstruktur, die interne Analyse betrachtet die Stärken und Schwächen der Einkaufsorganisation sowie die zu beschaffenden Materialgruppen.
Neuer Ansatz: GFSR-Modell
Als ein wichtiges Analyseergebnis und somit als Ausgangspunkt für die nächste Phase der Strategieformulierung, die in diesem Beitrag im Mittelpunkt steht, erfolgt die Klassifizierung der Materialien und Lieferanten in Portfoliodarstellungen. Im Materialportfolio werden die Materialgruppen den vier Kategorien Standardmaterial, Hebelmaterial, Engpassmaterial und Strategisches Material zugeordnet. Für die einzelnen Portfoliofelder sind aus einer materialgruppenübergreifenden Sichtweise grundsätzliche Handlungsempfehlungen zur Ausprägung der allgemeinen Supplier Relations zu definieren. In Theorie und Praxis existiert zur Beschreibung von allgemeinen Supplier Relations bisher kein gesamthaftes Modell. Zur Schließung dieser Lücke wird das GFSR-Modell entwickelt – GFSR heißt: General Features of Supplier Relations. Das Konzept differenziert die vier Schwerpunkte
  • Lieferantenbasis,
  • vertikale Kooperationsintensität,
  • horizontale Kooperationsintensität und
  • Materialgruppe.
Zu jedem Schwerpunkt gehören jeweils zwei beschreibende Merkmale (General Features), deren jeweilige Ausprägungen im Rahmen der Formulierung der Beschaffungsstrategie zu bestimmen sind.
Dem Schwerpunkt Lieferantenbasis lassen sich die beiden Merkmale geografische Struktur und Lieferantenanzahl zuordnen. Die geografische Struktur definiert die regionale Herkunft der Lieferanten, d. h. man betrachtet den weltweiten Beschaffungsmarkt (Global Sourcing) oder man kauft bei den Lieferanten vor Ort ein (Local Sourcing). Das Merkmal Lieferantenanzahl beschreibt, wie viele Lieferanten für die Versorgung in einer speziellen Materialgruppe eingesetzt werden. Unterschieden wird hier zwischen der Konzentration auf wenige, im Grenzfall einen Lieferanten (Single Sourcing), und der Nutzung einer Vielzahl an Lieferanten (Multiple Sourcing).
Die vertikale Kooperationsintensität ist der zweite Schwerpunkt zur Beschreibung der Supplier Relations. Betrachtet wird hier, in welchem Umfang Lieferanten in die Produktentwicklung mit einbezogen werden (Entwicklungseinbindung) sowie der Umfang der durch die Lieferanten erbrachten Wertschöpfung (Wertschöpfungsumfang). Diese beiden Merkmale spielen auch im Hinblick auf die individuelle Lieferantenbeziehung eine wichtige Rolle. Insgesamt üben die vier Merkmale der beiden genannten Schwerpunkte einen direkten Einfluss auf die Supplier Relations aus.
Eine Supplier Relation wird immer geprägt durch die zu beschaffenden Materialien bzw. Materialgruppen und damit letztendlich auch durch das Management der Materialgruppen. Das Merkmal Standardisierungsgrad beschreibt, inwieweit über eine Standardisierung der Materialien Lieferantenbeziehungen optimiert werden können. Das zweite Merkmal der Mengenbündelung zielt auf die Zusammenfassung von Materialbedarfen und die anschließende gebündelte Vergabe an den Lieferanten ab. Lieferantenbeziehungen können auch durch das Einbinden von Partnern in den Beschaffungsprozess optimiert werden (horizontale Kooperationsintensität). Dies kann zum einen durch den gemeinschaftlichen Einkauf von Unternehmen (Partnereinbindung), zum anderen durch die Nutzung von Beschaffungsdienstleistern realisiert werden. Die beiden Schwerpunkte Materialgruppe und horizontale Kooperationsintensität haben indirekten Einfluss auf die Supplier Relation.
So wird z. B. durch die Standardisierung einer Materialgruppe nicht automatisch die Lieferantenbeziehung geändert. Die Standardisierung schafft aber die Voraussetzung hierfür. Nach einer Standardisierung kann häufig die Anzahl der Lieferanten stark reduziert und zu den verbleibenden Lieferanten die Beziehung effizienter gestaltet werden.
