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Bestandssenkung im Ersatzteillager

Neue Anforderungen an die Materialwirtschaft
Bestandssenkung im Ersatzteillager

Die Bestandssituation in der Ersatzteillogistik ist nach wie vor geprägt von Sicherheitsdenken und damit hohen Beständen und Verweildauern der Teile im Lager. Ersatzteilbestände gelten als Garant für hohe Verfügbarkeit. Die Festlegung der Bestandsmengen erfolgt häufig nach Risikobereitschaft der Instandhaltungsingenieure oder aus Sicht der Einkaufsoptimierung.

G. Pawellek, D. Cordes und K. Fock

Der tatsächliche Bedarf wird dabei kaum berücksichtigt. Darüber hinaus werden eine Vielzahl von Artikeln vorgehalten, die als Lagerhüter oder Ersatzteilleichen zu charakterisieren sind. Im folgenden Beitrag wird eine systematische Vorgehensweise zur Bestandssenkung im Ersatzteillager als Baustein eines Gesamtkonzeptes für die Integrierte Instandhaltung und Ersatzteillogistik beschrieben. Durch Kopplung von Instandhaltungs- und Ersatzteillogistikstrategien wird dabei die geforderte Anlagenverfügbarkeit gewährleistet.
Steigender Kostendruck und von Jahr zu Jahr sinkende Instandhaltungsbudgets zwingen zu grundlegenden Kostensenkungen und Effizienzsteigerungen in der Ersatzteillogistik. Der sich vollziehende Wandel in der Instandhaltungsstrategie hin zu mehr vorbeugender, zustandsabhängiger Instandhaltung erfordert eine Überprüfung und zielgerichtete Anpassung der Artikelanzahl, Bestände und Beschaffungsarten.
Bestandsanalysen im Ersatzteilbereich werden in den Unternehmen (wenn überhaupt) mit Standardfunktionen aus den Lagerverwaltungssystemen durchgeführt. Aus Listen von Teilen, die z.B. in den letzten fünf Jahren nicht verbraucht wurden, werden von Hand die Ersatzteile ausgewählt, die nach Ansicht der zuständigen Instandhaltungsingenieure nicht mehr gebraucht werden. Eine derartige Vorgehensweise erweist sich oft als außerordentlich problematisch. Einsparungspotentiale im Ersatzteilwesen werden nicht systematisch erschlossen. Optimierungsmöglichkeiten bei den Bestandsmengen und Beschaffungsstrategien bleiben unberücksichtigt.
Eine optimale Ersatzteillogistik erfordert je nach Ziel- und Aufgabenstellung eine gewisse Informationsbasis sowie die Anwendung von Analyse- und Bewertungshilfsmitteln zur Entscheidungsunterstützung (1). Nur so ist eine umfassende, systematische Analyse und Optimierung der Artikelanzahl, Bestandsmengen und Beschaffungsstrategien in Abhängigkeit der Bedarfe aus der Anlageninstandhaltung möglich (2).
Ein Hauptproblem, das eine zielgerichtete Bestandsanalyse meist verhindert, ist aber gerade die oft anzutreffende unzureichende Informationsbasis über die Ersatzteillogistik, z.B. bezüglich
–Kennung über Einbauorte,
–Stellung der Anlage im Produktionsprozeß,
–Fehlteilkosten, d.h. entstehende Produktionsausfallkosten bei Nichtverfügbarkeit des Ersatzteils,
–Instandhaltungsstrategie, mit der das Teil instandgehalten wird,
–Wiederbeschaffungszeiten.
TDL als Lösungsansatz
Maßgebend für eine optimale Ersatzteillagerhaltung sind die logistischen Anforderungen an jedes einzelne Ersatzteil, und diese können sehr unterschiedlich sein. Durch eine systematische Vorgehensweise bei der Bestandsanalyse im Ersatzteillager, in Verbindung mit einer teiledifferenzierten Zuordnung der Ersatzteile zu Beschaffungsstrategien (Prognoseteile, Kanbanteile, Bedarfsteile etc.), können Kapitalbindungskosten sowie Dispositions- und der Koordinationsaufwand erheblich reduziert werden. Für die teiledifferenzierte Logistikoptimierung (TDL) selbst wird ein neues EDV-Tool eingesetzt, z.B. in einem Projekt zur grundlegenden Verbesserung der Ersatzteillogistik oder als EDV-Komponente im Ersatzteillager zur permanenten Analyse und Anpassung an veränderte Bedingungen in der Anlagenwirtschaft.
