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Einkaufsorganisationen an Prozessen ausrichten

Im Mittelpunkt des Einkaufs stehen die Beschaffungsprozesse
Einkaufsorganisationen an Prozessen ausrichten

Die Weiterentwicklung und organisatorische Gestaltung der Einkaufsfunktion ist eng mit dem Strukturwandel der Wertschöpfung verknüpft. Die Prozessperspektive eröffnet dabei den Blickwinkel für Einsparpotenziale in den Wertschöpfungsketten im Unternehmen und zwischen Unternehmen.

Dr. Stefan Schifferer, Geschäftsführer der Beratungsgesellschaft Emporias Business Solutions GmbH in Unterföhring/München; E-Mail: schifferer@emporias.org

Ein ausgeprägtes Prozessverständnis bildet die Grundlage für die wirtschaftliche Nutzung von IT-Systemen im Einkauf. Der Prozessgedanke ist auch konsequent auf die Gestaltungsfrage der Einkaufsorganisation zu übertragen. Die Einkaufsorganisation muss dabei sowohl materialgruppenspezifische, regionale, strategische und verhaltenswissenschaftliche Aspekte berücksichtigen. Es sind dabei grundlegende Typen von Einkaufsprozessen zu unterscheiden. Sie stellen unterschiedliche Anforderungen an die Verzahnung der Ablauf- mit der Aufbauorganisation eines Unternehmens. Beschaffungsprozesstypen und Organisationsleitlinien führen zu Basismodellen zur Abbildung der Beschaffungsprozesse. Bei vielen Unternehmen sind einzelne Bestandteile dieser Grundmuster vorhanden, eine konsequent prozessorientierte Ausrichtung des Einkaufs ist jedoch vielfach noch nicht erreicht.
Volumenbündelung, Zentralisation, Standardisierung und insbesondere die Lieferantenentwicklung und -anbindung sind Schlagworte, die im Einkauf intensiv diskutiert werden. Die Gestaltung von flexiblen Abläufen, die sich rasch an neue Erfordernisse im Umfeld anpassen, steht im Mittelpunkt der Veränderung. Funktionale Strukturen weichen flexiblen, prozessorientierten Arbeitsgruppen. Der moderne Einkauf erschließt sich zunehmend seine ergebnisrelevanten Potenziale an der Schnittstelle zu seinen Lieferanten, häufig gemeinsam mit der Produktentwicklung. Aufgrund der Zusammenführung von Entwicklungs-, Fertigungs- und Lieferleistungen zu Systemleistungen und deren Vergabe an eine begrenzte Anzahl von Lieferanten wächst dem Einkauf eine umfassende Gestaltungsfunktion von Wertketten zu, die ökonomische, logistische und technische Aspekte in sich vereint. Die Beschaffung hat eine zentrale Rolle bei der Ausrichtung der Wertschöpfungsnetzwerke. An die Stelle eines operativ ausgerichteten Einkaufs tritt ein strategisches, an Erfolgspotenzialen orientiertes Management von Wertketten.
Der Einkauf im Unternehmen stellt im modernen Verständnis eine Dienstleistungsfunktion dar, deren Leistungserbringung mehr und mehr als Prozess wahrgenommen wird.
Die Ausschöpfung von Kostensenkungspotenzialen in der Materialwirtschaft erfolgte seit jeher durch die Verfolgung verschiedenster Optimierungsrichtungen: Volumen-Bündelungen, Standardisierung, Plattformstrategien- und Gleichteilkonzepte, Lieferantenentwicklungsprogramme, Kostensenkungsprogramme, Wertanalysen, Just-in-time Anlieferungen, Konsignationslager, Lieferantenkonzentration, C-Teile-Management oder Outsourcing sind die Bausteine hierzu.
