Startseite » Allgemein »

Der Nutzen eines langen Planungshorizontes

Zusammenarbeit Einkauf und Disposition
Der Nutzen eines langen Planungshorizontes

Autorin der Serie: Prof. Dr. Ruth Melzer-Ridinger, Berufsakademie Mannheim

Teil 8: Individuelle Bestimmung des Planungsaufwands und -verfahrens Zu den Leistungsmerkmalen der Produktionsplanung zählt die Fähigkeit, individuelle, den Merkmalen des Arbeitsplatzes und des zu disponierenden Artikels angepasste Planungsverfahren festzulegen (Vgl. Teil 2 der Serie).
Eine detaillierte Untersuchung und Festlegung der optimalen Stammdaten und Planungsgegnauigkeit wird angesichts der Zahl der zu disponierenden Arbeitsplätze und Identnummern nicht möglich sein. Andererseits haben die Ausführungen in den Teilen 2-7 deutlich gemacht, daß eine hohe Qualität der Planung nicht mit Einheits-Vorgehensweisen erreichbar ist.
Bereitstellung, Disposition, Reichweite und Genauigkeit der Planung…
Bei der Festlegung der Bereitstellungsart, der Dispositionsart und der Reichweite und Genauigkeit der Planung muß jeweils das optimale Verhältnis zwischen personellem Arbeitsaufwand und Qualität der Planung gesucht werden. Je besser die Planung, um so geringer können die Puffer in den Durchlaufzeiten, Beständen und Kapazitäten werden, ohne die Termineinhaltung zu gefährden. Andererseits besteht die Gefahr, daß der personelle Aufwand zur Erzielung einer hoher Planngsgenauigkeit größer wird, als die Kosten für etwaige Puffer.
Bei auftragsorientierter Bereitstellung einer Identnummer ist jedem Betriebsauftragsvorschlag eindeutig ein übergeordneter Kunden- oder Betriebsauftrag zuzuordnen, in der Grobplanung wird auf die Bildung von Losen verzichtet. Damit ist eine Losbildung nicht grundsätzlich ausgeschlossen; diese kann im Rahmen der Auftragsfreigabe oder mit der Maschinenbelegung noch entschieden werden. Allerdings kann die Auftragsfreigabe bzw. die Steuerung nur dann noch eine Losbildung vornehmen, wenn die Komponenten – obwohl aus der Sicht der Grobplanung noch nicht benötigt – bereits zur Verfügung stehen. Eine Verlagerung der Entscheidungskompetenz der Losbildung auf die Steuerung setzt also entsprechende Bestände oder Durchlaufzeiten bei den Komponenten voraus.
Für die Identnummer wird systemtechnisch keine Bestandsführung durchgeführt. Etwaige Bestände, die durch kurzfristige Stornierungen und geplanten, jedoch nicht entstandenen Ausschuß entstehen, sind dem System nicht bekannt und müssen parallel zur systemgestützten Bestandsführung gepflegt werden.
Der Vorteil auftragsorientierter Bereitstellung besteht in der Einsparung von Lagerraum und -kosten, der Nachteil in der vergleichsweise langen Lieferzeit gegenüber dem Kunden. Eine Losplanung im Rahmen der Auftragsfreigabe oder Steuerung statt im Rahmen der Materialdisposition hat den Vorteil, daß eine engpaß- und kapazitätsorientierte Losplanung erleichtert würde, weil aktuelle Informationen über dringliche Aufträge, verfügbares Material und verfügbare Kapazität vorliegen.
…möglichst individuell auf die arbeitsplatz- und artikelspezifischen Besonderheiten abstimmen!
Bei auftragsorientierter Produktion werden zufällige und saisonale Schwankungen des Marktbedarfs auf die Fertigung und eventuell den Beschaffungsmarkt übertragen. Dies hat zur Folge, daß vorhandene Kapazitäten ungleichmäßig ausgelastet werden und – wenn mit knappen Kapazitäten gearbeitet wird – in Zeiten hoher Nachfrage mit einer schlechten Termineinhaltung zu rechnen ist oder Überkapazitäten vorgehalten, die nur selten ausgelastet werden.
Bei lagerorientierter Bereitstellung wird die Produktion teilweise vom aktuellen Bedarf losgelöst, indem man bereits in der Materialdisposition, also in der Grobplanung bestimmt, in welchen Losen produziert bzw. bestellt wird. Diese Vorgehensweise hat den Vorteil, daß die Materialbereitstellung mengenmäßig und terminlich auf den übergeordneten Betriebsauftragsvorschlag abgestimmt werden kann. Die Beschaffung von fremdbezogenen Komponenten kann so einer einsatzsynchronen Anlieferung angenähert, auch die Lagerbestände vor den eigenen Werkstätten können minimiert werden.
