Der Sondermaschinenbau der Schaeffler Gruppe, einem weltweit tätigen Automobil- und Industriezulieferer, entwickelt individuelle Montage-, Prüf- und Bearbeitungsmaschinen. Fast jede zweite bei Schaeffler eingesetzte Produktionseinrichtung für die Sparten Automotive und Industrie stammt aus dem internen Sondermaschinenbau. Seit diesem Jahr öffnet sich der Bereich auch für externe Kundenwünsche.
Um Maschinen so kostengünstig und effizient wie möglich zu konzipieren und zu bauen, werden nicht wertschöpfende Tätigkeiten durch Digitalisierung und Automatisierung immer mehr minimiert und Prozesse verschlankt. Ein Beispiel hierfür ist die Automatisierung des C-Teile-Managements mit einem elektronischen Kanban-System. Dieses bietet für Unternehmen klare Vorteile: Durch den Wegfall manueller Bestellvorgänge spart es Prozesskosten und setzt personelle Kapazitäten für wertschöpfende Tätigkeiten frei. Deshalb implementierte der Schaeffler-Sondermaschinenbau vor drei Jahren das System eLogistics von Keller & Kalmbach am Standort in Erlangen. Das eingesetzte System zeichnet sich durch eine automatisierte Bestellung notwendiger Bedarfe aus. Je nach Systemausprägung funktioniert dies zum Beispiel über das Drehen eines Behälters oder das Drücken eines Knopfes.
Erhöhte Individualität durch sukzessive Ausrollung
Jetzt wurde eLogistics an drei weiteren Standorten eingeführt. Ganz bewusst haben die Partner sich dafür entschieden, das System nicht auf einen Schlag an allen Standorten auszurollen, sondern jedes Werk einzeln zu betrachten. Jessica Rasser, Spezialistin im Einkauf bei Schaeffler-Sondermaschinenbau in Erlangen, erklärt die Herangehensweise: „Für uns ist es wichtig, dass wir nicht einfach ein System überstülpen und vorgeben: So wird es jetzt gemacht.“ Vielmehr gehe es darum, Effizienzpotenziale an einzelnen Standorten gesondert zu heben – immer auch mit Hinblick auf die individuellen regionalen Spezialisierungen der einzelnen Werke.
Standardisierung verschlankt C-Teile-Angebot
Mit der Einführung von eLogistics stand der Schaeffler-Sondermaschinenbau zuerst vor der Aufgabe, die Beschaffung von C-Teilen neu zu überdenken. Zunächst musste das breite Sortiment für jeden Standort individuell auf ein notwendiges Mindestmaß beschränkt werden. So wurde das Produkt- und Lieferportfolio um 80 Prozent reduziert und so die Lieferantenlandschaft verschlankt. Jetzt sind Keller & Kalmbach sowie zwei weitere Lieferanten automatisiert in diesem System eingebunden. Die Reduzierung des Sortiments erfordert auch von den Konstrukteuren ein Umdenken. Komponenten müssen standardisiert designt werden, sodass das vorhandene Sortiment den größten Bedarf decken kann. Doch dies muss kein Nachteil sein. Es kann Raum für Kreativität und Innovationen entstehen, wie das Beispiel einer selbst entwickelten, standardisierten Kamera- und Sensorenhalterung zeigt, die zuvor mühsam aus teuren Spezialteilen verschraubt werden musste.
Spezialisierung der Standorte agil angehen
Die Standardisierung des Sortiments in Listen ist die Vorarbeit, die vor der Implementierung erledigt werden muss. Rasser erklärt weiter: „Dennoch hat jeder Standort einen hohen Spezialisierungsgrad. Beispielsweise produzieren wir in Erlangen keine Bearbeitungsmaschinen, an anderen Standorten schon. Dadurch ergeben sich spezifische Anforderungen an Bedarfe.“ Diese müssen in den Systemen der einzelnen Standorte abgebildet werden. Der Systempartner Keller & Kalmbach unterstützte das Unternehmen bei seinem Anspruch, Standardisierung und Spezialisierung zu vereinen. Rasser sagt dazu: „Keller & Kalmbach ist für uns ein wichtiger Kooperationspartner, weil sie uns keine vorgefertigte Lösung anbieten, sondern uns die Freiheit lassen, die Systeme individuell zu erarbeiten.“ Die enge Kooperation der beiden Firmen war ein wichtiger Erfolgsfaktor bei der Entwicklung und Umsetzung der individuellen Kanban-Lösung.
Zentrale Organisation in China und Slowakei bevorzugt
Nach der erfolgreichen Umsetzung in Erlangen war für die beiden Partner klar, dass das System auch für weitere Standorte zu erheblichen Effizienzsteigerungen und Kosteneinsparungen führen kann. Deshalb starteten Keller & Kalmbach und Schaeffler-Sondermaschinenbau 2018 mit dem nächsten Projekt in Taicang, China. Während in Erlangen mit den Systemausprägungen turnLOG und pushLOG gearbeitet wird, welche dort in einem zentralen Lager und auch an einzelnen Fertigungsplätzen zur Verfügung stehen, entschied man sich in China für ein zentrales Lager mit der Ausprägung parkLOG. „Das wurde so vom zuständigen Projektteam erarbeitet. Die Montagemitarbeiter sollen selbstständig in der Lage sein, sich aus dem vorhandenen Kanban-Sortiment zu bedienen“, erklärt Rasser. Die Mitarbeiter an diesem Standort haben Werkstattwagen, die sie sich zentral abholen und im gleichen Schritt individuell befüllen. So verkürzen sich die Wege, die Mitarbeiter zurücklegen. „Keller & Kalmbach und unser Beschaffungsteam stellen den Standorten verschiedene Systeme vor. Die Entscheidung, welches System wie eingeführt wird, trifft aber die Organisation selbst. Wir sind nur unterstützend und beratend tätig“, erklärt Rasser. Der nächste angebundene Standort liegt in Kysuce, Slowakei. Hier entschieden sich die Partner für die turnLOG- und pushLOG-Systeme in einem zentralen Lager.
