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Der Lieferverzug nach neuem Recht (BGB) - Eine Übersicht.

Der Kaufvertrag ab 01. 01. 2001 (Folge 4)
Der Lieferverzug

Der Lieferverzug
Lierferverzug: Immer wieder kommt es zu verspäteten Lieferungen, die für den Einkauf stets sehr ärgerlich sind.
Ob es in der Wirtschaft boomt oder ob eine Flaute herrscht, immer wieder kommt es zu verspäteten Lieferungen, die für den Einkauf stets sehr ärgerlich sind. Dann muss der Einkäufer wissen, welche Rechte ihm beim Lieferverzug zustehen, einmal um den Schaden in Grenzen zu halten, zum anderen aber auch, um die Schadensersatzansprüche gegenüber dem säumigen Lieferanten in geeigneter Weise geltend machen zu können.

 

Im Mittelpunkt des allgemeinen Leistungsstörungsrechts steht jetzt der Begriff der Pflichtverletzung. Verletzt der Schuldner (Lieferant) eine Pflicht aus dem Schuldverhältnis, so kann der Gläubiger (Käufer) gemäß § 280 Abs.1 Satz 1 BGB Ersatz des hieraus entstehenden Schadens verlangen. Dies gilt nur dann nicht, wenn der Schuldner (Lieferant) die Pflichtverletzung nicht zu vertreten bzw. nicht verschuldet hat.
Die Pflichtverletzung im Sinne von § 280 Abs. 1 Satz 1 BGB besteht beim Lieferverzug darin, dass die geschuldete Leistung nicht pünktlich erbracht wurde. Das Verschulden des Lieferanten bzw. die schuldhafte Verletzung der verkehrsüblichen Sorgfalt (Fahrlässigkeit) liegt z.B. darin, dass die Ware nicht rechtzeitig produziert oder ausgeliefert wurde.
Das Gesetz stellt aber neben der Pflichtverletzung noch weitere Bedingungen auf, weil nicht jede Verzögerung der Lieferung/Leistung es rechtfertigt, den Schuldner für den daraus entstehenden Schaden haften zu lassen. Deshalb bestimmt § 280 Abs. 2 BGB, dass der Verzögerungsschaden nach § 280 Abs. 1 BGB nur dann zu ersetzen ist, wenn die zusätzlichen Voraussetzungen des § 286 BGB über den Schuldnerverzug gegeben sind. In § 280 Abs. 2 heißt es:
–„Schadensersatz wegen Verzögerung der Leistung kann der Gläubiger nur unter der zusätzlichen Voraussetzung des § 286 verlangen.“
Der Lieferverzug ist also keine besondere und eigenständig geregelte Form der Leistungsstörung mehr. Er bildet neben der Pflichtverletzung nur ein zusätzliches Erfordernis für den Anspruch des Gläubigers auf Ersatz des Verzögerungsschadens.

