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Der letzte Schliff

Lieferantenentwicklung
Der letzte Schliff

Der letzte Schliff
Bis zum Break-even-Point – also dem Zeitpunkt, zu dem ein Lieferant „Gewinn“ bringt – können gerade bei Lieferanten aus Niedriglohnländern gut zwei Jahre ins Land gehen
Lieferanten sind „hochwertige“ Partner, meint unser Autor Horst Hartmann. Manche bedürfen jedoch eines Schliffs – wie ein Diamant. Nichts anderes tut der Einkauf, wenn er seine Lieferanten zielgerichtet entwickelt, um das zukünftige Potenzial zu sichern.

Prof. Dr. Horst Hartmann

Die eindeutige Umstrukturierung des Wertschöpfungsprozesses, der durch einen vermehrten Zukauf externer Wertschöpfung und eine Konzentration auf leistungsfähige Lieferanten gekennzeichnet ist, setzt ein gezieltes „Managen der Lieferantenbeziehungen“ im Sinne von Supplier Relationship Management voraus. Die angloamerikanische Formulierung macht deutlich, dass nicht die Lieferanten, sondern die Kunden-Lieferantenbeziehungen zu „managen“ sind. Problembewusstsein auf beiden Seiten ist zwangsläufig die Folge, da die Beziehungen durch Fehlverhalten eines jeden Partners belastet werden können, unabhängig davon, ob dieser auf der Kunden- oder Lieferanten-Seite positioniert ist.
Im Rahmen eines professionell verfolgten Lieferantenbeziehungsmanagements baut die Lieferantenentwicklung auf den Ergebnissen der Lieferantenbewertung auf. Die Lieferantenentwicklung dient dabei der Absicherung des Lieferantenpotenzials der Zukunft.
Obwohl negative Auswirkungen einer Lieferantenentwicklung nicht auszuschließen sind, da der Lieferant möglicherweise auch aus Sicht der Konkurrenz interessanter wird, so überwiegen offenbar in der Praxis doch die positiven Aspekte.
Oberstes Ziel ist es demnach, die Wertschöpfungskette gesamthaft zu optimieren, um kosteneffektive kundenorientierte Lösungen zu realisieren. Gleichzeitig wird durch gezielte Vorgehensweise eine Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit erreicht, da Schwächen in der Zusammenarbeit identifiziert und minimiert sowie Stärken der Lieferanten erkannt und genutzt werden können.
Es ist nicht von der Hand zu weisen, dass das Strategiekonzept „Lieferantenentwicklung“ zu einer radikalen Veränderung der Geschäftsbeziehungen führt und nur im Rahmen einer von beiden Geschäftspartnern gelebten kooperativen Unternehmenskultur umzusetzen ist. Darüber hinaus ist sicherzustellen, dass die Lieferantenentwicklung so erfolgt:
  • zielgerichtet,
  • strategisch orientiert und
  • mittels einer konkreten Maßnahmenplanung
Allerdings können „Pro- oder Contra-Entscheidungen“ nicht ausschließlich auf der Basis der Bewertungsergebnisse getroffen werden, auch wenn ein leistungsfähiges Lieferantenbewertungssystem grundsätzlich als Voraussetzung für eine zielorientierte Lieferantenentwicklung anzusehen ist! Gleichwohl sind darüber hinaus das Einkaufsvolumen und vor allem auch die strategische Bedeutung eines Lieferanten zu berücksichtigen. Dabei sollte die Erfassung und Bewertung der strategischen Anforderungen auf der Basis eines durchgängigen Kriteriensets erfolgen. Dieser kann beispielsweise wie folgt strukturiert sein:
Unternehmen:
  • Wachstumspotenzial
  • Innovationsstrategie
  • Investitionsplan
  • Kommunikationsprozesse
Wettbewerbsfähigkeit:
  • Preis-/Kostenstruktur
  • Kostenoptimierungsprogramme
  • Mitarbeiterpotenzial
  • Finanzkraft
Know-how:
  • Technologieführerschaft
  • Qualitätsfähigkeit
  • Fertigungstechnologie/Prozessoptimierung
  • Umweltschutz
Machtverhältnisse:
  • Marktform-/position
  • Umsatzanteil (Goliath-David-Situation)
  • Freiheitsgrad (Lizenzen, Patente)
  • Kooperationsbereitschaft (Unternehmenskultur)
Um die lieferantenspezifische Einschätzung des jeweiligen Erfüllungsgrades zu erleichtern und zugleich transparent und damit vergleichbar zu machen, sollten die Kriterien mit Bewertungshilfen und Messskalen versehen werden.
Die Auswertung und Visualisierung der Ergebnisse aus der Lieferantenbewertung (LB) und der Bewertung der strategischen Anforderungskriterien kann in der Darstellung einer Vier-Felder-Matrix erfolgen. Dabei ergeben sich folgende Kombinationen:
I. Hoher LB – Erfüllungsgrad
Hohe strategische Bedeutung
II. Hoher LB – Erfüllungsgrad
Geringe strategische Bedeutung
