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Erfolgsfaktoren, Barrieren und Best Practices

Beschaffungsmanagement in Europa
Erfolgsfaktoren, Barrieren und Best Practices

Zukunftsorientierte Konzepte im Einkauf werden vom Top-Management europäischer Unternehmen als wichtiger Erfolgsfaktor betrachtet. Das belegen die Ergebnisse einer Benchmarking-Studie, die von der Düsseldorfer Unternehmerberatung Droege & Comp. AG in Zusammenarbeit mit der Gerhard-Mercator-Universität Duisburg durchgeführt wurde. 82,5% der erfolgreichen Unternehmen haben die hohe Bedeutung des Einkaufs für das Wertmanagement erkannt.

Prof. Dr. Klaus Barth und Dipl.-Kfm. Martin Eger

Ausgeschöpft werden die Potentiale für Effizienz- und Effektivitätssteigerung in der Beschaffung bislang allerdings nur von wenigen Vorreitern. Zentrale Themen, wie z.B. Lieferantenmanagement oder Einkaufscontrolling, sind nur unzureichend umgesetzt.
Die wichtigsten Ergebnisse der europäischen Benchmarking-Studie sind hier dargestellt. Zunächst werden das Studiendesign erläutert sowie Kernergebnisse der Untersuchung zu Erfolgsfaktoren und Umsetzungsstand von Best-Practice-Konzepten vorgestellt. Relevante Barrieren werden aufgezeigt und Lösungsansätze zur Überwindung dieser Hindernisse entwickelt.
Die Zeiten, in denen die Vorteile aus hartnäckigen Konditionenverhandlungen als einziger Beitrag des Einkaufs zum Unternehmenserfolg betrachtet wurden, sind vorbei. Möglichst billig einzukaufen, ist längst nicht mehr das einzige und auch nicht mehr das dominante Beschaffungsziel. Vielmehr stehen Kundennutzen und Total-Cost-of-Ownership im Zentrum der Überlegungen. Man betrachtet den Einkauf als ein wichtiges Glied der Wertschöpfungskette, die mit Hilfe der Lieferanten optimiert werden muss.
Ein Top-Einkäufer achtet auf die gesamten Kosten, die ein fremdbezogenes Produkt verursacht, bis es für den internen Bedarfsträger verfügbar ist. Er kennt die Einsparungspotentiale, die sich über eine 100%ige Liefertreue, 100%ige Qualität sowie Programme zur Senkung von Lagerbeständen erzielen lassen. Er weiß um die zusätzlichen Kosten, die Stillstandszeiten und zu hohe oder zu niedrige Lagerbestände verursachen.
Hauptgrund für das Umdenken: Die ständig wachsenden Anforderungen des Kunden. Er verlangt nicht nur, dass man ihm die Ware ins Lager oder an die Maschine stellt; er bietet außerdem einen niedrigeren Preis. So ist es in der Automobilzulieferindustrie üblich, dass von der einen zur anderen Modellgeneration die Preise für zugekaufte Komponenten deutlich reduziert werden, und dies bei steigendem Leistungsgrad. Diesen Anforderungen entsprechen kann nur, wer intelligent einkauft. Es wird immer wichtiger, die Supply-Chain mit dem Lieferanten zu vernetzen. Nur so kann eine Steigerung der Servicequalität in Verbindung mit einer Kostensenkung erzielt werden.
Angesichts neuer strategischer Konzepte im Einkauf verfolgte die europäische Benchmarking-Studie im wesentlichen drei Zielsetzungen:
-Die Ermittlung von Erfolgsfaktoren, Stellhebeln für den Beschaffungserfolg,
-die Aufnahme der Umsetzung von Best-in-Class-Konzepten,
-die Identifikation von Umsetzungsbarrieren.
Befragt wurden insgesamt 410 Einkäufer aus neun europäischen Ländern. Die Erhebung erstreckte sich auf alle wesentlichen Schlüsselbranchen in Europa. Einbezogen wurden sowohl internationale Großkonzerne als auch mittelständische Unternehmen. 25% der Befragten wiesen einen Umsatz von mehr als 1 Mrd. Euro aus. Bei der Auswertung wurde zwischen erfolgreichen und nichterfolgreichen Unternehmen differenziert. Als erfolgreich gelten die Top 5% der jeweiligen Branche gemessen an der Umsatzrendite. Abbildung 2 zeigt die Zusammensetzung der Stichprobe nach Ländern und Branchen im Überblick.
