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Beurteilung von Einkaufsorganisationen und -prozessen

Instrumente der Erfolgskontrolle
Beurteilung von Einkaufsorganisationen und -prozessen

Prof. Dr.-Ing. Werner Bick

Die Bedeutung des Einkaufs hat in den letzten Jahren weltweit zugenommen. Die wesentliche Ursache hierfür ist die deutlich reduzierte Fertigungstiefe der Unternehmen. Folglich liegen die durch den Einkauf beeinflussbaren Kosten in vielen Fällen deutlich über 50% der Gesamtkosten.
Um dieser Entwicklung gerecht zu werden, ist ein effizienter und effektiver Einkauf unabdingbar. In diesem Zusammenhang stellt die permanente Absicherung der Erfolgsfaktoren Kosten, Zeit und Qualität die wichtigste Herausforderung für den Einkauf dar.
Vor diesem Hintergrund sollte die optimale Gestaltung und Führung des Einkaufs aus Sicht der Unternehmensleitung eine zentrale Aufgabe darstellen. Zur Unterstützung der Unternehmensleitung existieren in diesem Zusammenhang eine Reihe von unterschiedlichen Instrumenten. Nachfolgend wird die Einsatzmöglichkeit von Kennzahlen zur Beurteilung von Einkaufsorganisationen und -prozessen dargestellt. Darunter werden verdichtete Größen verstanden, auf deren Basis ein Vergleich von z. B. unterschiedlichen Lösungen, Methoden und Organisationen vorgenommen werden kann.
Kernprozesse im Einkauf
Generell ist festzuhalten, dass eine ziellose Zusammenstellung gängiger Kennzahlen als Planungs- und Steuerungsinstrument wenig Sinn macht. Auf Grund der Spezifika der unterschiedlichen Branchen und Unternehmen muss die Auswahl der Kennzahlen anwendungsfallspezifisch vorgenommen werden. Eine wichtige Ausgangsbasis hierfür bilden die Kernprozesse einer Einkaufsorganisation. Dabei sind folgende Prozesse von Bedeutung:
Bedarfsermittlung und Lieferantensuche: Im Wesentlichen werden in diesem Prozess die Anforderungen an die zu beschaffenden Produkte festgelegt und geeignete Lieferanten bestimmt. Von Bedeutung ist eine frühzeitige Einbindung des Einkaufs und prospektiver Lieferanten in den Entwicklungsprozess, um das spezifische Know-how zu nutzen und wichtige Randbedingungen (z.B. verfügbare Fertigungsverfahren) in die Produktgestaltung einfließen zu lassen.
Lieferantenauswahl: Neben der eigentlichen Auswahl stellt in diesem Schritt die Qualifizierung der Lieferanten einen Schwerpunkt dar.
Vertragsverhandlung: Hier werden Grundsätze und Details der zukünftigen Zusammenarbeit festgelegt, dokumentiert und Verträge abgeschlossen.
Disposition: Danach gilt es schließlich, alle erforderlichen Tätigkeiten im operativen Tagesgeschäft durchzuführen, die zur termin- und mengengerechten Belieferung der verbrauchenden Stellen in den Unternehmen notwendig sind.
Standard-Kennzahlen
Auf der Grundlage der Kernprozesse kann ein erster Vergleich des eigenen Einkaufs mit dem anderer Unternehmen durchgeführt werden. Nachfolgend ist vor diesem Hintergrund eine Auswahl gängiger Standard-Kennzahlen aufgeführt.
Exemplarisch ist in der nächsten Abbildung eine Differenzierung der Kennzahlen Einkaufsvolumen pro Einkäufer und Lieferantenmanagement nach Branchen dargestellt.
Aus den vergleichsweise großen, branchenabhängigen Unterschieden der Durchschnittswerte ist ersichtlich, dass Kennzahlen nicht pauschal als Messlatte für das eigene Unternehmen angesetzt werden können. Selbst innerhalb der einzelnen Branchen schwanken die Kennzahlen unternehmensspezifisch. Folglich ist die Auswahl geeigneter Kennzahlen nach der aktuellen Situation und der geplanten Entwicklung eines Unternehmens zu treffen.
