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Anspruch und Wirklichkeit der Zertifizierung und Global Sourcing

Qualitätsurteil: mangelhaft?
Anspruch und Wirklichkeit der Zertifizierung und Global Sourcing

Die Auswahl von Lieferanten im Rahmen einer internationalen Beschaffungsstrategie ist mit vielen Problemen und Risiken behaftet. Insbesondere ist die Bewertung ihres langfristigen Qualitätspotentials schwierig und erfordert bei Abnehmern den Einsatz aufwendiger und kostenintensiver eigener Bewertungsverfahren. Die Qualitätsnormen der ISO 9000ff. könnten hier einen wichtigen Beitrag leisten, scheinen sie doch dem Abnehmer die schwierige Aufgabe einer Qualitätsbeurteilung über Ländergrenzen hinweg abzunehmen. Inwieweit sie diesem Anspruch gerecht werden, untersucht der folgende Beitrag.

Dipl.Kfm. Frank Piller, Dipl.Kfm. Andreas Korn

Global Sourcing kann schon zum Standardrepertoire des modernen Beschaffungswesen gezählt werden. Durch die Nutzung von weltweiten Einkaufspotentialen sollen langfristig internationale Wettbewerbsvorteile geschaffen werden. Motive und Vorteile einer Global Sourcing-Strategie wurden in Beschaffung aktuell bereits mehrfach beschrieben (z.B. Menze 1995).
Den Vorteilen des Global Sourcing stehen Risiken gegenüber. Während Länderrisiken als externe Determinanten der Beschaffungsentscheidung im allgemeinen vom Unternehmen nicht beeinflußbar sind, hängen Transaktionsrisiken von der Geschäftsbeziehung mit dem einzelnen Lieferanten ab und sind durch den Abnehmer gestaltbar. Hierzu zählen Risiken aus der schwierigeren Kommunikation über Ländergrenzen hinweg, Sprachbarrieren und Risiken durch mangelnde Informationen über das Unternehmen (auch fehlendes informelles Wissen). Zu nennen ist weiterhin das im Vergleich zum nationalen Einkauf größere logistische Risiko. Als Folge der Risiken ist eine Global Sourcing Entscheidung von einer hohen Unsicherheit geprägt. Zur Risikominimierung ist die Entscheidung für einen Lieferanten sorgfältig und strukturiert durchzuführen.
Global Sourcing-Entscheidungen erstrecken sich auf die Produkt-, Markt- und Lieferantenauswahl. Im Rahmen letzterer sind die Produktions- und Produkttechnologie, Logistik, Preisforderungen und Qualität des Lieferanten zu bewerten. Laut empirischen Untersuchungen (Sauer 1991) birgt das Qualitätsrisiko aus Abnehmersicht die signifikanteste Unsicherheit. So steht oft die Qualität im Mittelpunkt, wenn es darum geht, den geeignetsten Lieferanten auszuwählen. Dies hat mehrere Gründe:
Bedeutung der Qualität für die Lieferantenauswahl
Neben dem Preis gewinnt die Qualität der Produkte immer mehr strategisches Gewicht. Ihre Bedeutung steigt durch die verschärften gesetzlichen oder Marktanforderungen an die Produzentenhaftung. Die Tendenz zur Reduktion der Fertigungstiefe und damit zum (Just-in-time-) Bezug von kompletten Modulen anstelle von einzelnen Bauteilen sowie die Beteiligung der Zulieferer an der Modulentwicklung stellt die Qualität der gesamten Unternehmensorganisation in den Mittelpunkt. Erforderlich ist nicht nur eine hohe Teilequalität der nachgefragten Güter, sondern vielmehr ein funktionsfähiges Qualitätsmanagement (QM), das Qualität als wesentliches Unternehmensziel ansieht, dieses deshalb in der obersten unternehmerischen Planung verankert und alle Abteilungen bzw. Mitarbeiter in dessen Umsetzung einbezieht. Wesentliche Voraussetzung eines präventiv orientierten QM-Systems ist eine ausgeprägte Kunden- und Prozeßorientierung.