III. Niedriger LB – Erfüllungsgrad
Hohe strategische Bedeutung
IV. Niedriger LB – Erfüllungsgrad
Geringe strategische Bedeutung
Aus dieser grob strukturierten Klassifizierung kann jeweils der Dringlichkeitsgrad einer Lieferantenentwicklung abgeleitet werden. Dieser ist vor allem für die im Quadranten III positionierten Lieferanten gegeben. Als „unkritisch“ sind in erster Linie Lieferanten zu betrachten, die sich aufgrund der Bewertungsergebnisse im Quadranten I oder II wiederfinden. Es ist allerdings auch denkbar, dass sich Lieferanten, die im Quadranten II platziert sind, für konkrete Maßnahmen zur Weiterentwicklung anbieten. Typisch dafür ist die Entwicklung eines Teilelieferanten zum Systemlieferanten.
Sofern es die unternehmensspezifischen und situationsbedingten Rahmenbedingungen (z. B. Wettbewerbssituation) zulassen, sind Lieferanten, die dem Quadranten IV zugeordnet werden mussten, grundsätzlich mit restriktiven Maßnahmen (z. B. Quotenreduzierung oder Aussonderung) zu belegen. Es bleibt dahingestellt, ob und inwieweit die davon betroffenen Lieferanten bestrebt sind, ihre Position durch Eigenoptimierung (s. u.) zu verbessern, um den Umsatzanteil aufzustocken oder sich erneut zu qualifizieren.
Während die Lieferzuverlässigkeit eines Lieferanten in der Einkaufspraxis regelmäßig und umfassend mit jeder Warenvereinnahmung erfolgen kann, sollte die Bewertung der strategischen Anforderungskriterien (SAK) in zeitlichen Abständen (z. B. jährlich) erfolgen und sich im Wesentlichen auf die umsatzstärksten Lieferanten beschränken. Das sind im Sinne der ABC-Analyse in erster Linie die A-Lieferanten und – sofern lieferantenpolitisch begründet – auch die „Super-B-Lieferanten“.
Sinnvollerweise sind die Ergebnisse in einem Kalkulationsprogramm (z. B. Excel) festzuhalten. Ob und inwieweit eine Gewichtung der Ergebnisse (aus LB und SAK) oder eine Durchschnittsberechnung mit anschließender Kategorisierung erfolgen soll, ist im Einzelfall abzuklären und festzuschreiben.
Als besonders interessant für Entwicklungsmaßnahmen haben sich in der Praxis vor allem Lieferanten erwiesen, die sich durch spezifische technologische Leistungsfähigkeit auszeichnen, so dass es sich lohnt, Defizite in anderen Bereichen zu beseitigen. Voraussetzung dafür ist aber die Bereitschaft des Lieferanten, diesen Entwicklungs- und Qualifizierungsprozess mitzutragen und sich gegenüber dem Abnehmer (Kunden) zu öffnen, das heißt innerbetriebliche Prozesse und Strukturen transparent zu machen.
Allerdings müssen Defizite, die ein Kunde erkennt, aus der Sicht des Lieferanten nicht zwangsläufig für alle Kunden von Bedeutung sein. Der Einkauf muss sich daher darauf einstellen, dass die strategische Bedeutung des eigenen Unternehmens den Entscheidungsprozess des Lieferanten wesentlich beeinflussen kann.
In diesem Zusammenhang ist als nüchterner Tatbestand anzumerken, dass ein Lieferant immer nur so gut sein kann wie die Anforderungen, die der Abnehmer (Kunde) an ihn stellt. Es ist daher Aufgabe des modernen Einkaufs und eines modernen Lieferantenmanagements, diese klar zu formulieren und den Lieferanten auf seinem Weg zur Erreichung dieser Vorgaben zu unterstützen. Die Gestaltung der Lieferantenbeziehung muss dabei von einer Lieferantenpolitik ausgehen, die den Lieferanten als hochwertigen Marktpartner akzeptiert und damit die Grundlage für eine effiziente Zusammenarbeit liefert.
Vor diesem Hintergrund sollten je Materialgruppe – ausgehend von einer detaillierten Stärke-Schwächen-Analyse der in Betracht zu ziehenden Lieferanten – Maßnahmen konkretisiert werden. Dazu bedarf es nicht unbedingt eines formalen Vertrages mit entsprechenden Rechtsfolgen. Zielvereinbarungen, an denen sich beide Seiten orientieren, sind jedoch in jedem Fall zu treffen und im Controlling (Lieferantencontrolling) zu erfassen. Darüber hinaus ist zu beachten, dass
  • Maßnahmen immer personifiziert, terminiert und quantifiziert sind und
  • alle erforderlichen Schritte zur Maßnahmenrealisierung festzulegen sind.
Um eine erfolgreiche Umsetzung der in Eigenleistung des Lieferanten oder mit Unterstützung des Kunden zu erbringenden Maßnahmen zu erreichen , sollten folgende Punkte als so genannte „Treibergrößen“ beachtet werden:
  • klare Zielvereinbarungen
  • schnelle Vorschlagsbearbeitung
  • einfache Logik