Treiber- und Ergebnis-Kennzahlen
Prinzipiell lassen sich zwei Typen von Kennzahlen unterscheiden:
Treiber-Kennzahlen sind prozessbezogene Indikatoren für die eigentliche Qualität eines Prozesses, Organisation etc.
Ergebnis-Kennzahlen sind Indikatoren z.B. für das Ergebnis eines Prozesses.
Die grundsätzliche Problematik im Umgang mit Kennzahlen bildet die zu starke Fokussierung auf Ergebniskennzahlen. Die tatsächlichen Schwachstellen werden damit meist nicht erfasst. Vermeintlich gute Ist-Werte machen die Unternehmensführung glauben, alles sei im grünen Bereich, obwohl bei einzelnen Geschäftsprozessen massive Schwachstellen vorhanden sind. Vor diesem Hintergrund sollten nach Möglichkeit Treiber- und Ergebniskennzahlen zumindest gleichwertig eingesetzt werden.
Kennzahlensysteme
Sinnvoll werden Kennzahlen in einem Kennzahlensystem zusammengefasst. Die Zielsetzung dabei ist, die relevanten Indikatoren – sowohl auf Treiber- als auch auf Ergebnisebene – möglichst lückenlos zu erfassen.
Um eine gezielte Detailanalyse zu ermöglichen, sollte das Kennzahlensystem des Weiteren hierarchisch aufgebaut sein. Dies bedeutet, dass mit zunehmender Hierarchiestufe die Verdichtung der Informationen zunimmt. Die Kennzahlen der unteren Ebenen stellen wesentlich detailliertere Indikatoren dar, sind die Basis für die jeweils übergeordnete Kennzahlenebene und ermöglichen eine genauere Analyse.
Stark verdichtete Kennzahlen der oberen Hierarchieebenen stellen strategische Kennzahlen dar, die schwerpunktmäßig von der Unternehmensleitung eingesetzt werden. Im Gegensatz dazu stellen Kennzahlen der unteren Hierarchieebenen operative Kennzahlen dar, deren Einsatzschwerpunkt im operativen Tagesgeschäft liegt.
Beurteilung von Einkaufsorganisationen und -prozessen
Bei der Gestaltung von Kennzahlensystemen kann bei der Auswahl auf vordefinierte Kennzahlen zurückgegriffen werden.
Auf strategischer Ebene stehen für den Bereich Einkauf in diesem Zusammenhang neben den in Abbildung 2 aufgeführten u.a. folgende Kennzahlen zur Auswahl:
–Materialkostenanteil in Prozent,
–Vormaterial-Reichweite in Arbeitstagen,
–Standardisierungsgrad in Prozent (Anteil der Mehrfachverwendungsteile am Gesamtteilespektrum),
–Anteil des international gesourcten Volumens am Gesamtbeschaffungsvolumen in Prozent,
–Integrationsgrad des Einkaufs in den Leistungserstellungsprozess in Prozent (Verhältnis der Einbezugsdauer des Einkaufs in den Produktentwicklungsprozess zur Gesamtdauer des Entwicklungsprozesses).
Auf der operativen Ebene ist eine Differenzierung nach dem Beschaffungsrisiko auf der einen und dem Ergebniseinfluss auf der anderen Seite sinnvoll.
Bei den Standard-Kaufteilen ist eine effiziente Abwicklung im Hinblick auf minimale Total Cost of Ownership anzustreben. Vor diesem Hintergrund sind als mögliche Treiber-Kennzahlen
–der Anteil der über Rahmenverträge getätigten Bestellungen (je höher desto besser) und
–die Anzahl an Schnittstellen im Bestellprozess (je weniger desto besser)
von Bedeutung. Als Ergebnis-Kennzahlen bei den Standard-Kaufteilen sind u.a.
