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Digitalisierung und Cognitive Sourcing

Einkauf 4.0 – es ist an der Zeit sich neu aufzustellen, Teil II
Digitalisierung und Cognitive Sourcing

In der Dezember-Ausgabe haben wir verschiedene Lösungsansätze für Einkauf 4.0 diskutiert und einige konkrete Anwendungsbereiche für die Digitalisierung im Einkauf vorgestellt. In diesem zweiten Teil des Beitrags möchten Ihnen unsere Autoren Dr. Arndt Präuer und Dr. Markus A. Thies weitere Anwendungsmöglichkeiten für Cognitive Sourcing geben und erste konkrete Beispiele für den erfolgreichen Einsatz kognitiver Fähigkeiten in Procurement-IT-Lösungen zeigen.

Die frühestmögliche Verfügbarkeit von Informationen und von zukunftsorientierten Analysen über Märkte und Lieferanten ist ein strategischer Wettbewerbsvorteil, um eine erfolgreiche Beschaffungsstrategie zu entwickeln, Innovationen zu entdecken und Risiken zu überwachen. Eine unübersichtliche Zahl an Informationsquellen steht dabei zur Verfügung. Vermutlich würde jede Organisation daran scheitern, wenn sie die vielen Informationsquellen permanent beobachten wollte. Ein neuer Zugang zur Nutzung der exponentiell ansteigenden Informationsflut stellt der Ansatz des Cognitive Sourcing dar. Anwendungsbereiche sind