Bei der Lieferantenauswahl sind folglich neben der Qualität des Service und der zu liefernden Produkte die Qualitätsfähigkeit des gesamten Unternehmens sowie das Qualitätsbewußtsein des Management zu bewerten. Dieses weitreichende Qualitätsverständnis wird heutzutage in Bezug auf strategische Beschaffungsentscheidungen von den meisten Unternehmen geteilt. Da Global Sourcing-Strategien den Aufbau langfristiger Zulieferer-Abnehmer-Beziehungen anstreben, ist nicht nur die aktuelle, sondern auch die zukünftig zu erwartende Qualität zu bewerten.
Anspruch und Nutzen von Qualitätsaudits
Hilfsmittel der Lieferantenauswahl und -bewertung ist auf internationalen wie lokalen Märkten das Instrument des Qualitätsaudit. Sein Ziel ist der Abbau von Informationsdefiziten zur erstmaligen Auswahl eines Lieferanten und die Aufdeckung von Rationalisierungspotentialen während der Lieferbeziehung (Wildemann 1994). Die Auditierung besteht üblicherweise aus einer individuellen Bewertung des Lieferanten durch den Abnehmer anhand eines Kriterienkatalogs. Eine Auditierung kann kostensenkend wirken, da aufwendige Wareneingangskontrollen und Prüfverfahren durch eine präventive Überprüfung der Qualität des Lieferanten ersetzt werden. Jedoch fallen auch bei einer Auditierung Kosten an, die Transaktionskosten der (geplanten) Lieferbeziehung darstellen.
Konkrete Beispiele sind die Personalkosten des Prüfpersonals, Reisekosten, Erhebungskosten, Kosten der Dokumentation etc. Die Höhe dieser Transaktionskosten wird durch die Unsicherheit über die Qualitätsfähigkeit des Lieferanten, die Wiederholsequenz der Prüfung, die Spezifität der zu prüfenden Qualitätsmerkmale und die strategische Bedeutung der Entscheidung für den Abnehmer geprägt (in Anlehnung an Picot 1991). Unsicherheit und Spezifität der Prüfung sind gerade bei einer Zusammenarbeit mit ausländischen Lieferanten sehr hoch, die Transaktionskosten enthalten hohe Anteile an Infomations- und Kommunikationskosten.
Die Notwenigkeit, bei jedem wichtigen Lieferanten ein Qualitätsaudit durchzuführen, führt zum sogenannten Audit-Tourismus der Abnehmer und verursacht hohe Kosten. Einen Ausweg bietet die horizontale interorganisationale Zusammenarbeit von Unternehmen mit den selben Zulieferern in Form einer Aufteilung der Auditierung nach gemeinsamen Richtlinien und gegenseitiger Anerkennung der Prüfungen. Die Auditierung nach den Richtlinien des VDA ist hier ein Beispiel.
Der Nachweis der Qualitätsfähigkeit des Lieferanten und ihre Bestätigung mit einem Zertifikat durch einen unabhängigen Auditor würde im höchsten Maße Transaktionskostensenkend wirken. Ein solches Zertifikat böte vergleichbare Kriterien. Im Hinblick auf eine internationale Beschaffung würden Sprachbarrieren abgebaut, da eine Auseinandersetzung über die geforderte Qualitätsfähigkeit im Einzelfall entfallen könnte. Die Spezifität der Qualitätsbewertung würde enorm gesenkt, da die Qualitätsfähigkeit des Lieferanten mit einheitlichen Kriterien definiert wäre. Auch die Unsicherheit wird durch ein verläßliches Zertifikat beseitigt. Aus Sicht des auditierten Lieferanten reduzieren sich die Auditierungskosten, da zum einen geringere Ausfallkosten aufgrund einer abnehmenden Zahl an Auditierungen entstehen und zum anderen mit wiederholter Durchführung der selben Auditierung Lernkurveneffekte verwirklicht werden.
