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Einkaufsexzellenz im Anlagenbau

Projekteinkauf
Einkaufsexzellenz im Anlagenbau

Ein proaktiv agierender Einkauf wird für Projekterfolge im Anlagenbau immer wichtiger. Oft macht das Geschäft derjenige, der am schnellsten liefern kann. Umso wichtiger ist es da, bereits vor einer Auftragserteilung mögliche Lieferquellen zu identifizieren und passende Lieferanten zu qualifizieren. Einkaufsexzellenz im internationalen Anlagenbau verlangt neben einem strategischen Beschaffungsmarketing ausreichende „vor-Ort-Präsenz“ qualifizierter, erfahrener Einkäufer. Organisatorisch hat sich zudem bewährt, einen speziellen Projekteinkauf zu etablieren, der als zentrale Einkaufsschaltstelle bei jedem Großprojekt von Beginn an „mit am Tisch sitzt“ und die Einkaufssicht einbringt.

Im internationalen Anlagenbau unterscheiden sich die Anforderungen an den Einkauf in vielfältiger Form von den Herausforderungen, wie sie typischerweise im Seriengeschäft anzutreffen sind: Der Einkauf im internationalen Anlagengeschäft ist primär gefordert, vorausschauend ein flexibel nutzbares Netzwerk prinzipiell geeigneter, zuverlässiger Lieferanten aufzubauen – weltweit, bevor ein möglicher Projektauftrag unter Dach und Fach gebracht ist.

Ein proaktives Vorgehen wird umso wichtiger, je internationaler ein Anlagenbauer unterwegs ist und je mehr Fremdleistungen er in seinen (Groß)-Projekten benötigt. Fakt ist: Der Beschaffungsanteil im Anlagenbau nimmt ständig zu, 50 bis 60 Prozent scheinen inzwischen typisch zu sein. Damit steigt im Anlagenbau nicht nur generell die Bedeutung des Einkaufs für den Projekterfolg. Immer wichtiger wird es vor dem Hintergrund der fortschreitenden Globalisierung auch, lokal vor Ort über geeignete Lieferanten zu verfügen. Ohne eine hohe Flexibilitätsreserve in der Lieferantenbasis ist Einkaufsexzellenz im Anlagenbau nicht zu erreichen.
Oft macht im Anlagenbau derjenige das Geschäft, der am schnellsten liefern kann. Ein Anlagenbauer, der – basierend auf seinen strategischen Überlegungen zum künftigen Geschäft – seine Warengruppen festgelegt und die passenden Lieferanten dafür bereits vorqualifiziert hat, ist Konkurrenten, die mit diesen Arbeiten erst nach erfolgter Auftragsvergabe beginnen, einen Schritt voraus.
Mit zunehmender Ausbreitung des eigenen Geschäftes in den neuen globalen Wachstumsmärkten muss sich auch der Einkauf internationalisieren. Vor-Ort-Präsenz und Einkäufer, die den lokalen Beschaffungsmarkt gut kennen und sich um die dortigen Lieferanten kümmern, werden immer wichtiger. Das aber bedeutet: Zusätzlich zum strategischen Beschaffungsmarketing wird auch das Human Resource Management von Einkäufern im Ausland zu einem erfolgskritischen Faktor. Das relevante Stichwort heißt hier „projektabhängige Ressourcensteuerung“.
Größe Bandbreite an Fähigkeiten. Für jede Warengruppe sollte man daher wissen, wie wichtig aus strategischer Sicht die vor Ort zu beschaffenden Teile oder Komponenten sind und welche Anforderungen daraus an potentielle Lieferanten resultieren. Auch die speziellen Einkaufsanforderungen in den verschiedenen Warengruppen sollten bekannt sein.
Für jede Warengruppe gelten spezielle Anforderungen an die Einkaufsorganisation (im Hinblick auf Struktur, Prozesse, Systeme, Rollen und Aufgaben):
  • Bei Komponenten und den meisten C-Teilen ist Bestelleffizienz das A & O.