Ausprägung der Merkmale
Exemplarisch soll im Folgenden die Vorgehensweise an dem Merkmal des Mengenbündelungsgrades aufgezeigt werden. Die denkbaren Ausprägungen gehen von der fehlenden Bündelung (zersplitterte Beschaffung) über die teilweise bis hin zur vollständigen Bedarfsbündelung, d. h. der vollständigen Zusammenführung von bisher dezentral beschafften Bedarfen im Unternehmen.
Die grundsätzliche materialgruppenübergreifende Entscheidung darüber, eine Mengenbündelung zu realisieren, ist im Rahmen der Beschaffungsgesamtstrategie, d. h. auf Ebene 1 des 3-Ebenen-Modells, zu treffen. Weiterhin sind hier die Kriterien zu definieren, die eine Bewertung der Materialgruppen hinsichtlich der Anwendung dieser Strategie ermöglichen. Wichtige Kriterien zur Beurteilung der Bündelungsfähigkeit von Materialien sind:
  • Ähnlichkeit der Beschaffungsobjekte,
  • Ähnlichkeit der Beschaffungsprozesse,
  • Grad der Spezifität der Materialien,
  • Lieferantenanzahl und -wechselkosten,
  • Versorgungsrisiko.
Für die vier Felder im Materialportfolio gelten tendenziell die folgenden Handlungsempfehlungen. Da bei Standardmaterialien sowohl die Preisspielräume im Markt als auch das wertmäßige Beschaffungsvolumen gering sind, ist das Gesamteinsparpotenzial durch die Vergabe gebündelter Mengen an definierte Vorzugslieferanten zwar vorhande, aber nicht exorbitant groß. Mengenbündelung ist aber eine wichtige Maßnahme für die Ausgestaltung der Supplier Relations bei Hebelmaterialien. Geringes Versorgungsrisiko, geringe Spezifität der Materialien, hohe Nachfragemacht, geringe Lieferantenwechselkosten und ähnliche Beschaffungsprozesse sind Merkmale von Hebelmaterialien, die eine Mengenbündelung sinnvoll erscheinen lassen. Bei Engpassmaterialien könnte unter Umständen durch eine geschäftsbereichsübergreifende Zusammenlegung von Bedarfen die Verhandlungsposition gegenüber dem Lieferanten verbessert werden, so dass auch bezüglich der Engpassmaterialien eine höhere Einkaufsmacht in die Waagschale geworfen werden kann. Die hohe technische Komplexität und die oft heterogene Ausprägung bei strategischem Material sprechen hier gegen eine Mengenbündelung, die somit für diese Materialgruppen eine insgesamt eher untergeordnete Rolle spielt.
Analog zu dem Merkmal Mengenbündelungsgrad sind auch für die anderen allgemeinen Merkmale der Supplier Relations Anwendungskriterien zu erarbeiten sowie die grundsätzliche Entscheidung bezüglich ihrer Ausprägung zu treffen.
Strategie- Implementierung
Die Strategie-Implementierung als weiterer Bestandteil der Beschaffungsgesamtstrategie schafft die notwendigen Rahmenbedingungen für eine erfolgreiche Umsetzung. Beispielsweise ist bei stark dezentralisierten Beschaffungsorganisationen für die Mengenbündelung eine aufbauorganisatorische Lösung zu etablieren, die auch entsprechende Kompetenzen für einen übergreifenden Einkauf besitzt. Denkbar wäre hierfür das Lead-Buyer-Konzept. Bezüglich der IT ist z. B. eine bereichsübergreifende Spend-Analyse auf der Basis einer sauberen Materialklassifikation notwendig. Uneinheitliche Material- und Klassifikationsnummern sind eine häufige Ursache für nicht genutzte Bündelungspotenziale, da diese wegen der unterschiedlichen Klassifikationssysteme gar nicht erkannt werden. Schließlich ist auch eine kooperationsorientierte Unternehmenskultur hilfreich, die eine übergreifende Zusammenarbeit im Einkauf positiv beeinflusst.
Die konkrete Ausprägung der Supplier Relations für die einzelne Materialgruppe ist dann auf der Materialgruppenebene zu bearbeiten. Mit dem GFSR-Modell steht ein Instrumentarium zur Verfügung, das zum einen zur Beschreibung aller grundsätzlich in Frage kommenden Supplier Relations verwendet werden kann. Zum anderen bietet das Modell die Möglichkeit auf Ebene 2 für jede zu beschaffende Materialgruppe ein spezifisches Profil der Supplier Relations sowohl im Ist zu ermitteln als auch im Soll zu definieren. Genau dieser Prozess wird im folgenden Beitrag der dreiteiligen Reihe beschrieben.

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