Zertifizierung nach ISO 9000 ff
In der Senkung der Transaktionskosten der Qualitätsbewertung liegt das ökonomische Potential einer Zertifizierung nach den Normen ISO 9000-9004 begründet. Über Inhalt und Ablauf der Zertifizierung wurde in dieser Zeitschrift schon mehrfach berichtet (z.B. Wallisch 1995). Die ISO 9000 ff definiert weltweit gültige, branchen- und produktunabhängige Anforderungen an das Qualitätsmanagement und das dieses umsetzende QM-System eines Unternehmens. Da die ISO 9001 die Maximalnorm ist, nach der sich ein Unternehmen zertifizieren lassen kann, werden die folgenden Ausführungen auf diese Norm beschränkt. Die Konformität eines QM-Systems mit der ISO 9000 ff kann durch ein Zertifizierungsunternehmen überprüft werden. Die Akkreditierung von Zertifizierungsunternehmen, d.h. die nationale Anerkenung der Fähigkeit einer Organisation zur Zertifizierung eines QM-Systems, und das System der Notifizierung (internationale Anerkennung) der Akkreditierungsunternehmen sollen die internationale Gleichwertigkeit der Zertifikate sichern.
Das Zertifikat soll die Funktion eines Markenzeichens besitzen, das die Kompetenz des Lieferanten zur Erfüllung der Qualitätsansprüche des Abnehmers signalisiert. Die Zertifizierung könnte aufgrund seines geprüften effektiven QM-Systems eine hohe Produktqualität des Lieferanten signalisieren, die auch auf konstantem Niveau gehalten werden kann. Würde die Umsetzung der ISO 9001 die Ziele der Lieferantenbewertung erreichen, wäre die unökonomische Einzelzertifizierung nicht mehr notwendig.
Wirklichkeit der Bewertungnach ISO 9001
Doch inwieweit kann die ISO 9001 diese Ansprüche erfüllen? Eine konstruktive Kritik in Hinblick auf ihr Potential zur Senkung von Auditkosten im Rahmen einer globalen strategischen Beschaffung muß auf zwei Ebenen ansetzen. Zum einen ist der Inhalt dieser Auditierung dahingehend zu untersuchen, ob die Ziele der Qualitätsprüfung generell erfüllt werden. Zum anderen soll überprüft werden, ob die gängige Zertifizierungspraxis einen neutralen und branchenunabhängigen Vergleich der beurteilten Unternehmen ermöglicht.
Inhalt der Auditierung
Inhalt der Auditierung nach ISO 9001 ist die Bewertung des QM-Systems des Lieferanten (und nicht der Qualität seiner Produkte!). Im Rahmen einer Global-Sourcing-Entscheidung sind folgende Fragen zu untersuchen: Impliziert die ISO 9001 immer ein effizientes QM-System? Inwieweit kann die ISO 9001 Zertifizierung tatsächlich die gegenwärtige und zukünftige Qualitätsfähigkeit des Lieferanten nachweisen? Und trifft der Schluß zu, daß sich die Erfüllung der ISO 9001 auch indirekt auf die Produktqualität auswirkt?
lDie empirischen Untersuchungen über die Auswirkungen einer ISO 9001 Zertifizierung sind recht widersprüchlich. Manche Studien sprechen von drastischen Erfolgen, andere dagegen von nur inkrementalen Verbesserungen. Kritikpunkt an den meisten Studien ist ein geringer Stichprobenumfang. Eine deutsche Untersuchung von Kamiske (1994) mit einem recht hohem Umfang belegt in knapp 50% aller untersuchten Fälle eine Steigerung der Effektivität des QM-Systems des Lieferanten. ISO 9001 fordert jedoch keine Wirtschaftlichkeitsüberlegungen, so daß viele Betriebe den Versuch einer Quantifizierung der Zertifizierungserfolge nicht unternehmen (nur 10% der befragten Untersuchungen können eine vermutete Steigerung der Produktqualität auch mit Zahlen belegen). Der Nachweis der Effizienz eines ISO 9001 zertifizierten QM-Systems muß seperat erfolgen.
lDie Struktur der ISO 9001 ermöglicht es dem oberen Management, Qualität nicht als ein Element der stragetischen Unternehmensführung anzusehen, sondern sie an untergeordnete Bereiche zu delegieren. Die explizite Einbeziehung der ausführenden Mitarbeiter, die in vielen Fällen die erreichte Qualität erarbeiten, ist sicherlich richtig. Die Verantwortung der Qualitätssicherung darf jedoch nicht vom Management in den operativen Bereich verlagert werden. So ist es fraglich, ob eine Zertifizierung auch ein hohes Qualitätsbewußtsein der Führungsebene ausdrückt.
