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Einkauf und die 4. Industrielle Revolution

Einkauf 4.0, Teil 1
Einkauf und die 4. Industrielle Revolution

Alles spricht von Industrie 4.0 und ihren Auswirkungen auf Wertschöpfung, Produktion und Logistik. Aber wo werden die Konsequenzen der 4. Industriellen Revolution für den Einkauf diskutiert? Hier.

Auslöser und Mittelpunkt vieler aktueller Diskussionen zur Industrie 4.0 sind meist technologische Innovationen wie die cyber-physischen Systeme. Zu deren Fülle hat auch das Fraunhofer IML einige Anwendungen beigesteuert wie beispielsweise intelligente Transportbehälter, zellulare Fördersysteme oder den Rack Racer fürs Lager. Letzterer kommt übrigens aus dem 3-D-Drucker, was ihn zu einem echten „Kind der Revolution“ macht. Bislang nahmen solche neueren Entwicklungen oft in der Logistik ihren Anfang. Inzwischen dringt das Thema jedoch bis ins Management durch. Dieses fragt sich zunehmend: Wie passen solche modernen Systeme zu Unternehmen alter Prägung?

Paradigma der Dezentralität. Eines der zentralen Paradigmen der 4. Industriellen Revolution ist die Dezentralität und Komplexität von Organisationen, Strukturen, Prozessen und Kommunikation. Informationen werden nicht mehr hierarchisch, sondern relativ „anarchisch“ nach dem Vorbild der sozialen Medien in alle Richtungen ausgetauscht. Dieses Paradigma wirkt bestechend, stößt jedoch in Unternehmen mit Hang zur Silobildung auf Probleme. Wir kennen das alle: Der Einkäufer spricht nicht mit dem Logistiker, der Finanzexperte nimmt beide nicht ernst und die Marketingleute geben zu verstehen, dass sie ohnehin die Einzigen seien, die an den Kunden denken. In dieser Konstellation kommen die Ideen, Konzepte und Chancen der 4. Industriellen Revolution nur wenig zur Entfaltung. Das ändert sich erst dann, wenn ein Wandel in den Abläufen und auch in der Organisation vonstattengeht; verbunden mit einem Wandel des Bewusstseins, angepassten Strukturen, Führungsprinzipien und Prozessen. Oder wenn zumindest damit begonnen wird, darüber nachzudenken. Und wer wäre als Initiator, Schrittmacher und Vorreiter dieses Umdenkens besser geeignet als der Einkauf? Der Einkauf, der beide dafür nötigen Kompetenzen auf sich vereint: die Expertise sowohl für Technologie als auch für das Management. Der Einkauf versteht zum Beispiel cyber-physische Systeme, er verfügt über die nötige Managementkapazität und er ist deshalb geeignet und gut beraten, sich dem Thema zu widmen. Nicht zuletzt deshalb, weil seine internen Kunden, zum Beispiel in der Produktion, das Thema bereits auf dem Zettel haben. Oder wenn es um den Einkauf von logistischen Dienstleistungen geht: Das Thema Industrie 4.0 ist schon da. Besonders deutlich in seiner digitalen Ausprägung.
Hinter Industrie 4.0 steht das Paradigma der Digitalisierung. Ihren Segnungen begegnen wir zum Beispiel dann, wenn wir vor der Obst-Auslage des Supermarktes im Gegensatz zu früheren Jahren eben nicht mehr mit noch zu grünen oder bereits braunen Bananen konfrontiert werden. Heute versetzt uns die Digitalisierung in ersten Pilotanwendungen schon in die Lage, die Bananenkiste bei ihrer Transit-Reifung auf dem Ozean mit einem Chip zu begleiten. Der Chip verrät dem Hafenmeister in Rotterdam den Reifegrad der Bananen auf jeder Seemeile. Deshalb kann er den Frachter mit den reiferen Bananen schneller zur Löschung in den Hafen rufen und den Frachter mit den grüneren Bananen noch eine Warteschleife drehen lassen. Ein anderes Anwendungsbeispiel sind Wertschöpfungsketten im Handel, die bereits heute über sämtliche Kettenglieder mit Apps gesteuert werden. Das läuft inzwischen fast selbstverständlich. So selbstverständlich, dass viele vergessen, die nötigen Fragen zu stellen: Welche Auswirkungen hat diese stürmische Entwicklung auf das eigene Unternehmen? Speziell für den Einkauf?
Zentrale Fragen. Anders gefragt: Wenn es Industrie 4.0 gibt, gibt es dann zukünftig auch Einkauf 4.0? Konkret stellen sich zentrale Fragen, wie z. B. folgende:
  • Was bedeuten Automatisierung und Autonomisierung für die Einkaufsorganisation?
  • Wie verändern sich die Kennzahlen für den Einkauf durch Industrie 4.0?
  • Inwiefern beeinflusst und verändert Industrie 4.0 die Beschaffungslogistik?
  • Wie sehen nach der 4. Industriellen Revolution die Anforderungen an einen Einkäufer aus?
  • Rückt die Frage nach dem Kosten-Nutzenverhältnis des Einkaufs und damit letztendlich die Frage nach der Daseinsberechtigung als interner Dienstleister noch stärker in den Fokus?
  • Wie wirken sich Trends wie Crowdsourcing oder Open Innovation auf die zukünftigen Einkaufsstrategien aus?
  • Inwieweit können Beschaffungsentscheidungen, Verhandlungen und Bezahlprozesse automatisiert und autonomisiert werden?
Es wäre für alle Beteiligten nützlich, wenn es Antworten auf diese Fragen gäbe. Zum Teil können sie bereits gegeben werden, was Sinn und Zweck der vorliegenden Artikelserie ist. An der Beantwortung dieser Fragen hängt einiges für den Einkauf.
Die Chance für den Einkauf. Der Einkauf kann sich als Funktion mit den meisten Schnittstellen im Unternehmen zum Thema Industrie 4.0 als Experte für Technologie und Management positionieren. Er ist für solche interdisziplinären Themen geradezu prädestiniert. Betrachten wir zum Beispiel das Bestandsmanagement. Vor der „totalen Vernetzung“ der 4. Industriellen Revolution wurde unter „Bestandsoptimierung“ bekanntermaßen vorwiegend die isolierte Optimierung der eigenen Bestände eines Unternehmens verstanden, was zu den bekannten Problemen entlang der Lieferkette führte. Heute sind wir dank der technologischen Revolution und auf Basis von Big Data zumindest technisch in der Lage, das Thema völlig anders anzugehen und Bestände über eine komplette Kette zu optimieren. Außerdem setzt sich bei vielen Artikeln der 3-D-Drucker mehr und mehr durch: Druck ersetzt Beschaffung und Lager. Das revolutioniert vor allem das Obsolescence Management, das Vorhalten von Ersatzteilen für die Reparatur von längst nicht mehr produzierten Artikeln. Und das sind nur einige exemplarische Veränderungen, die vor uns liegen oder bereits angelaufen sind und den Einkauf zum idealen Partner für das Thema machen – wenn, sobald und sofern er sich des Themas annimmt.
Voraussetzungen schaffen. Das setzt voraus, dass der Einkauf sowohl die Tragweite als auch das Dienstleistungs- und Profilierungspotenzial des Themas erkennt – und es nicht anderen überlässt. Es setzt voraus, dass seine Verantwortlichen ein entsprechendes Themenbewusstsein entwickeln, ihre eigenen Experten auswählen und trainieren, damit sie die Diskussion intern auch kompetent führen können. Hierin liegt ein Engpass. Damit der Einkaufsexperte für die 4. Industrielle Revolution fit wird, benötigt er eine weitere interdisziplinäre Qualifikation, die über die beliebten Eintagesseminare mit Vortragscharakter hinausgeht. Nach solchen Veranstaltungen weiß der Teilnehmer zwar vielleicht, was „Industrie 4.0“ bedeutet – aber er weiß nicht, was Industrie 4.0 für sein Unternehmen bringt. Deshalb braucht es einen anderen Ansatz. Ein mögliches Konzept liefert der Projektansatz, bei dem zusammen mit einer externen Trainings- oder Expertenorganisation eine interne Projektgruppe die zentralen Fragen idealerweise in Form einer sogenannten Potenzialanalyse klärt: Wo konkret können wir in Industrie 4.0 einsteigen? Wo liegen bei uns die Potenziale? Wo lohnt es sich für uns? Und wo sollten wir lieber die Finger davon lassen? Diese Fragen sollten beantwortet werden.
Fazit: Thema besetzen! Es wäre zu wünschen, dass der Einkauf sie mitbeantwortet. Dass er das Thema besetzt, die Diskussion beginnt und weiterführt. Die Logistik macht es vor. Sie wird oft als „Treiber der 4. Industriellen Revolution“ bezeichnet, während der Einkauf in dieser Diskussion noch keine große Bedeutung erlangt hat. Das soll sich bitte ändern.
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