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Ein Schreckgespenst der Industrie. Zu Recht?

Für Hersteller und Zulieferer
Ein Schreckgespenst der Industrie. Zu Recht?

Produkthaftung ist auch außerhalb der USA einer der Begriffe geworden, die im Laufe der letzten Jahre in der Industrie, und hier insbesondere unter den Zulieferern, Schrecken hervorrufen. Ging es in der zurückliegenden Diskussion insbesondere um den Ersatz von Schäden, die Verbraucher bei der Benutzung fehlerhafter Produkte erlitten, werden heute verstärkt Schadenersatzansprüche wegen Produktfehlern unter den am Herstellungsprozeß beteiligten Unternehmen selbst nach produkthaftungsrechtlichen Grundsätzen abgewickelt.

Dr. Ulf Heil, Frankfurt/M.

Die Gerichte, die die Geschichte des Produkthaftungsrechts in Deutschland maßgeblich geschrieben haben, haben hierzu, auch erst jüngst wieder, Wegbereiterdienste geleistet.
Was ist Produkthaftungsrecht?
Im weitesten Sinne umfaßt die Produkthaftung die Haftung für ein fehlerhaftes Produkt, gleich ob diese auf vertraglicher oder sogenannter deliktischer Grundlage basiert. Entwickelt hat die deutsche Rechtsprechung das Produkthaftungsrecht aber im sogenannten außervertraglichen Bereich, da bei den üblichen Absatz- und Vertriebsstrukturen in der Regel kein Vertrag zwischen dem Hersteller des (fehlerhaften) Produktes und dem Benutzer/Endverbraucher besteht. Existiert ein solcher Vertrag, wie z.B. zwischen dem Endhersteller und seinem Zulieferer, können neben Regeln des deliktischen Produkthaftungsrechts auch noch vertragliche Ansprüche hinzutreten. Die Rechtsgrundlagen für die Haftung für fehlerhafte Produkte außerhalb des Vertragsrechts sind das Produkthaftungsgesetz (ProdHaftG) und die allgemeinen Regeln über sogenannte unerlaubte Handlungen (Delikte) nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch (§§ 823 ff. BGB).
Das ProdHaftG, in Kraft getreten am 01.01.1990, ist in Umsetzung einer EG-Richtlinie entstanden, die die Harmonisierung der Rechtsvorschriften in den einzelnen EG-Mitgliedsstaaten zum Gegenstand hatte. Daher trägt auch das ProdHaftG im verstärkten Umfang verbraucherschützende Züge. So werden z.B. Schäden, die ein fehlerhaftes Produkt an einer gewerblich genutzten Sache verursacht, nicht nach dem ProdHaftG ersetzt. Das ProdHaftG, das eine Haftung unabhängig vom Verschulden des Herstellers begründet – man spricht von sogenannter Gefährdungshaftung –, gewährt einem körperlich Verletzten ferner kein Schmerzensgeld, weil (jedenfalls bislang) nach dem deutschen Schadenersatzsystem Schmerzensgeld nur im Verschuldensfall in Betracht kommt. Deshalb haben die allgemeinen Regeln der §§ 823 ff. BGB nach wie vor ihre praktische Relevanz behalten. Die Anspruchsvoraussetzungen sowohl des ProdHaftG als auch des § 823 BGB im Rahmen der Produkthaftung sind bis auf das Verschuldenselement weitgehend gleich.
