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Berggeschrey in Bärenstein

Fluss- und Schwerspat aus dem Erzgebirge
Berggeschrey in Bärenstein

„Berggeschrey“ sagte man im Erzgebirge, wenn sich die Nachricht von spektakulären Funden wie ein Lauffeuer verbreitete. Im 12. Jahrhundert begann es mit Silber, vor rund 60 Jahren endete es mit Uran. Jetzt herrscht wieder ein bisschen „Berggeschrey“. Nahe Bärenstein hat das Unter- nehmen EFS Geos mit den Vorbereitungen zum Abbau von Fluss- und Schwerspat begonnen. Auf diese Rohstoffe sind zahlreiche Industrie- betriebe angewiesen – vom Erdölförderer bis zum Automobilzulieferer.

Es ist sicher nicht die größte Baustelle in Deutschland, nicht die spektakulärste, aber – die spannendste. Unweit des Örtchens Niederschlag, das zur Erzgebirgsgemeinde Bärenstein gehört, versinken in diesem regnerischen August die schweren Radlader und Lkw fast im Schlamm. Zum Glück: In einem normalen August würden Staubwolken alles verhüllen. So aber kann man den gewaltigen Radladern zusehen, wie sie täglich 160 Tonnen Gestein aus dem Berg herausholen. Im Berg wird gesprengt, wovon an der Oberfläche aber nichts zu merken ist. Sonst hätte die Wirtin der Pension unweit des „Mundlochs“ bestimmt etwas gesagt. In diesem Sommer kommen besonders wenige Gäste, klagt sie, aber viele fragen nach dem neuen Bergwerk. Spannend, eben.

Das „Mundloch“ ist in der Bergmannssprache der Eingang zu einem Stollen. Früher konnte durch so ein „Loch“ gerade mal ein Mann durchkriechen (oder Kinder, welche die schwere Arbeit oft verrichten mussten). Heute hat der Bergwerksbetreiber, die neu gegründete Erzgebirgische Fluss-und Schwerspatcompagnie Geos (EFS Geos) GmbH, Halsbrücke, in Niederschlag ein großes Portal aus Beton errichten lassen, durch das die Maschinen seit Oktober vorigen Jahres in den Berg vordringen. Und zwar täglich drei Meter tiefer. Bisher geht die Rampe 170 Meter weit in den Berg hinein. Bei 650 bis 800 Metern wollen die Bergleute endlich fündig geworden sein. Was sie dann zutage fördern wollen, nennt sich Fluss- und Schwerspat.
Für Flussspat (Fluorit) und Schwerspat (Baryt) gibt es zahlreiche Verwendungsmöglichkeiten. Fluorit, genauer Calciumfluorit, erinnert an Glas. Es ist eigentlich farblos und transparent. Viele Arten von Einlagerungen machen Flussspat aber zu einem der farbigsten Mineralien überhaupt: gelb, gelbgrün, hellblau, violett, rot usw. Die Metallindustrie nimmt das Mineral als „Fluss“-Mittel. Hochwertiges Flussspatkonzentrat wird hauptsächlich zur Herstellung von „Fluss“-Säure verwendet. Abnehmer sind neben der chemischen Industrie (Kunststoffe, Emaille) auch die Aluminium- und Glasindustrie. Am Ende entstehen daraus auch Beschichtungsstoffe wie Teflon oder Goretex.
Schwerspat, Chemiker sagen Bariumsulfat oder Baryt, sieht auch aus wie ein Kristall und ist normalerweise farblos oder grau. Der Industrie dient dieses unscheinbare Mineral unter anderem als Füllstoff (Mahlspat) in der Kunststoffproduktion (z. B. Teppichböden) oder in der Automobil-Zulieferindustrie für Kupplungen, Bremsbeläge und vor allem zur Schalldämmung. Hochreiner Schwerspat findet Verwendung bei der Herstellung von Farben, Klebstoffen und Schallschutzmassen. Der größte Teil des geförderten Schwerspats geht als Zusatz für Bohrspülungen in die Tiefbohrtechnik, z. B. bei der Förderung von Erdöl. Der Grund ist die hohe Dichte des Stoffs. Damit erzielen die Bohrspezialisten einen hohen Schweredruck in der Flüssigkeit. Der Druck soll das Bohrloch stabilisieren und es ermöglichen, das durch den Bohrmeißel zerkleinerte Gestein an die Erdoberfläche zu transportieren. Baryt eignet sich auch als Kontrastmittel in der Medizintechnik sowie zur Herstellung von Schwerbeton für besondere Anwendungsfälle. Als Zuschlagsstoff vermindert es die Strahlendurchlässigkeit von Beton (Barytbeton). Einsatzgebiet sind beispielsweise Wände in Röntgenräumen im Krankenhaus oder Behandlungsräume in der Onkologie.
