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Die vierte Dimension

Nachhaltigkeit im Einkauf
Die vierte Dimension

Nachhaltigkeit ist im Einkauf unverzichtbar. Verbraucher fragen kritisch nach Inhaltsstoffen und Produktionsbedingungen. Für den Einkauf des Chemieunternehmens Evonik sind Nachhaltigkeit im sozialen Umfeld und Umweltschutz grundlegende Ziele, die nicht vernachlässigt werden sollten.

Preis, Qualität und Verfügbarkeit – das waren lange Zeit die Auswahlkriterien im Einkauf. Heute ist das nicht mehr alles. Verbraucher achten immer stärker darauf, ob Unternehmen die Umwelt schützen, Sozialstandards einhalten und Ressourcen verantwortungsvoll einsetzen. Zusammengefasst unter dem Stichwort Nachhaltigkeit wird all das auch für den Einkauf von Evonik zur Pflicht: „Unsere Kunden verlangen den Nachweis, dass wir Rohstoffe, technische Güter und Dienstleistungen nachhaltig beschaffen“, sagt Gerrit Schneider. „Das gilt insbesondere für jene, die nah am Konsumenten sind, wie beispielsweise die Kosmetikindustrie.“ Schneider leitet bei Evonik ein Team, das sein Ziel im Namen trägt: „Nachhaltigkeit im Einkauf“. Lieferanten von Evonik müssen in einem sogenannten Self Assessment ausführlich Auskunft geben. Für jede Branche gibt es spezielle Fragebögen, bewertet wird nach einem Punktesystem. Die erreichte Punktzahl zeigt, ob ein Lieferant internationale Standards erfüllt und wie er im Vergleich mit anderen abschneidet. Darüber hinaus unterziehen sich einzelne Kandidaten einem Audit – also einer erweiterten Prüfung.