Der Produktfehler
Mit der Frage, wann ein Produktfehler zu bejahen ist, haben sich die deutschen Gerichte in einer kaum noch überschaubaren Fülle von Urteilen innerhalb der letzten Jahrzehnte beschäftigt. § 3 ProdHaftG definiert den Produktfehler sogar ausdrücklich, wobei sich diese Definition mit dem von der Rechtsprechung entwickelten Fehlerbegriff deckt. Danach liegt, vereinfacht gesagt, ein Produktfehler vor, wenn ein Produkt nicht die Sicherheit bietet, die unter Berücksichtigung aller Umstände berechtigterweise erwartet werden kann. Wesentliche Umstände sind dabei insbesondere die Darbietung des Produktes, also auch die Art und Weise, in der es beworben wird, sowie der Gebrauch, mit dem billigerweise gerechnet werden kann. Zu letzterem zählt in erster Linie der sogenannte bestimmungsgemäße Gebrauch, also der Gebrauchszweck, für den das Produkt eigens hergestellt worden ist. So muß ein mit Rollen versehener Schreibtischstuhl selbstverständlich geeignet sein, daß man auf ihm sitzen und sich sitzend in Schreibtischnähe hin- und her bewegen kann, ohne daß der Stuhl umstürzt. Dagegen gehörte es nicht zum bestimmungsgemäßen Gebrauch dieses Schreibtischstuhls, daß man ihn als Leiterersatz benutzt.
Während es ohne weiteres einleuchtet, daß ein Produkt (mindestens) gewährleisten muß, daß es bei dem Gebrauch, für den es bestimmt ist, sicher ist, ist nicht einsichtig, daß der Hersteller auch bei zweckwidriger Verwendung für einen Schaden haften soll. Andererseits beweist unser Alltag, daß Produkte nicht nur bestimmungsgemäß, sondern auch zweckwidrig verwendet werden und diese Bestimmungswidrigkeit bei genauer Beobachtung nicht einmal überraschend ist, sondern bei einer Vielzahl von Benutzern vorkommt (Beispiel: Die Tragkraft von Stahlseilen für einen Aufzug, der vier Personen befördern soll, muß für sechs oder sieben Personen ausgerichtet sein, weil die Überlastung eines Personenaufzuges abzusehen ist). Der Stand der Rechtsprechung ist heute der, daß der Hersteller auch für Schäden, die bei bestimmungwidrigem Gebrauch eintreten, haften muß, wobei die Rechtsprechung die Grenze zwischen sogenanntem naheliegendem und fernliegendem Fehlgebrauch zieht. Ein Fehlgebrauch liegt nahe, wenn er nach allgemeiner Erfahrung und der Erkennbarkeit von Mißbräuchen dem Hersteller hätte bekannt sein müssen, während ein Mißbrauch, mit dem man nicht rechnen mußte „fernliegt“, also keine Haftung auslöst. Es liegt auf der Hand, daß die Abgrenzung zwischen naheliegendem und fernliegendem Fehlgebrauch im Einzelfall äußerst schwierig sein kann.
Die Verkehrspflichten des Herstellers
Jeder Hersteller hat das Sicherheitsniveau, das der Produktbenutzer berechtigterweise erwarten kann, sowohl hinsichtlich der Konstruktion als auch des Herstellungsprozesses zu gewährleisten. Soweit Sicherheitsrisiken nicht ausgeschlossen werden können, ist er zur Instruktion (zu Warnhinweisen) verpflichtet. Schließlich erwartet die Rechtsprechung von jedem Hersteller, daß er in zumutbarem Umfang ein Produkt und dessen Verwendung im Markt beobachtet. Entsprechend diesen Pflichten spricht man bei ihrer Mißachtung von Konstruktions-, Fabrikations-, Instruktions- und Produktbeobachtungsfehlern.
Ein Konstruktionsfehler liegt vor, wenn das Produkt bereits nach seiner Konstruktion nicht die erforderliche Sicherheit bietet. Typisch an einem Konstruktionsfehler ist, daß er stets der ganzen Serie anhaftet, ein falsch konstruiertes Produkt kann gar nicht fehlerfrei sein.
Dagegen entstehen Fabrikationsfehler bei der Herstellung selbst und beruhen auf einem Mangel im Herstellungsprozeß, der bei der Auswahl falscher Rohstoffe oder Halbfabrikate anfangen, sich bei nicht funktionierenden Produktionsanlagen fortsetzen und schließlich bei mangelhafter Qualitätskontrolle enden kann. Anders als beim Konstruktionsfehler haften Fabrikationsfehler nicht der ganzen Serie an, sondern nur einzelnen Produkten, die im Herstellungsprozeß „durchgerutscht“ sind.
