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Der Mensch im Internet der Dinge

Industrie 4.0
Der Mensch im Internet der Dinge

Die vierte industrielle Revolution steht vor der Tür und der demografische Wandel ist längst eingetreten. Das Internet der Dinge hält Einzug in den Arbeitsalltag, die Aufgabe des Menschen in der Produktion wird sich einem Wandel unterziehen. Aber vertreiben lässt er sich nicht.

Die industrielle Produktion spielt in Deutschland seit dem 18. Jahrhundert eine bedeutende Rolle. Ihr Beitrag zur Wirtschaftsleistung ist heute in keiner anderen westlichen Industrienation stärker ausgeprägt als hierzulande. Aktuell wird unter dem Schlagwort „Industrie 4.0“ aber ein gravierender Umbruch der Industrie diskutiert.

Die sich rapide entwickelnde Informations- und Kommunikationstechnik führt zu immer schnelleren, leistungsstärkeren und über mehr Speicherplatz verfügenden Rechnern. Zudem schreitet die Vernetzung über digitale Netze wie das Internet stetig voran. Für die Verarbeitung und Weitergabe von Daten ergeben sich dadurch immer umfangreichere Möglichkeiten, Trends wie Big Data machen die Runde. Im privaten Bereich sind diese Technologien in Form von Smartphones, Smart Glasses, Sozialen Netzwerken oder vielfältigen Internetdiensten längst Teil des Alltags geworden. Aber auch für die Industrie wächst die Relevanz dieser Technologien.
Die Produktion der Zukunft. 2011 tauchte zum ersten Mal der Begriff „Industrie 4.0“ auf, der seither intensiv diskutiert und inzwischen allerdings zum Teil phrasenhaft eingesetzt wird. Immerhin beinhaltet er nichts anderes als die Vorhersage einer vierten industriellen Revolution. Die drei bisherigen Revolutionen – die Mechanisierung mithilfe von Dampf- und Wasserkraft, die arbeitsteilige Massenproduktion mithilfe von elektrischer Energie sowie die Automatisierung durch den Einsatz von Elektronik und IT – veränderten die Art und Weise, mit der Produkte hergestellt wurden, jeweils maßgeblich. Ob das auf die prophezeite vierte Revolution auch zutrifft, wird sich erst noch zeigen müssen. Die Potenziale, die hinter dem schwer zu greifenden Begriff stecken, sind allerdings beachtlich. Eine Studie des Fraunhofer Instituts in Zusammenarbeit mit Bitkom kommt zu dem Ergebnis, dass bis 2025 die deutsche Bruttowertschöpfung durch Industrie 4.0-Ansätze um 267 Milliarden Euro zunehmen wird, die deutsche Akademie der Technikwissenschaften acatech spricht von einer bis zu 30-prozentigen Produktivitätssteigerung. Die Bundesregierung hat angesichts dieser vielversprechenden Potenziale Fördermittel von 200 Millionen Euro für das Zukunftsprojekt Industrie 4.0 zur Verfügung gestellt.
Zentrales Element dieser vorhergesagten Revolution sind sogenannte Cyber-Physische Systeme (CPS). Darunter versteht man reale Objekte, die über eine Softwarekomponente verfügen und dadurch Daten speichern und auswerten können und über digitale Netze miteinander verbunden sind. Daneben können sie mit Sensoren und Aktoren ausgestattet sein und dadurch physikalische Daten erfassen bzw. auf physikalische Vorgänge einwirken. Beispiele für CPS sind Produkte, Maschinen, Behälter oder ganze Lagersysteme. Ein Produkt weiß dabei also jederzeit, wo es herkommt, wie sein aktueller Bearbeitungsstand ist und wo es weiterverarbeitet wird. Die Maschine wiederum weiß, mit welchen Parametern sie das Produkt zu bearbeiten hat. Durch die Repräsentation der physischen Objekte in einer virtuellen Form entsteht das sogenannte „Internet der Dinge“, in dem sämtliche CPS und damit sämtliche am Produktionsprozess beteiligten Akteure und Prozesse miteinander kommunizieren und sich gegenseitig abstimmen können. Es entsteht eine virtuelle Form des realen Produktionssystems, das in Echtzeit immer den aktuellen Stand des Gesamtsystems widerspiegelt. Man spricht von einem Cyber-Physischen Produktionssystem (CPPS). Für das Jahr 2020 werden nach Schätzungen ca. 50 Milliarden Geräte digital miteinander vernetzt sein, einen nicht unerheblichen Teil davon dürften bereits CPS darstellen.
Durch den flächendeckenden Einsatz von CPS kann ein hochflexibles und dynamisches Produktionsumfeld geschaffen werden, das aus intelligenten Objekten besteht, welche sich untereinander abstimmen und dabei selbst steuern. Als eine Konsequenz aus dieser Flexibilität kann z. B. die Berücksichtigung individueller Kundenwünsche in diesem Umfeld leicht eingebunden werden, indem jedem Produkt bereits zu Beginn, also direkt nach der Auftragserteilung durch den Kunden, seine ganz speziellen Konfigurationseigenschaften eingespeichert werden. Letztlich kann es sich dann selbstständig durch die Produktion steuern und wird am Ende des Herstellungsprozesses zu einem vom Kunden individuell zusammengestellten Endprodukt sowie organisiert die Auslieferung idealerweise gleich noch mit. Auf diese Weise kann die Produktion von Kleinstmengen bis hin zum Einzelstück rentabel realisiert werden.