Organisatorische Herausforderungen
Der Einkauf sollte vor allem eine nach Bedeutung und Intensität der Zusammenarbeit mit den Lieferanten zu differenzierende Einkaufsstrategie verfolgen. Wirksame Veränderungen in Bezug auf die Beschaffungsmärkte, die Produktentwicklung, die Nutzung von Bündelungseffekten, die Konzentration der Lieferantenanzahl sind hieraus die Folge. Diesem Wandel muss auch die Einkaufsorganisation eines Unternehmens Rechnung tragen. Dem Einkauf fällt in den meisten Fällen eine zentrale Bedeutung für die Sicherstellung der Wirtschaftlichkeit eines Unternehmens zu. Sie ist vor allem dadurch geprägt, dass der Einkauf in allen Phasen des Produktlebenszyklus‘ nachhaltig die Wertgestaltung der Produkte beeinflusst.
Um differenzierte Abnehmer-Lieferanten-Beziehungen effizient zu gestalten, fehlen vielfach die organisatorischen Voraussetzungen im Einkauf, etwa die konsequente Trennung von strategischen und operativen Aufgaben, was häufig zu einer hohen operativen Belastung der Einkäufer führt, strategische Aufgaben kommen zu kurz. Fehlt die Kongruenz von Aufgabe, Verantwortung und Kompetenz, beispielsweise bei der Zusammenarbeit von Einkauf und Entwicklung, kommt es bei der Substitution von Beschaffungsgütern zu einseitig dominierten Vergabeentscheidungen. Einkäufern fehlt eher das technische Know-how, Entwicklern das beschaffungsspezifische Instrumentarium. Die internen und externen Kunden des Einkaufs machen enge Vorgaben, technische Diskussionen über Lösungskonzepte finden kaum statt.
Die späte Einbindung des Einkaufs in die Produktentwicklung erfordert vielfach kurzfristige Aktivitäten seitens des Einkaufs außerhalb der Beschaffungsstrategie. Die Kontaktaufnahme zu Lieferanten durch die Entwicklung oder andere Abteilungen erfolgt ohne Abstimmung mit dem Einkauf, Bedarfe werden schon spezifiziert und vorverhandelt. Die fehlende strategische Ausrichtung der Einkaufsfunktion führt auch dazu, dass ein breites Konzept- und Methodenwissen der Einkaufsmitarbeiter kaum eingefordert wird. Die hohe Anzahl Beteiligter bei Beschaffungsentscheidungen erschwert ein strategiekonformes Verhalten zum Beschaffungsmarkt hin, es kommt zur Erosion der Einkaufsmacht, Bündelungseffekte werden nicht realisiert. Bereichsegoismen verhindern häufig koordinierte Einkaufsaktivitäten, vielfach werden gleiche oder ähnliche Materialien oder Dienstleistungen von Geschäftseinheiten von jedem Einkaufsbereich separat angefragt und mit unterschiedlichen Ergebnissen verhandelt.
Zum Teil verfügen die Einkäufer selbst über ein eingeschränktes Methoden- und Konzept-Know-how als Grundlage für die Formulierung und Ausgestaltung von Beschaffungsstrategien. Die Einkaufsaktivitäten werden als reine Routine ohne Innovationen gehandhabt, man hat alles im Griff. Der Einkauf hat mit mehreren Problemen gleichzeitig zu kämpfen: Einzelne Geschäftseinheiten kaufen getrennt voneinander ein, Entwicklungsingenieure legen oft eigenmächtig die Lieferanten fest, neue kostengünstige potenzielle Lieferquellen haben wegen der fehlenden Transparenz und Objektivität in Entscheidungsprozessen keine Chance, und die Einkaufsmitarbeiter einzelner Abteilungen selbst sind alleine nicht in der Lage, diese Probleme zu lösen. Grundlage für eine Veränderung stellt zunächst ein gemeinsames Verständnis über die Unterschiede in Beschaffungsprozessen dar.