lIn der ISO 9001 sind lediglich die Prüfung der Kundenanforderungen entsprechend des Liefervertrags sowie der Reaktion auf Kundenreklamationen enthalten. Aktive Maßnahmen des Lieferanten, die auch Informationen berücksichtigen, die sein Abnehmer nicht explizit an ihn heranträgt, werden nicht gefordert. Informationen über die Kundenzufriedenheit und Anforderungen des Absatzmarkts sind nicht berücksichtigt. Damit wird der Grad der Kundenorientierung des Lieferanten nur marginal gemessen.
lDie notwendige präventive Orientierung von QM-Systemen fordert eine kontinuierliche Verbesserung aller Unternehmensprozesse. Zwar spricht die ISO 9001 in Abschnitt 4.14 (Korrekturmaßnahmen) und 4.17 (Interne Audits) diesen Bereich an, jedoch beschränken sich die auditierten Maßnahmen auf die Korrektur von aufgetretenen oder potentiellen Fehlern. Ein permanenter Optimierungsprozeß wird nicht verlangt. Die mangelnde Kundenorientierung führt zudem dazu, daß keine konkreten Ziele für die Richtung der Verbesserungsmaßnahmen abgeleitet werden können. Ein Vergleich der Kundenanforderungen mit der Kundenzufriedenheit sowie der Qualitätsziele mit den Qualitätskosten ist in der ISO 9001 nicht enthalten. Damit ist das Qualitätsverständnis der ISO 9001 zu wenig wettbewerbsstrategisch geprägt und zu sehr auf die Einhaltung gegebener Normenanforderungen konzentriert.
lViele Zertifizierungen sind extern motiviert. Viele Abnehmer verlangen den Nachweis der ISO 9000 ff Zertifizierung bei einer Lieferantenwahl. Die Folge sind häufig Schnellzertifikate, deren Ziel nicht die Verbesserung der internen Abläufe des Qualitätswesens, sondern lediglich der Zertifikatsnachweis ist. Nach außen ist dies nicht erkennbar, Zertifikat ist Zertifikat. Damit die erforderliche Dokumentation nicht teure Arbeitszeit der Mitarbeiter bindet, wird häufig auf Vorlagen für Qualitätshandbücher zurückgegriffen (Wiegard 1995), die so allgemein sind, daß jedes Unternehmen sie leicht auf sich übertragen kann. Ähnliches gilt für manche Auditoren, die ihren Kunden ein fertiges QM-Handbuch anbieten (und oft auch noch selbst zertifizieren). Es kann jedoch kein standardisiertes QM-System geben. Die Mitarbeiter sind unbedingt an der Ausgestaltung und Umsetzung des QM-System zu beteiligen, da sie es auch anwenden müssen.
lDie Einhaltung der vorgeschriebenen Dokumentationspflicht kann dazu führen, daß ein Teil der Arbeitszeit für bürokratische Arbeiten aufgewendet werden muß, wodurch die Arbeitsproduktivität sinkt. Zudem ist fraglich, wie schnell und flexibel das im langwierigen Normungswesen verhaftete Akkreditierungs- und Zertifizierungssystem auf wirtschaftliche Entwicklungen reagieren kann. In der Wirtschaft ist eine zunehmende Verflechtung und Zusammenarbeit zu beobachten (virtuelles Unternehmen). Wie sind solche gemeinsam erbrachten Prozesse zu bewerten? Diese Verbindungen sind meist von einer hohen Komplexität geprägt. Auch wenn hier aufgrund der hohen Transaktionskosten der Qualitätssicherung ein Paradefall für den theoretischen Nutzen der Auditierung vorliegt, ist es fraglich, ob branchenneutrale Normen wie die ISO 9000 ff diese Aufgabe erfüllen können (Wildemann 1994).
