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Auftragsdurchlauf und Kapazitätsauslastung

Zusammenarbeit Einkauf und Disposition
Auftragsdurchlauf und Kapazitätsauslastung

Standard-PPS-Systeme können bei (fast) alle Betriebstypen und Produkten angewendet werden. Unter der Parametrisierung eines PPS-Systems versteht man die Abbildung der Arbeitsplätze und Produkte sowie des Materialflusses im System. Die Abbildung erfolgt mittels Stammdaten.

Prof. Dr. Ruth Melzer Ridinger, Berufsakademie Mannheim

Teil 9: Parametrisierung des PPS-Systems und Stammdatenpolitik
Bei Stammdaten handelt es sich – im Gegensatz zu den sogenannten Bewegungsdaten wie z.B. verfügbarer Lagerbestand und Aufträge – um solche Daten,
–die jeweils für einen gewissen Zeitraum gültig sind,
–die die Objekte der Planung identifizieren (wie Kundennummer, Material-Identnummer, Lieferantennummer),
–die die dispositionsrelevanten Merkmale des Materials und des Arbeitsplatzes, beschreiben.
Von zentraler Bedeutung für die Erreichung logistischer Ziele sind die folgenden Teilestammdaten:
–Kostensätze – Rüstkosten- bzw. Bestellkostensatz, Lagerkostensatz
–Plandurchlaufzeit
–Sicherheitsbestand
–Bereitstellungsart (auftrags- oder lagerorientiert).
Festlegung der bestellfixen Kosten
Die kostenoptimale Bestellmenge bzw. Losgröße liegt bekanntlich im Schnittpunkt der Bestell-/Rüst- und Lagerkostenkurve. Falsche Kostensätze verfälschen den Verlauf der Kostenkurven und führen daher nur scheinbar zu optimalen Losen/Bestellmengen:
Um die bestellfixen Kosten zu errechnen, werden die Kosten der an der Bestellabwicklung beteiligten Kostenstellen (Einkauf, Rechnungsprüfung, Wareneingangskontrolle) ermittelt und durch die Gesamtzahl der im letzten Jahr abgewickelten Bestellungen dividiert.
Auf diese Art wird ein Kostensatz für Bestellkosten errechnet, der im nächsten Jahr in der Regel unterschiedslos auf alle fremdbezogenen Material-Identnummern angewendet wird.
Die Verwendung eines pauschalen Kostensatzes führt jedoch dazu, daß die tatsächlichen Bestellkosten stark überhöht angegeben werden, wenn z.B.
–mit Stammlieferanten zusammengearbeitet wird,
–Rahmenlieferungsverträge abgeschlossen sind,
–Qualitätsmanagementvereinbarungen abgeschlossen sind und sich die Wareneingangskontrolle auf eine Identifikationskontrolle beschränken kann.
Die optimale Bestellmenge liegt für solche Identnummern unter der errechneten.
Ein weiteres Problem ist darin zu sehen, daß die Bestellkosten zum größeren Teil aus Personalkosten bestehen, die kurzfristig Fixkostencharakter haben.
Die Festlegung von Bestellkosten sollte den individuellen Unterschieden zwischen Materialnummern möglichst Rechnung tragen und die willkürliche und pauschale Verteilung fixer Kosten in Frage stellen.
Bezüglich der Festlegung des Lagerkostensatzes können die obigen Ausführungen zu den Bestellkosten analog angewendet werden.
Die Höhe der Rüstkosten wird in der Regel zur Begründung größerer Lose ins Feld geführt. Dabei wird gerne der Eindruck erweckt, als sei die Bestimmung der Rüstkosten nur eine Sache der ‚richtigen‘ Ermittlung der entstehenden Kosten. Die Ermittlung der Rüstkosten eines Arbeitsplatzes/einer Anlage ist jedoch sehr schwierig:
Bei der Einrichtung eines Arbeitsplatzes für einen nachfolgenden Betriebsauftrag werden Personalkosten und Materialkosten verursacht. Während Materialkosten variablen Kostencharakter haben und damit zweifelsfrei durch Rüsten verursacht werden, sollten die Personalkosten nur dann als Rüstkosten betrachtet werden, wenn die Arbeitszeit des Mitarbeiters anderweitig nutzbringend eingesetzt werden könnte.
