Startseite » Allgemein »

Das richtige Druckmittel

Terminsicherung: Vertragsstrafe vs. pauschalierter Schadensersatz
Das richtige Druckmittel

Mit der Vertragsstrafe oder dem pauschalierten Schadensersatz wollen Einkäufer in der Regel Druck auf ihre Lieferanten ausüben. Meist geht es um das Einhalten von Terminen. Die Unterscheidung zwischen Vertragsstrafe und pauschaliertem Schadensersatz ist in der Theorie einfach – in der Praxis keineswegs, wie unser Autor, Professor Dr. Ralph Schuhmann, erläutert.

Professor Dr. Ralph Schuhmann lehrt im Fachbereich Wirtschaftsingenieurwesen an der FH Jena

Auch „alte Bekannte“ haben mitunter noch kleine Geheimnisse: Die Vertragsstrafe und der pauschalierte Schadensersatz sind so alte Bekannte, die in der Beschaffungspraxis täglich zur Terminsicherung eingesetzt werden. Altbekannt, begegnet ihnen der Einkäufer im Rahmen von Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) und Standardverträgen, mitunter auch in Kundenbedingungen, die an Nachunternehmer durchzustellen sind. Die Praxis zeigt, dass die Unterschiede zwischen diesen scheinbar vertrauten Instrumenten nur selten geläufig sind und – wichtiger – kaum Vorstellungen über ihre spezifischen Möglichkeiten und Risiken bestehen. Wehrt sich der Vertragspartner rechtlich gegen ihre Geltendmachung, sind böse Überraschungen vorprogrammiert.
Es gibt Unterschiede und Gemeinsamkeiten: Die Vertragsstrafe, auch Konventionalstrafe oder Pönale genannt, ist seit Inkrafttreten des BGB in dessen §§ 339 bis 345 geregelt. Sie ist ein vom Schadensersatz unabhängiges Instrument, dem allgemein eine Doppelfunktion zugewiesen wird: Einerseits soll sie auf den Auftragnehmer Druck ausüben seine Hauptverbindlichkeit zu erfüllen (Druckfunktion), andererseits die Realisierung eines Verzugsschadens erleichtern (Kompensationsfunktion). Da sie keinen Schaden voraussetzt, ist sie besonders geeignet für Fälle schwer oder nicht beweisbarer bzw. messbarer Schäden sowie ideeller Verluste, z. B. eines Reputationsverlusts.
Den pauschalierten Schadensersatz kannte das BGB ursprünglich nicht. Erst eine in den 20er Jahren des vorigen Jahrhunderts aufkommende AGB-Praxis veranlasste die Rechtsprechung, die Vertragsstrafe differenzierter zu sehen und aus ihr den pauschalierten Schadensersatz als eigenständige Rechtsfigur zu entwickeln, die schließlich im AGB-Gesetz kodifiziert und im Jahre 2002 als § 309 Nr. 5 in das BGB übernommen wurde. Heute wird der pauschalierte Schadensersatz als im Vertrag vorweggenommene Schadensschätzung verstanden. Aufsetzend auf einen bestehenden Ersatzanspruch bewirkt er lediglich eine Beweislastumkehr hinsichtlich dessen Höhe: Behauptet der Schädiger einen geringeren als den pauschalierten Schaden, muss er dies beweisen. Im Vordergrund steht also die Absicht, den häufig aufwändigen und schwierigen Schadensnachweis im Einzelnen wegzurationalisieren, weswegen man auch von einer Schadensersatzpauschalierung oder Schadenspauschale spricht. Nachrangig erfüllt der pauschalierte Schadensersatz zudem eine Druckfunktion, so dass sich sein Einsatzbereich mit dem der Vertragsstrafe überschneidet.