  • Beim Einkauf von Gewerken sollte der Einkauf darauf vorbereitet sein, eine Vielzahl von Änderungsverhandlungen führen zu müssen.
  • Beim Einkauf von Maschinen und Aggregaten bzw. Standardkomponenten wie Motoren, Schaltschränken, Steuerungseinheiten etc. kommt es dagegen primär auf profundes Verhandlungsgeschick an. Da den Einkäufern bei dieser Warengruppe meist speziell ausgebildete Verkäufer gegenüberstehen, ist es ungemein wichtig, Verkaufstaktiken zu beherrschen und die passenden Hilfsmittel zu nutzen, um in diesen Verhandlungen erfolgreich zu sein. Erfolge auf diesem Feld erfordern besonders gut entwickelte Soft-Skills.
Im Vergleich zum Seriengeschäft ist die Bandbreite, die der Einkauf mit seinen Leistungen und Fähigkeiten abzudecken hat, deutlich größer. So muss der Einkäufer zum Beispiel dynamischer und in seiner Verhandlungsführung wesentlich flexibler sein. Vor Ort findet man praktisch immer eine Art Prototypsituation vor: ständig muss nachgebessert, nachgeliefert und angepasst werden. Flexibilität, Reaktionsgeschwindigkeit und eine – im Vergleich zum Seriengeschäft – wesentlich größere Eigenständigkeit und Entscheidungsfreiheit sind erfolgskritisch.
Einkaufsentscheidungen müssen oft sehr schnell getroffen werden. Weil der Einkäufer auf die unterschiedlichsten Typen von Geschäfts- und Verhandlungspartnern trifft, sollte er nicht nur durchsetzungs- und entscheidungsstark sein, sondern auch über ein hohes Maß an sozialer Intelligenz und interkultureller Kompetenz verfügen. Mit einem Brasilianer muss man nun mal anders verhandeln als mit einem Lieferanten aus dem Reich der Mitte.
Leistung wichtiger als Preis. Preisverhandlungen spielen bei weitem nicht die dominierende Rolle wie im Seriengeschäft. Zum einen ist der Hebel von Erfolgen bei den Preisverhandlungen im Kontext eines großen Anlagenprojektes normalerweise nicht sonderlich groß. Stärker fällt aber noch ins Gewicht, dass dem Einkäufer meist gar keine Zeit für akribisch vorbereitete Preisverhandlungen bleibt. Gleiches gilt für ausgeklügelte Marktrecherchen nach den weltbesten Lieferanten. Auch dafür fehlt meist die Zeit. Umso wichtiger ist es, dass der Einkäufer zum Auftragszeitpunkt auf den erwähnten Pool bereits vorqualifizierter Lieferanten zurückgreifen kann.
Da dem Preis als Auswahlkriterium eine deutlich geringe Bedeutung zukommt, müssen bei der Lieferantenauswahl verstärkt auch andere Charakteristika in die Beurteilung einfließen.
Bewährt hat sich in der Praxis, die Leistungsfähigkeit bzw. Eignung von Lieferanten über ein Bonus-Malus-System miteinander vergleichbar zu machen. Mit einem solchen Instrument lassen sich auch Aspekte wie Flexibilität, Kundenorientierung und weitere sogenannte „weiche“ Faktoren zur Lieferantenbewertung nutzen. Es gibt Unternehmen, die mehr als 20 strategisch relevante Faktoren definiert haben, für die sie die entsprechenden Werte ermitteln. Hinzu kommen etwa zehn weitere, leistungscharakterisierende Faktoren, die ebenfalls je Lieferant erhoben werden und in die Gesamtbewertung eines Lieferanten einfließen. Im Endeffekt wird es durch eine solche Bonus-Malus-Betrachtung möglich, alle entscheidungsrelevanten Kosten zu ermitteln und die Werte pro Lieferant miteinander zu vergleichen. Dabei zeigt sich nicht selten, dass Lieferanten, die bei einem reinen Preisvergleich „unter ferner liefen“ rangieren würden, aufgrund anderer Vorzüge doch den Zuschlag bekommen.