Die Zukunftsthemen
Galt Kosteneffizienz noch vor einigen Jahren als wichtigster Erfolgsfaktor im Einkauf, stehen heute vor allem zukunftsorientierte Themen im Blickfeld. Welchen Konzepten die Praxis einen besonderen Stellenwert beimisst, zeigen die folgenden Ergebnisse. Zugleich verdeutlichen Fallbeispiele, wie Best-Practice-Unternehmen die Konzepte erfolgreich einsetzen.
Lieferantenmanagementkonzepte sind auf dem Vormarsch. Das ist das Kernergebnis der Studie: Im Durchschnitt haben 79% der Befragungsteilnehmer erkannt, dass einer sorgfältigen Lieferantenauswahl und -bewertung und dem durchgängigen Management aller Schnittstellen zwischen Hersteller- und Lieferantenorganisation von der Bestellabwicklung bis hin zum Innovationstransfer hohe Bedeutung zukommt. In den Branchen Telekom/Medien und Elektrotechnik betrachteten sogar über 85% der Unternehmen das Thema als hochrelevant. Man plant, entsprechende Programme einzuleiten, da eine reibungslose Abstimmung mit den Lieferanten durch die zunehmende Verlagerung von Aufgaben auf Wertschöpfungspartner immer wichtiger wird.
Fallbeispiel Luftfahrtindustrie: Mehr als 80% der gesamten Wertschöpfung hatte ein Unternehmen der Luftfahrtindustrie fremdvergeben, vor allem an kleinere und mittlere Lieferanten. Um die Leistungsfähigkeit dieser Zulieferer zu steigern und die Synergiepotentiale einer unternehmensübergreifenden Zusammenarbeit auszuschöpfen, setzte das Unternehmen ein spezielles Programm zur Lieferantenentwicklung und -steuerung auf, das folgende Maßnahmen umfasste:
-Integrierte Teams (Lieferant/Kunde) zur gemeinsamen Qualitätsverbesserung und zur Verbesserung der Lieferantenprozesse,
-Trainingsprogramme für Lieferanten,
-gemeinsames technologisches Road-Mapping,
-Bündelung der Einkaufsvolumina von Lieferant und Kunde,
-Unterstützung der Lieferanten bei der Gewinnung neuer Kunden.
Über dieses Programm ließ sich eine höhere Bindung der Lieferanten an das Unternehmen erzielen. Außerdem konnten die gesamten Kosten für die Beschaffung durch die Prozessoptimierung erheblich gesenkt werden.
Weiter bestätigen die Untersuchungsergebnisse die hohe strategische Relevanz von organisatorischen Konzepten zur Bedarfsbündelung. Fast 70% der Befragten stuften die konzernweite Koordination der Einkaufsaktivitäten als sehr wichtig ein. Über sogenannte Lead-Buyer-Konzepte sollen die nationalen Bedarfe für einzelne Materialgruppen zusammengefasst werden. Die Funktion des Lead-Buyers, des Koordinators, übernimmt dabei der verantwortliche Einkäufer an dem Standort, der innerhalb einer Materialgruppe das größte Einzelvolumen oder das größte Fach- und Marktwissen repräsentiert. Er sorgt dafür, dass trotz dezentraler Beschaffungsaktivitäten die zentrale Einkaufsmacht gegenüber den Lieferanten tatsächlich genutzt wird.
Fallbeispiel Elektronikindustrie: Durch dezentrale Beschaffung war es einem Unternehmen der Elektronikindustrie möglich, flexibel auf die Anforderungen lokaler Kunden zu reagieren. Diese Lösung hatte jedoch den Nachteil, dass im Konzern für identische Produkte von gleichen Lieferanten Preise bezahlt wurden, die erheblich differierten. Gerade kleinere Einheiten mit geringen Bedarfen kauften extrem teuer ein, da sie keine volumenabhängigen Rabatte in Anspruch nehmen konnten.