–die durchschnittlichen Kosten pro Bestellung und
–die durchschnittliche Durchlaufzeit einer Bestellung
von Bedeutung.
Bei den Engpass-Kaufteilen ist eine Sicherstellung der Materialverfügbarkeit die wesentliche Zielsetzung. Vor diesem Hintergrund existiert als wichtigste Treiber-Kennzahl der Anteil von Engpass-Kaufteilen am gesamten Beschaffungsprogramm (mengen- und/oder wertmäßig). Als wichtigste Ergebnis-Kennzahlen sind
–die absolute Anzahl von Fehlteilen,
–der Anteil der Engpass-Kaufteile bei den Fehlteilen sowie
–der Anteil der Fehllieferungen von Engpass-Kaufteilen (aus Termin- und Kapazitätssicht) an den gesamten Lieferungen
aufzuführen.
Die strategischen Kaufteile stellen die wichtigste Materialgruppe dar. Relevante Treiber-Kennzahlen sind hier zum Beispiel
–der Anteil der Lieferanten mit längerfristigen Partnerschaften,
–der Anteil der Lieferanten mit Qualitätssicherungsvereinbarungen,
–der Anteil der Artikel mit Single-Sourcing und
–der Anteil der Mehrfachverwendungsteile innerhalb der Strategischen Kaufteile (Standardisierungsgrad, je höher desto besser).
Als Ergebnis-Kennzahlen bei den Strategischen Kaufteilen sind u.a.
–die durchschnittlich realisierte Reduzierung der Einstandspreise bzw. der Total Cost of Ownership in einem definierten Betrachtungszeitraum (Verhandlungsfaktor),
–der Anteil der Fehllieferungen von Strategischen Kaufteilen (aus Termin- und Kapazitätssicht) an den gesamten Lieferungen und
–der Anteil der Strategischen Kaufteile bei den Fehlteilen
von Bedeutung.
Bei den Hebel-Kaufteilen steht die Minimierung der Einstandspreise bzw. der Total Cost of Ownership im Vordergrund. Entsprechend sind als Treiber-Kennzahlen
–der Standardisierungsgrad,
–die durchschnittliche Anzahl der eingeholten Angebote pro neu zu beschaffendes Teil und
–der Anteil der Artikel mit Single-Sourcing
von Belang. Wesentliche Ergebnis-Kennzahlen bei den Hebel-Kaufteilen sind u.a.
–der durchschnittliche Verhandlungsfaktor,
–der Anteil von C-Lieferanten am Lieferantenspektrum für Hebel-Kaufteile (je weniger desto besser) und
–der durch A-Lieferanten abgedeckte Anteil am relevanten Beschaffungsvolumen (je höher desto besser)
von Bedeutung.
Unternehmensspezifisches Kennzahlensystem
Auf Grund der unterschiedlichen Rahmen- und Randbedingungen innerhalb der Unternehmen sowie der differierenden Zielsetzungen muss ein Kennzahlensystem für ein Unternehmen bzw. für einen definierten Bereich eines Unternehmens auf der Basis der vorhandenen Ausgangssituation und der angestrebten Unternehmens- bzw. Bereichsziele individuell zugeschnitten werden.
Dabei ist vor allen Dingen auf eine lückenlose Erfassung aller wichtigen Indikatoren im Rahmen eines ausgewogenen Einsatzes von Treiber- und Ergebnis-Kennzahlen zu achten. Um eine fundierte Ursachenforschung zu ermöglichen, sollten daneben die verdichteten Kennzahlen höherer Hierarchieebenen möglichst lückenlos durch Detail-Kennzahlen unterer Hierarchieebenen aufgeschlüsselt werden.
Einschränkend ist festzuhalten, dass Kennzahlen – unabhängig davon, ob es sich um Treiber- oder Ergebnis-Kennzahlen handelt – konkrete Optimierungsmaßnahmen nicht ersetzen können. Sie können aber sehr gut zur Ursachenforschung und als Indikator für den dauerhaften Erfolg eingeleiteter Maßnahmen herangezogen werden.
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