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Lieferantenmanagement - Zuckerbrot statt Peitsche mit Bonusregelungen

Bonusregelungen in Forschungs- und Entwicklungsverträgen
Zuckerbrot statt Peitsche

Bei ausreichender Transparenz der Kostenstrukturen und der Prozesse beim Lieferanten können Regelungen, unter denen der Auftragnehmer eher für Leistung belohnt, als durch Pönalen und Schadensersatzansprüche bestraft wird, motivations- und leistungsfördernd wirken. Dennoch können sie bei Forschungs- und Entwicklungsverträgen die fairste und wirtschaftlichste Lösung darstellen, wenn bestimmte Voraussetzungen erfüllt werden.

Während die sogenannten „Incentive Contracts“ in Amerika – speziell bei Beschaffungen der US-Behörden wie NASA oder Department of Defense – vergleichsweise häufig zur Anwendung kommen, genießen Bonusregelungen in deutschen Verträgen eher Exotenstatus. Das kommt vor dem Hintergrund der Herausforderungen bei der praktischen Anwendung nicht von ungefähr. Dennoch können sie bei Forschungs- und Entwicklungsverträgen die fairste und wirtschaftlichste Lösung darstellen, wenn bestimmte Voraussetzungen erfüllt werden.

Trotz der vermeintlich klaren Definitionen der diversen Vertragstypen nach dem deutschen Schuldrecht muss sich der Einkäufer in der Praxis regelmäßig Gedanken über die optimale Vergütungsregelung machen. Ein vermeintlicher Werkvertrag, beispielsweise, muss nicht notwendigerweise ein einfacher Festpreisvertrag sein, sondern kann auch Leistungen beinhalten, die auf Aufwandsbasis erstattet werden. Es stehen diverse Gestaltungsformen von Festpreisen, Erstattungspreisen und Bonusregelungen zur Verfügung. Festpreise können Festpreise für die spezifizierte Lieferung oder Leistung sein oder können sich auf die Zurverfügungstellung von spezifiziertem und quantifiziertem Personal in einem Zeitraum beziehen. Bonuszahlungen können zum Beispiel an Zeit-, Kosten- oder Qualitätsziele – einzeln oder in Kombination – geknüpft sein.
Eine Vielfalt von Alternativen. Die Bonusregelungen der Amerikaner sind uns in der Regel zu aufwendig. Uns stehen theoretisch viele Formen zur Verfügung: Ein fester Betrag auf die Ist-Kosten (Cost-Plus-Fixed-Fee), ein Bonus in Bandbreite, der subjektiv vom Auftraggeber bestimmt wird (Cost-Plus-Award-Fee), ein an ein Ziel wie Kosten oder Leistung geknüpfter Bonus (Cost-Plus-Incentive-Fee), ein durch mehrere Ziele bestimmter Bonus (Cost-Plus-Incentive Fee, Multiple Incentives), ein Bonus für Kostenunterschreitung auf einen Festpreis und so weiter. In der Praxis werden wir einen Bonus an maximal zwei Erfolgskriterien knüpfen. Bei vorgegebener, realistischer Qualität oder Leistung könnten das die tatsächlichen Entwicklungskosten und der Liefertermin sein. Dort wo jedes bisschen Mehrleistung und schnelle Vermarktbarkeit ausschlaggebend sind, werden Boni entsprechend durch diese Kriterien bestimmt.
Beispiel für Bonuszahlungen in Abhängigkeit von Kosten- und Zeitzielerreichung.