Die angelsächsischen Rechtsordnungen sehen die Vertragsstrafe hingegen nicht als eigenständige Rechtsfigur. Anerkannt sind liquidated damages als vorweggenommene Schadensschätzung, contractual penalty ist nur eine Bezeichnung für exzessive liquidated damages. Wenn eine contractual penalty als grundsätzlich unwirksam angesehen wird, dann deshalb, weil unangemessene liquidated damages unzulässig sind. Auch im Schrifttum zum deutschen Recht wird vertreten, übermäßige Schadenspauschalierungen seien Vertragsstrafe, der BGH ist dem jedoch nie gefolgt.
Schadensersatz in rigorosem rechtlichen Korsett
Der Bereich der zulässigen Anwendung gleicht einem engen Korsett: Die Vertragsstrafe hat für den Auftraggeber den Vorteil, dass sie keinen Schaden und keinen Schadensnachweis erfordert. Nachteilig wirkt ihre äußerst rigide AGB-rechtliche Handhabung durch die Rechtsprechung, wobei sich die Praxis allerlei Illusionen hingibt, wie sich die AGB-Eigenschaft umgehen lässt. Generalisierend bleibt hierzu nur festzustellen, dass die Vertragsstrafe im Tagesgeschäft immer AGB sein wird. Daraus folgt u. a., dass sie im Verzugsfall ihre Kompensationsfunktion bei fünf Prozent des Auftragswertes verliert.
Seit Jahren konzentriert sich die rechtliche Aufmerksamkeit auf die Vertragsstrafe. Dabei ist der pauschalierte Schadensersatz in ein zwar weniger starres, aber ebenso rigides rechtliches Korsett gezwängt:
  • Da die Höhe des zu leistenden Schadensersatzes für die typische Verzugssituation pauschaliert wird, muss eine Ersatzpflicht dem Grunde nach und in voller Höhe bestehen. An Letzterem fehlt es insbesondere bei einem der häufigen Fälle eines Mitverschuldens des Auftraggebers, z. B. durch Verletzung einer Mitwirkungs- oder seiner Schadensminderungspflicht.
  • Gemäß § 309 Nr. 5 a BGB ist die Pauschale unwirksam, wenn sie den branchentypisch zu erwartenden Schaden übersteigt. Dabei muss sie für alle üblicherweise auftretenden Konstellationen angemessen sein, so dass nicht mit einer Einheitspauschale gearbeitet werden kann, wenn das Geschäftsfeld – wie so häufig – unterschiedliche Schadensgruppen hervorbringt und es unangemessen ist, diese einheitlich zu erfassen. Hieran zeigt sich, dass der pauschalierte Schadensersatz primär ein Instrument des Massengeschäfts ist. Je individueller und komplexer die Leistung, desto weniger wird er die Erwartungen erfüllen.
  • Gemäß § 309 Nr. 5 b BGB darf dem Schädiger nicht das Recht abgeschnitten werden zu beweisen, dass der Schaden „wesentlich niedriger“ ist als in der Pauschale angesetzt. Dabei wird die Wesentlichkeitsgrenze bei zehn Prozent des Auftragswertes angesiedelt, bei größeren Umfängen (etwa ab 50 000 Euro) kann sie bis auf fünf Prozent absinken. Nach überwiegender Auffassung normiert die Vorschrift einen allgemeinen Rechtsgedanken, der auch außerhalb des AGB-Rechts gilt.
  • Streitig ist, ob eine Pauschalierung den Geschädigten bindet oder ob er weitergehende Schäden geltend machen kann. Will er sich Letzteres offen halten, sollte er dies im Vertrag jedenfalls unmissverständlich zum Ausdruck bringen.
Eine Missachtung vorstehender Prämissen hat zu Folge, dass sich der Auftraggeber auf die Pauschale nicht berufen kann und seinen Schaden voll beweisen muss.
Kriterien für die rechtliche Einordnung