Ein weiteres Problem ist die Ermittlung rüstbedingter Stillstandszeiten von Arbeitsplätzen. Diese verursachen nur in Zeiten hoher Kapazitätsauslastung Opportunitätskosten als Folge des Verlustes (potentieller) Aufträge. Die Höhe der Opportunitätskosten durch eine Stunde Rüstzeit sollte jedoch nicht – wie üblich – mit dem Maschinenstundensatz beziffert werden. Vielmehr müßte der Deckungsbeitrag des entgangenen Auftrages bestimmt werden und dieser wird in der Regel nicht bekannt sein.
Plan-Durchlaufzeit
Die Festlegung der Plan-Durchlaufzeit erfolgt in der Praxis in der Regel auf Basis von Erfahrungswerten. Da die Ist-Durchlaufzeit in der Praxis erheblichen Schwankungen unterliegt, werden Plan-Durchlaufzeiten nicht als durchschnittliche Ist-Durchlaufzeiten festgelegt, sondern eher als maximale.
Gegen diese Vorgehensweise sind die folgenden Einwände zu erheben:
lDa durch die Vorgabe einer kurzen Durchlaufzeit ein großer Druck auf die Fertigung erzeugt wird, den entsprechenden Auftrag zu priorisieren, werden Teilenummern mit kurzen Plandurchlaufzeiten tendenziell kurze Ist-Durchlaufzeiten aufweisen. Umgekehrt stehen Aufträge mit langen Plandurchlaufzeiten der Fertigung als Manövriermasse zur Verfügung, um kurzfristige Kapazitätsengpässe durch eine Verschiebung der entsprechenden Aufträge zu lösen. Lange Plandurchlaufzeiten führen daher tendenziell zu langen Ist-Durchlaufzeiten.
lUntersuchungen in der Industrie haben gezeigt, daß Aufträge mit langen Plandurchlaufzeiten eine vergleichsweise schlechte Termineinhaltung aufweisen.
lDie Orientierung an Ist-Durchlaufzeiten führt in der Praxis zu dem sogenannten Durchlaufzeitensyndrom: Die Beobachtung von Terminverletzungen veranlaßt zu einer Verlängerung der Plandurchlaufzeit. Der entsprechende Auftrag wird dadurch weniger wichtig und steht als Manövriermasse zur Verfügung. Die Bereitschaft, den Auftrag in die Zukunft zu verschieben, steigt, bis wieder Terminverletzungen auftreten. Diese veranlassen zu einer weiteren Verlängerung der Plandurchlaufzeit.
Aus diesen Einwänden ist die Schlußfolgerung zu ziehen, daß Plandurchlaufzeiten als politische Vorgabewerte festzulegen sind.
Bedeutung der Durchlaufzeit
…für die Kapazitätsauslastung
Ablaufbedingte Stillstandszeiten der Maschinen bzw. Mitarbeiter entstehen, wenn die zu bearbeitenden Aufträge an den zu durchlaufenden Arbeitsplätzen unterschiedliche Belegungszeiten aufweisen. Großzügige Übergangszeiten (Liegezeiten) der Aufträge sind geeignet, ablaufbedingte Stillstandszeiten der Maschinen und Mitarbeiter zu vermeiden oder doch zu reduzieren (Dilemma der Ablaufplanung)..
…für den Lieferservice
Die Lieferfähigkeit gegenüber Kunden wird bestimmt durch die Ungewißheit des Lagerabgangs (Qualität der Absatzprognose, ungeplante Entnahmen, kurzfristige Programmänderungen), durch die Ungewißheit des Lagerzugangs (Qualitätsprobleme oder Fehlmenge auf einer untergeordneten Fertigungsstufe, Überziehung der Plan-Durchlaufzeit) und durch die Höhe des Sicherheitsbestands.
Bei vorgegebenem Sicherheitsbestand verschlechtert sich die Lieferfähigkeit mit der Länge und der Streubreite der Durchlaufzeit. Die Lieferfähigkeit in einer drohenden oder eingetretenen Fehlmengensituation kann durch eine generell kurze Durchlaufzeit oder durch ein effizientes Engpaßmanagement in kürzester Zeit wiederhergestellt werden.