Oft ist es dem Hersteller nicht möglich oder nicht zumutbar, ein Produkt so herzustellen, daß es für alle vorhersehbaren Verwendungszwecke gefahrlos genutzt werden kann und keine schädlichen Nebenwirkungen hat. Solche Produkte sind nicht von vornherein unzulässig, wie uns der Bereich der Arzneimittel eindrucksvoll zeigt. Andererseits gibt es Produkte, die für den überwiegenden Teil der Benutzer völlig unschädlich sind, jedoch für ganz bestimmte Personen (z.B. Allergiker) gefährlich werden können. Auch in diesen Fällen darf das Produkt in den Verkehr gebracht werden. Der wohl wichtigste Fall ist der, daß das Produkt bei bestimmungsgemäßem Gebrauch unschädlich ist und nur bei einem Fehlgebrauch Schäden verursachen kann, dieser Fehlgebrauch aber naheliegt. In all diesen Konstellationen hat der Hersteller die Pflicht, die potentiellen Benutzer durch besondere Kennzeichnung des Produkts oder durch Gebrauchsinformationen zu warnen, um die drohenden Gefahren abzuwenden.
Die Warnung (Instruktion, daher kommt der Begriff „Instruktionsfehler“) muß zum frühestmöglichen Zeitpunkt geschehen, also in aller Regel bei Inverkehrbringen. Warnpflichten bestehen grundsätzlich nur im Rahmen der Verbrauchererwartung; vor allgemein Bekanntem muß nicht gewarnt werden. Was als bekannt vorausgesetzt werden kann, läßt sich nicht absolut bestimmen, sondern hängt entscheidend von den in Betracht kommenden Verbraucherkreisen ab. Von Fachkreisen kann man weitaus größere Kenntnisse über den Umgang mit dem Produkt erwarten als von Laien; bei Jugendlichen oder gar Kindern muß fast mit jedem Mißbrauch gerechnet werden. Dementsprechend sind die Warnhinweise zu gestalten; kommen unterschiedliche Benutzerkreise in Betracht, muß sich der Warnhinweis an der am wenigsten informierten und damit nach der gefährdetsten Benutzergruppe ausrichten.
Warnhinweise müssen übersichtlich, klar und plausibel sein. Wichtige Hinweise über Produktgefahren dürfen nicht zwischen sonstigen Produktinformationen wie Darreichungsformen, Werbeaussagen oder Garantiebedingungen versteckt sein. Unter Umständen ist es erforderlich, in den Warnhinweisen das Wichtigste hervorzuheben. Unverzichtbar ist nach der Rechtsprechung, daß der Warnhinweis das spezifische Risiko in seiner ganzen Tragweite und möglichst eindringlich schildern muß (sogenannte Folgenwarnung). Der Benutzer soll wissen, was ihm geschieht, wenn er die Warnung in den Wind schlägt.
Pflicht zur Produktbeobachtung
Die Pflicht des Herstellers, möglichst alles zu tun, damit durch sein Produkt Dritte nicht geschädigt werden, endet nicht mit der Inverkehrgabe des Produktes. Auch danach ist der Hersteller zur Aufklärung und Warnung verpflichtet, wenn von dem Produkt – möglicherweise erstmals überhaupt erkennbar – Gefahren für Rechtsgüter dritter Personen ausgehen. Deshalb muß der Hersteller sein Produkt nach Inverkehrbringen beobachten und ist verpflichtet, bei entsprechenden Anzeichen (z.B. häufig auftretenden gleichartigen Mängeln oder Schäden) solchen Umständen nachzugehen und Maßnahmen zur vorbeugenden Schadensverhütung zu ergreifen. Verdichten sich entsprechende Verdachtsmomente, ist der Hersteller zur Warnung der in Betracht kommenden Benutzerkreise verpflichtet und darüber hinaus zum Rückruf des Produktes, wenn nicht sichergestellt ist, daß durch die Warnung die Gefahr beseitigt werden kann. Die Produktbeobachtungspflicht bezieht sich dabei nicht nur auf das eigene Produkt, sondern auch auf Gefahren, die aus der Kombination des eigenen Produktes mit Produkten anderer Hersteller entstehen können.