Typologie der Beschaffungsprozesse
Im Vordergrund steht zunächst die Trennung von strategischen und operativen Einkaufsaufgaben. Die aufgabenlogische Trennung von strategischen und operativen Aktivitäten einerseits und die objektorientierte Unterscheidung von Produktions- und Nicht-Produktionsmaterial andererseits führt zu einer Systematisierung von Einkaufsaktivitäten als Vorstufe zur Abgrenzung von Einkaufsprozessen. Als klassische strategische Einkaufsaktivitäten sind alle Aktivitäten anzusehen, die der Planung, Ausgestaltung, Umsetzung und dem Controlling von Abnehmer-Lieferanten-Beziehungen entlang der Produktentwicklung dienen. Operative Einkaufsaktivitäten hingegen dienen der Abwicklung und Realisierung der physischen Güterbereitstellung und -versorgung.
In der Praxis sind zwei wesentliche operative Sub-Prozesse besonders bedeutend: der Einkauf mit Rahmenvertrag und die Einzelbeschaffung ohne Rahmenvertrag. Bei Einzelbeschaffungen ohne Rahmenvertrag fallen mit der Lieferantensuche, Lieferantenauswahl und -bewertung der Vertragsverhandlung wiederkehrend zusätzliche Einkaufsaktivitäten an. Mit Hilfe von Rahmenvereinbarungen können nicht nur attraktive Konditionen, sondern auch Prozessvereinfachungen realisiert werden.
Die begriffliche Abgrenzung zwischen direktem und indirektem Material ist fließend, insbesondere dann, wenn es sich z.B. um Software oder Programmierleistungen für Systeme im Produkt handelt. Als direkte Güter sind alle Leistungen und Güter anzusehen, die in das Produkt einfließen. Indirekte Güter hingegen werden im Rahmen der Wertschöpfung genutzt oder verbraucht, fließen aber nicht in das Produkt ein. Programmierleistungen und die damit verbundenen Dienstleistungen haben einen zunehmenden Anteil am gesamten Beschaffungsvolumen und stellen die Einkaufs- und Entwicklungsorganisation vor neue Herausforderungen. Investitionsgüter können den indirekten Gütern zugerechnet werden, sie grenzen sich vor allem durch das Überschreiten einer Wertgrenze und die Wiederholhäufigkeit der Bestellung zu den übrigen indirekten Gütern ab. Diese Gütergruppe stellt aufgrund dieser Eigenschaften wiederum andere Anforderungen an die Einkaufsprozesse und somit die Organisation.
Mit dem zunehmenden Anteil des Einkaufsvolumens an der gesamten betrieblichen Leistung nimmt auch die Bedeutung der frühen Einbindung des Einkaufs entlang des Produktlebenszyklus‘ eines Produkts zu. Es erfordert eine Vorverlagerung und Verzahnung von Einkaufsaktivitäten mit dem Entwicklungsprozess. Zu unterschiedlichen Zeitpunkten im Produktlebenszyklus fallen strategische Einkaufsaufgaben an, die immer ähnliche Einkaufsaktivitäten voraussetzen.
Neben diesen Haupttypen stehen die davon unabhängigen Einkaufsaktivitäten, wie Standardisierung, Wertanalysen, TCO-Projekte oder Bündelungen von Materialen. Sie werden häufig in Form von eigenständigen Projekten abgewickelt. In zeitlich begrenzter und gebündelter Form können dies auch Potenzialanalysen oder Kostensenkungsprogramme sein. Die unterschiedlichen Prozesstypen gehören dagegen zum dauerhaften Aufgabenspektrum des Einkaufs. Sie stellen jeweils unterschiedliche Anforderungen an die Mitarbeiter hinsichtlich ihrer Qualifikation und unterscheiden sich vor allem hinsichtlich ihrer Bedeutung für das Unternehmen. Die unterschiedlichen Ausprägungen lassen sich an folgenden Merkmalen festmachen:
  • 1. Wesentliche Zielrichtung und Aufgabe,
  • 2. Gestaltungsanforderung für die Organisation,
  • 3. Erforderliches Know-how der Einkäufer,
  • 4. Systemunterstützung und
  • 5. Wertbeitrag für Unternehmen.
Dies führt in der Folge zu unterschiedlichen Lösungsansätzen, um diesen Prozesstypen in einer Aufbauorganisation des Einkaufs gerecht zu werden.