Verzugsvoraussetzungen

Die zusätzlichen Verzugsvoraussetzungen
In § 286 BGB werden die zusätzlichen Voraussetzungen für den Verzug genannt. Er lautet wie folgt:
(1) Leistet der Schuldner auf eine Mahnung des Gläubigers nicht, die nach dem Eintritt der Fälligkeit erfolgt, so kommt er durch die Mahnung in Verzug. Der Mahnung stehen die Erhebung der Klage auf die Leistung sowie die Zustellung eines Mahnbescheids im Mahnverfahren gleich.
(2) Der Mahnung bedarf es nicht, wenn
  1. für die Leistung eine Zeit nach dem Kalender bestimmt ist,
  2. der Leistung ein Ereignis vorauszugehen hat und eine angemessene Zeit für die Leistung in der Weise bestimmt ist, dass sie sich von dem Ereignis an nach dem Kalender berechnen lässt,
  3. der Schuldner die Leistung ernsthaft und endgültig verweigert,
  4. aus besonderen Gründen unter Abwägung der beiderseitigen Interessen der sofortige Eintritt des Verzugs gerechtfertigt ist.
(3) Der Schuldner kommt spätestens in Verzug, wenn er nicht innerhalb von 30 Tagen nach Fälligkeit und Zugang einer Rechnung oder gleichwertigen Zahlungsaufstellung leistet; dies gilt gegenüber einem Schuldner, der Verbraucher ist, nur, wenn auf diese Folgen in der Rechnung oder Zahlungsaufstellung besonders hingewiesen worden ist.
Wenn der Zeitpunkt des Zugangs der Rechnung oder Zahlungsaufstellung unsicher ist, kommt der Schuldner, der nicht Verbraucher ist, spätestens 30 Tage nach Fälligkeit und Empfang der Gegenleistung in Verzug.
(4) Der Schuldner kommt nicht in Verzug, solange die Leistung infolge eines Umstandes unterbleibt, den er nicht zu vertreten hat.
Kalendermäßig bestimmte oder bere-chenbare Fristen ersetzen die Mahnung
Befremdlich ist, dass in § 286 Abs. 1 BGB wieder die Mahnung so deutlich in den Vordergrund gestellt wurde, obwohl sie in der Praxis kaum noch von Bedeutung ist. Die an der Gesetzgebung beteiligten Juristen scheinen dies aber noch nicht entdeckt zu haben.
Die Mahnung kann wie bisher auch durch die Erhebung einer Klage auf die Leistung oder durch die Zustellung eines Mahnbescheids im Mahnverfahren ersetzt werden.
Für die Praxis sehr viel bedeutsamer sind die nachfolgenden Bestimmungen in § 286 Abs. 2 Nr. 1 und 2 BGB.
  • Einer Mahnung bedarf es nicht, wenn für die Leistung eine Zeit nach dem Kalender bestimmt ist. § 286 Abs. 2 Nr. 1 BGB stellt nur eine Umformulierung des bisherigen § 284 Abs. 2 Satz 1 BGB ohne sachliche Änderung dar.
Den kalendermäßig bestimmten Fristen kommt in der industriellen Praxis eine enorme Bedeutung zu. Kalendermäßig bestimmte Fristen liegen immer dann vor, wenn man am Tag des Vertragsabschlusses allein mit Hilfe eines Terminkalenders den Lieferzeitpunkt bestimmen bzw. feststellen kann.
Beispiele: Lieferung am 10. Mai 2004 oder in der 10. KW 2004.
  • Neu ist, dass jetzt auch kalendermäßig nur berechenbare Fristen eine Mahnung ersetzen können (§ 286 Abs. 2 Nr. 2 BGB). In diesen Fällen kann man bei Vertragsabschluss noch nicht den Liefertag mit Hilfe allein des Terminkalenders feststellen. Es werden aber „Ereignisse“ vereinbart, die immer nach Vertragsabschluss liegen und von denen ab dann die Lieferzeit berechnet werden kann.
Beispiel: Vereinbart wurde „Abnahme der Anlage 18 Monate nach Übergabe der gesamten technischen Dokumentation“. Diese Dokumentation liegt jetzt bei Vertragsabschluss noch nicht vor. Wird sie später übergeben (Übergabetag = Ereignis), dann kann von diesem Ereignis an (+ 18 Monate) der Abnahmetag berechnet werden.
Beispiel: „Bauabnahme 14 Monate nach Erteilung der Baugenehmigung.“ Bei Vertragsabschluss liegt die Bauabnahme noch nicht vor. Sie wird aber zu einem späteren Zeitpunkt erteilt (Ereignis). Von diesem Zeitpunkt an kann jetzt der Abnahmetag berechnet werden.
