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Erfahrungskurve und Lernende Organisation

Teil 5: Argumente zur Kostensenkung
Erfahrungskurve und Lernende Organisation

Erfahrungskurve und Lernende Organisation
Erfahrungskurve
In einem Wirtschaftslexikon für Trendsurfer (siehe Literaturhinweis/Shapiro) steht unter dem Stichwort Lernen: Die unbeabsichtigte Nebenwirkung eines Misserfolgs. Das kann man auch so formulieren: Der Anstoß zum Lernen kommt stets aus der Erkenntnis eines Mangels. Aber der Mangel muss als ein solcher erkannt sein. Dabei hilft uns Heraklit (alles fließt), der Philosoph aus Ephesos in Kleinasien. Wir ernennen ihn hiermit zum Patron der Manager: Wissen ist für den Wissenden eine zweite Sonne.

Günter Hirschsteiner

Lernen ist natürlich auch ohne die Bindung an einen vorbestimmten Zweck ein Wert für sich. Manager im Beruf müssen zum Lernen aber besonders einen schlüssigen Nutzwert erkennen, weil unmittelbare Ergebnisse von ihnen verlangt werden.
Lernen besteht aus vier Aspekten: den Erfahrungen (was man erfährt), dem Erkennen (was man erkannt hat), dem Wissen (was man gelernt hat) und den Fähigkeiten (was man kann). Fähigkeiten und Fertigkeiten bauen auf dem Erkennen und dem Wissen auf und schließen die Praxis mit ein. Pragmatisches Lernen bezieht sich nicht eigentlich auf ein fertiges Wissen, sondern vollzieht sich auf der Suche nach den besseren Lösungen.
Lernkurve
Sie beschreibt den Zusammenhang zwischen Dauer und Häufigkeit der Wiederholungen eines Produktionsprozesses mit seinen Input/Output-Relationen: Die sich wiederholende Übung der Mitarbeiter und organisatorischen Verbesserungen bewirken beweisbare arithmetisch-degressive Produktivitätsfortschritte.
Erfahrungskurve
Bei der Erfahrungskurve wird die Gesetzmäßigkeit der Lernkurve auf die Stückkosten übertragen. Sie schließt die Produktionsfaktoren ein, die bei der betrieblichen Wertschöpfung mitwirken. Das Erfahrungskurvenkonzept geht von der empirischen Feststellung aus, dass sich mit zunehmender Produktionsmenge gleichartiger Waren oder Dienstleistungen die Produktivität erhöht und dass jede Verdoppelung der Produktionsmenge eine Senkung der direkten Fertigungskosten um einen relativ konstanten Betrag, einem bestimmbaren Degressionsfaktor, bewirkt. Das sind jeweils 20 bis 30%, die sich allerdings nicht selbsttätig einstellen, sondern wenn die allfälligen Rationalisierungs-, Standardisierungs- und Automatisierungsmaßnahmen eingesetzt werden.
Die Erfahrungskurve beschreibt ein reales Kostensenkungspotential, das aktiv umgesetzt und rationell ausgenutzt werden muss. Die Erfahrungskurventheorie ist auch eine Grundlage der strategischen Portfolioplanung: Ein höherer Marktanteil ermöglicht eine günstigere Kostenposition auf der Erfahrungskurve und damit mehr Gewinn und einen besseren Cashflow. Der Output erhöht sich überproportional im Vergleich zum Input. Die positiven Wirkungen ergeben sich besonders in den wertschöpfenden Bereichen Beschaffung, Fertigung und Vertrieb.
Ein anderer Vorteilsaspekt ist die Fixkostendegression bei steigender Beschäftigung: Die mengenunabhängigen Fixkosten können kalkulatorisch auf eine größere Zahl von Produkten umgelegt werden. Dabei ergeben sich Mengen-, Kosten- und Zeiteffekte:
Erfahrungskurvengesetz, Maßnahmen und Wirkungen:
Verbesserung der Produktivität durch Arbeitserfahrung und -übung,
Rationalisierung der Abläufe durch steigende Produktionsmengen,
Vereinfachung der Verfahren durch Standardisierung,
Erhöhung der Ausbringung durch Automatisierung,
Prozessinnovationen, technischer Fortschritt,
Verbesserung der Verfahren zur Produktionsplanung und -steuerung.
Das gilt entsprechend auch für Führungs- und Verwaltungsaufgaben, wo sich besonders Übungsgewinne ergeben.