Eine Belieferung des Kunden oder der nachfolgenden Fertigungsstufe aus einem Lagerbestand reduziert das Risiko der Lieferunfähigkeit erheblich, da die durch die Losproduktion enstandenen Ausgleichsbestände eine Sicherungsfunktion mit übernehmen. Ein weiterer Vorteil der lagerorientierten Bereitstellung ist die Fähigkeit, trotz langer Durchlaufzeiten eine kurze Lieferzeit gegenüber dem Kunden anbieten zu können. Insbesondere bei variantenreicher Fertigung und Produkten mit Lagerrisiko ist eine ausschließlich lagerorientierte Bereitstellung nicht realisierbar, da die entstehenden Lagerkosten nicht zu verkraften sind.
Wie genau, wie häufig und mit welcher Reichweite soll geplant werden?
Die meisten in der Praxis eingesetzten PPS-Systeme basieren auf dem MRPII-Konzept. Es geht davon aus, daß
–zunächst eine Grobplanung für einen langen Planungshorizont durchgeführt wird, die nach Ablauf eines Planintervalls rollierend überarbeitet wird und
–anschließend eine Feinplanung (Steuerung) für einen Planungshorizont durchgeführt wird, der ein Planintervall nicht überschreitet.
Die Bedeutung einer Grobplanung wird in der Praxis häufig unterschätzt. Sie soll
–grobe Kapazitätsungleichgewichte frühzeitig erkennen, um auch Belastungsanpassungsmaßnahmen in Erwägung ziehen zu können,
–planungsbedingte Bestände, Fehlmengen und Terminverzögerungen vermeiden, die durch zu spät erkannte Kapazitäts- und Materialengpässe verursacht werden.
Eine leistungsfähige Grobplanung beseitigt einen Teil der Probleme, die im operativen Tagesgeschäft den Disponenten erheblich belasten. Die Forderung nach verlängertem Planungshorizont wird meist mit dem Argument des Planungsaufwands abgewehrt.
Es soll deshalb hier der Frage nachgegangen werden,
lwelchen Planungshorizont benötigen wir?
lwie genau muß die Kapazitätsplanung sein?
Ein Planhorizont ist nicht zu verstehen als Vorausschau (ohne zu handeln) sondern als Zeitraum, der planerisch bearbeitet wird:
–Kapazitätsungleichgewichte werden erkannt, die Notwendigkeit von Anpassungsmaßnahmen geprüft, alternative Anpassungsmaßnahmen verglichen und frühzeitig eingeleitet,
–die systemgestützte Absatzprognose wird ergänzt um zukunftsbezogene Informationen und Plausibilitätsprüfungen,
–die systemgestützte Primärbedarfsplanung wird ergänzt um eine Prüfung der Vorteilhaftigkeit und Realisierbarkeit des Produktionsprogramms.
Der Nutzen eines langen Planungshorizonts besteht in der Vermeidung von Beständen und Fehlmengen wegen zu spät erkannter Kapazitäts- bzw. Materialengpässe, in einer höheren und gleichmäßigeren Kapazitätsauslastung und Informationen für den Vertrieb. Der Planhorizont sollte mindestens so lang sein wie die Summe der Durchlaufzeiten der Materialien, die programmorientiert disponiert werden sollen.
Das Risiko des Grobplaners ist erheblich. Es besteht die Gefahr, daß eine Ungleichgewichtssituation oder Engpaß nur vorübergehend geplant wird und in einem der nächsten Planungsläufe ohne Zutun des Disponenten ‘verschwindet’. Hat der Disponent dann in Erwartung eines Ungleichgewichts oder Engpasses eine bereits feste Disposition getroffen, entstehen Kosten als ‘Schaden’ der frühzeitigen Planung.
Die Kapazitätsgrobplanung zählt zu den Schlüsselaufgaben der Disposition. Werden Kapazitätsangebot und -nachfrage nur periodengenau gegenübergestellt, so daß die Verteilung innerhalb der Periode nicht deutlich wird, entsteht die Gefahr, daß auch bei Kapazitätsgleichgewicht der Periode kurzfristige Kapazitätsungleichgewichte innerhalb der Periode bestehen und nicht erkannt werden.
Der kumulierte Kapazitätsbedarf eines Monats sei 400, die verfügbare Kapazität ebenfalls 400 Stunden. In der periodengenauen Planung herrscht demnach Kapazitätsgleichgewicht. Es wird angenommen, daß sich der Kapazitätsbedarf und die verfügbare Kapazität wie folgt auf die Wochen verteilen:
Die kurzfristigen Kapazitätsungleichgewichte müssen von der Planung nicht erkannt und nicht bewältigt werden, wenn sie von der Steuerung durch eine Verschiebung der Aufträge ohne Verletzung der Endtermine aufgefangen werden können. Die Aufträge, die in der ersten Kalenderwoche eingelastet wurden, können in diesem Fall in die zweite und dritte Kalenderwoche verschoben werden, wenn ihre Plan-Durchlaufzeit dies zuläßt, d.h. ihr Endtermin nicht verletzt wird.
