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Faxen war gestern: Digitalisierung bringt neue Aufgaben

Effizientere Einkaufsprozesse
Faxen war gestern: Digitalisierung bringt neue Aufgaben

Faxen war gestern: Digitalisierung bringt neue Aufgaben
Alfons Wagner, Director Purchasing & Logistics und Projektleiterin Sandra Nusser aus dem Einkauf bei einer Qualitätsbesprechung in der Produktionshalle am Firmensitz. (Bild: Pester Pac Automation)
Die Digitalisierung von Geschäftsprozessen hat zur Folge, dass sich Arbeitsaufgaben im Einkauf verändern. Insbesondere in der Branche Maschinen- und Anlagenbau müssen zunächst einmal die Beschaffungsprozesse im Rahmen von E-Procurement verbessert werden. Erst dann ist der Weg für die Digitalisierung frei.

In einer voll digitalisierten Welt erhält der Einkäufer per Knopfdruck Daten in Echtzeit auf sein Tablet. So kann er eine schnelle Entscheidung treffen, beispielsweise wenn Lieferanten aufgrund einer Krise, wie im Jahr 2016 in der Türkei, ausgelistet werden müssen. Während dieses Lieferanten-Sourcing laufen im Hintergrund Bestellungen und Auftragsbestätigungen automatisch ab. Der Einkäufer, der als Manager zu externen und internen Schnittstellen fungiert, gewinnt mehr Zeit, um neue Geschäftsfelder und Produkte zu entwickeln. Dabei nutzt und analysiert er Big Data. So könnte ein Szenario im Rahmen von Einkauf 4.0 aussehen, allerdings ist dies insbesondere in der Maschinen- und Anlagenbranche noch Zukunftsmusik.