Es sind also recht große Mengen dieser Rohstoffe, welche die Industrie hierzulande verbraucht. Und erstaunlicherweise kommt ein Großteil dieser Rohstoffe aus Deutschland selbst. So arm an Rohstoffen sind wir nämlich gar nicht, wie die Vereinigung Rohstoffe und Bergbau (VRB) e. V. vorrechnet. Nur ein Viertel des Rohstoffeinsatzes pro Kopf ist Importware: z. B. Rohöl, Gas, Erze, Aluminium, Kupfer oder Steinkohle, wobei man von Letzterer ja genug hätte. Drei Viertel stammt also aus heimischer Produktion. Dazu gehören Kali und Salze, vor allem aber Tone (7,9 Mio. t) für die keramische Industrie, Feldspat (ca. 3,3 Mio. t), Kaolin (3,9 Mio. t), Bentonit (ca. 400 000 t) sowie unsere beiden Industrieminerale Baryt (ca. 76 000 t) und Fluorit (ca. 36 000 t). Die heimische Produktion von Industriemineralen ist auch im europäischen und Weltmaßstab durchaus bedeutend. Bei Kaolin rangiert Deutschland weltweit auf dem 3. Rang, bei Baryt weltweit auf dem 7. Rang und in Europa auf dem 1. Rang, bei Feldspat in Europa auf dem 3. Rang und bei Fluorit in Europa ebenfalls auf dem 3. Rang.
Nun, an diesem Ranking wird sich einiges ändern, wenn es in Bärenstein erst mal so richtig losgeht. Das soll Mitte kommenden Jahres der Fall sein. Dann beginnt die eigentliche Förderung der Mineralien. Geplant ist, dann rund 130 000 Tonnen aus dem Berge zu holen. Das wäre dann fast genauso viel, wie Clara jährlich hergibt.
Clara? Die Grube Clara ist das einzige noch „aktive“ Bergwerk für Fluss- und Schwerspat in Deutschland. Sie liegt in der Nähe von Wolfach im mittleren Schwarzwald. Betreiberin ist die Sachtleben GmbH & Co. KG, Hausach. „Auf der Grube Clara“, so heißt das wohl, fördert das Unternehmen bzw. die Vorgänger seit über 100 Jahren Schwerspat und seit mehr als 25 Jahren Flussspat. Aus der jährlichen Roherzförderung von 140 000 t ergibt sich eine verkaufsfähige jährliche Produktion von 50 000 t Schwerspat/Mahlspat und 25 000 t Flussspatkonzentrat. Früher gab es für beide Mineralien noch mehr einheimische Quellen, zum Beispiel auch die Grube Käfersteige in Pforzheim, welche die Bayer AG, Leverkusen, erst 1997 stillgelegt hatte, obwohl hier das größte Flussspatvorkommen liegen soll. Den Betrieb wieder aufzunehmen ist indessen schwierig, da die Schachtanlagen inzwischen komplett „abgesoffen“ sind.