lDas Kernproblem jedoch ist, daß die QM-Systeme der nach einer erfolgreichen Auditierung zertifizierten Unternehmen entgegen dem Anspruch einer Norm nicht vergleichbar sind. Die Normen lassen eine breite Interpretation zu und gestatten dem Lieferanten, Elemente herauszustreichen oder die Zertifizierung nur auf Teilbereiche seines Unternehmens zu beziehen. Im letzten Fall wird in der Werbung dann häufig suggeriert, man sei gänzlich zertifiziert. Die Auditierung deckt nur die Stärken und Schwächen in Bezug auf dem vom Lieferanten selbst definierten Standard zum Zeitpunkt der Überprüfung auf. Der Zertifizierer beurteilt, ob die Interpretation der Norm noch im Rahmen ihrer Ausgestaltungsmöglichkeiten liegt. Da keine realen Maßstäbe zum Bestehen des Zertifikats definiert sind, eröffnet sich hier ein großer Gestaltungsspielraum, den die einzelnen Zertifizierungsstellen unterschiedlich ausfüllen. (Bläsing 1992, Hendry 1991). Somit ist die Gleichwertigkeit der Zertifikate nicht gewährleistet, da diese nur eine Bestätigung von unternehmensindividuellen Standards repräsentieren.
Zusammenfassend läßt sich festhalten, daß die ISO 9001 wesentliche Elemente eines umfassenden strategischen Qualitätsmanagement nicht berücksichtigt und zudem eine erfolgreiche Auditierung keinesfalls sicherstellt, daß die enthaltenen Elemente die langfristige Qualitätsfähigkeit des Lieferanten sichern können. Die großen Abnehmer der Automobilindustrie, die eine Führungsrolle in der Umsetzung von Global Sourcing Strategien innehaben, definieren als Folge wieder eigene Bewertungsrichtlinien, so z.B. die Formel-Q des Volkswagen-Konzern oder der gemeinsame Kriterienkatalog QS-9000 von Ford, Chrysler und General Motors. Diese Vorschriften gehen über die VDA-Richtlinien und weit über die Ansprüche der ISO 9001 heraus. Nur Lieferanten, die ein Zertifikat auf Basis dieser Kataloge besitzen, werden zukünftig akzeptiert.
Zertifizierungspraxis
Damit eine Zertifizierung nach ISO 9001 eine geeignete Grundlage für Global Sourcing Entscheidungen sein kann, müssen die erteilten Zertifikate transparent, international gleichwertig und untereinander vergleichbar sein. Das System der Notifizierung und Akkreditierung soll dies sicherstellen.
nDas System der Notifizierung ist bislang auf Europa beschränkt. Eine kartellartige Akkreditierungsstruktur in vielen europäischen Ländern, die nationale Besonderheiten der Akkreditierung herausgebildet hat – nur im deutschen System ist eine Spur von Wettbewerb zu erkennen -, behindert die länderübergreifende Anerkennung der Zertifizierungsunternehmen. Diese müssen sich aufgrund der bestehenden nationalen Besonderheiten in mehreren Ländern akkreditieren lassen – Folge ist eine dem Audit-Tourismus ähnliche Mehrfachakkreditierung.
nAber die Kritik an der Akkreditierungspraxis setzt tiefer an: Eine Akkreditierung eines Zertifizierers ist lediglich eine ja/nein-Entscheidung, die über die Qualität der erteilten Zertifikate nichts aussagt, da sich die Zulassung nur an der Erfüllung von Mindeststandards orientiert (Hendry 1991). Entweder um Zertifizierungskosten oder gar um Kosten beim Aufbau des QM-Systems zu sparen, können sich Lieferanten bei Unternehmen zertifizieren lassen, die zwar akkreditiert, aber aufgrund niedrigerer Standards ein niedrigeres (dafür billigeres) Qualitätsniveau der Zertifizierung besitzen.
nIm Rahmen von Global Sourcing Entscheidungen könnte die Anzahl der in in einem Land auditierten Unternehmen auf einen leistungsfähigen Lieferantenmarkt schließen lassen und so die Marktauswahl erleichtern. Die mangelnde internationale Vergleichbarkeit der Zertifikate läßt aber eine solche Beurteilung der Beschaffungsattraktivität des Marktes selbst auf europäischer Ebene nicht zu.
Folge: Die individuelle Qualitätsüberprüfung ist aus Abnehmersicht um eine Überprüfung der Qualität der Zertifikate und Zertifizierungsstellen zu ergänzen. Langfristig würden sich nur unparteiische und ein effizientes QM-System bestätigende Zertifizierungsunternehmen durchsetzen. Diese Überprüfung durch den Marktmechanismus ist allerdings geprägt durch starke Informationsasymetrien und neue Transaktionskosten durch die Beurteilung der Zertifikate.
