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Einkauf als Treiber des Wandels

Bernd Kohring, Leiter Einkauf SEW Eurodrive GmbH & Co. KG
Einkauf als Treiber des Wandels

Bernd Kohring, Einkaufsleiter des Antriebsspezialisten SEW Eurodrive, holt für sein weltweites Risiko- und Lieferantenmanagement konsequent alle Bereiche ins Boot. Der intensive crossfunktionale Austausch wird ergänzt durch eine enge Zusammenarbeit mit Lieferanten, Kunden und den weltweiten Einkaufskollegen. Kohring sieht den Einkauf als Treiber eines unternehmensweiten Wandels.

Beschaffung aktuell: Herr Kohring, wie würden Sie Ihre aktuelle Befindlichkeit im Einkauf beschreiben?

Bernd Kohring: Ich sehe mich als Pionier in der Einkaufswelt. Ich möchte das Image verändern, das der Einkauf nach wie vor in vielen Unternehmen hat. Das Bild, dass, wenn es ein Problem gibt, der Einkauf eben schlecht verhandelt hat. Wir müssen uns noch besser vermarkten. Unseren Wertbeitrag noch deutlicher aufzeigen, die Führung in den Gremien durch professionelles Auftreten noch aktiver übernehmen. Uns geht es manchmal wie Fußballtrainern. Es gibt im Zweifel immer sehr viele Experten, die es hätten besser machen können. Das möchte ich ändern.
Beschaffung aktuell: Sie sind seit sechs Jahren für den Einkauf der deutschen Standorte von SEW Eurodrive verantwortlich und koordinieren den weltweiten Einkauf. Wie treiben Sie Ihre Mission voran?
Kohring: Unsere aktuelle Stoßrichtung heißt Global Procurement 360 Grad. Darunter verstehen wir die Rundum-Aktivitäten unserer weltweiten Einkaufsorganisation. Wir arbeiten vernetzt, sowohl international als auch mit den Kollegen aus Entwicklung, Produktion, Qualitätsmanagement und Logistik, und das verlangt von allen Beteiligten ein Umdenken. Wir müssen die weltweiten Grenzen, aber auch die zwischen den einzelnen Abteilungen auflösen. Hierfür müssen wir den Einkauf noch stärker administrativ entlasten und das Wissen jedes Einzelnen gezielt erweitern. Prozesse stärker optimieren, Mitarbeiter weiterbilden, damit wir uns auf die wichtigen und zentralen strategischen Themen konzentrieren können.
Beschaffung aktuell: Welche Hürden müssen Sie hierfür überwinden?
Kohring: Den interkulturellen Aspekt darf man nicht unterschätzen und eine solche Veränderung braucht Zeit. Es nutzt nichts, wenn Sie als Expresszug vorne wegfahren, die Organisation Ihnen aber nicht folgt. Ich möchte alle mitziehen. Ganz wichtig hierbei: Wer eng zusammenarbeitet, muss sich vertrauen. Ich nenne Ihnen ein Beispiel: In der Zusammenarbeit mit unseren Kollegen aus China haben wir lernen müssen, dass das Wort des Älteren dort sehr viel mehr zählt als zum Beispiel das eines jüngeren Kollegen, der sogar die Landessprache fließend spricht. Auch der persönliche Kontakt ist wichtig. Seit wir internationale Einkäuferkonferenzen veranstalten, rufen sich die Kollegen auch mal spontan an. Auch das ist für eine gute Zusammenarbeit wichtig. So konnte es gelingen, dass wir für die weltweite Produktion einer neuen Motorengeneration die Gehäuse komplett aus China beschaffen. Solch ein Erfolg ist eine hervorragende Basis für weitere Projekte und zieht andere Kollegen natürlich mit. Gemeinsame Erfolge schweißen zusammen, aber natürlich auch, dass man gemeinsam Probleme löst und Krisen bewältigt.
Beschaffung aktuell: Auch mit Ihren Lieferanten arbeiten Sie eng zusammen. Mit welchen Themen sind Sie hier konfrontiert?
