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Der kleine Tiger wird erwachsen

Internationale Beschaffungsmärkte – Taiwans Automobilzulieferung
Der kleine Tiger wird erwachsen

Taiwans Automobilzulieferer mausern sich zu ernsthaften Wettbewerbern auf dem Weltmarkt. Sie stützen sich auf ihre Erfahrungen im Aftermarket und ihr Elektronik- und Connectivity-Know-how.

Taiwan ist kein Anhängsel Chinas, sondern ein demokratisch verfasster Staat mit florierender Wirtschaft. Mit dem planmäßigen Aufbau von Nahrungsmittel-, Leicht- und Schwerindustrie hatte die „Republik China“ in den letzten Jahrzehnten Anschluss an den Weltmarkt gefunden und galt als einer der „vier kleinen Tiger“ (Taiwan, Südkorea, Hongkong, Singapur) Asiens. Die Hinwendung zur Automobil-, Elektronik- und IT-Industrie bedeutete vollends den internationalen Durchbruch. Mit einem Pro-Kopf-Einkommen von 22 632 Dollar belegt Taiwan im Jahr 2014 Platz 35 der Weltrangliste. Das Land ist der zweitgrößte Produzent von Halbleiter-Anwendungen wie PC-Hauptplatinen, Notebooks und WLAN-Komponenten, Unternehmen wie Acer, Asus, HTC und MSI sind weltbekannt.