Strategischer Einkauf direkter Güter: Prozesse und Lieferanten entwickeln
Mit diesem Einkaufsprozess werden in den meisten Unternehmen 50-60% der Herstellkosten festgelegt. Die Hauptaufgabe besteht in dem Aufbau und der Weiterentwicklung einer Lieferantenstruktur vor dem Hintergrund eines im Rahmen einer Make-or-buy-Entscheidung festgelegten Beschaffungsumfangs für direkte Materialien.
Die wesentlichen Herausforderungen bestehen bei diesem Einkaufsprozess meist in der Verzahnung der Einkaufsaufgaben mit der Entwicklung einerseits und der Bündelung von Volumina zwischen Unternehmensteilen andererseits. Vielfach werden die Aktivitäten von Standardisierungen und technischen Entfeinerungen begleitet. Er stellt die höchsten Anforderungen an die Einkäufer hinsichtlich Methodenkompetenz und Qualifikation.
Die enge Verknüpfung zur Entwicklung erfordert materialgruppenspezifisches Know-how, das nicht allein durch Methodenkompetenz kompensiert werden kann. Eine nach Materialgruppen aufgeteilte Beschaffungsorganisation ist hier am häufigsten anzutreffen. Die Bündelung wird meist durch Materialgruppen- oder Lieferantenmandate realisiert. Hier ist ein möglichst hoher Zentralisationsgrad und der Einsatz von Koordinationsinstrumenten zur Bündelung gleichartiger Materialgruppen anzustreben. Die Praxis lehrt, dass gerade die koordinierte Bündelung der Materialbedarfe aufgrund lokaler Vormachtstellungen schwierig ist. Die Einkaufsmacht wird durch das verhandelte Einkaufsvolumen manifestiert.
Die Integration der Beschaffungsaufgabe mit der Produktentwicklung wirft für viele Unternehmen die Frage auf, den Einkauf in die Entwicklung zu integrieren oder umgekehrt. Entscheidend ist das gemeinsame Objekt der Entwicklung oder Beschaffung, an dem eine Zusammenführung der Aufgaben stattfinden muss. In der Automobilindustrie sind es z.B. Systeme und Module, in der Medizintechnik zu integrierende Systemkomponenten.
Da die strategischen Einkaufsaufgaben in einer weitgehend logischen Abfolge wie Spezifikation, Suche, Bewertung, Auswahl, Verhandlung, Abschluss stattfinden, besteht die eigentliche Gestaltungsaufgabe darin, diese Einkaufsaktivitäten mit den Aktivitäten im Entwicklungsprozess zu harmonisieren.
Dies kann z.B. über die Materialgruppen, Commodities oder Projekte der Entwicklung erfolgen. Wesentliche Messgrößen sind dabei die Erhöhung der Einhaltung der Time-to-Market, die Einhaltung der Zielkosten sowie die Einkaufspreise und Konditionen für die laufende Serie. Global agierende Unternehmen mit weltweiten Produktionsstandorten setzen schon lange auf Commodity-Teams, die objektbezogen und über mehrere Produktionsstandorte hinweg alle Aktivitäten koordinieren, über Lead-Buyer werden Bündelungspotenziale ausgeschöpft, Competence-Center sorgen für technologische Weiterentwicklung der Commodities. Um die spezifischen Vorteile weltweiter Beschaffungsmärkte nutzen zu können, ist lokale Präsenz erforderlich.
Die Koordination eines weltweiten Beschaffungsnetzwerkes erfolgt vielfach in Gremien wie z.B. Strategic Sourcing Commitees oder einem Global Purchasing Council. Voraussetzung dabei ist, dass eine belastbare und am End-Produkt orientierte Segmentierung der Material- und Funktionsgruppen vorliegt. Sie bildet die Grundlage für eine gezielte strategische Ausrichtung von Materialgruppen und die Ausrichtung des Einkaufs auf die Beschaffungsmärkte.