Wer ist Hersteller?
Die zuvor aufgezeigten Pflichten treffen in erster Linie den Hersteller eines Produktes. Hierunter wird nicht nur der Endhersteller verstanden, sondern auch der Hersteller eines Teilproduktes, also der Zulieferer. In einer Zuliefererkette ist jeder einzelne Zulieferer Hersteller und haftet daher für die Fehlerfreiheit seines Produktes. Darüber hinaus haftet ein Unternehmen auch dann als Hersteller, wenn es das Produkt zwar nicht selbst hergestellt hat, sich aber z.B. durch Anbringung seiner Firma, seiner Marke oder eines sonstigen Kennzeichens als Hersteller ausgibt. Wer also in einem Billiglohnland ein Produkt hat herstellen lassen, um es dann mit seinem Markenzeichen oder einer sonstigen auf sich deutenden Kennzeichnung zu versehen, haftet in einem Schadensfall wie ein tatsächlicher Hersteller. Nach dem ProdHaftG gilt dies auch für den Importeur, der Produkte aus dem EU-Ausland einführt, sowie, allerdings mit der Möglichkeit der Abwendung, für den Vertriebshändler.
Mehrere Schädiger (also z.B. Assembler und Zulieferer) haften dem Geschädigten als sogenannte Gesamtschuldner. Das bedeutet, daß sich der Geschädigte ein Unternehmen (in der Regel den Endhersteller, weil der Geschädigte diesen kennt) herausgreifen kann. Muß dieses Unternehmen Schadenersatz leisten, wird es anschließend zum Rückgriff gegenüber den anderen Unternehmen (Zulieferer) kommen. Die rechtliche Grundlage für den Rückgriff, d. h. der interne Ausgleich unter den Gesamtschuldnern, ist im Gesetz (§§ 840, 826 BGB bzw. § 5 ProdHaftG) geregelt. Dabei läßt das Gesetz für den internen Ausgleich in erster Linie die zwischen den Beteiligten getroffenen Vereinbarung gelten; nur wenn diese fehlen und die Umstände nicht für die besondere Verantwortlichkeit eines Beteiligten sprechen, findet eine Ausgleichung nach Kopfteilen statt.
Diese Regelung gilt kraft Gesetzes in den Fällen, in denen es zu einem konkreten Schaden gekommen ist und dieser Schaden von einem der Beteiligten ausgeglichen worden ist. Dagegen fehlt eine gesetzliche Regelung für den wirtschaftlich viel interessanteren Fall der Rückrufkosten.
Der Rückruf; Kosten
Dies liegt zunächst daran, daß der Rückruf gesetzlich nicht geregelt ist. Auch das seit dem 01.08.1997 geltende Produktsicherheitsgesetz (ProdSG) hat hieran nichts Entscheidendes geändert, da es auf eine ausdrückliche Verpflichtung des Produktherstellers zum Rückruf verzichtet hat und nur den Behörden die Befugnis zur Warnung oder zum Rückruf in den Fällen zuspricht, in denen der Hersteller oder Händler untätig bleibt. Hieraus kann man zwar folgern, daß das ProdSG von einer Rückrufverpflichtung, wie sie schon seit Jahrzehnten von der Rechtsprechung angenommen worden ist, ausgeht. Gleichwohl bleiben nach wie vor manche Fragen unbeantwortet, so z.B. wie der Ausgleich von Rückrufkosten zwischen den betroffenen Unternehmen erfolgen soll.
