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Kreativität ist die neue Währung

Vom Einkauf zum Vertrieb
Kreativität ist die neue Währung

Chinesische Firmen bauen sukzessive Marktanteile in Europa aus. Sie sichern sich dabei zunehmend die Erfahrung deutscher Experten. Eva Wimmers, bis vor kurzem bei der Deutschen Telekom Senior Vice President Group Procurement und Mitglied des Aufsichtsrats bei T-Systems, ist jetzt President Huawei Honor Europe und Vice President Honor Global. Ihre Aufgabe: Betrieb, Vertrieb und Marketing für die Marke Honor.

Beschaffung aktuell: Frau Wimmers, bei Ihnen schließt sich ein Kreis. Sie kommen aus der Handy-Welt bei T-Mobile, haben später weltweite Verantwortung für den Telekom-Einkauf wahrgenommen und verantworten nun das Smartphone-Marketing für Honor auf höchster Ebene. Eine stringente Karriere, die Sie jetzt zu einem großen chinesischen Player geführt hat. Ein durchaus bemerkenswerter Wechsel in der Manager-Landschaft.

Eva Wimmers: Ich bin die erste nicht chinesische Executive, die auf diesem Level eingestellt wurde. Das Unternehmen wünscht sich, die eigene Innovationskraft mit europäischem Wissen anzureichern, und meine Erfahrungen in Recht, Einkauf, Marketing und Vertrieb sind Grundvoraussetzung, um diesen Job zu machen. Meine Hauptaufgabe besteht darin, Partnerschaften etwa in Sachen Apps, Spiele, Entertainment, Werbeaktivitäten, Brand Building aufzubauen und natürlich die Vertriebsaktivitäten zu erweitern.
Beschaffung aktuell: Was hat sich persönlich für Sie geändert?
Wimmers: Bei der Telekom war ich für 1500 Mitarbeiter in 50 Ländern zuständig und sehr in Gremien eingespannt. Das hat viel Kapazität für Administration gebunden. Bei Honor bin ich freier in meiner Zeiteinteilung und näher an Produkten und am Markt dran. Wir sind 80 Mitarbeiter im Team, 20 davon arbeiten auf europäischer Ebene. Wir wachsen ständig.
Beschaffung aktuell: Wie ist Ihr Austausch mit der Zentrale?
Wimmers: Alle acht Wochen fliege ich nach Shenzen für ein bis zwei Wochen. Dann stehen Meetings mit dem Management und R&D, mit dem Global-Team und der Produktgestaltung auf der Agenda. Dazu kommen Besuche von Kunden oder Journalisten. Ich war schon früher häufig in China und kann das jetzt vertiefen. Ich liebe das Land und die Menschen. Und ich reise gerne.
Beschaffung aktuell: Die Telekom beschäftigt 230 000 Mitarbeiter. Huawei wurde 1987 gegründet, hat 170 000 Mitarbeiter auf allen Kontinenten und bilanziert rund 70 Milliarden Euro Umsatz. Was unterscheidet diese beiden Dickschiffe?
Wimmers: Huawei stellt Infrastruktur für IT, Technik und ITK bereit, ist aber darüber hinaus auch Lieferant von Consumer-Endgeräten wie Handys, Tablets, Routern und Zubehör. Damit sind wir, stärker als die Telekom, mit schnellen Entwicklungszyklen und Innovationsdruck konfrontiert. Das bringt einen ganz anderen Innovations-Drive ins Unternehmen.
Beschaffung aktuell: Was macht Huawei so erfolgreich?
Wimmers: Huawei ist nicht ohne Grund eines der am internationalsten aufgestellten und bekanntesten chinesischen Unternehmen. Der visionäre Gründer Ren Zhengfei hat schon vor zehn Jahren Mitarbeiter zu Aktionären gemacht. Auch das Thema Innovation wird anders angegangen. Huawei-Manager wechseln alle drei bis vier Jahre die Abteilungen, häufiger auch mal das Land, was Energie und Ideen beflügelt und den Austausch in Netzwerken fördert. Eine Silo-Karriere gibt es bei Huawei nicht.
Beschaffung aktuell: Welchen Handlungsspielraum gibt die große Mutter der Tochter Honor?
Wimmers: Honor wurde 2014 gegründet. Wir sind im Grunde genommen ein geschütztes Start-up mit großer Mutter und Innovation im Hintergrund. Während andere Unternehmen ihre Pflänzchen zu Tode lieben, dürfen wir in der schnellen Internet-Welt frei arbeiten, um im Team eine Marke aufzubauen.
Beschaffung aktuell: Welche besonderen Risiken gibt es in Ihrem neuen Metier zu managen?
Wimmers: Neben den bekannten Marktrisiken bei Hard- und Software sind das im Internet-Geschäft Sicherheitsthematiken und auch Misspositionierung online. Gegen falsche Aussagen etwa zur Qualität eines Produktes hilft nur ein starkes Fan-Forum.
Beschaffung aktuell: Wie ist der Produktzyklus bei Honor?
Wimmers: Zwischen neun und 15 Monaten, dann folgt das neue Gerät. Viele unserer jungen Kunden, zumeist Digital Natives im Alter von 16 bis 36 Jahren, möchten ein Handy losgelöst von Netz, Vertrag und Paketen kaufen. Und zwar dann, wenn es erscheint und nicht, wenn der Vertrag ausläuft.