Soll das Kapazitätsungleichgewicht der 4. Woche durch Vorziehen von Betriebsaufträgen in die dritte Woche bewältigt werden, hätte diese Belastungsanpassung bereits durch die Planung veranlaßt werden müssen, damit die Komponenten früher als ursprünglich geplant bereitgestellt werden. Die Steuerung kann die Betriebsaufträge nur dann terminlich vorziehen, wenn die benötigten Komponenten bereits vor ihrem spätesten Endtermin bereitliegen. Je geringer die geplanten Liegezeiten der Betriebsaufträge sind, um so geringer ist die Wahrscheinlichkeit, daß Komponenten früher als zum Starttermin zur Verfügung stehen und um so geringer sind die Möglichkeiten, Betriebsaufträge ohne Verletzung des Endtermins in die Zukunft zu verschieben.
Kurzfristige, durch eine nur periodische Gegenüberstellung von verfügbarer und benötigter Kapazität, nicht erkennbare Kapazitätsungleichgewichte sind daher unproblematisch, solange die Steuerung Bedingungen vorfindet, die eine Bewältigung der Kapazitätsungleichgewichte in der Maschinen- und Auftragsreihenfolgeplanung zulassen. Solche Bedingungen liegen vor, wenn die Auslastung des Planintervalls nicht höher ist als 100% der Normalkapazität und wenn die Plan-Durchlaufzeiten entsprechende Puffer, d.h. Liegezeiten vorsieht, die eine Verschiebung von Aufträgen in die Zukunft ohne Verletzung des Endtermins zulassen.
Die zeitliche Planungsgenauigkeit der Kapazitätsterminierung muß sich daher der Plan-Durchlaufzeit anpassen. Je kürzer die Plan-Durchlaufzeit ist, um so geringer sind die Möglichkeiten der Steuerung, kurzfristige Kapazitätsengpässe durch die Verschiebung des Starttermins zu bewältigen und um so genauer muß die Kapazitätsplanung sein. n
Merkmale, Vor- und Nachteile auftragsorientierter Bereitstellung
lKeine Losbildung in der Materialdisposition – eventuell in der Auf- tragsfreigabe oder SteuerunglKeine systemgestützte BestandsführunglEinsparung von Lagerraum und -kostenlEngpaß und kapazitätsorientierte Losbildung durch aktuellere Informa- tionen erleichtertlEngpaß- und Störungsmanagement wird erleichtert, weil Auftragsket- ten bis zum Kundenauftrag verfolgt werden könnenlLänge der Lieferzeit gegenüber dem Kunden abhängig von der DurchlaufzeitlKapazitätspuffer erforderlich, um zugesagte Lieferzeiten auch bei hoher Nachfrage einhalten zu können
Merkmale, Vor- und Nachteile lagerorientierter Bereitstellung
lLosbildung in der MaterialdispositionlNahezu einsatzsynchrone Beschaffung und Produktion möglichlRisiko der Lieferunfähigkeit geringerlKurze Lieferzeiten gegenüber dem Kunden auch bei langen Liefer- zeiten möglichlHohe Lagerkosten
Elf Folgen
  • 1.Aufgaben der Disposition
  • 2.Leistungsmerkmale einer erfolgreichen Disposition
  • 3.Systemgestützte Disposition: konzeptionelle Gemeinsamkeiten der MRPII-Systeme
  • 4.Systemgestützte Disposition: Produktionsprogrammplanung
  • 5.Systemgestützte Disposition: Losbildung
  • 6.Systemgestützte Disposition: Kapazitätsplanung
  • 7.Systemgestützte Disposition: Bestellvorgänge
  • 8.Individuelle Bestimmung des Planungsaufwands und -verfahrens
  • 9.Parametrisierung des PPS-Systems und Stammdatenpolitik
  • 10.Der Disponent als Lieferant und Empfänger von Informationen
  • 11.Neugestaltung der Rolle und Aufgaben der Disposition im betrieblichen Planungs- und Entscheidungsprozeß
Aktuelles Heft
Titelbild Beschaffung aktuell 4
Ausgabe
4.2024
PRINT
ABO

Industrie.de Infoservice
Vielen Dank für Ihre Bestellung!
Sie erhalten in Kürze eine Bestätigung per E-Mail.
Von Ihnen ausgesucht:
Weitere Informationen gewünscht?
Einfach neue Dokumente auswählen
und zuletzt Adresse eingeben.
Wie funktioniert der Industrie.de Infoservice?
Zur Hilfeseite »
Ihre Adresse:














Die Konradin Verlag Robert Kohlhammer GmbH erhebt, verarbeitet und nutzt die Daten, die der Nutzer bei der Registrierung zum Industrie.de Infoservice freiwillig zur Verfügung stellt, zum Zwecke der Erfüllung dieses Nutzungsverhältnisses. Der Nutzer erhält damit Zugang zu den Dokumenten des Industrie.de Infoservice.
AGB
datenschutz-online@konradin.de