Für die Auswahl des „richtigen“ Vertragstyps, bzw. der passenden Vergütungsregelung sind der Wettbewerb, die Qualität der Spezifikationen, die Erfahrung des Auftraggebers, die Geschäftsbeziehung und die Qualität der administrativen Prozesse beim Auftragnehmer maßgeblich. Was nützt dem Auftraggeber in der Preisverhandlung ein detaillierter Kostenaufbruch, wenn er ihn nicht nachvollziehen kann? Wozu brauche ich diesen überhaupt, wenn ich im perfekten Wettbewerb einkaufe? Wie legen wir den Preis fest, wenn Anforderungen unvollständig und instabil sind und kein Wettbewerb vorhanden ist? Zur Festlegung der passenden vertraglichen Vergütungsregelung sind bis zu sieben Fragen nacheinander zu beantworten:
Frage 1: Ist das Beschaffungsgut ein marktgängiges Produkt?
Wenn ja, haben sich alle weiteren Fragen erledigt. Der Marktpreis wird zur Bestimmung eines Festpreises herangezogen. Dies ist bei Forschungs- und Entwicklungsaufträgen aber regelmäßig nicht der Fall.
Frage 2: Gibt es eine Spezifikation mit detaillierten und stabilen
Anforderungen?
Wenn eine Spezifikation mit ausreichend detaillierten und stabilen funktionalen und nicht funktionalen Anforderungen vorliegt, kann der faire Preis entweder durch Wettbewerb, historischen Vergleich oder Kostenanalyse festgestellt werden. Idealerweise sind Anforderungen SMART, das heißt spezifisch, messbar, akzeptiert, realistisch und terminiert.
Ist das nicht der Fall, kommt ein Festpreis nicht in Frage und es muss ein Erstattungspreis – auf Neudeutsch „Cost Reimbursement“ oder „Time and Materials“ genannt – abgeschlossen werden. Der Preis bestimmt sich aufgrund der tatsächlich angefallenen Arbeitsstunden und der vereinbarten Verrechnungssätze. Letztere sind dann zu verhandeln.
Frage 3: Existiert ausreichend Wettbewerb?
Im Falle des Vorliegens von brauchbaren Spezifikationen kann Wettbewerb erzeugt und zur Festlegung des Preises genutzt werden. Voraussetzung dafür ist, dass sich eine ausreichende Zahl von Anbietern findet. In diesem Fall wird ein Festpreis vereinbart.
Frage 4: Liegen historische Vergleichsangebote vor?
Ist Wettbewerb wirtschaftlich nicht sinnvoll möglich, kann mindestens die Plausibilität des Angebotspreises durch vergleichbare, frühere Angebote und Verträge überprüft werden. Ein Festpreis ist möglich.
Frage 5: Liegt ein detaillierter Kosten-/Preisaufbruch vor?
Idealerweise liegt dem Einkauf ein detaillierter Kosten-, bzw. Preisaufbruch vor. Wenn Einkauf und Fachabteilungen in der Lage sind, diesen nachzuvollziehen und qualifiziert zu hinterfragen, wird dann auf dieser Basis ein Festpreis verhandelt.
Frage 6: Sind die Risikofaktoren quantifizierbar?
Kann der Lieferant keinen brauchbaren Kosten-, bzw. Preisaufbruch vorlegen oder kann der Auftragnehmer diesen nicht nachvollziehen, ist die Mindestvoraussetzung für einen Festpreisvertrag, dass wenigstens die Risikopositionen identifiziert und quantifizierbar sind. Ist auch das nicht der Fall, bieten sich der Erstattungspreis oder – im Falle der positiven Beantwortung von Frage 7 – eine Bonusregelung als Vergütungsregelung an.
Frage 7: Sind die technischen und administrativen Prozesse
des Lieferanten nachvollziehbar?
Voraussetzung für Bonusregelungen ist, dass die beim Lieferanten etablierten technischen und administrativen Prozesse die Festlegung von Zielwerten hinsichtlich Kosten, Termine und Technik, sowie eine nachträgliche Prüfung der Zielerreichung erlauben. In diesem Falle stehen eine Reihe solcher Bonusregelungen für die Verhandlung zur Verfügung. Sofern die Erreichung von Zielkosten Basis für einen Bonus ist, muss speziell das Kostenerfassungssystem angemessen professionell und für den Einkäufer nachvollziehbar sein. Das sollte in einer strategischen Partnerschaft mit einem Lieferanten möglich sein. Erlaubt der Lieferant keine Transparenz, weil er nicht kann oder nicht will, bleibt nur die Vereinbarung eines Erstattungspreises und die kritische Überprüfung der Geschäftsbeziehung mit diesem Lieferanten.