Standards für die Branche
Dabei werden die Bedingungen direkt vor Ort im Unternehmen begutachtet. Ingrid de Wilde gehört zum Projektteam und hat die Fragebögen federführend entwickelt. „Wir verstehen uns als Partner unserer Lieferanten“, sagt sie. „Evonik bietet Hilfestellung an, damit die Zulieferer die verlangten Standards verstehen und erfüllen können.“ Die Kriterien bauen auf der Responsible-Care-Initiative der chemischen Industrie auf, die die ständige Verbesserung von Gesundheitsschutz, Umweltschutz und Sicherheit in der Branche zum Ziel hat. Angelehnt sind sie an die Prinzipien des UN Global Compact – Initiative Together for Sustainability. Initiative Together for Sustainability (TfS) ist ein weltweites Abkommen zwischen Unternehmen und den Vereinten Nationen, das dazu beitragen soll, die Globalisierung sozialer und ökologischer zu gestalten. De Wilde war von Anfang an mit dabei, als es darum ging, die Standards nicht mehr nur auf Konzernebene einzufordern, sondern mit anderen namhaften Chemieunternehmen Europas an einem Strang zu ziehen. Denn praktisch alle führen mittlerweile entsprechende Befragungen bei ihren Lieferanten durch. Um den Aufwand zu reduzieren, haben sich Ende 2011 sechs von ihnen zusammengeschlossen: BASF, Bayer, Evonik, Henkel, Lanxess und Solvay riefen die Initiative „Together for Sustainability“ (TfS) ins Leben. Die Idee: Alle Mitglieder bewerten Lieferanten nach einem gemeinsamen Standard. Der potenzielle Geschäftspartner muss detailliert Auskunft geben, etwa über die Arbeitsbedingungen an seinen Standorten, über Sicherheitsvorkehrungen, Unfallzahlen und Maßnahmen zur Korruptionsbekämpfung. Auf die Befragungsergebnisse können – mit Zustimmung des Lieferanten und unter Berücksichtigung kartellrechtlicher Vorgaben – alle TfS-Mitglieder zugreifen. Inzwischen machen zwölf europäische Chemiekonzerne mit, erste Interessenten aus den USA gibt es bereits. Die Prüfung erfolgt durch eine unabhängige Agentur in Paris. Das Verfahren spart Zeit und Kosten – nicht nur für die TfS-Unternehmen. „Es gibt uns die Möglichkeit, mit einem einzigen Assessment eine Vielzahl von Kundenanfragen zu bedienen“, sagt Karsten Beckmann, Geschäftsführer Europa, Mittlerer Osten und Afrika beim Chemiedistributor Brenntag. „Darüber hinaus hilft es uns, unsere eigene Nachhaltigkeitsperformance klarer zu beurteilen und Verbesserungspotenziale zu identifizieren.“ Ähnlich positiv sahen das auch die Teilnehmer der ersten TfS-Konferenz im Oktober 2014 in Schanghai, die Evonik für die TfS-Initiative ausrichtete. Rund 350 Interessenten kamen: Lieferanten ebenso wie Vertreter lokaler und internationaler Verbände und Nichtregierungsorganisationen. Auch die TfS-Mitglieder waren stark vertreten. Thema der Tagung waren die spezifischen Anforderungen in der Chemieindustrie. „Den Austragungsort haben wir bewusst gewählt“, erklärt Schneider, der die Tagung federführend organisiert hat. „China ist für die chemische Industrie eine wichtige Region, deshalb wollen wir vor Ort mit den Firmen ins Gespräch kommen und sie für Nachhaltigkeit sensibilisieren.“ Bei Li Shousheng, stellvertretender Vorsitzender des Verbands der chinesischen Erdöl- und Chemieindustrie (CPCIF), kam das gut an. Seiner Meinung nach stärkt TfS die Wettbewerbsfähigkeit der Branche: „Für die chinesischen Unternehmen ist es wichtig, von den zukunftsweisenden Konzepten und guten Erfahrungen internationaler Firmen zu lernen.“
CO2-Fußabdruck verbessern
Die Standards, die Evonik seinen Lieferanten abverlangt, legt der Konzern auch an sich selbst an. „Auch wir haben uns einer entsprechenden Befragung unterzogen“, sagt Corinna Lied, die die Self Assessments und Audits im Evonik-Einkauf koordiniert. „Als Chemieproduzent, der in über hundert Ländern weltweit aktiv ist, mussten wir einen besonders umfangreichen Fragebogen ausfüllen. Wir haben hervorragend abgeschnitten.“
Wie viel Evonik tut, um in puncto nachhaltiger Beschaffung voranzukommen, weiß kaum jemand so gut wie Thomas Böhland. Er sorgt dafür, dass ausschließlich Rohstoffe eingekauft werden, die den europäischen Vorschriften für Chemikaliensicherheit (REACh) entsprechen. Für die Erstellung des Evonik Carbon Footprint dokumentiert er zudem den Anteil, den Rohstoffe an den gesamten CO2-Emissionen des Unternehmens haben; er liegt bei rund einem Drittel. Darüber hinaus beobachtet Böhland intensiv den Markt für nachwachsende Rohstoffe. Er versucht den CO2-Rucksack des Einkaufs künftig zu senken, indem fossile Rohstoffe zunehmend durch nachhaltigere ersetzt werden. Im Gespräch mit ihm lernt man schnell, dass „nachwachsend“ nicht automatisch „umweltfreundlich“ bedeutet. Pflanzen, die eigens angebaut werden, wie etwa Raps für Biodiesel, brauchen viel Ackerfläche. Die Äcker müssen bewirtschaftet werden, was wiederum CO2 verursacht. Zudem, sagt Böhland, bleibe die Frage „Tank oder Teller?“ umstritten: „Wollen wir essbare Pflanzen weiterhin in Kraftstoff umwandeln?“ Die Wissenschaft hat sich deshalb längst einer zweiten Generation nachwachsender Rohstoffe zugewandt, den sogenannten Ackerreststoffen. Jede Weltregion hat typische Reststoffe, die bislang ungenutzt auf den Äckern liegen bleiben. In Südostasien sind es leere Fruchtstände, etwa aus der Palmölgewinnung, in Südamerika die faserigen Überreste aus der Rohrzuckerproduktion, in Nordamerika Holz oder Maisstroh. „Da gibt es keinen zusätzlichen Landverbrauch, die Äcker werden nur effektiver genutzt“, so Böhland. Bei der Arbeit im Einkauf kommt dem Chemiker die enge Zusammenarbeit mit Creavis-Forschung und Corporate Innovation zugute.
In der konzerninternen Datenbank „Teamroom White Biotech“ informiert Böhland regelmäßig über neueste Entwicklungen auf dem Markt für nachwachsende Rohstoffe. Kürzlich hat er in Norditalien die weltweit erste Anlage zur Herstellung von Ethanol aus Weizenstroh besichtigt. „Betrieben wird sie von einer Firma, die Rohmaterial für Plastikflaschen herstellt“, erklärt er. „Sie arbeitet daran, diese Flaschen künftig aus nachwachsenden Rohstoffen zu produzieren.“ Der Fachmann weiß auch, dass Forscher bereits eine dritte Generation von Rohstoffen im Blick haben: In nicht allzu ferner Zukunft soll es möglich sein, Chemieprodukte aus Haushaltsabfällen herzustellen. Spätestens dann ist Nachhaltigkeit wirklich in der gesamten Produktkette angekommen. uh

