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Der Einkauf als Business Partner

Der Blick nach vorn
Der Einkauf als Business Partner

Ohne Zweifel: Der Einkauf – auch unter der modern klingenden Chiffre des Supply Management – ist in den letzten Jahren aus dem Dornröschenschlaf geweckt worden. Der Paukenschlag der Finanz- und Wirtschaftskrise und der daraus resultierende Sachzwang zu einem harten Sparen sowie zu einer Verbesserung des Cash Flow und des Ratings haben dazu beigetragen, „New Deal“ im Einkauf und für den Einkauf einzuleiten.

Ein neu aufgestellter Einkauf spielt in führenden Industrieunternehmen eine Schlüsselrolle bei der Erzielung ambitionierter Savings. Hinsichtlich der dabei angewandten Strategien lässt bei näherem Hinsehen Ignacio López grüßen. Der Einkauf wird als Business Partner in die Pflicht genommen und muss sich als Margenverbesserer, Liquiditätssteigerer, Risikomanager und Innovationstreiber profilieren. Dies ist keineswegs bloße Rhetorik, sondern wird von den Vorständen als klarer Auftrag mit Lieferzeitpunktansage verstanden! Gerade in jüngster Zeit hört man wieder Brandreden u.a. der Herren Martin Winterkorn (VW) und Dieter Zetsche (Daimler), in denen neue Sparprogramme angekündigt werden.

Die Entwicklung in den führenden Industrieunternehmen lässt keine Zweifel aufkommen: Endlich kommt die u.a. in BA und vom BME seit Langem geforderte Neuausrichtung des Einkaufs auf die Agenda der Unternehmensleitungen. Dies ist kein Wunder, denn in Anbetracht eines Anteils von durchschnittlich rund 60 Prozent der aus dem Beschaffungsmarkt bezogenen Vorleistungen am Umsatz deutscher Industrieunternehmen ist der Ergebnishebel des Einkaufs beeindruckend. Es wäre daher zumindest fahrlässig, diesen Hebel nicht systematisch auch mit den modernen IuK-technischen Möglichkeiten zu nutzen. Schon die alten hanseatischen Kaufleute wussten: Im Einkauf liegt der Segen! Der Einkauf war daher bei ihnen Chefsache. Diese alte Weisheit wird in volatilen Zeiten wiederentdeckt. Da müssen unsere Unternehmen wieder hin.
Dabei muss jedoch auch den Vorständen klar sein: Zur Schaffung und Implementierung eines neu aufgestellten Einkaufs bedarf es nicht unerheblicher Investitionen in Personal (Talentmanagement), Organisation und IuK-Technologie, die sich jedoch – wie die BME-E-Lösungstage Jahr für Jahr zeigen – lohnen und rechnen.
Im alten Frankreich zu Zeiten des Ancien Régime schallte bei der Thronfolge der Ruf durchs Land „Le roi est mort, vive le roi“. Dies kann man auf den Einkauf übertragen: „Der transaktionale Einkauf ist tot, es lebe der mehrwertschaffende Einkauf!“ Einkauf ist kein nachgeordneter Service sondern eine unternehmerische Funktion ebenso wie Entwicklung, Produktion und Marketing/Vertrieb. Dies ist die Botschaft von nicht wenigen BA-Autoren. Unternehmerisches Handeln ist im modernen Einkauf angesagt. Gestaltung muss an die Stelle von Verwaltung treten. Die Strukturen und Prozesse des industriellen Einkaufs 2020 verändern sich. Transformation ist angesagt, und dies erfordert Change Management auch mit neuen Köpfen.
Für eine Aufwertung und „Aufrüstung“ des Einkaufs gibt es überzeugende Gründe: Der Einkauf von Vormaterialien wie etwa NE-Metallen, Stahl, Kunststoffen und agrarischen Rohstoffen ist in Zeiten der Globalisierung und volatiler Märkte zu einer strategischen Aufgabe geworden. Die Energiekosten sind für europäische Unternehmen deutlich gestiegen und drücken gewaltig auf die Margen. Bei wichtigen Zulieferern gibt es in Zeiten guter Konjunktur Kapazitätsengpässe und lange Lieferzeiten. Die Supply Chains bedürfen daher einer agilen Steuerung.
Der Einkauf hat dabei nicht nur eine große Bedeutung für die Optimierung der Kosten und des in Beständen gebundenen Kapitals, sondern muss auch dafür sorgen, dass die Unternehmen in Zeiten eines kaum noch planbaren Auf und Ab der Konjunktur flexibel produzieren können (Prinzip der atmenden Fabrik). Zudem hängen vom Einkauf in erheblichem Maße die Qualität der Produkte, der Zufluss von Innovationen aus der Lieferantenbasis und die Risikoexposure der Unternehmen ab.