Auch ohne ausdrückliche gesetzliche Regelung ist man sich allerdings einig, daß der Hersteller (in der Regel wird es aus den dargelegten Gründen der Assembler sein) gegen die anderen Beteiligten einen Anspruch auf Ersatz der Rückrufkosten hat. Dies wird teilweise damit begründet, daß die Regeln über die Gesamtschuld beim Ersatz eines konkreten Schadens entsprechend angewendet werden sollen, zum Teil wird die Rechtsfigur der Geschäftsführung ohne Auftrag bemüht. Man argumentiert, das Unternehmen, das den Rückruf veranlasse, führe auch gleichzeitig ein Geschäft der anderen ebenfalls zum Rückruf verpflichteten Unternehmen. Hierfür könne es nach den im BGB vorgesehenen Regeln Aufwendungsersatz verlangen. Eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs (BGH) zu dieser Frage steht noch aus. Da der BGH jedoch in einem vom Oberlandesgericht Karlsruhe entschiedenen Fall, das die Vorschrift über den Gesamtschuldnerausgleich angewendet hatte, die Revision gegen dieses Urteil nicht zugelassen hat, läßt sich möglicherweise folgern, daß der BGH diese juristische Konstruktion bevorzugt.
Ein Regreß gegen einen am Herstellungsprozeß Beteiligten kommt nur in Betracht, wenn dieser für den Produktfehler, der den Rückruf ausgelöst hat, überhaupt (mit)verantwortlich ist. Ist dies nicht der Fall, muß dieses Unternehmen sich auch nicht an den Rückrufkosten beteiligen. Liegt hingegen eine Verantwortlichkeit vor, hängt der Umfang der internen Ausgleichspflicht davon ab, zu welchem Teil der Produktfehler (und damit die Rückrufkosten) von dem einen oder dem anderen Hersteller zu verantworten ist. Hat z.B. der Assembler seine grundsätzlich nach dem Handelsgesetzbuch bestehende Pflicht zur Eingangskontrolle verletzt, hat er neben dem Zulieferer, der z.B. durch einen Konstruktionsfehler oder ein Versäumnis im Herstellungsprozeß den Produktfehler verursacht hat, ein gewisses Maß der Verantwortlichkeit zu tragen. Es kann aber auch zu einer für den Zulieferer ungünstigen Quote kommen, wenn dieser ganz besondere Sachkunde hatte und der Fehler des Zulieferteils für den Assembler selbst bei Anwendung höchster Sorgfalt nur sehr schwer erkennbar war. Umgekehrt trägt der Assembler die Haupt-, wenn nicht sogar die Alleinverantwortung, wenn der Zulieferer auf Risiken bei der ihm vorgegebenen Konstruktion des Zuliefererteils hingewiesen und der Assembler diese Hinweise in den Wind geschlagen hat.
Für welche Rechtsverletzungen muß der Hersteller einstehen?
Sowohl durch das ProdHaftG als auch nach § 823 BGB kann ein Betroffener wegen erlittener Körper- und Gesundheitsschäden Schadenersatz verlangen. Im Falle der Tötung eines Menschen bestehen Ersatzansprüche der Hinterbliebenen auf Erstattung von Beerdigungskosten und insbesondere auf Ersatz entfallenden Unterhalts. Der Hersteller haftet ferner für Sachbeschädigungen, nach dem verbraucherschützenden Charakter des ProdHaftG allerdings nur für die Beschädigung von privat genutzten Sachen. Da neben dem ProdHaftG aber auch § 823 BGB gilt und diese Vorschrift die Einschränkung auf privat genutzte Sachen nicht kennt, steht über dieser Vorschrift eine allgemeine Einstandspflicht für Eigentumsverletzungen zur Verfügung.