E-Procurement heute – Einkauf 4.0 morgen?
Die Hauptproblematik: Es existieren zunächst einmal unterschiedliche Auffassungen, was sich genau hinter Industrie 4.0 und damit auch Einkauf 4.0, also der Digitalisierung von Geschäftsprozessen verbirgt, so der Experte und Berater Friedrich Klement von Phoron Consulting: „Für die einen stellt die Bearbeitung von Bestellungen per E-Mail schon eine Digitalisierung dar. Das zeigen unsere Erfahrungen mit Kunden aus dem Maschinen- und Anlagenbau. Hier ist die Automatisierung der Einkaufsorganisation, das heißt die Beschleunigung der operativen Prozesse bereits ein großer Fortschritt. Für die anderen wäre der nächste große Schritt, den strategischen Einkauf aufgrund seiner Rolle und Vernetzung im Unternehmen sowohl intern als auch extern zu stärken.“ Als Vorreiter gilt hier die Automobilbranche. Denn hier sind die operativen und administrativen Einkaufsprozesse weitestgehend automatisiert. Von der Anfrage über die Auftragsbestätigung bis hin zum Rechnungsprozess – der elektronische Beschaffungsprozess oder auch EDI-Prozess läuft mithilfe von E-Procurement-Tools vollständig elektronisch und in Echtzeit ab. Was sich in der Branche Automotive über Jahrzehnte aufgrund standardisierter Teile gut etablieren ließ, kann für andere Branchen wie Maschinen- und Anlagenbau nicht eins zu eins übernommen werden. Das liegt unter anderem daran, dass Maschinen- und Anlagenbauer für jedes individuell konstruierte Teil keine Standardmaterialien oder Artikel mit ihren Lieferanten austauschen können. Deshalb ist und kann Einkauf 4.0 nicht für alle Branchen gleichermaßen umgesetzt werden.
Einkaufsprozess im Maschinenbau
Einigkeit bei den Experten besteht in der Veränderung der Aufgaben im Einkauf. Dass, wie manche behaupten, der operative und administrative Einkauf ausstirbt, sieht Klement, der Procurement-Experte, etwas anders: „Ich würde die Aussage nicht zu 100 Prozent unterschreiben. Der operative Einkauf ist z. B. das Verhandeln von Kontrakten, das bedeutet immer noch sehr viel Einkaufs-Know-how. Gleichzeitig wird unglaublich viel Zeit in sinnlose Prozesse investiert, die Geld kosten. Wenn wir uns die Beschaffungsprozesse eines Maschinen- oder Anlagenbauers ansehen, dann machen die Kosten zum Teil 40 Prozent des Gesamtprozesses aus. Das ist viel Geld, das sich mit passenden Tools, indem Daten automatisiert bereitgestellt werden, einsparen lässt.“ An diesen E-Procurement-Tools haben die Unternehmen nach Auffassung von Klement in der Vergangenheit gespart. Deshalb läuft bei 80  Prozent der deutschsprachigen Unternehmen der Einkaufsprozess noch konventionell ab, indem sich beispielsweise der Einkäufer die Konstruktionszeichnung für die Bestellung notwendiger Teile noch selbst beschaffen muss, diese auf ein Medium speichert und per Fax oder Mail an den Lieferanten abschickt.
Echtzeit steigert die Performance
Einkaufsprozesse in Echtzeit sind auch das Ziel der Pester Pac Automation GmbH, einem Maschinen- und Anlagenbauer für Verpackungsmaschinen aus Wolfertschwenden im Allgäu. Im ersten Schritt der Digitalisierung sollten die weltweiten Beschaffungsprozesse schneller und die Kosten pro Bestellvorgang reduziert werden. Dort fiel die Wahl auf das Einkaufstool Flex.Procurement: „Wir haben das Lieferantenportal aus dem Phoron-Lösungspaket für den Einkauf eingeführt. Das heißt, die Lieferanten des Maschinen- und Anlagenbauers sind über das Portal, Link und EDI angebunden. Über diese drei Kanäle lassen sich nun Daten in Echtzeit austauschen und bearbeiten. Damit werden aktuell 100 000 Bestellpositionen im Jahr 2016 elektronisch abgewickelt. Das sind 30 Prozent mehr Bestellpositionen innerhalb eines Jahres“, so Klement. Heute laufen 93 Prozent der Bestellvorgänge, die früher noch über E-Mail-Kommunikation mit dem Lieferanten erfolgten, automatisiert ab. Insgesamt konnten die Kosten für einen Bestellvorgang auf 20 Euro bei Pester Pac Automation reduziert werden. Das sind durchschnittlich 70 Euro weniger als bei vergleichbaren Unternehmen. Die Automatisierung der Beschaffungsprozesse bringt neben Zeit- und Kostenersparnis noch einen weiteren Vorteil mit sich: Die Liefertermintreue der weit über 100 angebundenen Lieferanten verbesserte sich innerhalb eines Jahres von 93 Prozent auf 97 Prozent und damit einhergehend auch die Materialverfügbarkeit.
Das Lieferantenportal ist allerdings nur ein Tool im Rahmen der Digitalisierung der operativen und strategischen Prozesse im Einkauf. Ziel muss sein, dass Systeme eigenständig oder halbautomatisch miteinander kommunizieren, sodass keine Medienbrüche mehr stattfinden.
Herausforderung: IT-Systeme im Einkauf
Das scheitert oftmals an der IT-Landschaft und den Systemen, die nicht mehr den heutigen Anforderungen entsprechen, um große Datenmengen zu verarbeiten und bereitzustellen. Tatsächlich sehen viele Mitarbeiter die Einführung neuer Systeme kritisch. Hierbei werden insbesondere Tauglichkeit, Fähigkeit sowie Kompatibilität infrage gestellt. Deshalb ist viel Überzeugungsarbeit nötig, um den digitalen Wandel im Unternehmen zu vollziehen. Die Einbindung der Mitarbeiter, und das von Anfang an, ist laut dem Phoron-Experten am wichtigsten: „Es hilft nicht, wenn man dem Kunden erklärt, dass sich beispielsweise unser Einkaufstool nach sechs Monaten amortisiert. Für die Einkäufer ist wichtig zu wissen, inwieweit sich ihre Aufgaben ändern. Deshalb macht das Change Management bei solchen Projekten den Großteil aus. Denn mit der Einführung einer Procurement-Suite verändert sich die Qualität der Arbeit. Mit den Tools gewinnt der Mitarbeiter sehr viel Zeit, die er sinnvoller investieren kann, um Preise zu verhandeln, Qualitätsvereinbarungen zu treffen oder die Warengruppenstrategie zu verfolgen.“ Es geht also nicht darum, mit den neuen digitalen Tools Personal im Einkauf abzubauen, sondern die Mitarbeiter hochwertiger einsetzen zu können. So gesehen stirbt der operative Einkauf nicht aus, das Tätigkeitsfeld verschiebt sich hin zu „echten Einkaufstätigkeiten“. Dann gehören Faxen und Mailen auch in der Maschinen- und Anlagenbaubranche bald der Vergangenheit an.

Rebecca Vlassakidis, Fachredakteurin aus Sindelfingen
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