In Schweinfurt stehen die Funktionsbereiche im Vordergrund
Das vierte Implementierungsprojekt setzten die Partner in Deutschland, genauer in Schweinfurt, um. Anstatt sich dabei an die Gegebenheiten der Fertigung anzupassen, haben sie das Layout komplett neu überdacht. Hier hat man sich dafür entschieden, einzelne Systeme für die Funktionsbereiche einzurichten, wie die elektrische, mechanische und hydraulische Montage. Dabei stehen den Bereichen nicht die gleichen Sortimente zur Verfügung, sondern solche, die konkret an ihre Tätigkeiten angepasst wurden. Für das nächste Projekt geht es wieder um die halbe Welt: Es soll in Cheraw in South Carolina, USA, entstehen. Dafür läuft im Moment noch die Potentialanalyse.
Das System passt sich immer wieder neu an Projekte an
Doch es ist nicht damit getan, ein E-Kanban-System einmalig einzurichten. Ein integraler Bestandteil ist die ständige Überarbeitung des Angebots. Dies erfolgt konsequenterweise auch dezentral an den einzelnen Standorten. Rasser erklärt: „Die Optimierung muss ein Selbstläufer sein und lokal vorgenommen werden, damit keine zentrale Steuerung notwendig ist.“ Einmal im Monat treffen sich die Teams, die aus Mitarbeitern des Einkaufs, Konstrukteuren und Monteuren bestehen, um das Sortiment zu überdenken und auf geänderte Anforderungen zu reagieren. Jedes Quartal erfolgt dann eine Umstellung des individuellen eLogistics-Systems, bei der gewisse Artikel aus dem Sortiment genommen oder neu eingepflegt werden. So bleibt das System immer aktuell.
Das System im Überblick
Material- und Informationssteuerung mit eLogistics
eLogistics verarbeitet die Bestellungen, die zum Beispiel durch Einwerfen in eine Box oder Drehen ausgelöst werden können, und leitet sie ohne weiteres Eingreifen der Anwender an Keller & Kalmbach beziehungsweise andere eingebundene Drittanbieter weiter. Die Anlieferung und Befüllung erfolgt dann durch Keller & Kalmbach und die anderen Anbieter.
Die Systemausprägungen im Detail:
- turnLOG-Behälter bestehen aus zwei Fächern. Ist das Hauptfach mit Verbrauchsbestand leer, wird der Behälter gedreht, um auf den Sicherheitsbestand zuzugreifen. Die Drehung löst auch die Bestellung aus.
- pushLOG ist für Sperrgut gedacht, zum Beispiel Gewindestangen, welche nicht in Behälter passen. Der Transponder ist am Lagerort angebracht, eine Nachbestellung kann durch einen Knopfdruck ausgelöst werden.
- Ist der Behälter bei weightLOG so weit geleert, dass ein definiertes Gewicht erreicht ist, wird die Nachbestellung automatisch ausgelöst.
- Bei moveLOG wird die Bestellung ausgelöst, wenn ein Wagen mit Leergut durch ein RFID-Gate gefahren wird.
- parkLOG bestellt Waren nach, wenn der leere Behälter auf dem obersten Regalbrett platziert wird. Hier ist eine RFID-Matte angebracht, die die Bestellung auslöst.
- dropLOG funktioniert mit RFID-Tags an den Behältern. Ist ein Behälter leer, kann dieser in die dafür vorgesehene Sammelbox eingeworfen werden. Die Bestellung wird dann automatisch durch den Einwurf ausgelöst.
- Ergänzt werden diese Kanban-Systeme durch takeLOG-MRO-Ausgabeautomaten für eine geordnete und sichere Werkzeug- und Betriebsmittelausgabe.
Die Unternehmen
Die Schaeffler-Gruppe
Die Schaeffler-Gruppe ist ein führender Automobil- und Industriezulieferer. Das Portfolio umfasst Präzisionskomponenten und Systeme in Motor, Getriebe und Fahrwerk sowie Wälz- und Gleitlagerlösungen für Industrieanwendungen.
Kontakt: Schaeffler, Schweinfurt
Der Schaeffler-Sondermaschinenbau
Der Schaeffler-Sondermaschinenbau entwickelt und realisiert individuelle Produktionslösungen sowohl für den Bedarf der Schaeffler-Werke als auch, seit diesem Jahr, für externe Kunden. Der Sondermaschinenbau hat 1700 Mitarbeiter an 13 Standorten.
Die Keller & Kalmbach GmbH
Die Keller & Kalmbach GmbH bietet Verbindungselemente, Befestigungstechnik, Werkzeuge und weitere MRO-Artikel sowie Lösungen für das intelligente C-Teile-Management. Das Münchner Unternehmen lieferte 1962 als erster deutscher Schraubenhändler direkt in die Produktionslinien der Automobilindustrie und führte 1987 das erste Kanban-System bei Siemens ein. Heute beliefern die rund 900 Mitarbeiter weltweit die Kunden und erwirtschaften jährlich einen Umsatz von circa 320 Mio. Euro.
Kontakt: Keller & Kalmbach, Unterschleißheim
Sanja Döttling, Redakteurin Beschaffung aktuell
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