Bei der im folgenden vorgeschlagenen und bewährten Vorgehensweise wird nach der Erfassung der Ist-Situation zunächst der vorhandene Artikelstamm um Ersatzteilleichen und Lagerhüter bereinigt. Erfahrungen haben gezeigt, daß dadurch mit geringem Aufwand die Artikelanzahl bereits um bis zu 20% reduziert werden kann. Anschließend wird der bereinigte Artikelstamm einer systematischen Teiledifferenzierung unterzogen. Mit Hilfe des TDL-Programms werden die Ersatzteile unterschiedlichen, nach logistischen und instandhaltungsorientierten Kriterien optimalen Beschaffungsstrategien zugeordnet. Dabei erfolgt eine Einteilung in z.B. Prognoseteile, Kanbanteile, Just-in-time-Teile und Bedarfsteile. Insbesondere die Berücksichtigung des Ausfallverhaltens der Anlage und der Instandhaltungsstrategie für das Ersatzteil ist bei der Wahl der optimalen Beschaffungsart sehr wichtig. Nachfolgend werden die einzelnen Arbeitsschritte zur systematischen Artikel- und Bestandsanalyse im Ersatzteillager und zur Anwendung des TDL-Programms als Baustein des Integrierten Instandhaltungs- und Ersatzteillogistikkonzeptes näher beschrieben (Grafik 1).
Erfassung der Ist-Situation
Zunächst erfolgt die Erstellung einer Planungsdatenbasis durch Erfassen der relevanten und im Unternehmen vorhandenen Ersatzteil- und Lagerdaten, z.B.:
–Spektrum der Ersatzteile und Verbrauchsmaterialien,
–Bestands- und Kostendaten,
–Verbrauchs- und Bewegungsdaten,
–Stör- und Schadensdaten,
–Wiederbeschaffungs- und Lieferdaten,
–Einsatz von komponentenbezogenen Instandhaltungsstrategien,
–Einsatz möglicher Beschaffungsstrategien.
Hinzu kommt die Erfassung der EDV-Umgebung bezüglich Hard- und Software sowie der Datenhaltung. Von besonderer Bedeutung sind existierende Daten über die Ersatzteile, deren Lagerplätze und Einbauorte sowie vorhandene Abfrage- und Auswertungsmöglichkeiten.
Bereinigung des Artikelstammes
Die Bestands- und Komplexitätsreduzierung selbst beginnt mit dem Aufspüren von Datenleichen, Artikelleichen und Lagerhütern. Datenleichen sind Stammsätze im Materialverwaltungssystem ohne zugehörige Teile. Die Teile wurden z.B. verschrottet, nicht mehr neu bestellt oder irrtümlich angelegt. Datenleichen entstehen durch unzureichende Datenpflege im System. Sie haben in der Regel keinen Bestand, keinen Lagerplatz oder sind keiner existierenden Anlage zugeordnet und können so durch einfache Datenbankabfragen ermittelt werden.
Artikel- oder Ersatzteilleichen besitzen einen Stammsatz in der Materialverwaltung und sind physisch im Lager vorhanden. Die zugehörigen Anlagen sind jedoch nicht mehr im Unternehmen. Diese Teile können über Abfragen von Anlagenkennungen im EDV-System identifziert werden. Wenn eine Anlagenkennung nicht hinterlegt ist, kann teilweise über die Lagerplatzbeschreibung eine Identifikation erfolgen, da häufig bestimmte Lagerplatzgruppen bestimmten Maschinen zugeordnet sind.