Operativer Einkauf direkter Güter: Versorgung sicherstellen
Der Schwerpunkt liegt in der termin-, qualitäts- und mengengerechten Versorgung der Produktion mit Gütern, die in das Endprodukt einfließen. Die primäre Gestaltungsaufgabe für die Einkaufsorganisation liegt in der Gestaltung der Schnittstelle zwischen Material-Disposition, operativem Einkauf und der Produktion. Operative Einkaufsaktivitäten für direkte Güter sind möglichst dezentral anzuordnen, und zwar lokal möglichst nah am Ort des tatsächlichen Verbrauches. Während durch den strategischen Einkauf im Rahmen der Produktentwicklung die Logistikprozesse ausgestaltet sind, setzt der operative Einkauf diese tagtäglich in Abstimmung mit der Produktion und Lieferanten um.
Die zweite wesentliche Gestaltungsaufgabe liegt in der Ausbildung effizienter Logistikstrukturen. Der entscheidende Hebel zur Steigerung der Effizienz sind die logistischen Abläufe der Versorgung sowie der dazu erforderliche Informationsfluss. Abhängig von den logistischen Kenngrößen Verbrauchsmenge und -stetigkeit einerseits und Kapitalbindung andererseits führt dies zur Ausbildung unterschiedlicher Anlieferkonzepte von Lagermaterial über Jit, Kanban bis hin zu Einzellieferungen. Vielfach ist eine hohe Systemunterstützung seitens der ERP-Systeme gegeben, um eine hohe Prozesseffizienz sicherzustellen. Konzepte wie Supplier-managed-Inventory oder Zahlung nach Verbrauch senken die Logistikkosten.
Verbesserungspotenzial besteht für viele Unternehmen in der Senkung der Durchlaufzeiten und in dem Umsetzen eines aktiven Lieferantencontrollings nach Terminen, Mengen und Qualitäten. Dies stellt in Abgrenzung zur Disposition eine andere Aufgabe an die operativen Einkäufer, insbesondere hinsichtlich der Kommunikation nach außen. Wird die Kette über den 1-tier-Lieferanten hinaus betrachtet, entsteht die Anforderung der Ausgestaltung eines Supply-Netzes zur Versorgung. Diese Aufgaben müssen als ein Teil strategischer Einkaufsaufgaben in einer Einkaufsorganisation abgebildet werden.
Wesentliche Potenziale bei der prozessorientierten Ausrichtung des Einkaufs bestehen in der Senkung der Bestände und Logistikkosten und der Erhöhung der Produktivität durch Verminderung der Versorgungsengpässe durch erhöhte Termin- und Mengentreue. Viele Unternehmen haben sich zuletzt dem C-Teile-Management zugewendet, um dort Prozesskostenpotenziale zu erschließen. Der Hebel ist jedoch in Relation zu den A-Materialien eher gering. Bei Dienstleistungen verstärkt sich der Trend, die Leistungserbringung schon beim Einkauf präziser zu spezifizieren und die Leistungserbringung in kurzen Zyklen zu verfolgen.
Strategischer Einkauf indirekter Güter: Struktur schaffen
Kaum eine Gütergruppe ist so breit gefächert wie die indirekten Güter eines Unternehmens. Auch hier muss am Anfang eine Unterscheidung von wesentlichen Gütergruppen stehen. Mit Investitionsgütern und indirektem Verbrauchsmaterial sind zwei wesentliche Typen zu unterscheiden. Während Investitionsvolumina schnell Millionenbeträge ausmachen, liegt der Durchschnittspreis des sonstigen indirekten Materials bei vielen Unternehmen bei weniger als 25 Euro pro Bestellposition. Die sonstigen indirekten Güter haben in Summe meist einen Anteil von weniger als 15 % am gesamten Beschaffungsvolumen.