Kohring: Heute geht es in der Beziehung zum Lieferanten nicht mehr allein um den Preis. Wenn Sie Kostenpotenziale entlang der Supply Chain heben wollen, müssen Sie über alle Bereiche hinweg, sowohl intern als auch bei den externen Partnern, offen, vertrauensvoll und partnerschaftlich kommunizieren. Nichtsdestotrotz finden Preisgespräche statt, Alternativangebote werden eingeholt und die aktuellen Anforderungen müssen erfüllt werden. Ich verantworte ein Einkaufsvolumen von 520 Millionen Euro über fast 30 000 Teile. Natürlich brauche ich hierfür detaillierte Marktanalysen – schnell zwei, drei Angebote von den immer gleichen Lieferanten, die Zeiten sind lange vorbei. Letztlich müssen nicht nur die drei Hauptkriterien Qualität, Termintreue und Kosten erfüllt sein, auch technische Aspekte wie die Innovationsfähigkeit spielen für uns in der Zusammenarbeit eine große Rolle. Um diese Analysen zu fahren, haben wir im Einkauf ein eigenes Business-Warehouse aufgebaut und beschäftigen eine Analystin, die sich nur um diese Themen kümmert. Durch die enge Kooperation mit der Entwicklung werden Lieferanten zudem nicht mehr ohne unser Wissen angesprochen. Wenn wir einen Auftrag vergeben, dann entscheiden und verantworten wir das gemeinsam und wissen alle genau, warum wir das tun.
Beschaffung aktuell: Sie verändern das Image des Einkaufs, inwiefern zeigt sich das auch nach außen, zum Lieferanten?
Kohring: Wir werden heute am Lieferantenmarkt ganz anders wahrgenommen. Das spürt auch die Entwicklung. Da stehen plötzlich Ansprechpartner auf Ebenen zur Verfügung, die so früher nicht zur Verfügung standen. Besonders bei vergleichsweise großen Lieferanten. Da sind wir heute überall ein Partner auf Augenhöhe. Hier ernten wir die Früchte.
Beschaffung aktuell: Wie gestalten Sie die enge Abstimmung vom Beschaffungsmarkt über das eigene Unternehmen bis zum Kunden?
Kohring: Wir haben zum Beispiel den Austausch zwischen Einkauf und Vertrieb verstärkt. Zu diversen Kundenterminen begleiten wir als SEW-Einkauf den Vertrieb, weil Kunden das wünschen oder unser Vertrieb das für sinnvoll hält. Für uns ist das eine komplett neue Perspektive und Erfahrung, bei der wir unser Lieferanten- und Risikomanagement präsentieren und mit Praxisbeispielen untermauern. Von den Gesprächen profitieren beide Seiten: wir als SEW Eurodrive und unsere Kunden. Auch der gemeinsame Auftritt von Einkauf und Qualitätssicherung sowie Einkauf und Entwicklungsabteilung beim Lieferanten gehört für uns heute zum Standard.
Beschaffung aktuell: Wer eng zusammenarbeitet, macht weniger Fehler. Können Sie das bestätigen? Gibt es hierfür Beispiele?
Kohring: Ja, das ist in der Tat so, aber nur, wenn eine gute Vertrauensbasis und ein Verständnis füreinander besteht. Beispiel Lieferantentag. Für eine neue Produktlinie haben wir gemeinsam mit den Kollegen der Entwicklung eine Veranstaltung organisiert, um die strategischen Hersteller früh in das Projekt einzubinden. Wir haben unsere Anforderungen kommuniziert und die Lieferanten konnten ihr Fachwissen direkt einfließen lassen bzw. direkt mit den Entwicklungsingenieuren diskutieren. Alle Teilnehmer bewerteten diesen Informationstag als sehr zielführend – positive Ergebnisse liegen vor.
Beschaffung aktuell: Beschreiben Sie Ihr Lieferantenmanagement bitte etwas genauer.