Verhandlungsargumente
Daraus ergeben sich Argumente, die für den Einkauf und das Beschaffungsmarketing bei den Verhandlungen und bei der alltäglichen Zusammenarbeit mit den Lieferanten relevant werden:
–Die Erfahrungskurve ist eine realistische Aussage zu einem wirtschaftlich relevanten Sachverhalt,
–ein höherer Marktanteil bewirkt niedrigere Stückkosten,
–in ihrem Marktsegment wachsende Unternehmen können bessere Einsparpotenziale aktivieren als stagnierende oder rückgängige,
–standardisierte Produkte und damit auch ihre Komponenten sind beste Voraussetzungen für Lernkurveneffekte,
–das Erfahrungskurvenkonzept ist bestens geeignet für Kostensenkungs- und damit auch für Zielpreisvereinbarungen.
In einem Aufsatz (siehe Literaturhinweis/Becker) werden uns branchenbezogene Richtwerte für den Degressionsfaktor der Erfahrungskurve mitgeteilt, z.B.:
Lkw 0,94
Pkw Mittelklasse 0,86
Haushaltgeräte 0,80
Unterhaltungselektronik 0,72
Standard-PC 0,60
PC-Bauteile, vollelektr. 0,50
Einfache Beratungen 0,50
Die Erfahrungskurve ist ein Instrument, das realistische Argumente für Kostensenkungsprogramme, nicht nur für den Einkauf und seine Lieferanten, beistellt.
Lernende Organisation
Was ist der Unterschied zwischen einer Lernenden Organisation? Diese semantisch nicht ganz korrekte Frage soll mit einer nicht ganz korrekten, aber einer die allgemeine Wirklichkeit beschreibenden Antwort versorgt werden: Lernende Organisationen sollen durch ein lernorientiertes Führungsklima ihre Aufgaben und Ziele besser erreichen. Oder bessere Methoden finden, die Probleme zu ignorieren. Man kann das auch so verstehen, dass in erster Linie die Organisation lernen soll, aber da diese von der Gesamtheit ihrer Mitglieder gebildet wird, verbleibt die Herausforderung bei dem einzelnen Mitarbeiter. Learning by doing. Auch das muss die Führung ermöglichen und fördern.
Begriff und Prinzip: Die Lernende Organisation ist eine betriebsorientierte Gestaltungs- und Führungsdenkweise, die aufgaben- und verhaltensorientiertes Lernen fördert und systematisiert. Die Fähigkeit effektiv zu handeln, soll durch eine lernorientierte, qualitative Steigerung des Wissens gefördert werden. Latentes Wissen und die Erfahrungen der Mitarbeiter sollen systematisch erschlossen und produktiv verfügbar gemacht werden. Das Unternehmen oder der Betrieb sollen sich gleichzeitig und gleichwertig als Lern- und Entwicklungseinheit vorwärtsgerichtet und erfolgsorientiert bewegen.
Konzept und Beschreibung: Mit den konventionellen Methoden von Weisung, Ausführung und Kontrolle, kann die Leistung der einzelnen Mitarbeiter heute kaum noch verbessert werden. Durch Beteiligung der Manager und Mitarbeiter, aber auch der Lieferanten, Kunden und Shareholder an den unternehmensstrategischen Planungen und Maßnahmen sollen weitere und neue Erfolgspotenziale erschlossen werden.
Dazu müssen sich grundlegende kommunikative Einstellungen manifestieren: Ein offener und durchgängiger Informationsaustausch sowie ein etabliertes und gefördertes Lernklima und ein konstruktiver Umgang mit Fehlern.
Zusätzlich werden von den Mitarbeitern besondere Fähigkeiten erwartet:
–Kreativität und Ambition,
–Intuition und Kritikfähigkeit,
–Vorstellungsvermögen, Nachdenklichkeit,
–Lernbegabung und Lernstreben.
In diesem Kontext bedeutet dann Lernen für alle: ganzheitlich und gemeinschaftlich gezielt an den gemeinsamen Aufgaben vom ersten Schritt an mitzuwirken, von der Problemdefinition bis zum fertiggestellten Produkt.
Lerneinheiten sind Arbeitsgruppen, Funktionsbereiche, Abteilungen, Betriebe und Unternehmen, die nicht nur sachliche und fachliche Fähigkeiten entwickeln, sondern auch die Merkmale, Ursachen und Wirkungen der sozialen Strukturen und Prozesse im Betrieb beherrschen sollen. Der einzelne Mitarbeiter muss erkennen, dass er selbst von den anderen lernen muss, da Lernen ein Prozess aus Versuch und Ergebnis ist, weil Fehler nützliche Informationen und Erfahrungen bewirken, wenn sie erkannt, akzeptiert und korrigiert werden können. Lernen muss der einzelne Mitarbeiter selbst wollen. Aber: es muss ihm auch möglich gemacht werden. Menschen, Gruppen und alle sozialen Systeme lernen nicht nur durch technokratische Aneignung von Wissen, sondern durch menschliche Erfahrung und Anpassung bei der Lösung ihrer Aufgaben. Lernen ist ein untrennbar integrativer Bestandteil der Arbeitsprozesse und ergibt so ein kontinuierlich optimierendes Verhalten, wenn dies gefördert wird. Soziales Lernen ist eine gezielte pragmatische Entwicklung der menschlichen Intelligenz.