Mal von den Aktivitäten in Bärenstein abgesehen, gibt es betreffs Bergbau im Erzgebirge mehr Vergangenheit als Zukunft. Der Bergbau begann im Jahre 1168, als man durch einen glücklichen Zufall Silbererz fand. Das Ende, aus heutiger Sicht das vorläufige, kam 1991. Damals schlossen auch die Gruben in Ehrenfriedersdorf und Altenberg, wo man Zinnbergbau betrieb. Es blieben 60 Schaubergwerke übrig, aus denen früher fast alles herausgeholt wurde: Zinn, Silber, Kaolin, Eisen, Arsen, Blei, Cobalt, Uran etc. Dass sich früher Größeres hier getan hat, sieht man dem Örtchen Bärenstein und der tschechischen Nachbargemeinde Veyprty (Weipert) deutlich an. Vieles steht leer. Zählte Bärenstein 1950 über 6000 Einwohner, waren es 2009 nur noch 2572. Ähnliches in Weipert. Ein riesiger Bahnhof, der langsam verfällt. Niederschlag hat dagegen bloß einen winzigen Bahnhof, wo heute zur Belustigung von Touristen noch die Fichtelbergbahn fährt. Ganz anders im Jahre 1952 als die Bahn „in ihrer Bedeutung den Höhepunkt erlebte“, wie ein Schild am Bahnhof erklärt. Der durch die Sowjetisch-Deutsche Aktiengesellschaft (SDAG) „Wismut“ durchgeführte Uranerzabbau habe im Gebiet Niederschlag den Aufschwung gebracht. Täglich seien 800 bis 1000 Bergarbeiter mit sechs Schichtzügen zu ihren Schächten gefahren. Das Erz nahm ebenfalls die Bahn. Aus der überreichen Bergbaugeschichte stammt übrigens auch der Begriff „Berggeschrey“, worunter man die mitunter schnell umgehende Nachricht versteht, es habe reiche Erzfunde gegeben, wobei Silberfunde natürlich zum lautesten „Geschrey“ führten.
Wenn Der Bergbau jetzt wieder in die Gänge kommt, ist das genau die rechte Zeit. So haben die steigenden Rohstoffpreise auf dem Weltmarkt auch ihr Gutes. Wie die VRB mitteilt, zeichnete sich in den vergangenen Jahren eine deutliche Verknappung von Flussspatlieferungen aus China ab, die deutliche Auswirkungen auf die Preise hatte. Dem erhöhten Bedarf steht ein nicht ausreichendes Angebot auf dem Weltmarkt gegenüber. Das ist der Grund dafür, dass heimische Ressourcen wieder in das Blickfeld kommen.
Der Preis für Flussspat liegt derzeit bei rund 260 bis 270 Euro pro Tonne. Das würde reichen, findet Prof. Dr. Wolfgang Schilka. Er ist Geologe, Gründer und Geschäftsführer der Erzgebirgischen Fluss-und Schwerspatcompagnie. Die Kosten für die Förderung einer Tonne Mineralerz in Niederschlag liegen ihm zufolge bei rund 190 Euro. Das Unternehmen will nach eigenen Angaben 18,5 Mio. Euro in das Bergwerk investieren. 35 Leute arbeiten derzeit bei EFS Geos. Die Finanzierung sei durch eine Landesbürgschaft gesichert. Allein die derzeit entstehende Rampe soll rund 12 Mio. Euro kosten. Sie ist aber der Zugang zu einem Vorkommen von geschätzten 2,5 bis 3,0 Mio. Tonnen Roherz, die in 800 Metern Tiefe lagern. Vielleicht tragen auch die in Niederschlag zusätzlich geförderten Sulfidkonzentrate zum Gewinn bei. Schilka, nebenbei Honorarprofessor für Lagerstättenkunde, spricht auch von derzeit sehr gesuchten Metallen wie Lithium, Germanium oder Indium, die zu den Seltenen Erden zählen (siehe Seite 20 ff.) und vor allem in China zu finden seien, aber auch hier im Erzgebirge vorkommen. Mal sehen, was er alles findet.
Denn inzwischen dringen die Männer von EFS Geos immer tiefer in den Berg hinein. Alle 14 Tage erweitern sie die Betonfahrbahn der Rampe. Es geht voran, meint Wolfgang Schilka, die Verzögerungen durch den strengen Winter habe man nun wieder aufgeholt. Bergbau in Deutschland bleibt spannend.
Quellen: Wikipedia, FAZ (7.11.10), Südwest Presse (25.6.11), Freie Presse (7.6.11), Geopowers.com, Vereinigung Rohstoffe und Bergbau e.V. (VRB), Sachtleben.de
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