In der Folge dieser Selbststeuerung werden Entscheidungen nicht mehr zentral vorgegeben, sondern es werden im Produktionsablauf viele kleine Einzelentscheidungen getroffen. Gibt es z. B. mehrere Maschinen, welche ein Produkt für den nächsten Bearbeitungsschritt ansteuern kann, muss dieses selbst entscheiden, welcher Maschine es sich nun zuordnet. Für diese Entscheidungsfindung kann es auf sämtliche aktuelle Daten aus dem Internet der Dinge zugreifen. Hieraus erwächst die Anforderung, dass jedes Teil-System – also jedes CPS – für sich selbst über Steuerungswerkzeuge und -regeln verfügen muss, anhand derer es die entsprechenden Entscheidungen treffen kann. Produktionsketten oder ganze Wertschöpfungsnetzwerke lassen sich dadurch jederzeit nach unterschiedlichen Kriterien optimieren, wie Kosten, Ressourcenverbrauch oder der Arbeitsbelastung. Diese Möglichkeit setzt aber auch voraus, dass bei einer Optimierung nach einer Zielgröße andere wichtige Faktoren nicht vernachlässigt werden. Daher müssen Methoden der Mehrzieloptimierung angewandt werden, um verschiedene Zielstellungen gegeneinander abzuwägen und sicherzustellen, dass bei der Produktionsoptimierung kein Faktor überbewertet oder vernachlässigt wird. Eine entscheidende Voraussetzung hierbei ist es, Modelle zu entwickeln, die die verschiedenen Zielgrößen miteinander in Einklang bringen, dabei aber keine zu großen Dimensionen annehmen, da sie durch die Echtzeitanforderung mit kurzen Rechenzeiten zu lösen sein müssen. Diese Steuerungswerkzeuge zu entwickeln und mit entsprechenden Routinen und Regeln zu versehen, stellt eine wichtige Aufgabe für die Realisierung des Zukunftsprojekts Industrie 4.0 dar.
Die konsequente Vernetzung von Objekten und Systemen führt zu einer erhöhten Automatisierung von Prozessen. Bei der sich selbst steuernden Produktion stellt sich dann allerdings die Frage nach der Aufgabe des Menschen in diesem Umfeld. Wenn sich Produkte selbst durch die komplette Produktion steuern, welche Rolle bleibt dann dem Menschen? Die menschenlose Produktion wird es aber wohl auf absehbare Zeit nicht geben. Eine Studie des Fraunhofer IAO zur industriellen Arbeit der Zukunft kommt zu dem Ergebnis, dass die Rolle des Menschen in der Produktion sich zwar ändern, aber keinesfalls wegfallen wird. So werden montagelastige Produktionsschritte, die bereits heute einen sehr hohen Anteil an manueller Tätigkeit umfassen (beispielsweise liegt die manuelle Tätigkeit in der Automobilmontage bei ca. 95 %), auch zukünftig nicht – oder nur zu einem geringen Teil – von Robotern und Maschinen übernommen werden können, da sie die Flexibilität erfordern, die nur ein Mensch mitbringt. Kollaborierende Roboter, die z. B. kraftunterstützend wirken, können den Mensch bei seiner Arbeit unterstützen, aber nicht ersetzen. Hinzu kommt, dass die menschlichen Sinne wie Sehen, Hören oder Erkennen denen von künstlichen Sensoren auf absehbare Zeit in Sachen Flexibilität überlegen sind und der Mensch in kritischen Situationen als Entscheider gefragt bleibt. Ein Verzicht auf die menschliche Arbeit stellt daher auch in Zukunft keine ernsthafte Option dar.
Allerdings wird sich die Aufgabe des Menschen in der industriellen Produktion ändern. Dazu trägt neben den grundsätzlichen Änderungen der industriellen Arbeit auch der stattfindende demografische Wandel bei. Die Altersstruktur der Gesellschaft und damit auch der Belegschaft von Unternehmen ändert sich und führt zu einem Ansteigen des Durchschnittsalters. Für die Industrie erwächst daraus die Aufgabe, nach Lösungen zu suchen, wie Arbeit und Arbeitsbedingungen der Mitarbeiter in Zukunft gestaltet werden können.
Die Möglichkeiten, die mit Industrie 4.0 und CPS verbunden sind, bieten die Chance, solche zukunftsgerichteten Lösungen mit den Instrumenten von Morgen schon heute umzusetzen. Die oben erwähnte Herausforderung, Steuerungssysteme an die neuen, dezentralen Strukturen anzupassen, ermöglicht es beispielsweise, Aspekte wie die Arbeitsbelastung direkt in die flexible Produktionsoptimierung mit einzubeziehen. Verfahren zur Messung und Beurteilung von körperlicher Belastung können dabei dazu verwendet werden, die Zielgröße Arbeitsbelastung zu operationalisieren und messbar zu machen. Eingebettet in die Regelungswerkzeuge von CPPS muss gegen andere Faktoren wie Kosten oder Durchlaufzeit dann eine entsprechende Abwägung erfolgen. Hier bieten die Möglichkeiten von Industrie 4.0 also die Chance, Aspekte, die bisher eher manuell berücksichtigt wurden, in die operative Produktionsplanung unmittelbar und mit vorgegebenen Regeln mit einzubeziehen.
Noch ist Industrie 4.0 nur eine Vision, die in Grundzügen wie etwa ersten CPS aber bereits erste Vorboten in die Wirtschaft gesendet hat. Dennoch besteht die aktuelle Herausforderung, die Potenziale, die dahinter stecken, zu erkennen und zu gestalten. In einem zweiten Beitrag beleuchten wir daher die Möglichkeiten, ergonomische Aspekte der Arbeitsbelastung in die Produktionssteuerung einzubeziehen. Denn der Mensch wird auch im „Internet der Dinge“ weiterhin eine entscheidende Rolle in der Produktion spielen.
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