Beschaffung aktuell: Wie positioniert Honor sich bei Digital Natives?
Wimmers: Wir sind ein Internet-Brand. Honor wurde geboren, um die Ansprüche für junge Digital Natives zu erfüllen. Sie leben einen Großteil ihres Alltags online und erleben ihre Marken im Netz. Vom ersten Interesse und Kontakt mit einer Marke über Vergleich und Kauf bis zum spielerischen Austausch danach in der Community passiert alles virtuell. Das Handy muss darum besonders stark sein in Bezug auf Display, Stand-by-Zeit, Video und Kamera. Das Gerät muss viel Intelligenz in sich tragen. Unsere Positionierung ist nicht, ein günstiges Handy einzuführen, sondern immer das beste Preis-Leistungs-Verhältnis bei hoher Produktinnovation zu bieten. Honor hat zum Beispiel als Erster die duale Linse für mehr Schärfe und Farbe eingeführt, erst danach folgten Huawei und Apple.
Beschaffung aktuell: Sie haben noch eine zweite Zielgruppe: die Digital Immigrants.
Wimmers: Ja, wir bedienen Menschen wie mich, die analog ohne Internet-Technologien groß wurden und dann vor ca. 20 Jahren in die neue Welt hineingewachsen sind. Hier steht nicht die demografische Komponente im Mittelpunkt, sondern der Lifestyle-Faktor.
Beschaffung aktuell: Und nun sollen Sie die Bekanntheit des Honor-Smartphones mit dem Slogan „For the Brave“ signifikant steigern?
Wimmers: Ja, wir werden unseren Bekanntheitsgrad weiter erhöhen. Wir haben laut GfK schon bis zu 20 Prozent Bekanntheit der Marke in Europa. Da ist noch viel drin.
Beschaffung aktuell: Was lernt man aus einem Produkt- und Imagedesaster, wie es gerade Samsung erleben muss?
Wimmers: Qualität ist der Schlüssel! Unsere Produkte gehen durch enorm intensive Tests, bevor wir sie rauslassen. Das R&D-Sharing mit der Muttergesellschaft kommt uns dabei sehr zugute.
Beschaffung aktuell: Werfen Sie auch einen besonderen Blick auf den Einkauf?
Wimmers: Honor stellt sich im Consumer-Bereich breiter auf und justiert gerade den Marketing-Einkauf neu. Die Kollegen dort freuen sich, mit mir einen Gesprächspartner mit Erfahrung gewonnen zu haben.
Beschaffung aktuell: Welche Rolle spielt der Einkauf bei Huawei Honor? Können Sie dort Prozesse beeinflussen?
Wimmers: Der Einkauf ist mein Partner. Wir wollen sicherstellen, dass die Prozesse im Marketing-Einkauf noch mehr State-of-the-Art werden. Dieser Bereich ist der neueste, den der Einkauf dazubekommen hat. Sie dürfen nicht vergessen, dass Honor bis vor fünf Jahren noch keine Consumer-Marke war.
Beschaffung aktuell: Wie ist der Einkauf aufgestellt?
Wimmers: Beide Marken haben einen gemeinsamen Einkauf mit einem Europa-Verantwortlichen und Managern in einzelnen Ländern. Der CPO agiert vom Headquarter in Shenzen aus. Mein Bereich und auch R&D sind beim Vorstand Endgeräte bei Richard Yu angesiedelt. Wir tauschen uns regelmäßig auch mit dem Einkauf aus, und ich bin ja auch hier, um Kontakte und mein Wissen mit anderen Abteilungen zu teilen.
Beschaffung aktuell: Der chinesische CPO fragt offen nach Ihrer Meinung? Ist das nicht ungewöhnlich?
Wimmers: Nein. Ich finde, dass das mehr zur chinesischen Mentalität passt als manchmal zur deutschen. Huawei hat verschiedene kulturelle Werte, und einer davon ist „Continuous Self Improvement“. Wir sagen dazu lernende Organisation. Fragen, wo und wie wir uns ständig verbessern und wie wir Kundenerwartungen noch besser erfüllen können, ziehen sich wie ein roter Faden durch die ganze Firma. Dabei ist Teamarbeit allein schon aufgrund des Entwicklungsdrucks sehr wichtig. Know-how-Träger aus anderen Abteilungen werden explizit eingebunden. Das begeistert mich sehr und ich glaube, das macht die besondere Innovationskraft aus.
Beschaffung aktuell: Sie sind jetzt für Partnermanagement und Vertrieb zuständig. Sie treffen also auch auf Einkäufer …
Wimmers: Stimmt! (lacht) Einkäufer freuen sich, dass sie auf jemanden treffen, der durch die gleiche Brille geschaut hat. In der Regel sind nun Vertreter digitaler Agenturen und Leute, die spannende Produktapplikationen und Vertriebskanäle haben, meine hauptsächlichen Ansprechpartner. Teamaufbau und Teamarbeit in den verschiedenen Ländern gehören auch zu meinen Einsatzgebieten. Gut ist in jedem Fall, dass ich nicht mehr jeden Tag Anzug tragen muss.
Beschaffung aktuell: In Sachen Preis-Leistungs-Verhältnis kann Ihnen als ehemaliger Einkaufschefin so schnell keiner etwas vormachen. Hilft das nicht ungemein?
Wimmers: Ja! Man trifft ja häufig auf bekannte Gesichter, bei Distribution oder bestimmten Serviceleistungen. Wenn mein Name fällt, beschleunigt das durchaus die Prozesse.