Bewertung des Nutzens einer Zertifizierung nach ISO 9001 für Global Sourcing Entscheidungen
Die ISO 9001 Auditierung kann die individuelle Beurteilung durch den Abnehmer stark vereinfachen. Durch die im QM-Handbuch beschriebenen Prozesse ergibt sich ein Anhaltspunkt für die Beurteilung der Lieferanten. Zudem bestätigt das Zertifikat, daß die beschriebenen Abläufe der Realität entsprechen. Die ISO 9001 kann somit die Kosten der Lieferantenbewertung senken. Dem gegenüberzustellen sind aber die Kosten der ISO 9001 Zertifizierung, die sich in die Kosten der Umsetzung der Normenforderungen, der Zertifizierung und der Aufrechterhaltung der Zertifizierung differenzieren lassen. Sie fallen beim Zulieferer an und werden indirekt auf die Produkte umgelegt oder schmälern bei hohem Marktdruck dessen Gewinn. Empirische Untersuchungen haben inklusive der Opportunitätskosten der Umsetzung durchschnittliche Kosten von insgesamt ca. DM 260.000 (bei einer Spannbreite von DM 12.000 bis DM 900.000) ergeben (Kamiske 1994). Dabei machen die Kosten der Prüfunternehmen nur ca. ein Zehntel aus.
Von einer einheitlichen und weltweit vergleichbaren Zertifizierung ist die Wirtschaft noch weit entfernt. Das Zertifikat nach ISO 9001 erfüllt weder die Erwartungen über den Inhalt eines QM-Systems noch läßt es eine Bewertung des gegenwärtigen und potentiellen Qualitätsniveaus des Lieferenten zu. Folge sind wieder eigene Bewertungsrichtlinien der Industrie, die die ISO 9001 in wesentlichen Teilgebieten ergänzen. Die Zertifizierung dieser abnehmereigenen Richtlinien muß durch ein Zertifizierungsunternehmen ihres Vertrauen erfolgen. Damit ist die Industrie wieder am Ausgangspunkt individueller Auditierung mit hohen Transaktionskosten angelangt.
Die Überfrachtung der ISO 9000 ff mit zu vielen und utopischen Ansprüchen ist sicherlich falsch. Die Anwendung der ISO 9000 ff kann zweifellos einem Unternehmen und dessen Abnehmer erhebliche Vorteile bringen. Dem Gestaltungsspielraum der Normauslegung und deren Zertifizierung sind nach oben keine Grenzen gesetzt. Allerdings auch (fast) nicht nach unten. Aus Zulieferersicht ist die Definition der ISO 9000 ff Normen als KO-Kriterium der Abnehmer eine kostspielige und nicht immer sinnvolle Angelegenheit. Für den Abnehmer kann ein Vertrauen in die Qualitätsfähigkeit eines Lieferanten allein aufgrund der ISO 9001 Zertifizierung bei einer Global Sourcing Entscheidung fatale Folgen haben.
Literaturhinweise:
Bläsing, J. P.: Über die ISO-Norm zum Total Quality Management, in: Beschaffung aktuell, 1992, H. 4, S. 18-22.
Hendry, Ian: Quality assured: a stamp for survival: a comprehensive guide to ISO 9000, in: Pulp and Paper International, 33. Jg. (1991), H. 8, S. 16-23.
Kamiske, G. F./ Malorny, Chr./ Michael, H.: Zertifiziert – die Meinung danach, in: Qualität und Zuverlässigkeit, 39. Jg. (1994), H. 11, S. 1215-1224.
Menze, T.: Reif für Global Sourcing?, in: Beschaffung aktuell, 1995, H. 2, S. 36-40 und H. 3, S. 24-26
Picot, A.: Ein neuer Ansatz zur Gestaltung der Leistungstiefe, in: ZfbF, 43. Jg. (1991), H. 4, S. 336-375.
Sauer, K.: Internationale Zulieferbeziehungen deutscher Pkw-Hersteller, in: Beschaffung aktuell, 1991, H. 3, S. 44-46.