Bonusregelungen weisen gegenüber den klassischen Vergütungsmechanismen Vorteile und Nachteile auf. Ziel des Auftraggebers ist prinzipiell die Erhöhung der Motivation des Auftragnehmers. Nachteil ist ein höherer administrativer Aufwand bei der Bestimmung und Verhandlung der detaillierten Regelungen, der nachträglichen Erfolgsermittlung, sowie der Abrechnung und Zahlung der Boni. Der oben beschriebene Entscheidungsprozess liefert nur eine Orientierung zur Festlegung der Vergütungsregelung.
Letztlich muss die Entscheidung situationsabhängig und mit Fingerspitzengefühl unter Berücksichtigung harter und weicher Faktoren getroffen werden. Während in einem Projekt eine Bonusregelung motivationsfördernd auf den Lieferanten wirkt, kann in einem anderen Projekt das Gegenteil der Fall sein. Wenn der Einkauf in einer eingefahrenen Geschäftsbeziehung, in der der sogenannte strategische Partner mit großzügigen Risikozuschlägen in Festpreisverträgen oder durch Salamitaktik unter Erstattungspreisverträgen jahrelang gut verdient hat, plötzlich Bonusregelungen einführen kann, unter denen die Gewinnmargen des Lieferanten kleiner werden, ist Motivation kein Argument.
Spezielle Prozesse zur Administration von Bonusverträgen bringen Mehraufwand bei Zielpreisfindung, Projektüberwachung und Zahlungsabwicklung. Ein Vertrag mit an Kosten- und Zeitziele geknüpften Bonuszahlungen erfordert zuerst eine gemeinsame Analyse und Abschätzung von Zielkosten und Zieltermin und den entsprechenden Risiken. Überlässt der Auftraggeber dem Auftragnehmer diese Abschätzungen, besteht ein größeres Risiko von unrealistischen Kosten- oder Terminschätzungen und daraus resultierenden überhöhten Boni.
Besser als ein Erstattungspreis. Nach Verhandlung der Boni für die möglichen Szenarien und Vertragsabschluss muss die Leistung des Auftragnehmers kontinuierlich begleitet werden. Eventuell sind Abschlagszahlungen zu leisten. Nach Fertigstellung und Abnahme der Lieferungen und Leistungen müssen dann die beim Lieferanten aufgelaufenen Ist-Kosten gemeinsam analysiert und nachvollzogen werden. Daraus und aus dem Liefertermin bestimmen sich – zum Beispiel aus Kurven wie im obigen Bild 2 – der Bonus und die verbleibende Zahlungsverpflichtung.
Wenn trotz vernünftiger Spezifikation der Lieferungen und Leistungen des Auftragnehmers kein Festpreisvertrag sinnvoll möglich ist, weil weder ein ausreichender Wettbewerb oder Vergleichbarkeit und kein für den Auftraggeber nachvollziehbarer detaillierter Kostenaufbruch vorliegt, kann ein Bonusvertrag die wirtschaftlichste Lösung darstellen. Voraussetzung ist ein partnerschaftlicher Umgang mit ausreichender Transparenz der technischen Prozesse und der Finanzprozesse beim Auftragnehmer und dem gemeinsamen Willen zur Risikoteilung. Der Auftragnehmer wird dann im Gegensatz zum Erstattungspreisvertrag – der von Einkäufern oft als Selbstbedienungsvertrag empfunden wird – zur Reduzierung der Kosten und beispielsweise der Maximierung der Leistung motiviert.
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