Die mit dem Ereignis beginnende Frist muss eine bestimmte, angemessene Länge aufweisen. Sie darf nicht auf Null schrumpfen, wie z.B. bei den Klauseln „Lieferung sofort nach Abruf“, „umgehend“, „schnellstens“ usw. Dem Schuldner soll so eine Schonfrist eingeräumt werden, die allerdings nicht der Dauer nach festgelegt ist.
Endgültige Leistungsverweigerung
Einer Mahnung bedarf es nach § 286 Abs. 2 Nr. 3 auch dann nicht, wenn der Schuldner die Leistung ernsthaft und endgültig verweigert. Ein notorisch leistungsunfähiger Schuldner kann damit ohne jede Mahnung in Verzug geraten. Der Gläubiger trägt allerdings hier das Beurteilungsrisiko; d.h. er muss gegebenenfalls den Nachweis erbringen, dass sich der Schuldner ernsthaft und endgültig verweigert hat. In allen Zweifelsfällen wird man daher den Rat geben, vorsichtshalber zu mahnen.
Verzug nur bei Verschulden
 Im neuen § 286 Abs. 4 BGB wird auf die Verantwortlichkeit des Schuldners für eine rechtzeitige Lieferung besonders hingewiesen. Beruft sich der Lieferant darauf, dass ihn eine solche Verantwortlichkeit nicht trifft, dann trägt er hierfür wie bisher die sogenannte Behauptungs- und Beweislast.
Der praktisch einzige Rechtfertigungsgrund, der hier in Frage kommt, ist höhere Gewalt. Höhere Gewalt ist
  • ein bei Vertragsabschluss nicht vorhersehbares,
  • nicht vermeidbares,
  • von außen kommendes,
  • außergewöhnliches bzw. schwerwiegendes Ereignis.
Beispiele für höhere Gewalt sind: Hochwasser, Niedrigwasser, Springflut, Orkan, Erdbeben, Steinschlag, Erdrutsch, Lawinen, Feuer durch Blitz, Smogalarm, Nebel, Glatteis, Schneekatastrophe, kriegerische Ereignisse usw.
Nicht jedoch Streik, weil nach der Rechtsprechung ein Streik vermeidbar ist.
Zum Verzugsschaden
Grundlage für den Verzugs- oder Verzögerungsschaden ist § 280 BGB. Um diesen Schadensersatz geltend machen zu können, müssen die zusätzlichen Voraussetzungen des Verzugs gemäß § 286 BGB vorliegen (u.U. Mahnung, Verschulden).
  • War eine Mahnung erforderlich, dann tritt Verzug erst mit Zugang der Mahnung ein. Von diesem Zeitpunkt kann dann der Verzugs- bzw. Verzögerungsschaden geltend gemacht werden. Entsprechende Zeitpunkte sind die Erhebung einer Leistungsklage sowie die Zustellung eines Mahnbescheids im Mahnverfahren (§ 286 Abs. 1 BGB).
  • War für die Leistung eine Zeit nach dem Kalender bestimmt, dann ist eine Mahnung nicht erforderlich. Dann tritt grundsätzlich in dem Augenblick, in dem der Liefertermin überschritten wird, Verzug ein (Ausnahme: höhere Gewalt). Dann kann also Schadensersatz für die Zeit unmittelbar nach Terminüberschreitung verlangt werden. Beispiele: „Lieferung am 6. Mai 2002“: Wird an diesem Tag nicht geliefert, tritt grundsätzlich mit Beginn des 7. Mai 2002 Lieferverzug ein: Der Schadensersatzanspruch beginnt zu laufen. „Lieferung in der 19. KW 2002“: Wird innerhalb der 19. KW 2002 nicht geliefert, kommt der Lieferant grundsätzlich mit Beginn der 20. KW 2002 in Verzug.
  • Einer Mahnung bedarf es auch dann nicht, wenn die Leistung kalendermäßig nur berechenbar ist (§ 286 Abs. 2 Nr. 2 BGB).
In diesen Fällen kann die Lieferzeit erst nach Eintritt eines bestimmten Ereignisses (Erteilung der Baugenehmigung, Überreichung von Dokumenten usw.) berechnet werden.
Wird dieser sodann berechnete Lieferzeitpunkt überschritten, tritt grundsätzlich Lieferverzug ein. Von dieser Zeit an kann dann der Schadensersatzanspruch bis zur (verspäteten) Lieferung berechnet werden.