Dieses Zentral-dezentral-Dilemma löste das Unternehmen durch die Einführung eines Lead-Konzepts. Es sah Beibehaltung der dezentralen Beschaffungsstruktur vor, doch pro Materialgruppe wurde ein Koordinator für die weltweite und spartenübergreifende Abstimmung sämtlicher Beschaffungsaktivitäten eingesetzt. Über diese Maßnahme ließen sich erhebliche Vorteile bei den Beschaffungskonditionen erzielen. Außerdem war es möglich, die globale Performance einzelner Lieferanten systematisch zu ermitteln und langfristig eine Konzentration auf die Top-Supplier vorzunehmen. Dadurch ließen sich auch die Total-Cost-of-Ownership erheblich senken.
Für das Beschaffungscontrolling belegen die Untersuchungsergebnisse eine steigende Bedeutung mehrdimensionaler, prozessorientierter Instrumente. 28% der Befragungsteilnehmer haben erkannt, dass ein professionelles Controlling die Basis für die erfolgreiche Umsetzung zukunftsorientierter Konzepte im Einkauf, wie z.B. das Lieferantenmanagement, bildet. Insbesondere der Einsatz einer Purchasing Score Card zur regelmäßigen Beurteilung des Einkaufserfolgs in Bezug auf interne und externe Benchmarks wird als wichtige Maßnahme betrachtet. Weiter sehen Best-Practice-Unternehmen die Ermittlung prozessorientierter Kennzahlen für die Bewertung, Auswahl und Steuerung von Lieferanten als wichtig an.
Fallbeispiel Automobilindustrie: Um den Prozess der Lieferantenauswahl und -bewertung zu unterstützen, hat ein Automobilhersteller ein neues Controlling-Tool zur Performance-Messung/-Steuerung eingeführt. Über das Verfahren werden sämtliche Kosten erfasst, die im Falle der Underperformance eines Lieferanten (z.B. bei Lieferverzögerungen oder Qualitätsmängeln) anfallen. Pro Lieferant wird ein modifizierter Beschaffungspreis errechnet, der das Risiko einer Schlechtleistung sowie die im Falle einer Schlechtleistung entstehenden Kosten (z.B. für Fehlerbehebung oder Opportunitätskosten für entgangene Absatzchancen) einschließt. Dieser modifizierte Preis bildet eine Entscheidungshilfe für die Lieferantenselektion sowie die Preisverhandlungen mit den Lieferanten. Weiter kann der Ist-Wert zur Leistungsbeurteilung der Einkäufer herangezogen werden.
Die hohe Bedeutung von neuen Medien und E-Commerce im Einkauf unterstreichen die Untersuchungsergebnisse ebenfalls: 85% der Befragten stuften die Nutzung von internetbasierten Lösungen als hochrelevant für zukünftiges Handeln im Einkauf ein. Online-Medien erleichtern nicht nur die Gewinnung von Informationen über den Beschaffungsmarkt. Die Besten setzen web-basierte Lösungen konsequent zur Entscheidungsunterstützung ein. Über ein Einkaufsinformationssystem kann jeder Einkäufer aktuell abrufen, wer welches Produkt bei welchem Lieferanten in welchem Umfang und zu welchen Bedingungen einkauft. Außerdem nutzen die Profis E-Commerce-Lösungen zur Unterstützung des gesamten Abwicklungsprozesses zwischen Hersteller und Anbieter und realisieren dadurch erhebliche Einsparungspotentiale.
Fallbeispiel Chemie: Die gesamte Beschaffung von DV-Ersatzteilen wickelt ein Unternehmen der Chemieindustrie neuerdings elektronisch ab. Per Mausklick kann ein Einkäufer die Bestände verschiedener Anbieter abrufen und die Preise vergleichen. Die Bestellung erfolgt direkt beim Anbieter ebenfalls über das Web. Bis zur Auslieferung der Teile kann das Unternehmen den Status der Lieferung über ein spezielles Tracking-Tool am Bildschirm verfolgen. Rechnungsstellung und Bezahlung werden ebenfalls via Internet vorgenommen. Über die intensive Nutzung der neuen Medien konnte das Unternehmen erhebliche Einsparungen erzielen. Diese resultieren aus einer Senkung der Gemeinkosten im Beschaffungsbereich: Durch das Verfahren ließ sich die Zahl der für die DV-Ersatzteilbeschaffung zuständigen Mitarbeiter halbieren.