  • klar definierte Entscheidungswege
  • schnelle und konsequente Umsetzung
  • Anreize für den Lieferanten
  • Anreize für das eigene Unternehmen
Als besonders attraktive Anreize für den Lieferanten kommen unter anderem der Abschluss längerfristiger Verträge sowie eine Aufstockung der Quoten in Frage.
Der von beiden Geschäftspartnern zu unterzeichnende Entwicklungsplan sollte nicht nur alle Maßnahmen der Eigenoptimierung und/oder der aktiven Unterstützung durch den Abnehmer (Kunden) im Detail erfassen, sondern auch den damit beiderseitig verbundenen Aufwand in einer groben Schätzung festhalten. Letztendlich sollte im Rahmen eines zielführenden strategischen Lieferantencontrollings die angestrebte Verbesserung durch einen vereinbarten Soll-LB-Indikator (z. B. 84 Punkte statt 72 in der Ausgangssituation) untermauert werden.
Die Erschließung neuer Bezugsquellen in Osteuropa und in Asien führt in der Regel nicht dazu, dass unmittelbar nach Lieferstellung beim Kunden „das Geld in der Kasse klingelt“. Die auf der Basis des Ab-Werk-Preises ermittelte Brutto-Einsparungsquote in Höhe von möglicherweise 30 Prozent im Vergleich zu einem inländischen Anbieter steht zunächst nur auf dem Papier. Es sind im Sinne des Total Cost of Ownership-Prinzips nicht nur die erhöhten Bezugskosten zu berücksichtigen, sondern vor allem auch die indirekten Kosten der Lieferantenentwicklung. Diese können je nach Standort und Entwicklungsstand des Lieferanten erheblich ins Gewicht fallen und durch Aufwendungen zur Verbesserung der
  • Qualitätssicherung,
  • Prozesssicherheit,
  • Logistik und
  • Infrastruktur im IT-Bereich
verursacht worden sein.
Im Allgemeinen kann eine effektive und zielführende Weiterqualifizierung des in Betracht kommenden Lieferanten aufgrund mangelnden/fehlenden Know-hows nur mit Unterstützung des eigenen Unternehmens erreicht werden. Die Support-Maßnahmen können u. a. umfassen:
  • Beratung und Betreuung des Lieferanten vor Ort durch Mitarbeiter aus den verschiedensten Funktionen (z. B. aus der Qualitätssicherung, Produktion, EDV-Abteilung) des eigenen Unternehmens
  • Unterweisung der Mitarbeiter in „neue“ Fertigungstechniken und Prozesse am Standort des Lieferanten und/oder im eigenen Unternehmen
  • Schulungsmaßnahmen (Workshops) zur Vermittlung effektiver Verhaltensweisen (z. B. Kaizen-Philosophie)
  • wiederholte Überprüfung und Erfassung des Erreichten Ist-Zustandes durch Auditierungen im Team.
Die Praxis zeigt, dass vor allem in den asiatischen Niedriglohnländern die Entwicklung von einem „Billigproduzenten“ zu einem vergleichsweise leistungsfähigen Lieferanten Zeit und Kapazität braucht, zumal der „Schlendrian“ häufig und massiv zurückkehrt. Es ist daher nicht auszuschließen, dass erst nach einem Zeitraum von zwei Jahren der Break-even-Point erreicht wird (siehe Graphik), das heißt der bis zu diesem Zeitpunkt aufgelaufene Entwicklungsaufwand ist (mehr oder weniger) durch die zwischenzeitlich erzielten Einsparungen gedeckt.
Literatur:
  • Hartmann, Horst: Lieferantenmanagement – Gestaltungsfelder, Methoden, Instrumente, Gernsbach 2004
  • ders.: Wie kalkuliert Ihr Lieferant? – Tipps und Tools für Einkaufsverhandlungen, Gernsbach 2005
  • Hartmann / Orths / Pahl Lieferantenbewertung – aber wie?, 3. Auflage, Gernsbach 2004.

  • Professionelles Lieferantenmanagement

    Key Notes

    • Professionell verfolgtes Lieferantenbeziehungsmanagement ist ganzheitlich zu betrachten und entsprechend zu konzipieren.
    • Zielführende Lieferantenentwicklung basiert auf den Ergebnissen einer aussagefähigen Lieferantenbewertung.
    • Die Klassifizierung der Lieferanten nach ihrer strategischen Bedeutung und den Ergebnissen der Lieferantenbewertung führt zu einer differenzierteren Strategiebildung.
    • Die Maßnahmenplanung sollte kooperativ, detailliert, terminiert, zielbestimmend sowie unter Berücksichtigung der personellen, sachlichen und finanziellen Aufwendungen angelegt sein.
    • Die Realisierung der Maßnahmen kann entweder durch Eigenleistungen oder mit aktiver Unterstützung des Kunden erfolgen.
    • Die Entwicklung eines Lieferanten bis zur Stabilisierung des geforderten Leistungsniveaus und dem Erreichen des „Break-even-Points“ kann bis zu zwei Jahre in Anspruch nehmen.
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