Vernetzt und zukunftsorientiert. Die etwa 3000 taiwanesischen Automobilzulieferer bilden mit tatkräftiger Unterstützung der Regierung – ein stark vernetztes Cluster. Klein- und Mittelunternehmen arbeiten überwiegend den größeren Unternehmen zu, die stark exportorientiert ausgerichtet sind. Denn der lokale Markt ist trotz einer Einwohnerzahl von 23 Mio. zu klein, das Straßenbild beherrschen japanische Pkw sowie Roller aus eigener Herstellung. So verkaufte man 2014 Automobilkomponenten und -systeme im Wert von etwa 4,84 Mrd. Euro ins Ausland, das sind drei Viertel der Gesamtproduktion. Wichtigste Märkte sind die USA (42,2 %), China (6,1 %), Japan (4,5 %), Deutschland (3,1 %) und Großbritannien (2,6 %), Exportschlager waren Accessoires (36,4 %), Fahrzeugbeleuchtung (19,7 %), Karosserieteile (12,1 %), und Räder (7 %). Beispielsweise stammen mehr als 60 % aller Frontscheinwerfer und mehr als 85 % aller Stoßfänger und Seitenspiegel für den weltweiten Aftermarket aus Taiwan.
Dass die taiwanesische Automobilindustrie in einigen Segmenten inzwischen zum „Workshop“ der Welt geworden ist, verdankt sie einer gezielten Förderpolitik des Staates. „Schwerpunkte waren und sind die intensive Arbeitsteilung der betreffenden Unternehmen, ein System von kompetenten Industrieclustern (wie etwa Optoelektronik, Halbleiter, Metallbearbeitung, Präzisionsmaschinenbau), die gezielte Aneignung von Schlüsseltechnologien wie dem Kunststoff-Spritzgießen sowie eine stringente, marktorientierte Industrialisierung von F&E-Ergebnissen“, erläutert Scott Yang, stellvertretender Direktor für strategisches Marketing beim Taiwan External Trade Development Council. Künftig soll die starke Position Taiwans in der IT-Wirtschaft stärker ins Automobilgeschäft einfließen und Themen wie smarte Automatisierung und Industrie 4.0 genießen hohe Priorität.
Connectivity als Wachstumsmotor. Noch agieren die taiwanesischen Automobilzulieferer vorwiegend im Aftermarket, fassen aber zunehmend im Flottengeschäft, bei ergänzenden Dienstleistungen und direkt bei den OEM Fuß. Ein Paradebeispiel ist das Geschäft mit Dashcams (Drive Video Recorder = DVR). Da die Filmsequenzen der DVR in immer mehr Ländern als Beweismittel bei Unfällen anerkannt werden, sind die Wachstumsraten sehr hoch und taiwanesische Hersteller mischen kräftig mit. So hat die Marke Papago mit ihren eher kostenoptimierten DVR nach eigenen Angaben einen Weltmarktanteil von etwa zehn Prozent, vorwiegend in Asien. Die Verkaufszahlen von 2014 (550 000 Einheiten) will man bis 2016 annähernd verdoppeln. Wettbewerber Mitac hat nach eigenen Angaben die erste Wifi-Schnittstelle von der DVR zum Smartphone auf dem Markt angeboten. Mit seinen „Mio“-DVR sei man in Ländern wie Taiwan (30 % Marktanteil), Russland (16 %) und Polen (20 %) Marktführer und ein halbes Jahr nach Markteintritt bereits die Nummer zwei im japanischen Markt.
Vacron wiederum ist mit seinen „Fuho“-DVR ein bedeutender Anbieter im Highend-Segment. Durch diesen hohen Anspruch kann man sich noch die Fertigung von sicherheitsrelevanten Bauteilen der DVR inhouse in Taiwan leisten, während viele Wettbewerber seit dem 2010 einsetzenden Preisverfall diese Bauteile inzwischen komplett in China fertigen (lassen).
Und DVR entwickeln sich zu multifunktionalen Geräten weiter. Da viele DVR neben einer Navigationsfunktion inzwischen auch eine WiFi-Schnittstelle zum Smartphone enthalten, sind über schnelle Mobilfunkverbindungen und leistungsfähige Server zusätzliche Dienstleistungen möglich. Mit diesem „Internet der Fahrzeuge“ erschließen sich die DVR-Hersteller neben dem Aftermarket zunehmend Flottenbetreiber als weiteren Kundenkreis. Taxi-, Bus- und Güterverkehrsunternehmen etwa managen mit den DVR auf unkomplizierte Art und Weise ihre Flotten. Für diese Aufgaben helfen DVR-Funktionen wie das kontinuierliche Positionstracking, Beschleunigungssensoren, Kompass, oder Kameramodule, die von einem kleinen Gehäuse aus alle vier horizontalen Richtungen überwachen. Zusätzlich stellen Anbieter wie Vacron ihren Kunden passende Serverlösungen zur Verfügung. Das kann vom Bereitstellen der Server inklusive technischem Support bis zum Komplettbetrieb eines Kundenservers inklusive passender Software und Personal reichen. Beispielsweise hat Vacron eine Softwarelösung im Angebot, die mit einem Splitscreen mit bis zu vier Feldern eine rationelle Koordination der Flotten ermöglicht.
Mitac hat sein DVR-Portfolio durch den Zukauf der Navigationsdaten-Anbieter Magellan (USA) und Navman (Neuseeland) ergänzt und so Zugang zu Flottenbetreibern und OEM-Kunden gefunden. So liefert man seit 2014 GPS-Module samt cloudbasierten Kartendaten und Navigationsfunktionen an den Autovermieter Hertz. Zusätzlich hat man in den letzten Jahren weit mehr als eine Million Comand-Infotainmentsysteme der A-, B-, C- und E-Klasse von Mercedes-Benz mit Navigationsboxen (inklusive Videoschnittstellen) ausgerüstet.
Außerdem bietet man für das Incontrol-Infotainmentsystem von Jaguar Land Rover seit Anfang 2015 eine Navigationsapp an. Das Infotainment der neuen Jaguar-Modelle basiert auf der Plattform My Spin von Bosch, bei der vom Automobilhersteller freigegebene Apps vom Smartphone ins Fahrzeug geladen und im Infotainmentdisplay angezeigt werden. Weitere OEM-Kunden von Mitac sind Nissan, Infiniti, Mazda und GM, die Amplifier für ihre gehobenen Fahrzeugmodelle beziehen. Für die nächsten Jahre hat Mitac bereits weitere Serienaufträge aus den USA und Japan für seine Navigationslösungen verbucht.
Maßgeschneiderte Lösungen. Einen ähnlichen Entwicklungspfad plant auch Funtoro, ein Tochterunternehmen des Laptop- und Bildschirmherstellers MSI. Funtoro rüstet Busse, Taxis, Polizeifahrzeuge, Lkw, Züge und Fähren mit Bildschirmen aus. Dies können sowohl Stand-Alone-Bildschirme sein, als auch Systemlösungen im Doppel-DIN-Format mit Display, Radio und weiteren Infotainmentfunktionen. Da diese Anzeigen in der Regel über eine Wifi-Schnittstelle verfügen, sind sie mit der Außenwelt vernetzt und können so von einem Backend-Server aus mit Inhalten bespielt werden, auch Flottenmanagement ist damit möglich. Funtoro sieht sich mit diesem Komplettangebot aus Hardware, Software und Vernetzung als der erste Systemanbieter in diesem Segment. Allein mehr als 10 000 Busse habe man in den letzten fünf Jahren mit Bildschirmen (in den Sitzlehnen oder als Informationsdisplays für Linienbusse) ausgerüstet, so ein Unternehmenssprecher. Europa sei der wichtigste Markt.
Ein weiterer Vertriebszweig ist der ODM, der Original Dealer Market. In diesem Segment vertreiben große Händler die Automobile der OEM und rüsten sie mit länderspezifischem Zubehör aus, etwa den Bildschirmen von Funtoro. Als nächste Kompetenzstufe sieht man den Schritt in die Automobil-Erstausrüstung an, den man mit einer Infotainmentlösung an Denso für ein Toyota-Modell inzwischen geschafft habe, so Funtoro.
Im gleichen Segment, aber schon seit 1998 und mit ungleich höheren Stückzahlen, ist E-Lead aktiv. Das börsennotierte Unternehmen entwickelt und verkauft komplette Touchscreen-Headunits an Hersteller wie Ford, GM, Honda, Mitsubishi, Toyota und Volkswagen, vor allem für deren asiatische und nordamerikanische Modelle. 95 Prozent des Unternehmensumsatzes wird mit OEM-Kunden generiert, davon etwas mehr als die Hälfte mit Kunden in Asien.
Die Zeit des bloßen Kopierens ist vorbei. Zur starken Stellung der taiwanesischen Zulieferer im Beleuchtungsmarkt tragen unter anderem TYC Brother und Eagleeyes bei. TYC Brother liefert Beleuchtungslösungen für Straßen, Gebäude, und ist ein bedeutender Lieferant für Aftermarket-Scheinwerfer. Mehr als drei Viertel der produzierten Automotive-Scheinwerfer gehen in die Nachrüstung von Pkw, Lkw, Zweirädern und Traktoren. Allerdings verzeichnet man einen wachsenden Anteil von OEM-Serienkunden (bisher für Zweiräder, Lkw, Traktoren, aber auch Pkw von Ford, GM, Suzuki und VW).
Eher auf hochwertige Scheinwerfer für das Cartuning hat sich der Wettbewerber Eagleeyes spezialisiert. Seine Produkte zeichnen sich durch eine schnelle Entwicklung, geringe und stark schwankende Stückzahlen (pro Spritzgießmaschine bis zu vier Werkzeugwechsel täglich) sowie eine große Variantenvielfalt aus, von der kostengünstigen Basisvariante bis zur besonders in Nordamerika und Südostasien beliebten „Performance-Version“ mit LED-Leuchtmitteln. Selbst für OEM-Aufträge sieht sich Eagleeyes gerüstet, allerdings müsse man dafür noch die erforderlichen „Connections“ zu den Automobilherstellern aufbauen – eine Aufgabe, vor der wohl noch viele taiwanesische Zulieferer stehen.