„Globaler Standard“

Nachgefragt

Fragen an Rüdiger Eberhard, Leiter des globalen Einkaufs bei Evonik
Evonik will möglichst nachhaltig wirtschaften. Welche Rolle spielt der Einkauf dabei?
Rüdiger Eberhard: Nachhaltigkeit funktioniert nur als ganzheitlicher Ansatz. Deshalb müssen wir als Einkauf die Prozesse hin zu unseren Lieferanten und auch zu den Vorlieferanten mitbetrachten.
Was versprechen Sie sich von Together for Sustainability (TfS)?
Eberhard: Wir wollen, dass ein Lieferant sich künftig nur noch einmal gründlich auf Herz und Nieren prüfen lassen muss. Ein positives Ergebnis vorausgesetzt, kann er anschließend mit allen TfS-Mitgliedsunternehmen zusammenarbeiten.
Seit Ende 2014 sind Sie Vorsitzender der TfS-Initiative. Was möchten Sie im Amt erreichen?
Eberhard: Wir wollen uns mit der Initiative zum internationalen Standard für Nachhaltigkeit in der Lieferkette der chemischen Industrie entwickeln. Dazu müssen wir uns noch deutlich globaler ausrichten und auch amerikanische und asiatische Unternehmen für TfS gewinnen.

„Ambitioniertes Programm“

Nachgefragt

Fragen an Bertrand Conqueret, Leiter des globalen Einkaufs bei Henkel
Warum beteiligt sich Henkel an der Initiative Together for Sustainability?
Bertrand Conqueret: Wir verfolgen ein ambitioniertes Sustainability-Programm. Unsere Aufgabe ist es, Transparenz zu schaffen, um für uns selbst und unsere Lieferanten die Leistung und den Fortschritt in puncto Nachhaltigkeit messen und weiter vorantreiben zu können. Die Assessments und Audits im Rahmen von TfS sind ein wesentlicher Bestandteil unseres ganzheitlichen Risikomanagements für Lieferanten.
Welchen konkreten Nutzen versprechen Sie sich davon?
Conqueret: Durch die Kooperation können wir enorme Synergieeffekte erzielen und Ressourcen effizienter nutzen.
Was ist aus Ihrer Sicht das Besondere an der Initiative?
Conqueret: Mit TfS vereinen bedeutende Industrieunternehmen ihr gesamtes Know-how für Nachhaltigkeit und Lieferantenmanagement. Sie entwickeln daraus einen globalen Industriestandard und implementieren ihn mit effizienten Prozessen und Instrumenten. Durch die Bündelung unserer Kräfte können wir die Nachhaltigkeit in der Wertschöpfungskette messbar verbessern.

Together for Sustainability

UN-Initiative

TfS ist ein Zusammenschluss führender europäischer Chemieunternehmen für mehr Nachhaltigkeit in der Lieferkette. Die Initiative hat bereits mehr als 6000 Lieferantenbefragungen angestoßen und weltweit 190 Lieferanten auditieren lassen. Im Dezember 2014 wurde Rüdiger Eberhard, Leiter des globalen Einkaufs bei Evonik, einstimmig zum TfS-Präsidenten gewählt. Die Initiative ist seit Januar 2015 als Not-For-Profit-Organisation nach belgischem Recht anerkannt und Partnerorganisation des europäischen Chemiedachverbands CEFIC.
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