Investitionsgüter erfordern eine exakte Spezifikation durch den späteren Nutzer, der strategische Einkauf bringt das Beschaffungsmarkt-Know-how und Methoden-Know-how bei der Auswahl und Verhandlung und Preisfindung mit ein. Gerade Maschinen und Anlagen erfordern ein hohes technisches Verständnis der Einkäufer, vielfach besteht die eigentliche fachliche Kompetenz in den Fachabteilungen. Die wesentliche Gestaltungsaufgabe liegt hier in der Zusammenführung der beiden erforderlichen Kompetenzen. Häufig ist die Methodenkompetenz in einer Art technischer Einkauf gebündelt.
Die Beschaffung der Investitionsgüter wird als Projekt abgewickelt, so dass die eigentliche Zusammenführung im Projektablauf erfolgt. Hier bestehen Parallelen zum strategischen Einkauf der direkten Güter, insbesondere in der Abfolge der Einkaufsaktivitäten. An Bedeutung gewinnt hierbei der zunehmende Einkauf von IT und Dienstleistungen, Telekommunikation und Energie. In der Praxis bilden sich, abhängig von dem Beschaffungsvolumen, material- und beschaffungsmarktspezifische Fachabteilungen aus. Die strategische Beschaffung von indirekten Gütern ist, ähnlich zu den direkten Gütern, durch das Schaffen und aktive Management einer Lieferantenstruktur geprägt. Vielfach können durch bedarfsseitige oder lieferantenseitige Bündelungen Effekte erzielt werden. Konflikte entstehen durch langfristige Vereinbarungen der Fachabteilungen mit Haus- und Hoflieferanten oder gar ein Beschaffen der Fachabteilungen vorbei an Systemen und Einkauf.
Eine bedeutende Gestaltungsaufgabe liegt in der organisatorischen Zusammenführung der strategischen Einkaufsaktivitäten für alle indirekten Güter in einer zentralen Einkaufsabteilung. Vielfach kann über einen Projekteinkäufer oder ein Buying-Center eine Schnittstelle zwischen dem Projekt und der Organisation des strategischen Einkaufs geschaffen werden. Die strategische Aufgabe umfasst zudem die für die operative Abwicklung geeigneten IT-Systeme, wie z.B. E-Procurement oder Ausschreibungsplattformen. Der Einkauf entwickelt sich dabei zu einem internen Dienstleister. Die vorrangigen Aufgaben des Einkaufs bestehen dabei in der Schaffung von einfachen und verlässlichen Strukturen, die einen hohen Durchdringungsgrad in den Fachabteilungen erreichen.
Viele IT-Lösungen setzen an den Bestell- und Abwicklungsprozessen der indirekten Güter an, der Löwenanteil der Einsparungen resultiert jedoch aus der bedarfsgerechten Spezifikation und Neuverhandlung oder Bündelung der Volumina im Zuge der Vergabe. Spektakuläre Verhandlungserfolge durch Online-Aktionen haben in vielen Unternehmen das Augenmerk auf die Potenziale auch der indirekten Güter gelenkt. Die Strukturen für die dauerhafte Anwendung solcher Tools greifen in vielen Unternehmen mehr und mehr, vielfach werden hierfür eigene Abteilungen installiert.
Operativer Einkauf indirekter Güter: Versorgung organisieren
Wenn von Bestellprozessen für indirekte Güter die Rede ist, hat jeder zunächst das Büromaterial vor Augen, das mit Hilfe von Desktop-Purchasing-Systemen unterstützt wird, um eine hohe Abwicklungseffizienz zu erreichen. Dabei geht es um erheblich mehr. Vordringliche Aufgabe ist es, die Versorgung möglichst einfach und kostengünstig zu organisieren. Aufwändige Genehmigungsprozeduren sind hier eher hinderlich. Eine wesentliche organisatorische Zielsetzung besteht darin, einen möglichst hohen Anteil der Einzel-Bestellungen effizient über Systeme abzuwickeln, die Anzahl der genutzten Lieferanten oder Marktplätze zu konzentrieren und den Anteil der Einzelbestellungen zu minimieren.