Der BGH hat mit dem zunächst ehern festgehaltenen Grundsatz, daß das Interesse des Käufers, für seine Leistung (Kaufpreis) ein Äquivalent (fehlerfreie Kaufsache) zu bekommen, ausschließlich durch das Kaufrecht geregelt wird, vor gut zwanzig Jahren gebrochen und mit der sogenannten „Schwimmerschalter“-Entscheidung die parallele Anwendbarkeit des Deliktrechts zugelassen. In diesem Fall, der typisch für das Verhältnis zwischen dem Hersteller des Endproduktes und dem Zulieferer ist, war von einem englischen Zulieferer ein Schwimmerschalter für eine Reinigungs- und Entfettungsanlage für Industrieerzeugnisse geliefert worden. Der Hersteller der Entfettungsanlage baute den Schwimmerschalter in sein Produkt ein und lieferte es an seinen Kunden.
Der Schwimmerschalter war zwar an sich fehlerfrei, aber in seiner Leistung für die Anlage zu schwach dimensioniert. Deshalb hatte er die Heizdrähte der Anlage nicht rechtzeitig abgeschaltet, so daß sich diese überhitzten und das in der Anlage befindliche Schmutzöl in Brand setzen konnte. Da kaufvertragliche Gewährleistungsansprüche wegen Ablaufs der Gewährleistungsfrist verjährt waren, konnte der BGH zu einem Schadenersatzanspruch nur wegen Eigentumsverletzung gemäß § 823 Abs. 1 BGB gelangen. Er begründete seine Entscheidung damit, daß der Hersteller dem Geschädigten das Eigentum an einer Anlage verschafft habe, die im übrigen einwandfrei gewesen sei und lediglich ein – funktionell begrenztes – schadhaftes Steuerungsgerät, den Schwimmerschalter, enthalten habe, dessen Wert gegenüber dem Gesamtwert der Anlage geringfügig gewesen sei. Dieses Steuerungsgerät habe die Verletzung des mangelfrei erworbenen Eigentums im übrigen ausgelöst.
Diese Rechtsprechung aus dem Jahre 1976 hat der BGH in dem sogenannten „Kondensator“-Urteil aus dem Jahre 1992 entscheidend weiterentwickelt. In diesem Fall ging es um folgendes: Der Hersteller von sogenannten Keramik-Mehrschicht-Kondensatoren (Stückpreis 1986: 7,2 Pf) lieferte im Rahmen einer langjährigen Geschäftsbeziehung an ein anderes Unternehmen mehrere Millionen dieser Kondensatoren. Dieses andere Unternehmen baute die Kondensatoren in elektronische Regler ein und lieferte diese Regler seinerzeit an einen Hersteller von ABS-Bremssystemen. Irgendwann traten bei diesen in Kraftfahrzeuge eingebauten ABS-Systemen Ausfälle auf, die auf Funktionsstörungen in den Reglern zurückgeführt wurden. Die Kraftfahrzeughersteller verlangten vom Hersteller der ABS-Systeme deren Rücknahme. Dieses Unternehmen seinerseits forderte seinen Lieferanten zur Rücknahme der Regler auf.
An den zurückgenommenen Reglern wurden Nacharbeiten vorgenommen und insbesondere die Kondensatoren durch solche eines anderen Herstellers ersetzt. Bei der Reparatur der Regler mußten andere Teile, z.B. Rahmen entfernt werden, so daß die ursprünglich gelieferten Kondensatoren nicht ohne Beschädigung anderer Teile ausgebaut werden konnten. Die Gesamtkosten der Nacharbeiten beliefen sich auf rund 1,7 Mio. DM. Wegen dieses Betrages wurde die Herstellerin der fehlerhaften Kondensatoren in Anspruch genommen. Da Ansprüche aus Gewährleistungsrecht verjährt waren, kam als Anspruchsgrundlage nur eine Eigentumsverletzung im Sinne des § 823 BGB in Betracht. Diese hat der BGH darin gesehen, daß bei den später vorgenommenen Reparaturarbeiten die Kondensatoren nur unter Beschädigung oder Zerstörung anderer Teile der Regler, deren Bestandteil sie geworden waren, ausgebaut werden konnten.