Stand der Umsetzung
Obwohl die hohe Bedeutung für den Beschaffungserfolg erkannt ist, tut sich das Gros der Unternehmen mit der Umsetzung der vorgestellten Konzepte noch schwer. Das zeigt die Übersicht über die Untersuchungsergebnisse in Abbildung 3.
Über ein professionelles Lieferantenmanagement verfügen nur einzelne Vorreiterunternehmen. Weniger als einer von fünf Befragungsteilnehmern hat das Konzept aktuell erfolgreich eingeführt. Weniger als 50% der Unternehmen ermitteln mögliche Kooperationspartner über eine systematische Beschaffungsmarktanalyse. In den Branchen Ver-/Entsorgung, Transport/Verkehr und Bauindustrie sind es sogar weniger als 30%. Alle anderen überlassen das Auffinden geeigneter Lieferanten eher dem Zufall.
Hinzu kommen Mängel bei der Lieferantenbewertung und -auswahl: Lieferantenaudits führt in vielen Branchen weniger als die Hälfte der Unternehmen durch, obwohl eine einheitliche Bewertung der Lieferantenbasis die Grundvoraussetzung für eine umfassende Lieferantenentwicklung und eine effiziente Lieferantenführung bildet. Ein weiteres Problem schafft die unzulängliche Einbindung der Lieferanten in die Prozesse des Auftraggebers. Längst nicht überall sitzen die Entwicklungsabteilungen mit den Einkaufsingenieuren an einem Tisch und beziehen die Lieferanten sowie deren Know-how gezielt in den Entwicklungsprozess mit ein, um möglichst kostengünstige Lösungen zu finden. So zeigen die Ergebnisse, dass in mehr als 60% der Unternehmen der Einkauf und somit auch die Lieferanten nicht am Entwicklungsprozess beteiligt sind.
Auch spezielle Organisationskonzepte für den Einkauf sind in vielen Unternehmen noch nicht umgesetzt. So hat nur ein Drittel der Befragungsteilnehmer die Einkaufsorganisation konsequent am Beschaffungsmarkt ausgerichtet. Lediglich 40% der Unternehmen koordinieren ihre dezentralen Beschaffungsaktivitäten über Länder- und Spartengrenzen hinweg. In den Sparten Telekom/Medien und Bau/Zulieferer sind es sogar weniger als 30%. Ein Grund für das Umsetzungsdefizit: In vielen Unternehmen sind die Voraussetzungen für eine Bedarfsbündelung nicht gegeben. Oftmals steht die Vielfalt an Spezifikationen innerhalb einzelner Materialgruppen den Koordinationsbestrebungen entgegen. Nur in wenigen Best-Practice-Unternehmen (12%) treibt der Einkauf eine Standardisierung aktiv voran und sorgt dafür, dass unterschiedliche Anforderungsprofile in den einzelnen Sparten die Bündelungsbemühungen nicht behindern.
Beim Beschaffungscontrolling dominiert nach wie vor der Einsatz traditioneller Instrumente. So messen über 70% der Unternehmen die Größen Qualität und Preis regelmäßig, nur die Hälfte dagegen prozessbezogene Indikatoren wie Zeit oder Prozesskosten. Innovative Controlling-Konzepte setzen die wenigsten ein. Nur rund ein Drittel der Befragten führt ein externes Benchmarking durch. Lediglich 14% bilden Einkaufsziele und Zielerreichungsgrad differenziert über eine Purchasing Score Card ab.
Ähnlich gravierende Umsetzungsdefizite manifestieren sich beim Einsatz von E-Commerce-Lösungen. Nur knapp 30% der Unternehmen arbeiten mit neuen Informations- und Kommunikationstechnologien zur Prozessbeschleunigung im Einkauf. Besonderen Nachholbedarf weisen dabei italienische und französische Unternehmen auf. Hier beschäftigen sich gerade mal 17% respektive 16% mit der Thematik. Ein wesentlicher Grund für die Zurückhaltung ist in der mangelnden Prozessorientierung vieler Unternehmen zu sehen. Nur 25% der Befragten definieren die Beschaffung als Teil der gesamten Wertschöpfungskette und schaffen die Voraussetzung für den Einsatz moderner Technologien zur Prozessunterstützung. Bei allen anderen dominiert nach wie vor eine funktionsorientierte Sichtweise.