Lagerhüter sind Teile, die selten oder noch nie verbraucht wurden. Die Teile wurden häufig bei Anschaffung der Maschine auf Empfehlung des Herstellers eingelagert, oder es wurde einmalig ein Teil benötigt und aus Einkaufsoptimierungsgründen mehrfach beschafft. Lagerhüter können z.B. abgegrenzt werden als Teile, die in den letzten fünf Jahren nicht verbraucht wurden, und von denen der Stammsatz vor mehr als fünf Jahren angelegt wurde.
Durch diese Kriterien läßt sich eine Lagerhüterliste aus der Artikelstammliste generieren, die jedoch wissensbasiert von erfahrenen Instandhaltungsingenieuren des Unternehmens überprüft werden muß, bevor die Teile aus dem Artikelstamm entfernt werden. Denn in der Liste sind z.B. auch Ersatzteile von noch vorhandenen älteren Maschinen enthalten, die evtl. heute nur noch schwer wiederzubeschaffen sind, weil sie vom Hersteller aus dem Sortiment genommen wurden. Außerdem können Teile enthalten sein, die störungsbedingt instandgesetzt werden, hohe Fehlteilkosten verursachen, jedoch nur geringe Kapitalbindungs- und Organisationskosten hervorrufen. Diese Ersatzteile müssen im Lager verbleiben.
Durchführung der Teiledifferenzierung
Es erfolgt dann die EDV-gestützte Differenzierung des bereinigten Ersatzteilspektrums nach Beschaffungs-, Lagerungs- und Bereitstellungsstrategien mit Hilfe des TDL-Programms (Grafik 2). Anhand von Differenzierungsmerkmalen wie z.B. Jahresverbrauchsmenge, Verbrauchsstetigkeit, Wiederbeschaffungszeit, Fehlteilkosten, Preis und Instandhaltungsstrategie werden unternehmensspezifisch Strategieprofile erstellt (Grafik 3). Beispielsweise sollten Ersatzteile mit geringer Verbrauchsmenge und Verbrauchsstetigkeit, großem Preis, kleiner Wiederbeschaffungszeit, mittleren Fehlteilkosten und geplanter Instandsetzung „Just-in-time“ beschafft werden.
Anschließend erfolgen Ähnlichkeitsbetrachtungen der Anforderungsprofile der Beschaffungsstrategien mit den Eigenschaftsprofilen der Ersatzteile. EDV-gestützt wird die Zuordnung der Ersatzteile zu den Beschaffungsstrategien vorgenommen. Ergebnis ist die optimale Definition der Kanbanteile, Prognoseteile, Just-in-time-Teile. In dem Beispiel eines Unternehmens der Druckindustrie wurden idealerweise 5% der Artikel aus dem gesamten Ersatzteilstamm eines Unternehmens einer Kanban-Beschaffung, 35% einer bestandsbezogenen Beschaffung, 5% einer prognoseorientierten Beschaffung etc. zugeordnet (Grafik 4). Im Vergleich zur Ist-Situation des Beispielunternehmens, bei der sämtliche Ersatzteile mindestbestandsgesteuert beschafft werden, kann durch strategiedifferenzierte Aufstellung der Bestandswerte der Artikel eine erste Abschätzung möglicher Kostensenkungspotentiale, z.B. allein auf die Kapitalbindung bezogen, erfolgen. Die Kapitalbindung durch gelagerte Ersatzteile kann im Beispiel allein durch angepaßte Beschaffungsstrategien bereits um 60% reduziert werden. Grund hierfür ist, daß die Artikel, die Just-in-time oder über einen Logistikdienstleister beschafft werden, nicht mehr im eigenen Unternehmen gelagert werden müssen. Für eine weitergehende Abschätzung der Einsparpotentiale können die Logistikkosten der Auftragsabwicklung und die Materialflußkosten im Zusammenhang mit der Beschaffung berücksichtigt werden.