In zunehmend arbeitsteiligen Supply Chains wird der Einkauf immer mehr zum Manager der externen Wertschöpfung auch international. Es geht um eine intelligente Gestaltung und Fundierung des Global Footprint. Eine durch das Prinzip der Partnerschaft geprägte Kollaboration mit einem starken Netzwerk der besten Lieferanten und Third Parties wird daher zum entscheidenden Erfolgsfaktor, der permanent gepflegt und weiterentwickelt werden muss. Orchestrierung ist in diesem Zusammenhang ein gern von Beratern verwandter Begriff.
Welche Strategien stehen im Fokus des modernen strategischen Einkaufs? Natürlich spielen Preisverhandlungen persönlich Auge in Auge oder anonym im Wege elektronischer Ausschreibungen und Auktionen weiterhin eine große Rolle. Dies ist jedoch längst nicht mehr alles: So geht es im modernen Einkauf heute vor allem um die intelligente Bündelung und Standardisierung von Bedarfen (Stichwort: Gleichteile) und dies durch ein nicht immer konfliktfreies Demand Management seitens der strategischen Einkäufer. Bündelung und Standardisierung sind die wirksamsten Vehikel zur Erschließung von Kostendegressionseffekten. Des Weiteren stehen die Ausweitung von Auslandsbezügen sowie der zentrale Abschluss von sorgfältig ausgehandelten Rahmenverträgen für alle Bedarfsträger im Unternehmen im Vordergrund.
Parallel dazu werden zusammen mit der Entwicklung und Technik Strategien zur Einsparung von Material und/oder zur Substitution von teuren Materialien erarbeitet und dies auf der Grundlage der guten alten Wertanalyse, die zurzeit auch unter anglophilen Chiffres eine Renaissance erlebt.
Die Einkaufsteams steigen in die Fertigungs- und Logistikprozesse der Lieferanten und von deren Vorlieferanten ein und fahnden zusammen mit diesen nach Verbesserungsmöglichkeiten und Produktivitätsreserven. Mit den strategischen Lieferanten zusammen werden Entwicklungsprojekte realisiert, und die Königsdisziplin Beschaffung von Innovationen und Forcierung des Konzeptwettbewerbs der Lieferanten wird perfektioniert.
Hinzu kommt, dass der Scope des Einkaufs (Verantwortungsbereich) endlich ausgeweitet wird: Im Idealfall läuft alles, wofür eine Rechnung von sogenannten Third Parties (incl. Agenturen, Free Lancer, juristische Beratung, IT-Beratung etc.) über den Einkauf hereinkommt . Der Raum für Maverick Buying und in der SAP-Welt FI-Einkauf wird so immer enger. Dadurch sind erhebliche Einspareffekte möglich.
Vor diesem Hintergrund wurden und werden in vielen Unternehmen gewachsene Strukturen und Prozesse im Einkauf gründlich überarbeitet. Die moderne IuK-Technologie mit leistungsfähigen ERP-Systemen und integrierten webbasierten Front-End-Applikationen wirkt dabei – richtig eingesetzt – als Intelligenzverstärker und Enabler neuer vernetzter Organisationsformen im Einkauf. Ob soziale Netzwerke diesen Trend verstärken werden, muss indessen abgewartet werden.
An die Stelle von ausgeprägten Hierarchien und funktionalen Organisationskästchen, die das Bild der Vergangenheit mit einem Bestellbüro Einkauf prägten, treten sog. hybride Organisationsformen, die zentrale und dezentrale Elemente – das Beste aus beiden Welten – geschickt miteinander verbinden, Freiräume für den strategischen Einkauf schaffen und die Geschäftsprozesse der operativen Beschaffung durchgängig definieren, optimieren und automatisieren. Die alt hergebrachten linear orientierten Managementprozesse werden obsolet im Zeitalter der modernen IuK und der daraus resultierenden wesentlich besseren Möglichkeiten der Kollaboration. Rückkopplungsbeziehungen sind an der Tagesordnung.
Es wird eine unternehmensübergreifende integrierte Datenbasis mit Material- und Lieferantenverschlüsselung (DUNS-Nummer) geschaffen, die eindeutige Antworten auf die keineswegs triviale Frage gibt: Wer kauft im Unternehmen, was in welcher Menge zu welchen Konditionen bei wem ein? Die bestehenden Lieferverträge werden lückenlos erfasst und im Einkaufsportal hinterlegt. Dies dient einer nie gekannten hohen Transparenz und fördert die Einhaltung von Compliance-Regeln.
Im Einkauf etabliert sich der Chief Purchasing Officer, der Entscheidungskompetenzen für alle Beschaffungsgüter, d.h. Material, Dienstleistungen, Investitionen und Energien für sich reklamiert und diese auch erhält. Der Chief Purchasing Officer forciert zum einen die Bündelung von Volumina und die Ausschöpfung von Synergien und erschließt zum anderen die internationalen Beschaffungsmärkte. Er berichtet an den Vorstand außerhalb der Automobilindustrie oftmals an den CFO (Finanzchef).