Barrieren für die Umsetzung
Anhaltspunkte dafür, warum es vielen Unternehmen nicht gelingt, neue Konzepte erfolgreich einzuführen, liefern die folgenden Ergebnisse. Vor allem Widerstände in der eigenen Organisation behindern die Umsetzung wesentlich.
In vielen Unternehmen entsprechen Stellenwert und Image des Einkaufs nicht seiner Bedeutung für den Unternehmenserfolg. Lediglich 43% der Teilnehmer verankern den Einkauf auf oberster Führungsebene und setzen dadurch ein Zeichen für die operativen Einheiten. Die Konsequenz: Der Einkauf hat mit Akzeptanzproblemen bei internen Partnern zu kämpfen. Oftmals sind einzelne Ländergesellschaften, Produktsparten oder Funktionsbereiche nicht oder nur bedingt bereit, übergreifende Konzepte, wie z.B. Lieferantenmanagement oder Lead-Konzepte, gemeinsam mit dem Einkauf umzusetzen – vor allem dann, wenn dadurch eine optimale Zielerreichung in den Bereichen erschwert scheint.
Eine weitere Barriere stellt die Funktionsorientierung dar, die nach wie vor in vielen Unternehmen dominiert. 76% der Befragungsteilnehmer optimieren den Einkauf nicht als Glied der gesamten Wertschöpfungskette: Vertrieb und Entwicklung unterschätzen häufig die Vorteile, die eine frühzeitige Einbindung der Beschaffung bringt. So nannten 65% der Unternehmen eine zu späte Einbindung des Einkaufs in die Entwicklungsprozesse als Grund für einen geringen Handlungsspielraum. Umgekehrt verkennt der Einkauf, dass die wahren Einsparungspotentiale nicht in den Konditionenverhandlungen, sondern in einer verbesserten Integration von Beschaffungs- und Supply-Chain-Management liegen. Fast 70% der Befragungsteilnehmer bezeichneten das Schnittstellenmanagement zwischen dem Einkauf und anderen Unternehmensbereichen als unzureichend.
Prozessbarrieren
Die starke Funktionsorientierung spiegelt sich unmittelbar in der strukturellen Verankerung des Einkaufs wider. Häufig steht die Einkaufsabteilung monolithisch neben anderen Funktionsbereichen, wie z.B. F&E, Logistik oder IT, die jede für sich einzeln optimiert werden. Teamstrukturen, die eine prozessorientierte, cross-funktionale Zusammenarbeit des Einkaufs mit Spezialisten aus den Bereichen Konstruktion, Fertigung und Abwicklung sicherstellen, werden von mehr als 40% der Unternehmen nicht genutzt. Besonderer Nachholbedarf ist in den Branchen Bau/Zubehör und Ver-/Entsorgung zu konstatieren, wo 54% respektive 72% der Unternehmen entsprechende Konzepte nicht einsetzen. Das macht verständlich, warum viele funktions- und unternehmensübergreifende Optimierungsprojekte, wie z.B. eine enge Einbindung der Lieferanten in den Innovationsprozess oder die Einführung von E-Commerce-Lösungen zur Prozessbeschleunigung scheitern.
Überholte Anreizkonzepte bilden eine weitere Barriere für einen reibungslosen Prozessablauf. 90% der Unternehmen haben die Leistungsbemessungs- und Vergütungskonzepte für Mitarbeiter in der Beschaffung bisher nicht überarbeitet. Geplant sind entsprechende Maßnahmen bei über 50%. Die Ergebnisse von Preis- und Konditionenverhandlungen bilden daher oft das einzige Ziel- und Beurteilungskriterium. Kernaktivitäten eines umfassenden Lieferantenmanagement wie z.B. die Lieferantenentwicklung und -steuerung, werden dagegen nicht belohnt. Infolgedessen sind die Mitarbeiter nur wenig motiviert, in Zusammenarbeit mit anderen Funktionsbereichen und/oder gemeinsam mit internen Kunden und Lieferanten neue Lösungen zur Prozessoptimierung zu entwickeln.