Eine Bonus-Malus-Bewertung sollte man nur bei Lieferanten vornehmen, mit denen man über einen längeren Zeitraum partnerschaftlich zusammenarbeiten möchte. Grundvoraussetzung für eine sinnvolle Nutzung des Instrumentes ist mithin eine gewisse Wahrscheinlichkeit, dass es in der Zukunft weitere vergleichbare Großprojekte in der betreffenden Region gibt und die vom Lieferanten einzubringenden Leistungen strategische Relevanz besitzen.
Die besten Ergebnisse lassen sich erfahrungsgemäß erzielen, wenn in den Bewertungsprozess alle Unternehmensbereiche mit einbezogen werden, die mit dem Lieferanten in irgendeiner Form zu tun haben. Das Zusammenstellen, Definieren und Gewichten der projektrelevanten Lieferantenbewertungskriterien ist eine Aufgabe, bei der die Erfahrung spezialisierter Berater eine wertvolle Hilfe sein kann. Ein zu komplexes System nutzt niemandem.
Zentrale Schaltstelle und Bindeglied. Viele Anlagenbauer sind so organisiert, dass der Projektleiter über den Einkauf der wirklich relevanten Umfänge entscheidet. Er legt fest, welcher Lieferant am Ende den Zuschlag erhält. Diese Konstruktion ist bei zunehmendem Umfang des Projektgeschäftes in fernen Regionen dieser Welt nur eine suboptimale Lösung. Besser wäre es, wenn die Unternehmen einen speziellen Projekteinkauf etablierten. Der Projektleiter kann sich dann voll und ganz auf die Leistungserstellung und die Termineinhaltung konzentrieren und muss sich nicht in einer Nebenfunktion noch als Einkäufer betätigen.
Bei guten organisatorischen Lösungen obliegt dem Projekteinkauf weit mehr als nur die reine Beschaffungsfunktion. Der Projekteinkauf kümmert sich zum Beispiel darum, dass ausschreibungsrelevante Informationen für besonders wichtige Zeichnungsteile und andere komplexe Leistungen rechtzeitig verfügbar sind. Bei der heute vorherrschenden Organisation ist dies oft nicht gegeben.
Ein weiterer Vorteil der Projekt-EK-Lösung liegt in der Korrektivfunktion, die eine solche Organisationseinheit ausübt. Erfahrene Spezialisten stimmen die Aufgaben im Einkauf mit den Anforderungen der übrigen Organisation ab – insbesondere Entwicklung und Vertrieb – prüfen und halten diese im Sinne einer internen Qualitätssicherung nach (Abb. 1).
Generell sollte der Projekteinkauf schon bei der Angebotsstellung an den Kunden mit eingebunden werden, um seine spezifische Einkaufssicht auf Kosten und Termine einzubringen. Von Beginn an mit am Tisch sitzen sollte er auch, wenn es um „Make or Buy“-Entscheidungen geht. In aller Regel kann der spezialisierte Projekteinkäufer wesentlich besser als der Projektleiter einschätzen, ob Lieferanten bestimmte Teile überhaupt produzieren können, wie viel Zeit sie dafür benötigen, ob pünktlich geliefert werden kann und zu welchen Preisen.
Je größer der Zukaufanteil an der Gesamtleistung in einem Großprojekt, umso wichtiger wird eine Organisationseinheit, die solche Bewertungen professionell vornehmen kann und die zugleich jederzeit den Überblick über das Gesamtgeflecht aus Lieferanteneinbindungen behält. Von solchen Lösungen sind die meisten Unternehmen des Anlagenbaus noch weit entfernt.
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