Wallisch, F.: DIN ISO auf den Punkt gebracht, in: Beschaffung aktuell, 1995, H. 6, S. 36.
Wiegard, M.: Vorsicht – wenn nur nach „Zertifikat“ gekauft wird, in: Beschaffung aktuell, 1995, H. 6, S. 40-42.
Wildemann, H.: Qualität nachweisen, in: Qualität und Zuverlässigkeit, 39. Jahrgang (1994), H. 12, S. 1345-1350. n
Transaktionskosten
Durch die Lieferanten-Auditierung verursachte
Transaktionskosten der Qualitätsauditierung:
Kosten der Organisation und Abwicklung der Lieferantenbewertung als Voraussetzung einer Lieferbeziehung
Kontaktkosten:Anbahnung der Auditierung (Reise-, Kommunikations-, Beratungskosten)
Kontraktkosten: Vereinbarung der Auditierung (Verhandlungskosten, Rechtsabteilung, Abstimmung der beteiligten Abteilungen)
Kontroll- und Abwicklungskosten:Durchführung und Koordination der Auditierung (Prüfstücke, Opportunitätskosten während der Prüfung, Dokumentation)
Konfigurationskosten: Anpassungskosten (Nachaudits bei qualitativen oder technischen Änderungen, Anpassung der Dokumentation)
Global Sourcing und ISO 9000ff.
Problem: Unter den vielen Risiken des Global Sourcing birgt das Qualitätsrisiko die signifikanteste Unsicherheit: Global-Sourcing-Entscheidungen zielen auf langfristige Lieferbeziehungen, deshalb sind sowohl die aktuelle als auch zukünftige Qualitätsfähigkeit des gesamten Zulieferunternehmens zu bewerten.
Kernfrage: Kann die Zertifizierung eines Unternehmens nach ISO 9001 die Ziele der internationalen Lieferantenbewertung erreichen, indem sie als „Markenzeichen“ die Kompetenz des Lieferanten zur Erfüllung der Qualitätsansprüche des Abnehmers signalisiert und das teure individuelle Qualitätsaudit ersetzt?Entspricht der Inhalt der ISO 9001 den Ansprüchen einer Qualitätsprüfung generell?
Nein, da u.a. .Verantwortung der Qualitätssicherung in operativen Bereich verlagert wird, keine Berücksichtigung der Kundenorientierung des Lieferanten, kein wettbewerbsstrategisches Qualitätsverständnis (Beschränkung auf die Einhaltung gegebener Normen), keine flexible Anpassung an neue Anforderungen, zu großer Gestaltungsspielraum bei der Interpretation der Normen.
Ermöglicht die Zertifizierungspraxis einen neutralen und branchenunabhängigen internationalen Vergleich der beurteilten Unternehmen aufgrund des Systems der Notifizierung und Akkreditierung?
Nein, da u.a. das Akkredieritungs- und Zertifizierungssystem zu schwerfällig und inflexibel ist, nationale Besonderheiten der Akkreditierungspraxis die länderübergreifende Anerkennung der Zertifizierungsunternehmen behindern, die Akkreditierung der Zertifizierer nichts über das Qualitätsniveau der Zertifizierung aussagt.
Ergebnis: Die Gleichwertigkeit der Zertifikate ist nicht gegeben; die QM-Systeme der erfolgreich zertifizierten Unternehmen sind nicht vergleichbar !
Beurteilung: Die ISO 9000 ist für eine strategische Qualitätsentscheidung innerhalb eines Global Sourcing-Konzepts nur sehr bedingt geeignet; die Beurteilung der Qualitätsfähigkeit eines Lieferanten allein aufgrund der ISO 9001 Zertifizierung ist nicht möglich.
Anwendung: ISO 9001-Auditierung kann zwar die individuelle Beurteilung eines Lieferanten vereinfachen (QM-Handbuch gibt viele Anhaltspunkte), aber trotz Kosten der ISO-Zertifizierung ist ein Qualitätsaudit durch den Abnehmer weiterhin notwendig. Die Praxis (z.B. Automobilindustrie) definiert und überprüft deshalb auch weiterhin umfangreiche eigene Kriterienkataloge.
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