Ein weiteres Hindernis für die Umsetzung einer Prozessorientierung stellen die Fähigkeiten der Einkäufer dar. Im Durchschnitt haben 75% der Befragten keinen kontinuierlichen Qualifizierungsprozess für Mitarbeiter im Einkauf eingerichtet. Top ist die Branche Ver-/Entsorgung mit einem Umsetzungsstand von 36%. Dabei bildet eine ausreichende Fach- und Methodenkompetenz sowie entsprechende Team- und Projekterfahrung die Grundvoraussetzung für ein erfolgreiches Lieferantenmanagement oder die Umsetzung von Lead-Konzepten. Gerade weil die Einkäufer gegenüber den operativen Einheiten selten über Weisungsbefugnisse verfügen, sind soziale Kompetenz und diplomatisches Geschick extrem wichtig.
Best-Practices
Schwachpunkte in der Organisation behindern die Einführung zukunftsorientierter Konzepte im Einkauf. Damit aus der ehemals abwicklungsorientierten Einkaufsabteilung ein Strategisches Beschaffungsmanagement mit wertschöpfenden Aufgaben für das Gesamtunternehmen wird, bedarf es vielfach einer Neuausrichtung der Einkaufsorganisation, d.h. neuer Prozesse, Strukturen, Anreiz- und Qualifizierungskonzepte.
Ein strategisches Beschaffungsmanagement setzt eine strenge Prozessorientierung voraus. Der Einkauf ist nicht länger als isolierte Funktion, sondern als Teil der Supply-Chain zu betrachten, die als Ganzes optimiert werden muss. Das erfordert einerseits eine Neudefinition des Zusammenspiels zwischen Einkauf und den übrigen an der Leistungserstellung beteiligten Funktionen wie Produktion oder Logistik. So ist festzulegen, welche weiteren Bereiche systematisch in Beschaffungsentscheidungen einzubeziehen sind. Umgekehrt muss der Informationsinput des Einkaufs für andere Kernprozesse, wie z.B. den Innovationsprozess, spezifiziert werden. Des weiteren ist die Zusammenarbeit mit dem Lieferanten zu planen und im Day-to-day Business zu steuern. Als zweckmäßig erweist sich in diesem Zusammenhang die Bildung cross-funktionaler Teams, die auch Mitarbeiter der Lieferanten umfassen und für einen kompletten Prozess wie z.B. die Neuproduktentwicklung verantwortlich sind.
Fallbeispiel I+K-Branche: Durch eine frühzeitige Einbindung des Einkaufs in den Entwicklungsprozess gelang es einem Unternehmen der I+K-Branche, die Entwicklungsdauer für Neuprodukte zu halbieren. Indem ein Einkäufer das Entwicklungsteam zeitnah mit Preisinformationen über verschiedene Konstruktionsvarianten versorgte, ließen sich langwierige Abstimmungsschleifen zwischen den Bereichen Entwicklung und Einkauf vermeiden. Außerdem konnten die Fertigungskosten des Neuprodukts erheblich gesenkt werden. Ein weiterer Vorteil bestand darin, dass der Einkauf frühzeitig Geschäftsbeziehungen zu den späteren Lieferanten aufbauen konnte. Dadurch ließen sich Stock-Out-Situationen in der Einführungsphase aufgrund einer Nichtverfügbarkeit von High-Tech-Zulieferleistungen großteils vermeiden.
Strukturen
Umsetzen lässt sich eine Prozessorientierung nur im Rahmen flexibler Organisationsstrukturen. Ist eine durchgängige Teamorganisation nicht möglich, so muss die Organisation zumindest die Bildung sekundärer Teamstrukturen vorsehen. Arbeitsfähig sind solche Teams allerdings nur dann, wenn sie durch das Top-Management legitimiert sind. Dadurch ergibt sich die Notwendigkeit, den Einkauf auf oberster Führungsebene zu verankern. Auch in den entsprechenden Stellenbeschreibungen und Funktionswertigkeiten sollte sich die Bedeutung der Funktion widerspiegeln.