  • 1. Rohstoff-und Materialkostenentwicklung,
  • 2. Lieferprobleme sowie
  • 3. Konsolidierung, Innovationen
    und Substi tute.
Diese haben wir Ihnen in der Dezember-Ausgabe Beschaffung aktuell S. 16f. vorgestellt.
Weitere Anwendungsbeispiele sind:
4. Monitoring von Risikolieferanten
Zur besseren Einschätzung des Risikoprofils von Lieferanten werden gerne Bonitätsauskünfte eingeholt. Diese Auskünfte bieten oftmals eine gute, erste Orientierung, aber nicht nur die Vergangenheitsorientierung, sondern insbesondere bei mittelständischen, nicht publikationspflichtigen Familienunternehmen kann die Datenbasis mitunter relativ gering sein. Häufig gibt es aber Frühindikatoren, die über systematische Online-Quellenauswertung erkennbar wären, etwa Informationen zu Entlassungen/Fluktuation, geplatzte Investitionen oder finanzielle Engpässe in regionalen Plattformen oder Unzufriedenheitsäußerungen von Mitarbeitern auf Social Media-Plattformen. Die Frühindikatoren lassen sich anhand der Risikofaktoren und der Risikowahrscheinlichkeiten ermitteln, um daraus Entwicklungen und Ereignisse zu definieren, die Krisen auslösen können.
5. Nachhaltigkeit und Corporate Social
Responsibility
Immer mehr Unternehmen verpflichten sich, Nachhaltigkeit bei sich selbst aber auch entlang der Supply Chain umzusetzen und wirkungsvoll zu kontrollieren. Die Unternehmen sind sich bewusst, dass Verfehlungen nicht alleine den Lieferanten betreffen, sondern auch die Abnehmer in Mitleidenschaft und Verruf bringen. Neben systematischen und transparenten Kontrollmechanismen unterstützt die begleitende Beobachtung aktueller Nachrichten zu den Lieferanten um mögliche Gefahren vom Abnehmer fernzuhalten.
Unter „cognitive-computing“ werden die folgenden Fähigkeiten eines Systems verstanden:
  • Verarbeitung natürlicher Sprache
  • Wissen auf der Basis dieser Analyse aufzubauen (maschinelles Lernen)
  • Inhalt in den korrekten Kontext zu stellen
  • Wissen zueinander in Beziehung setzen
  • die Erzeugung und Bewertung von Hypothesen
  • Ableitungen aus diesem Wissen zu erstellen, die neben dem Grad der Überzeugung des Ergebnisses auch den Nachweis hierzu mitliefern.
Diese Fähigkeiten ermöglichen einem kognitiven System, automatisiert große Mengen an Daten zu analysieren. Diese Daten (textuelle, unstrukturierte) können aus unterschiedlichen Quellen stammen, aus Inhouse-Daten wie Rahmenverträgen, Geschäftsbedingungen, Verträge, Qualitätsberichten, Lieferantenbewertungen bei Vor-Ort-Besuchen oder aus öffentlichen Quellen, wie Twitter, Nachrichten, Industrie-spezifischen Foren oder auch Wetter-Nachrichten. Das daraus analysierte Wissen kann miteinander in Beziehung gesetzt und Erkenntnisse daraus abgeleitet werden. Diese Datenmenge wächst extrem schnell. Sie wird in den kommenden fünf Jahren um 800 Prozent zunehmen und 90 Prozent der heute verfügbaren Daten sind weniger als zwei Jahre alt.
Der erste Vertreter produktiv genutzter, kognitiver Systeme ist IBM Watson. Aufbauend auf den oben beschriebenen Mechanismen konnte eine auf IBM Watson Technologie aufbauende Lösung erstmalig in der Geschichte in der Amerikanischen Wissens-Show Jeopardy! einen Menschen besiegen.
Seitdem wurde IBM Watson kontinuierlich verbessert, erweitert und steht mit einzelnen Funktionen für die Nutzung in anderen Anwendungen bereit. Als Beispiele für solche Anwendungen seien die Analyse von bildgebenden Verfahren in der Medizin, die frühzeitige Erkennung von Grippewellen durch Auswertung von Twitter-Nachrichten sowie die Unterstützung von Sicherheitsexperten bei der Verfolgung von Cyber-Angriffen genannt.
Es gibt auch erste konkrete Beispiele für den erfolgreichen Einsatz kognitiver Fähigkeiten in Procurement IT-Lösungen: Quality Early Warning System (QEWS), Qualitätsmängel in den Zulieferteilen haben gravierende Auswirkungen und beeinflussen die Kostenseite und die Umsatzseite resp. die Kundenzufriedenheit negativ. Das System QEWS wurde mit kognitiven, analytischen und statistischen Verfahren realisiert, um Qualitätsprobleme deutlich früher zu erkennen und transparent zu machen. Bei einem weltweit agierenden Hersteller konnte durch die Aggregation, Reinigung und Analyse von Qualitätsdaten durch QEWS erheblich früher alarmiert werden. Die Identifikation von Alarmsituationen erfolgte in den meisten Fällen mindestens 5 Wochen teilweise sogar 8 Wochen früher. Darüber hinaus enthalten die Alarmmeldungen nun konsistentere Informationen für die Qualitätsingenieure, die das System überwachten.
Watson Procurement Intelligence (WPI) bietet Einkäufern auf ihre Einkaufsumfänge zugeschnittene Insights auf der Basis von Einkaufs-, Liefer-, Markt- und Bedarfs-Daten in Form von intuitiven graphischen Dash-Boards an. Durch den Einsatz von kognitiven Verfahren können Abhängigkeiten und Beziehungen ermittelt werden, die bisher in den unstrukturiert vorliegenden Daten verborgen waren. Auf der Basis der durch WPI aufbereiteten Informationen können Einkäufer schneller und informierter Entscheidungen treffen, welche zu Kostenreduktionen und Vermeidung von Lieferengpässen kritischer Teile führen können.
Watson Company Analyser (WCA), setzt kognitive Technologie ein, um Geschäftspartner besser einschätzen zu können und erstellt ein ganzheitliches Unternehmensprofil. Dies wird durch Sammeln, Filtern und Analysieren von strukturierten (klassische IT-Daten) und unstrukturierten Daten (textuelle Dokumente) erreicht. Sie erhalten hierdurch Einsicht in die finanzielle Leistungsfähigkeit des Unternehmens und Key-Metriken sowie finanzielle Trends welche dem Geschäft zugrunde liegen.
Kognitive Computing und Auswirkung auf die bestehende Unternehmens-IT
Um „Cognitive Business“ in einem Unternehmen Realität werden zu lassen, müssen erhebliche Datenmengen (Fokus auf unstrukturierte Daten) prozessiert und über intelligenten Algorithmen aufbereitet werden. Diese intelligente Algorithmen entstehen nicht durch Programmierung, sondern durch Trainieren (erlernen). Aufgrund dieses Ansatzes scheitern oftmals traditionelle Modelle zur Erstellung und Anpassung von Software-Lösungen, bei denen von Anfang an die Lösung bekannt und der Lösungsweg definiert sein muss.
Aus diesem Grund setzen Unternehmen bei der Umsetzung innovativer System-Lösungen zunehmend auf agile Methoden. In einzelnen zeitlichen Etappen („Sprints“) entsteht eine Software mit dem jeweils größten fachlichen Nutzen, gesteuert durch den Fachbereich.
Folgt man dem erweiterten agilen Ansatz (meist DevOps genannt), der die Aspekte des Betriebs von der IT-Lösung mit berücksichtigt und die Automatisierung der Bereitstellung der Softwarelösung im Fokus hat, entsteht eine Nutzbarmachung neuer Funktionen innerhalb kürzester Zeit. Hierbei werden teilweise Zeiträume von weniger als 3 Wochen bis hin zu täglichen Aktualisierungen erreicht. Cloud-Techniken sowie die Automatisierung der Softwaretests und die automatisierte produktive Bereitstellung der Lösung sind hierbei die Schlüssel zum Erfolg.
Große, internationale Unternehmen greifen diese Ideen auf und beginnen ihre Procurement-Systeme auf Basis von Best-of-Breed Lösungen zu erweitern und zu ersetzen. Hierbei wird sich zunutze gemacht, dass sich am Markt eine wachsende Zahl an spezialisierten Software-as-a-Service Anbietern (beispielsweise für Auktionen oder Angebotsvergleichen) etablieren, die sich zügig mit kognitiven Lösungen kombinieren lassen.
Die Nutzung kognitiver Verfahren hat den experimentellen Status verlassen und hält Einzug in die Einkaufsbereiche von Unternehmen, in denen erhebliche Mengen von strategisch relevanten Informationen (oft nur textuell) vorliegen und durch traditionelle Systemlösungen nicht aufbereitet werden können. Neue Möglichkeiten zur frühzeitigen Erkennung von Chancen und Risiken für die Zulieferkette, der Entwicklung von Beschaffungsmärkten als auch für die Bewertung von Geschäftspartnern ergeben sich, die in absehbarer Zukunft einen entscheidenden Beitrag zum Wettbewerbsvorteil in der strategischen Beschaffung leisten werden.