Optimierung der Bestandsmengen
Schließlich werden für die Ersatzteile, die weiterhin im eigenen Unternehmen gelagert werden sollen, die Bestandsmengen optimiert. Die Anpassung der Bestandsmengen erfolgt durch Vergleich der aktuellen Bestände mit den Verbräuchen der Vergangenheit. Dazu werden die Bestände und die Verbräuche in Klassen eingeteilt und in einer Bestandsmatrix gegenübergestellt (Grafik 5). Die Matrixfelder auf der Hauptdiagonalen kennzeichnen die Klassen, bei denen Bestand und Verbrauch in einem gesunden Verhältnis zueinander stehen. In den Feldern oberhalb der Diagonalen ist der Bestand zu gering, in den Feldern unterhalb der Diagonalen ist der Bestand zu hoch. Zur Festlegung der Soll-Bestandsmengen werden unternehmensspezifisch Annahmen über ausreichende Vorratsmengen getroffen, wie z.B.:
–Der richtige Bestand sei der halbe Jahresverbrauch.
–Da die Wiederbeschaffungszeit bei mehr als 80% der Teile unter drei Wochen liegt, ist eine Reichweite von sechs Monaten ausreichend.
Darüber hinaus werden nur Artikel untersucht, die in den letzten zwei Jahren einen Verbrauch aufwiesen und deren Bestand größer ist als 1. Ersatzteile mit nur einem Stück im Bestand und keinem Verbrauch in den letzten zwei Jahren, die bei der Artikelbereinigung nicht aus dem Stamm entfernt wurden, sollten weiterhin vorgehalten werden.
Unter Berücksichtigung der Ersatzteilwerte lassen sich mit Hilfe der Bestandsmatrix Potentiale bezüglich der Bestandswerte ermitteln und darstellen (Grafik 5 unten). Positive Zahlen bedeuten, daß der existierende Bestandswert um diesen Prozentsatz zu hoch ist, negative Zahlen weisen einen um diesen Prozentsatz zu geringen Bestand aus. In dem Beispiel aus Grafik 5 kann der Bestandswert einzelner Artikel um insgesamt 67,3% reduziert werden (Summe der positiven Zahlen). Demgegenüber stehen einige Artikel, die unter der geforderten Reichweitenfestlegung von sechs Monaten eine Erhöhung des Bestandswertes um insgesamt 32,6% erfordern. Daraus ergibt sich in dem Beispiel eine Reduzierung der Kapitalbindungskosten durch die Bestandsmengenoptimierung einzelner Ersatzteile von 34,7%.
Fazit:
Erfahrungen haben gezeigt, daß durch eine systematische Artikel- und Bestandsanalyse die Kapitalbindungskosten im Ersatzteillager um bis zu 50% reduziert werden können. Insbesondere die teiledifferenzierte Zuordnung der Ersatzteile zu Beschaffungsstrategien mit Hilfe des TDL-Programms ermöglicht eine optimierte Ersatzteilbevorratung. Durch Verknüpfung von Instandhaltungs- und Beschaffungsstrategien auf Komponentenebene ist von Seiten der Materialwirtschaft eine hohe Anlagenzuverlässigkeit und -verfügbarkeit gewährleistet. Weitere Vorteile sind ein kleineres, übersichtlicheres Artikelspektrum und häufig der geringere Aufwand für Disposition und Ersatzteilsteuerung. Darüber hinaus sind die Ergebnisse der teiledifferenzierten Bestandsoptimierung unumgängliche Voraussetzung bei der Entwicklung eines Soll-Konzeptes für die Ersatzteillogistik und Lagersystemplanung.
Literatur:
(1)Pawellek, G.; Wendel, Ch.: Logistische Betrachtung der Instandhaltung – Methoden und Hilfsmittel für Verbesserungen bei Instandhaltung und Ersatzteillogistik. Technica (1996) 22, S.44-47
(2)Hartmann, Th.: Kopplung von Instandhaltung und Ersatzteillogistik. In: Generalisierungsaspekte der Integrierten Instandhaltung, Ergebnisbericht des INST-Arbeitskreises der Forschungsgemeinschaft für Logistik e.V. (FGL), Hamburg 1995, Kap. 4.2
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