Weil mit den konventionellen hierarchischen Weisungs- und Machtkompetenzen, verbunden mit taktischen Informationsvorteilen, oft Konfliktpotenziale ausgespielt werden, ergeben sich häufig Reibungs- und Effizienzverluste im Betrieb. Die Autorität der hierarchischen Ordnungen muss soweit kommunikativ überwunden werden.
Lernen ist ein wesentlicher, beabsichtigter und produktiver Teil der Arbeitsprozesse.
Anwendung: Das Konzept Lernende Organisation ist auf alle sozialen Systeme mit mehr als einer beteiligten Person anwendbar. Durch Informationsaustausch und durch die Verknüpfung von Wissen und Können ergeben sich flexible, effiziente und prozessorientierte Führungsstrukturen, die die individuellen Fähigkeiten der Mitarbeiter offenkundig, wirksam und synergistisch machen.
Das Prinzip der Lernenden Organisation zielt auf die menschlichen, die sogenannten weichen Faktoren der Produktivität. Wirkliches Lernen lässt sich nicht anweisen. Es muss sich in einem vorsätzlich gestalteten Klima, einer Lerngemeinschaft des Betriebes, ergeben. Der Aufwand ist niedrig und das Risiko gering, aber der Erfolg verstärkt die eingesetzten Mittel. Das Schwierigste ist die Änderung der Einstellungen in den Köpfen und die Überwindung machtgestützter Ambitionen und Trägheiten.
Qualitätszirkel
Eine betriebliche Institution des Lernens, des Erfahrungsaustausches, des Findens von Ideen und der Entwicklung von Lösungsalternativen in organisierten Qualitätszirkeln (quality circle). Gruppen mit 3 bis 12 Mitarbeitern sollen technische und soziale Verfahrensaspekte der Produktion behandeln und dabei die Produktivität und die Qualität insgesamt weiter entwickeln. Durch die Mitwirkung der Mitarbeiter auch bei der Planung der Arbeitsprozesse, können Arbeitsmotivationen und das Gruppenverhalten positiv beeinflusst werden. Qualitätszirkel haben regelmäßig keine Hierarchien. Für die Koordination der Gruppe wird ein Moderator benannt. Regelmäßig werden keine konkreten Aufgaben gestellt und soweit sollen auch die Ergebnisse nicht vorausbestimmt werden.
Ihre Ziele sind die Entwicklung des Selbstwertempfindens der Mitarbeiter, die Verbesserung der gruppendynamischen Prozesse und damit die Verbesserung der Arbeitsergebnisse des Betriebes.
Ähnliche Konzepte:
–Die Werkstattzirkel mit problemorientierten Aufgaben. Die Gruppenmitglieder werden verpflichtet, in wenigen Sitzungen eine konkrete Lösung für ein bestimmtes Problem auszuarbeiten.
–Die Lernstatt, die als Mittel der Personalführung die Mitwirkung der Mitarbeiter fördern soll. Die Teilnahme ist freiwillig. Die Führung der Gruppe übernimmt ein Moderator.
–Teilautonome Gruppen, die treffender auch mit Selbststeuernde Arbeitsgruppen beschrieben werden. Sie sollen komplexere Aufgaben übernehmen und das Leistungsverfahren gruppenintern weitgehend selbstständig regeln. Das schließt Aufgaben der Arbeitsvorbereitung, -organisation und -kontrolle mit ein. Im (wohl theoretischen) Idealfall sollte jedes Gruppenmitglied alle anfallenden Arbeiten beherrschen. Auf einen Vorgesetzten und auf gruppeninterne Hierarchien wird verzichtet. Ein wesentliches Ziel ist die Verbesserung der Arbeitszufriedenheit mit ihren positiven und produktiven Wirkungen.
Literatur:
–Eileen C. Shapiro: Trendsurfen in den Chefetagen; Wilhelm Heyne Verlag, München 1998.
–Hermann Becker: Kostensenkungspotential des Lieferanten nutzen; Beschaffung aktuell 1/98.
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