Kohring: Unser Supplier Management haben wir völlig neu inszeniert. Auch hier bringen wir die Welten zusammen. Gemeinsam bewerten wir Lieferanten, treffen Entscheidungen und durchlaufen Eskalationen nach vorher fest definierten Stufen. Kürzlich hat die Entwicklungsleitung hierzu zu einem Review eingeladen. Alle beteiligten Mitarbeiter aus Einkauf und Entwicklung konnten sich gemeinsam auf die Schulter klopfen. Die Kernaussage lautete, dass das Lieferantenmanagement für alle Beteiligten und in vielerlei Hinsicht nützlich ist und die Verschmelzung der unterschiedlichen Funktionen stark fördert. Für die Risikoprävention, die Vorbereitung und Durchführung von Preisverhandlungen, das Erkennen von Potenzialen und Schwachstellen sind diese Tools aus dem Alltag nicht mehr wegzudenken.
Beschaffung aktuell: Bringt Ihr Lieferantenmanagement die verschiedenen Funktionen also näher zusammen?
Kohring: Ja, wir machen keine Alleingänge mehr. Im Gegenteil: Wir nehmen die Funktionen Qualitätsmanagement und Entwicklung sehr viel stärker in die Pflicht. Bei Informationsveranstaltungen, Lieferantenaudits, Eskalationsgesprächen treten wir heute gemeinsam auf. Ich möchte kein Tool, das der Einkauf nutzt, das nicht in der Kette vernetzt ist. Ich möchte auf einen Blick sehen, wo gibt es ein Problem, was sind die Erfolge, was sind meine Stellhebel. Und das bis auf die Warengruppe, den einzelnen Lieferanten und den einzelnen Artikel heruntergebrochen. In Deutschland sind wir so weit. Jetzt rollen wir das alles weltweit aus, mit dem Ziel, dass wenn unsere chinesischen Einkäufer einen Lieferanten besuchen und bewerten, sie das nach den gleichen Kriterien tun wie wir. Ich möchte, dass wir SEW-weit die gleiche Sprache sprechen.
Beschaffung aktuell: Der Einkauf leistet einen Wertbeitrag. An welchen Stellen müssen Sie hierfür ansetzen?
Kohring: Wir können nur einen aktiven Wertbeitrag leisten, wenn wir bereits in der Definitionsphase in die Entwicklungsprojekte eingebunden sind. Nur dann können wir das bestehende Warengruppen- und Lieferantenmanagement ausbalancieren, die verschiedenen Herstellungsverfahren beurteilen und die Chancen und Risiken für oder gegen ein Verfahren oder einen Lieferanten gemeinsam abwägen. Den Wertbeitrag kann der Einkauf nur gemeinsam mit Entwicklung, Produktion, Logistik und weiteren Schnittstellen steigern. Und das tun wir.
Beschaffung aktuell: Trotzdem sind Savings nach wie vor Ziel des Einkaufs. Welchen Stellenwert haben Kosteneinsparungen für Sie?
Kohring: Natürlich sind Savings wichtig. Allerdings sind für uns Versorgungssicherheit und Qualität mindestens so substanziell. Aus unserer Sicht ist unter Kosteneinsparung zudem nicht nur eine Preisreduktion, sondern auch die Abwehr von Preiserhöhungen zu sehen. Im Alltag erlebt jeder, dass Konsumgüter von Jahr zu Jahr teurer werden. Die Erwartungshaltung an den Einkauf beschränkt sich allerdings oftmals auf die durch Preisverhandlungen herbeigeführte Preisreduktion im Vergleich zum Vorjahr. Die Preise auf einem konstanten, planbaren Level zu halten, neue Materialien und Technologien und Logistik einzuführen und damit unsere Fertigungsprozesse zu verschlanken, muss deshalb in die Betrachtung des Themas Savings einbezogen werden.
Beschaffung aktuell: Globale Lieferketten brauchen ein effizientes Risikomanagement. Auch angesichts der Tatsache, dass Lieferanten immer enger in die eigene Wertschöpfung eingebunden sind. Wie gehen Sie mit dieser Komplexität um?