Wird die Durchlaufzeit generell verkürzt durch eine übermäßig starke Kürzung der Übergangszeiten, besteht die Gefahr einer Verschlechterung der Termineinhaltung bei auftretenden Störungen in der Fertigung.
lEngpaßmanagement hat das Ziel, die Durchlaufzeit des Produkts, bei dem eine Fehlmenge droht bzw. bei dem eine Fehlmenge aufgetreten ist, einmalig zu verkürzen. Eine der wichtigsten Maßnahmen ist dabei die Priorisierung des entsprechenden Auftrags in der Fertigung. Hierdurch entsteht die Gefahr, daß durch die Priorisierung eines Auftrags zwangsläufig andere Aufträge zurückgestellt werden müssen und dadurch eventuell in einen Engpaß geraten oder Fehlmengen entstehen.
lZuverlässigkeit der Einhaltung zugesagter Liefertermine ist weniger von der Länge der Durchlaufzeit als von der Einhaltung der Plan-Durchlaufzeiten abhängig. Enthält die Plan-Durchlaufzeit nicht ausreichende Übergangszeiten als Puffer, gefährdet jede Störung durch Personal- oder Maschinenausfall, durch Fehlmengen oder Qualitätsprobleme die Einhaltung des Soll-Endtermins gegenüber der nachgelagerten Fertigungsstufe oder dem Kunden.
Starke Abweichungen zwischen Plan- und Ist-Durchlaufzeiten gefährden die Lieferfähigkeit insofern, als sie eine präzise Kapazitätsplanung erschweren. Dies hat zur Folge, daß unter Umständen für die Produktion von Lager- oder Terminaufträgen vorgesehene Kapazität zum benötigten Zeitpunkt nicht zur Verfügung steht.
Festlegung der Plan-Durchlaufzeit
Plan-Durchlaufzeiten sind Vorgabewerte, die nicht richtig oder falsch sein können im Sinne von richtig erfaßt oder gemessen. Vielmehr sind Plan-Durchlaufzeiten Vorgabewerte, mit denen Bestands-, Lieferservice- und Auslastungsziele erreicht werden sollen, mithin politische Vorgaben.
Bestands-, Lieferservice- und Auslastungsziele können sich konfliktär zueinander verhalten. Dies äußert sich darin, daß Durchlaufzeiten nicht so festgelegt werden können, daß alle Ziele gleichzeitig optimal erfüllt werden können.
Die Festlegung von Durchlaufzeiten muß die Ziele nach ihrer Bedeutung gewichten und anschließend einen Kompromiß zwischen den Zielen suchen. Eine solche Zielgewichtung kann nicht generell für das gesamte Produktionsprogramm und alle Arbeitsplätze definiert werden.
Die Festlegung von Durchlaufzeiten sollte im Sinne einer selektiven Durchlaufzeitenpolitik versuchen, den verschiedenen Charakteristika und Bedingungen der Produkte und Arbeitsplätze gerecht zu werden. Diese Bedingungen können sich im Zeitablauf ändern, so daß die Plan-Durchlaufzeiten in periodischen Abständen zu überprüfen sind.
Plan-Durchlaufzeiten können nicht für jedes Produkt isoliert festgelegt werden. Eine durch kurze Liegezeiten erreichte kurze Durchlaufzeit des einen Produkts hat zwangsläufig längere Liegezeiten und damit Durchlaufzeiten anderer Produkte zur Folge.
Die Festlegung von Plan-Durchlaufzeiten müßte für alle Produkte, die um die Kapazität eines Arbeitsplatzes konkurrieren, gleichzeitig erfolgen.
Die Fertigung benötigt eine relativ große „Manövriermasse“ in Form von Produkten mit langen Durchlaufzeiten, um durch geschickte Reihenfolgeplanung die knappe Kapazität möglichst voll ausnutzen zu können und zugleich Engpaßaufträge priorisieren zu können. n
Elf Folgen
  • 1.Aufgaben der Disposition
  • 2.Leistungsmerkmale einer erfolgreichen Disposition
  • 3.Systemgestützte Disposition: konzeptionelle Gemeinsamkeiten der MRPII-Systeme
  • 4.Systemgestützte Disposition: Produktionsprogrammplanung
  • 5.Systemgestützte Disposition: Losbildung
  • 6.Systemgestützte Disposition: Kapazitätsplanung
  • 7.Systemgestützte Disposition: Bestellvorgänge
  • 8.Individuelle Bestimmung des Planungsaufwands und -verfahrens
  • 9.Parametrisierung des PPS-Systems und Stammdatenpolitik
  • 10.Der Disponent als Lieferant und Empfänger von Informationen
  • 11.Neugestaltung der Rolle und Aufgaben der Disposition im betrieblichen Planungs- und Entscheidungsprozeß
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