Beschaffung aktuell: Haben Sie schon bewährte KPIs?
Wimmers: Wir müssen uns noch auf neue KPIs einigen. Wir achten besonders auf Schnelligkeit. Wir brauchen als Internet-Brand einen schnellen Support. Ein Tag bei uns in der Internet-Branche entspricht quasi einem Hundejahr. Wir müssen mit Eco-Systemen arbeiten, die in dem meisten Firmen noch nicht gang und gäbe sind.
Beschaffung aktuell: Gibt es Runden, wo Sie ganz bewusst den Einkauf mitnehmen werden?
Wimmers: Nach meiner Einarbeitung will ich den Einkauf so einsetzen, wie ich es vorher bei der Telekom getan habe. Wir wollen uns gemeinsam weiterentwickeln. Die Einkaufskollegen müssen viel von Märkten und Produkten verstehen, sonst können sie keine innovativen Ideen einbringen. Wichtig ist, dass man schon in der Design-Phase auf Augenhöhe miteinander spricht. Das geht nur, wenn der Einkauf als eigene Funktion und nicht als bloßer Service-Dienstleister angesehen wird, der am Schluss gerade noch am Preis drehen darf.
Beschaffung aktuell: Welche Rolle spielt Teambildung? Sie waren ja bei der Telekom sehr engagiert auf diesem speziellen Gebiet.
Wimmers: Mein Credo gilt natürlich weiter: All Business is People Business. Menschen machen Geschäfte miteinander. In meinem Team arbeiten viele Digital Natives und Immigrants. Bei unseren vielen Neuzugängen ist es wichtig, aus allen Charakteren schlagkräftige, agile Teams zu bilden. Wir kombinieren die Jungen, die Gespür für Online-Foren und -Produkte haben, mit Immigrants, die schon etwas länger Erfahrungen mit Geschäftsmodellen und Strukturen besitzen.
Beschaffung aktuell: Setzen Sie auf Assessment Center?
Wimmers: Nein, wir führen Interviews. Wir wollen Leute nicht unter Druck setzen. Meine Erfahrung hat gezeigt, dass viele Kandidaten, die in Assessment Centern performet haben, im Job nicht die erhofften Impulse setzen konnten.
Beschaffung aktuell: Können Sie bei einem so schnell wachsenden Unternehmen gezielt Weiterbildung durchführen?
Wimmers: Das ist in der Tat ein großes Thema. Wir setzen gerade mit der HR-Abteilung neue Programme auf. Ein Punkt sind Partnerverhandlungen. Im Moment haben wir flache Teams und sind mitten im Weihnachtsgeschäft. Das Online-Geschäft ist ja nochmal schneller als andere. Wir kämpfen gerade darum, für Maßnahmen auch wirklich Zeit zu haben.
Beschaffung aktuell: Wie finden Sie neue Mitarbeiter?
Wimmers: Wir haben eine innovative HR-Verantwortliche für Europa. Die Ansprache läuft sehr stark digital, aber auch über Headhunter. Unsere speziellen Bedürfnisse werden von traditionellen Medien meist nicht abgedeckt, denn wir suchen junge Kreative mit innovativen Ideen, und das auch mal unabhängig von CV und Studium. Da hilft es einem Headhunter nicht, in Listen über Xing oder LinkedIn zu suchen. Unser Motto ist „Creativity is the new Currency“.
Beschaffung aktuell: Sie sind das beste Beispiel für HR und die Community, dass der Einkauf ein Sprungbrett in die General-Manager-Position sein kann …
Wimmers: Gerade sind ja viele Unternehmen in Transformationsprozessen, die neue Denk- und Handlungsweisen mit sich bringen. Es gibt mehrere Arten, den Einkauf erfolgreich zu leben. Er kann eine lebenslange spannende und erfüllende Aufgabe bleiben, er kann auch eine Zwischenstation sein, bei der man viele Erkenntnisse für spätere Aufgaben gewinnt. Man kann durchaus auch zurückkehren. Alle Wege funktionieren, solange man bereit ist dazuzulernen. Ich war schon immer ein Produkt- und Marketing-Mensch und habe auch meine Einkaufsfunktion so gelebt. Für mich ist Einkauf eine Lebensphilosophie und kein Job. Meine Ansätze, die ich im Einkauf verfolgt habe, werde ich auch in meiner neuen Funktion nicht ändern.
Beschaffung aktuell: Wie sehen Ihre Ziele aus, was haben Sie sich persönlich vorgenommen?
Wimmers: Mein mittelfristiges Ziel ist, die Marke bei Digital Natives in Europa signifikant bekannter zu machen und ein starker Konkurrent für Wettbewerber zu werden. Überdies will ich ein großes, belastbares Partnernetzwerk aufbauen. Dazu gehört übrigens auch die Telekom, mit der Huawei schon länger in einigen Bereichen kooperiert.
Beschaffung aktuell: Zu guter Letzt: Was können wir eigentlich von den Chinesen lernen?
Wimmers: Flexibilität im Kopf, in Teams schnell Dinge erarbeiten – zumindest in dieser Firma. Das ist, was ich sehr schätze. Wir lernen gegenseitig.
Beschaffung aktuell: Vielen Dank für das Gespräch.
Das Interview führte Sabine Ursel,
Journalistin und Kommunikationsexpertin für Einkauf/Vertrieb.