Es müssen alle unmittelbaren und mittelbaren Schäden ersetzt werden, die durch die verspätete Lieferung beim Käufer/Auftraggeber entstanden sind. Mit anderen Worten: Es müssen alle Schäden ersetzt werden, die nicht entstanden wären, wenn die Lieferung rechtzeitig erbracht worden wäre.
Schadensersatz statt der Leistung
Schadensersatz statt der Leistung kann bei Verzug (§ 280 Abs. 3 BGB) nur verlangt werden, wenn eine dem säumigen Lieferanten gesetzte angemessene Nachfrist erfolglos abgelaufen ist (§ 281 Abs.1 Satz 1 BGB). In § 281 Abs. 1 BGB ist also der Übergang vom ursprünglichen Anspruch auf die Lieferung zu einem diese Leistung ersetzenden Schadensersatzanspruch geregelt.
Für den Gläubiger (Käufer, Auftraggeber) hat eine solche Anspruchsänderung einen großen Vorteil, weil ein auf Geld gerichteter Schadensersatzanspruch regelmäßig leichter zu vollstrecken ist. Andererseits wird der Schuldner (Lieferant) hierdurch schwer belastet, denn seine Bemühungen zur Herstellung und Beschaffung der Ware und zur Nacherfüllung erweisen sich jetzt als vergebens.
In diesen Schadensersatzanspruch statt der Leistung können alle Schäden einbezogen werden, die dadurch entstanden sind, dass der Vertragspartner nunmehr endgültig nicht geliefert hat. Hierzu gehören auch alle Kosten, die anlässlich eines Deckungskaufs anfallen. Wird ein Deckungskauf bei einem Dritten getätigt und ist der Preis höher als ursprünglich, dann ist der Differenzschaden ebenfalls ein Teil des Schadensersatzanspruchs.
Der Schadensersatz statt der Leistung und der Verzugsschaden können nebeneinander geltend gemacht werden. Die beiden Schadensersatzansprüche schließen sich also gegenseitig nicht aus.
Mit der Fristsetzung gemäß § 281 Abs. 1 Satz 1 ist immer auch eine Mahnung im Sinne des § 286 Abs. 1 BGB verbunden. So kann nie der Fall eintreten, dass der Lieferant zwar Schadensersatz statt der Leistung erbringen muss, sich aber noch gar nicht in Verzug befindet.
Die Nachfrist muss vom Auftraggeber so bemessen werden, dass der Schuldner die Leistung in dieser Zeit tatsächlich auch erbringen bzw. vollenden kann. Sie muss nicht so lang sein, dass der Schuldner die Herstellung oder Bearbeitung der Ware nach Fristsetzung erst beginnen und vollenden kann.
Erweist sich die vom Gläubiger (Käufer) gesetzte Frist als unangemessen kurz, so ist sie deshalb nicht völlig unwirksam. Vielmehr setzt sie jetzt eine angemessene Frist in Gang. Innerhalb dieser Frist kann dann der säumige Lieferant erfüllen. Schließt der Gläubiger (Käufer) vorher einen Deckungskauf ab, ist er zur Abnahme beider Lieferungen verpflichtet.
Im Gegensatz zur bisherigen Rechtslage muss die angemessene Frist nicht mehr mit einer Ablehnungsandrohung verbunden werden. Auch nach Fristsetzung hat man daher die Wahl zwischen dem Anspruch auf Lieferung einerseits und dem Schadensersatzanspruch statt der Leistung andererseits.
Deshalb muss sich der Schuldner auch nach Fristsetzung immer noch lieferbereit halten. Hat der Gläubiger (Käufer) allerdings Schadensersatz verlangt, ist der Erfüllungsanspruch untergegangen. Es kommt nicht darauf an, ob der Gläubiger tatsächlich Schadensersatz erhält. Entscheidend ist allein, dass er sich für den Schadensersatzanspruch und gegen den Erfüllungsanspruch entschieden hat.
Fazit
Der Lieferverzug hat zwar seine selbständige gesetzliche Regelung verloren, gleichwohl halten sich die Auswirkungen auf die Praxis eher in Grenzen. Aus Einkäufersicht sind die tatsächlichen Änderungen insgesamt begrüßenswert. Die schon vorher recht gute Rechtsposition des Einkaufs hat sich also im Verzugsfall durch die Modernisierung des Schuldrechts noch weiter verbessert.

Der Autor:

RA Prof. Dr. Karlheinz Schmid

 

 

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