Fallbeispiel Nahrungsmittelindustrie: Um ein groß angelegtes Projekt zur strategischen Neuausrichtung des Einkaufs umzusetzen, schuf ein US-Nahrungsmittelhersteller die Stelle eines Chief Purchasing Officer. Dieser berichtet direkt an den Vorstand und ist unmittelbar für das Projekt verantwortlich. Durch die hohe hierarchische Ansiedlung des Einkaufs ließ sich trotz des Widerstands einzelner Sparten oder Ländergesellschaften eine reibungslose Umsetzung des Maßnahmenpakets sicherstellen. Als hilfreich erwies sich auch, dass die Chef-Einkäufer in den operativen Einheiten über die Zielvereinbarungen zu einer aktiven Mitarbeit an der Projektumsetzung motiviert wurden. Neben einer weltweiten Koordination der Beschaffungsprozesse konnte dadurch relativ rasch eine Standardisierung der eingesetzten Instrumente sowie die Hinterlegung der Prozesse durch ein spezielles Software-Tool realisiert werden.
Anreizkonzepte
Anreizkonzepte sollten so ausgerichtet sein, dass sie die Zusammenarbeit einzelner Bereiche über verschiedene Stufen der Wertschöpfungskette hinweg fördern. Zugleich ist es wichtig, dass die Mitarbeiter zur selbstverantwortlichen Entwicklung innovativer Lösungen ermuntert werden. Grundvoraussetzung für die Einführung entsprechender Anreizkonzepte bildet ein durchdachter, mehrdimensionaler Zielkatalog, wie er einer Purchasing Score Card zugrunde liegt.
Fallbeispiel Halbleiterindustrie: Mit dem Ziel, die gesamten Beschaffungskosten (inklusive Lagerkosten, Stillstandskosten, Kosten für entgangene Absatzchancen) zu reduzieren, nahm ein Hersteller von Maschinen für die Halbleiterfertigung eine umfassende Überarbeitung der Anreizkonzepte im Einkauf vor. Richtete sich die Beurteilung der Einkaufsperformance zuvor ausschließlich nach den erzielten Konditionen, kommt nun ein mehrdimensionales Bewertungsschema zum Einsatz. Mit den Einkäufern werden Zielvereinbarungen getroffen, die sich nicht nur auf Preisgünstigkeit, sondern vor allem auf Lieferanten-Performance (Qualität, Liefertreue, Lieferservice, Innovationskraft) richten. Des weiteren bilden qualitative Zielsetzungen, wie z.B. die Identifikation neuer Lieferanten oder die Durchführung von Lieferantenentwicklungsmaßnahmen, Bestandteile des Beurteilungskonzeptes. In den nächsten Jahren plant das Unternehmen die Einführung eines variablen Vergütungsanteils für den Einkauf, dessen Höhe an die Erreichung der vereinbarten Ziele gekoppelt werden soll.
Qualifizierungsmaßnahmen
Damit die Einkäufer selbst keine Barriere für die Einführung zukunftsorientierter Konzepte bilden, sind besondere Qualifizierungsmaßnahmen erforderlich. Durch Schulungs- und Trainingskonzepte sowie über die Definition von Karrierepfaden sind die Einkäufer zu multikulturellen Teamplayern auszubilden. Neben reinem Fach- und Methodenwissen sind soziale Kompetenz und internationales Verhandlungsgeschick ausschlaggebend dafür, ob die Zusammenarbeit im Team funktioniert.
Fazit:
Die Studienergebnisse bestätigen die erstrangige Bedeutung der Themen Lieferantenmanagement, Bedarfsbündelung, Einkaufscontrolling und E-Commerce für den Einkaufserfolg. Zugleich machen sie jedoch auf gravierende Defizite bei der Konzeptumsetzung aufmerksam.
Die eigene Organisation ist meist der größte Feind bei der Umsetzung zukunftsorientierter Strategien im Einkauf. Das haben die Ergebnisse der europäischen Benchmarking-Studie gezeigt. Best-in-Class-Unternehmen setzen systematisch an Prozessen, Strukturen, Anreiz- und Qualifizierungskonzepten an und ebnen dadurch den Weg für eine erfolgreiche Konzepteinführung.
Prof. Dr. Klaus Barth ist Ordinarius der Betriebswirtschaftslehre an der Gerhard-Mercator-Universität Duisburg sowie Consultant für Strategieberatung, Marketing und Vertrieb, Procurement-Management.
Dipl.-Kfm. Martin Eger ist Partner der Droege & Comp. AG, Internationale Unternehmer-Beratung, Düsseldorf und Leiter des Internationalen Competence Centers Einkauf und Supply Management.
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