Kohring: In den vergangenen Jahren haben wir uns intensiv mit den globalen Risiken auseinandergesetzt und die Tools in unserem Lieferantenmanagement entsprechend ausgerichtet. Wir haben Präventionsstrategien und Notfallmaßnahmen erarbeitet. Der Austausch mit den internationalen Kollegen erlaubt eine umsichtige Bewertung aktueller Gegebenheiten sowie der Trends auf dem Weltmarkt. Auch an den Schnittstellen zu Qualitätssicherung, Logistik und Entwicklung kommunizieren wir sehr eng, um Risiken in der Lieferkette frühzeitig zu erkennen. Risikomanagement bedeutet aber auch, dass ich mir schon im Entwicklungsprozess anschaue, auf welche Lieferanten ich setze, ob sie auch wirklich in der Lage sind, all unsere Anforderungen in Bezug auf Technologie, Qualität, Termine, Produktion und Logistik verlässlich zu erfüllen. Das funktioniert nur, wenn keine Entscheidung am Einkauf vorbei geht, sondern dass alle wissen, mit wem wir warum zusammenarbeiten. In den Werken haben wir zudem feste Regelrunden zwischen Produktion, Logistik, Qualität und Einkauf, über die wir aktuelle Probleme und Gegebenheiten sehr zeitnah besprechen und lösen.
Beschaffung aktuell: Inwiefern spüren Sie die Ergebnisse Ihrer Anstrengungen?
Kohring: Wir haben einen Service-Level von 99,2 Prozent. Die Fehlermeldungen im Wareneingang betragen in unseren Werken 1,4 Prozent und liegen damit deutlich besser als der Benchmark des BME (Bundesverband Materialwirtschaft Einkauf und Logistik e.V.) von 1,6. Der Branchendurchschnitt liegt sogar bei 2,2. Hieran sieht man, dass wir hervorragend aufgestellt sind.
Beschaffung aktuell: Unternehmen entwickeln sich von der Abteilungs- zur Prozessorganisation. Welche Rolle kommt auf den Einkäufer von morgen zu?
Kohring: In der bereichsübergreifenden Zusammenarbeit übernimmt der Einkauf die Rolle des Schnittstellenmanagers. Sowohl als Projektmitglied im Produktentwicklungsteam als auch verantwortlich für die Gewährleistung der Versorgungssicherheit der einzelnen Produktionsstandorte. Das funktionsorientierte Denken wird durch ein ganzheitliches prozessorientiertes Denken abgelöst. Der Einkäufer von morgen ist Spezialist und Generalist zugleich, er agiert ausgestattet mit den notwendigen Kompetenzen und Fingerspitzengefühl. Bei diesem Gestaltungsprozess sehe ich den Einkauf in einer tragenden Rolle.
Beschaffung aktuell: Welche Anforderung stellt der Wandel an Ihre Mitarbeiter?
Kohring: Das Umdenken in den Köpfen muss ich ebenfalls von meinen Mitarbeitern einfordern. Damit die Einkaufsfunktion bei den Schnittstellen als Werttreiber, Lieferanten- und Risikomanager akzeptiert und wertgeschätzt wird, gehört die Bereitschaft zur Veränderung maßgeblich dazu. Alle müssen sich kontinuierlich neues Wissen aneignen, Sprachkenntnisse weiterentwickeln, das Netzwerk noch stärker ausbauen und pflegen. Dazu gehört auch, dass sich die Mitarbeiter von den operativen Aufgaben wie Bestellabwicklung, Terminüberwachung, Bestandsverantwortung, trennen. Die Veränderungen sind im vollen Gang. Der Zug ist auf dem Gleis. Manche sind von Beginn an mit hohem Engagement an der Umsetzung beteiligt, andere tun sich schwerer. Mein Ziel ist es, alle mitzuziehen.
Beschaffung aktuell: Vielen Dank für das Gespräch.
Das Interview führte Annette Mühlberger für Beschaffung aktuell.

Bernd Kohring

Der Mann

Nach einer Lehrzeit zum Mess- und Regelmechaniker holte Bernd Kohring das Abitur nach und studierte erfolgreich Wirtschaftsingenieurwesen an der Fachhochschule in Karlsruhe. Sein Einstieg bei SEW-Eurodrive erfolgte 1996 im damals neu geschaffenen strategischen Einkauf. Seit sechs Jahren leitet er den gesamten Einkauf für die deutschen Produktionsstandorte und koordiniert die weltweiten Einkaufsaktivitäten in der globalen SEW-Welt. Bernd Kohring verantwortet ein jährliches Einkaufsbudget von rund 520 Millionen Euro – über 30 000 verschiedene Materialien, 250 000 Bestellungen pro Jahr und eine Lieferantenbasis von rund 1500 aktiven Zulieferfirmen.
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