Wirtschaft und Beziehungen

Taiwan ist eine hoch entwickelte, stark exportabhängige Marktwirtschaft. Mit 23 Mio. Einwohnern und einem BIP von 528 Mrd. Dollar zählt Taiwan zu den 30 größten Volkswirtschaften und den 15 wichtigsten Handelsnationen der Welt. Taiwan ist ein verlässlicher Handelspartner, mit sehr gut ausgebildeten, dynamischen Fachkräften, einer guten Verkehrs-, Kommunikations- und IT-Infrastruktur, Rechtssicherheit, investitions- und innovationsfreundlichen Rahmenbedingungen, hoher Lebensqualität, einem zwar kleinen Binnenmarkt aber mit hoher Nachfrage nach Markenprodukten, einer idealen geografischen Lage in der Asien-Pazifik-Region und vor allem mit guten Verbindungen zur nahen VR China.
Taiwan ist nach Hongkong Deutschlands fünftwichtigster Handelspartner in Asien (weltweit Nr. 33), umgekehrt ist Deutschland für Taiwan der bedeutendste Handelspartner in der EU. In fast allen Branchen sind deutsche Unternehmen in Taiwan oft schon seit vielen Jahren aktiv, und nicht selten haben diese Geschäftsbeziehungen direkten Bezug zu China, wo Taiwan einer der wichtigsten Auslandsinvestoren ist. Die bilateralen Beziehungen sind gut und intensiv: Es gibt ca. 1500 taiwanische Studierende in Deutschland, ca. 250 deutsche Unternehmen und ca. 1600 Deutsche in Taiwan.
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