Eva Wimmers

Die Frau

  • seit Juli 2016: President Huawei Honor Europe und Vice President Honor Global (Shenzen/Düsseldorf)
  • 2011 – 2016: Senior Vice President Group Procurement Deutsche Telekom AG
  • 2012 – 2016 Aufsichtsratsmitglied Buyin (Procurement Joint Venture von Deutsche Telekom und Orange/ehemals France Telekom); Aufsichtsratsmitglied T-Systems International
Wimmers studierte Jura an der Universität Frankfurt sowie Business Administration und Marketing in Kalifornien und Genf. Ihr Berufseinstieg war bei E-Plus. Bei T-Mobile war sie unter anderem verantwortlich für die Private-Label-Produkte T-Com und Mobile Digital Assistant (MDA); zuletzt bei T-Mobile International für Terminal Management, Content, Plattformen und Added Value Services; 2011 erfolgte der Wechsel in den Einkauf bei der Deutschen Telekom (Einkaufsvolumen 27  Mrd. Euro).

Huawei Technologies Co., Ltd

Das Unternehmen

1987 von Ren Zhenfei gegründeter ITK-Konzern mit Sitz in Shenzen; heute: 170.000 Mitarbeiter in über 170 Ländern; Geschäftsbereiche: Carrier Network, Enterprise und Consumer (Netzwerk-Infrastruktur, Cloud Computing-Lösungen und Endgeräte wie Smartphones und Tablet-PCs); fast die Hälfte der weltweit 170.000 Mitarbeiter ist im Bereich Forschung und Entwicklung tätig; Huawei betreibt weltweit Forschungscluster und Innovationszentren, an denen mit Partnern zusammengearbeitet wird. In Deutschland ist Huawei seit 2001 tätig.
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