Wenn bei der Herstellung einer neuen Sache (Regler) einwandfreie Teile mit mangelbehafteten Teilen verbunden werden und dabei durch einen Mangel eines Teilproduktes andere Teile oder sogar die gesamte neue Sache beschädigt und unbrauchbar wird, soll nach dem BGH eine Eigentumsverletzung an diesen anderen Teilen und der neuen Sache vorliegen. Das Besondere an dem Fall war, daß der Einbau der mangelhaften Kondensatoren nicht zu einer Zerstörung oder Beschädigung der einwandfreien Teile des Reglers oder des Reglers insgesamt geführt hatten. Erst bei der Reparatur der Regler waren andere Teile zwangsläufig zerstört worden. Auch dies hat der BGH als Eigentumsverletzung angesehen.
Mit dem sogenannten „Transistor“-Urteil vom März 1998 ist der BGH noch einen Schritt weiter gegangen. Dieser Entscheidung lag folgender Sachverhalt zugrunde: Ein Unternehmen hatte Zentralverriegelungen für Pkw geliefert. In die Steuergeräte waren je vier zum Stückpreis von 3,9 Pf von einem anderen Unternehmen bezogene Transistoren eingebaut. Nachdem es zu zahlreichen Ausfällen bei den Steuergeräten der Zentralverriegelung gekommen war, gab der Pkw-Hersteller die Zentralverriegelungen zurück und erhielt Ersatzgeräte. Der Pkw-Hersteller hat außerdem Ersatz von Kosten für den Aus- und Einbau der Steuergeräte geltend gemacht. Wegen der Kosten für die Rücknahme der Geräte sowie die an den Pkw-Hersteller zu zahlenden Kosten für den Aus- und Einbau nahm der Hersteller der Zentralverriegelungen den Hersteller und Lieferanten der Transistoren in Regreß.
Der BGH hat Ansprüche aus Eigentumsverletzung mit folgender Begründung bejaht: „Werden bei der Anfertigung einer neuen Sache die dazu dienenden einwandfreien Teile des Herstellers durch ihre Verbindung mit den hierzu bestimmten, jedoch mangelhaften Teilen eines Zulieferers unbrauchbar, so tritt bereits im Zeitpunkt der Verbindung eine Verletzung des Eigentums an den zuvor unversehrten Bestandteilen ein“. Im Unterschied zum „Kondensator“-Fall war hier keine Substanzverletzung (z.B. durch eine Reparatur) eingetreten. Dies hat der BGH nicht für erforderlich gehalten, sondern die Zerstörung der Substanz dem Fall gleichgesetzt, in dem zuvor unversehrt im Eigentum des Herstellers der Gesamtsache stehende Einzelteile durch ihr unauflösliches Zusammenfügen mit fehlerhaften anderen Teilen nicht nur in ihrer Verwendbarkeit, sondern erheblich in ihrem Wert beeinträchtigt und sogar gänzlich wertlos werden.
Spätestens nach diesem Urteil dürfte klar sein, daß die früher vielleicht gerechtfertigte Haltung eines Zulieferers, nach Ablauf der Gewährleistungsfrist könne ihm nicht mehr viel passieren, ein für alle Mal der Vergangenheit angehört. Da deliktische Ansprüche, wie zum Beispiel die Eigentumsverletzung, erst drei Jahre nach Kenntnis vom Schaden verjähren, wird in der Praxis ganz überwiegend eine Inanspruchnahme des Zulieferers in Betracht kommen. Deshalb ist eine vertragliche Regelung der Haftungsrisiken für den Zulieferer, soweit er sie aufgrund seiner Marktposition durchsetzen kann, wichtiger denn je.
Ebenso wichtig ist für alle am Herstellungsprozeß beteiligten Unternehmen, für eine ausreichende Versicherungsdeckung für Produkthaftungsfälle zu sorgen. Außerhalb der Hochrisikoländer (USA, Kanada, Japan) sind die Prämien in aller Regel verkraftbar und können durch eine Staffelung (z.B. 5 Mio. DM Deckung für alle Produkthaftungsfälle pro Jahr, weitere 10 Mio. für bis zu zwei Schadensfällen pro Jahr) individuell gestaltet werden.
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