Dr. Arndt Präuer

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Zum Autor

Der Global Head of Purchasing bei der Putzmeister Group verantwortet seit 1997 den Einkauf in unterschiedlichen Branchen und Unternehmen. Er ist Autor des Buches
Solutions Sourcing. Strategien und Strukturen interorganisationaler Wertschöpfungssysteme, Deutscher Universitätsverlag, 2004
Im April 2017 erscheint sein neues Buch:
Strategisches Beschaffungsmanagement. Moderne Wertschöpfungsstrukturen in global agierenden Industrieunternehmen im Franz Vahlen Verlag

Dr. Markus A. Thies

Zum Autor

Seit mehr als 20 Jahren berät er OEMs der Automobilbranche bei der technischen Umsetzung von IT-Systemen im Einkauf. Er hat viele internationale IT-Entwicklungsprojekte bei OEMs in den USA, Japan und Deutschland als verantwortlicher, technischer Leiter erfolgreich umgesetzt und eingeführt. Seit September ist er Mitglied im AutoLab des Watson IoT Centers in München und arbeitet zusammen mit OEM Partnern an der Umsetzung kognitiver Fähigkeiten im Bereich Mobility.

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Dr. Arndt Präuer, Global Head of Purchasing, Putzmeister Group

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Dr. Markus A. Thies, Executive Architect, IBM Deutschland.
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