Viele Desktop-Purchasing Systeme gehen einher mit einer Dezentralisierung der Bestellverantwortung auf die Kostenstellen oder Bedarfsträger. Neben der Einführung und Schulung eines Bestell-Systems ist die Übertragung der Bestellverantwortung die zentrale Gestaltungsaufgabe bei der Umsetzung elektronischer Bestellsysteme. Die Bestellverantwortung ist dabei weitestgehend zu dezentralisieren. In der Praxis wird dies häufig durch an Wertgrenzen orientierte Unterschriftsregelungen gelöst. Die Wertgrenzen sollten sich hierbei an der Verantwortung des Mitarbeiters orientieren. Es ist vielfach nicht einzusehen, warum eine Abteilung nicht selbständig über 200 Euro Büromaterial entscheiden soll, wenn gleichzeitig dort Ressourcen mit mehreren hunderttausend Euro verantwortet werden.
Auch die Versorgung mit Verbrauchmaterial für direkte Bereiche kann nach dem gleichen Prinzip organisiert werden. Die operative Beschaffung von Ersatzteilen oder MRO-Material ist häufig durch einen hohen Termindruck und erforderliches technisches Verständnis beim Bedarfsträger geprägt. Hier gilt es, den Grad der Dezentralisierung der Einkaufs- und Bestellverantwortung nach der erforderlichen Wiederbeschaffungszeit für die Versorgung festzulegen. Kritische Ersatzteile oder Werkzeuge müssen unbürokratisch und in Eigenverantwortung direkt geordert oder aus einem Magazin entnommen werden können.
Dienstleistungen haben einen wachsenden Anteil am Beschaffungsvolumen eines Unternehmens, werden jedoch vielfach noch aus Einkaufssicht stiefmütterlich behandelt. Gerade Dienstleistungen neigen dazu, in eine Organisation zu diffundieren, ohne dass eine regelmäßige Überprüfung der Notwendigkeit und erbrachten Leistung erfolgt. Hier hat es sich in der Praxis bewährt, eine unabhängige Kontrollinstanz aufzubauen, die ohne persönliche Präferenzen eine Überprüfung der erbrachten Dienstleistung und Anpassung an Marktbedingungen vornimmt.
Umsetzungsgrad in der Praxis
Dass die Beschaffungsprozesse die herausragende Bedeutung für die Fortentwicklung des Einkaufs besitzen, ist längst erkannt. Woran es jedoch vielfach noch mangelt, ist, die unterschiedlichen Zielsetzungen und Gestaltungsanforderungen aus den Prozesstypen in eine veränderte Gesamtorganisation zu überführen. Allein eine adäquate hierarchische Eingliederung des Einkaufs auf Geschäftsführungs- oder Vorstandsebene reicht dabei nicht aus. Hinzu tritt die Entwicklung einer Personalstruktur, die den unterschiedlichen und spezifischen Anforderungen gerecht wird. Viele Unternehmen haben sich im Zuge der Umsetzung von E-Business-Lösungen zwischen 1999 – 2002 mit der Einführung von Systemen zur Unterstützung von Beschaffungsprozessen auseinandergesetzt und dabei große Summen investiert.
Bestellsysteme oder Ausschreibungstools ersetzen aber nicht die Notwendigkeit, Strukturen und Prozesse vorzugeben, die es durch Systeme zu unterstützen gilt. Wenn Systeme zum Selbstzweck eingeführt werden, fällt eine ökonomische Bewertung meist ernüchternd aus. Dies liegt zum einen häufig an einer falschen Priorisierung der Projekte, vielfach kommt Prestige vor Potenzial, zum anderen scheuen sich viele Unternehmen, dann auch alte Strukturen in der Materialwirtschaft aufzubrechen. Ohne eine organisatorische Veränderung verpuffen erhoffte Effekte nach kurzer Zeit. Fazit: Der langfristige Nutzen wird nicht durch die Organisationsveränderung erreicht, sondern durch die veränderte Organisation des Einkaufs.
Literatur:
Schifferer, S.: Prozessorientierte Gestaltung der Einkaufsorganisation, München 2001.
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