Zur Wahrnehmung der Strategischen Einkaufsaufgaben werden auf bestimmte technologisch und marktlich zusammengehörende Warengruppen und fremdbezogene Leistungen fokussierte Warengruppenmanager oder Sourcing Groups etabliert, die nach dem bekannten Motto „einer für alle“ Bedarfe bündeln und diese als Spezialisten insgesamt für alle Bedarfsträger verhandeln. Sie schließen mit den Lieferanten zentral Rahmenverträge ab, aus denen dann die verschiedenen Bedarfsträger im Unternehmen dezentral abrufen.
Im täglichen Geschäft werden Anfragen (Requests for Information), Ausschreibungen (Requests for Quotation/Proposal) und Verhandlungen besonders in der Gestalt von Reversed Auctions in zunehmendem Maße elektronisch vorgenommen. In immer mehr Unternehmen sind diese bereits feste Bestandteile der Workflows.
In gut organisierten Unternehmen erhalten die Strategischen Einkäufer per Knopfdruck aus einem Einkaufsportal/Einkaufscockpit alle Informationen, die sie für Vergabeentscheidungen und Lieferantengespräche benötigen. Zudem wird das Feld Analytics mit hochaktuellen Beschaffungsmarktinformationen per Knopfdruck nachhaltig professionalisiert.
Für die Lieferanten gibt es einen Single Point of Entry, und sie erhalten Einblick in ihre Bewertungen durch die Einkäufer. Strategische Lieferanten werden in virtuelle Entwicklungs- und Qualitätssicherungsteams eingebunden.
Für die operative Realisierung der Beschaffungsvorgänge bis hin zur Zahlung (Procure-to-Pay) werden einheitliche Prozesse definiert, die dann auch wiederum ein besseres Working-Capital-Management ermöglichen.
Im Zuge eines durchgängigen Supply Chain Managements werden Lieferanten und Logistikdienstleister elektronisch angebunden über Kollaborationsplattformen.
Dank einer immer leistungsfähigeren modernen IuK-Technologie bilden sich neue Infrastrukturen für die crossfunktionale und interorganisationale Zusammenarbeit heraus, in denen die ökonomischen Transaktions- und Kollaborationskosten nahezu wegfallen. Es bleibt abzuwarten, wie schnell sich Cloud-Lösungen und Hybrid-Systeme mit Premise-Programmen und On-Demand durchsetzen werden. Dies wird kommen, sobald die Fragen der IT-Security überzeugender gelöst sind, denn die betriebswirtschaftlichen Vorteile liegen auf der Hand.
Die Entwicklung der Organisation und die intelligente Nutzung der IuK-Technologie sind wichtige Enabler einer Neuausrichtung des Einkaufs in der Industrie als anerkannter und geschätzter Business Partner der anderen Funktionen sowie der Profit-Loss-verantwortlichen Business Units. Deren Vertrauen muss der neue Einkauf gewinnen und nachweisen, dass er diesen einen im Zahlenwerk nachweisbaren Mehrwert zu erbringen in der Lage ist. Der Einkauf muss dafür im Unternehmen seine Marke kreieren, diese überzeugend kommunizieren und mit zählbaren Ergebnissen unterfüttern.
Um das Vertrauen der Business Units zu gewinnen und zu behalten, bedarf es jenseits aller Systeme eines dritten Enablers: Das richtige Personal, das die Einkaufsorganisation zu einem High-Performing-Team macht. Der „neue“ industrielle Einkauf muss mit hochqualifizierten Führungs- und Fachkräften, die sowohl einen technischen als auch einen betriebswirtschaftlichen Hintergrund haben, besetzt werden. Diese sind jedoch dünn gesät. Der War for Talents ist in vollem Gange. Nur wem es gelingt, die besten Mitarbeiter für den Einkauf zu gewinnen und diese zu einem Team zusammenzufügen wird mit einer neu aufgestellten Einkaufsorganisation nachhaltige Erfolge erzielen können.
Hierzu bedarf es einer Aufbaustrategie ähnlich der, die letztlich der deutschen Nationalmannschaft gestattete, die Fußballweltmeisterschaft zu gewinnen. Der Erfolg stellte sich als Ergebnis von Strategie, Taktik und exzellenter Ausführung auf dem Spielfeld – freilich gepaart mit dem Quäntchen Glück des Tüchtigen ein. Ohne letzteres geht es auch in der Wirtschaft nicht. Die treibenden Erfolgsfaktoren der Mannschaft waren der Teamgeist, animiert durch einen starken Chef, der absolute Fokus auf ein hochgestecktes, aber klar definiertes, greifbares Ziel sowie ein vorbildliches Talentmanagement und eine gezielte, langfristig angelegte Nachwuchsförderung. Die Mannschaft hat erfolgreich gespielt und in Brasilien weltweit Sympathien und Vertrauen gewonnen durch ihr gelassenes und respektvolles Auftreten. Sie hat sich als Marke etabliert. Die moderne Organisationsentwicklung kann von alledem einiges lernen. Dies gilt auch für den Einkauf.
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