Die rechtliche Einordnung gleicht indessen einem Roulette-Spiel: Die Unterscheidung zwischen Vertragsstrafe und pauschaliertem Schadensersatz ist in der Theorie einfach – in der Praxis keineswegs. Der Grund allen Übels liegt darin, dass die Abgrenzung beider Instrumente dogmatisch noch nicht widerspruchsfrei gelöst ist. Gemäß §§ 133, 157 BGB sind vertragliche Vereinbarungen danach zu beurteilen, was die Vertragspartner mit ihnen bezweckt haben; Meist werden Vertragsstrafe und pauschalierter Schadensersatz jedoch beide zu Druck- und Kompensationszwecken eingesetzt. Hinzu tritt, dass sich die Vertragspartner über das vereinbarte Instrument oft keine näheren Gedanken machen oder diesbezüglich unzutreffende Vorstellungen haben. Die Gerichte suchen dann im Nachhinein einen Parteiwillen, der gar nicht vorhanden war oder rechtlich jedenfalls nicht nachvollziehbar ist.
Im konkreten Streitfall erfolgt die rechtliche Einordnung anhand folgender Kriterien:
  • 1. Maßgeblich ist zunächst der Regelungsinhalt. Enthält die Klausel z. B. keinen Anspruchsgrund oder räumt sie dem Schädiger das Recht ein zu beweisen, dass kein oder ein wesentlich geringerer Schaden entstanden ist, wird es sich um eine Schadenspauschalierung handeln.
  • 2. Sodann ist der Wortlaut der Klausel heranzuziehen. Begriffe aus dem Schadensersatzrecht („Schadensausgleich“, „Schaden“ etc.) sprechen für eine Schadenspauschalierung.
  • 3. Da die Vertragsstrafe primär als Druckinstrument verstanden wird, entscheidet die Rechtsprechung im Zweifel danach, ob zum Zwecke einer vereinfachten Abwicklung nur die Höhe eines als bestehend vorausgesetzten Anspruchs geregelt werden sollte – dann pauschalierter Schadensersatz – oder ob der Betrag losgelöst von einem eventuellen Schaden festgelegt wurde – dann Vertragsstrafe.
  • 4. Wenn nach alledem noch Zweifel bleiben, geht ein Teil des Schrifttums von einem pauschalierten Schadensersatz aus. Ein solcher juristischer Notnagel taugt jedoch nicht, um wirtschaftliche Interessen daran festzumachen.
Seit der BGH die AGB-rechtlich zulässige Obergrenze für Vertragsstrafen auf fünf Prozent des Auftragswertes abgesenkt hat, erfüllen die vorgenannten Abgrenzungskriterien ihre Funktion schlechter denn je. In zahlreichen Branchen unterscheiden sich die Erscheinungsbilder von Vertragsstrafe und pauschaliertem Schadensersatz kaum noch, insbesondere weisen sie dieselben Prozentsätze pro Verzugswoche und für die Maximierung auf. Eine Abgrenzung ist dann nur noch sprachlich möglich (vorstehend unter 2.), und dem Verwender ist dringend zu raten, sich Klarheit über die einzusetzende Rechtsfigur zu verschaffen, dies dem Vertragspartner deutlich zu kommunizieren und die eigene AGB einer Prüfung zu unterziehen, ob sie das Gewollte auch unzweifelhaft zum Ausdruck bringt.
Unsere Webinar-Empfehlung
Aktuelles Heft
Titelbild Beschaffung aktuell 4
Ausgabe
4.2024
PRINT
ABO

Industrie.de Infoservice
Vielen Dank für Ihre Bestellung!
Sie erhalten in Kürze eine Bestätigung per E-Mail.
Von Ihnen ausgesucht:
Weitere Informationen gewünscht?
Einfach neue Dokumente auswählen
und zuletzt Adresse eingeben.
Wie funktioniert der Industrie.de Infoservice?
Zur Hilfeseite »
Ihre Adresse:














Die Konradin Verlag Robert Kohlhammer GmbH erhebt, verarbeitet und nutzt die Daten, die der Nutzer bei der Registrierung zum Industrie.de Infoservice freiwillig zur Verfügung stellt, zum Zwecke der Erfüllung dieses Nutzungsverhältnisses. Der Nutzer erhält damit Zugang zu den Dokumenten des Industrie.de Infoservice.
AGB
datenschutz-online@konradin.de