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Fußabdrücke beim Zulieferer

Reorganisation der globalen Lieferantenstruktur
Fußabdrücke beim Zulieferer

Unter dem Namen „Global Footprint Optimization“ hat Prof. Dr. Horst Wildemann ein Programm zur Reorganisation der globalen Lieferantenstruktur erarbeitet. Sein Ergebnis: Der erzielbare Einkaufserfolg ist enorm.

Univ.-Prof. Dr. Dr. Dr. h.c. mult. Horst Wildemann, TU München

Automobilhersteller kaufen global ein, sie hinterlassen weltweit so genannte „footprints“, Fußabdrücke. Diese Erkenntnis ist nicht neu. Es wurden große Anstrengungen unternommen, um weltweit die besten und vorteilhaftesten Lieferanten für Module und Systeme zu finden, auszuwählen und Leistungsbeziehungen zu unterhalten. Stichworte wie „Global Sourcing“, „Low Cost Country Sourcing”, „Off- und Near-shoring“ sind in der Automobilindustrie keine Fremdwörter. Die Automobilzulieferindustrie fürchtet und beklagt seit langem den „Gläsernen Lieferanten“. Doch wie gläsern ist der Lieferant wirklich?
Die Automobilindustrie steht unter enormem Kostendruck, auch das ist nicht neu. Neu ist jedoch ein Ansatz, mit dem Automobilisten diesem Kostendruck entgegentreten. Unter dem Stichwort „Global Footprint Optimization“ werden die weltweit bestehenden Wertschöpfungsstrukturen analysiert und optimiert. Für den Einkauf besteht die anspruchsvolle Aufgabe, die Produktionsstrukturen der Zulieferer zu erfassen, zu bewerten und Ansätze zur Optimierung aufzuzeigen und gemeinsam mit Lieferanten umzusetzen. Dabei geht es um die Produktionsstrukturen des Tier-1-Lieferanten, aber auch, und diese Aufgabe ist schwieriger, das Analysieren und Bewerten der bestehenden Tier-Struktur. Konkret geht es also darum, das bestehende Wertschöpfungsnetzwerk abzubilden und Quellen für eventuell mögliche Einsparungspotenziale zu identifizieren. Es wird schnell deutlich, dass die beim OEM vorhandenen Informationen zur Abbildung des bestehenden Wertschöpfungsnetzwerkes nicht ausreichen. Sicherlich sind einige Regionen auf der Einkaufsweltkarte stark beleuchtet und transparent, andere Regionen liegen im Dunkeln. Die Schaffung von Transparenz über sämtliche Lieferstufen und Lieferquellen verursacht prohibitiv hohe Informationskosten. Die Lösung muss also darin bestehen, Erfolg versprechende Beschaffungsobjekt-Lieferanten-Kombinationen zu identifizieren. Ziel ist es, eine Argumentationskette für Verhandlungen mit Tier-1-Lieferanten zu erarbeiten. Dazu wird ein „optimales Netzwerkdesign“ entwickelt und mit dem bestehenden Netzwerk verglichen. Abweichungen sprechen für Potenziale.
Bei der durchzuführenden Grunddatenanalyse sind vier scheinbar einfach zu beantwortende Fragen zu klären:
  • Was wird eingekauft?
  • Bei welchen Lieferanten wird eingekauft?
  • Wie wird eingekauft, wie sehen die Beschaffungsprozesse aus und welche Instrumente kommen zum Einsatz?
  • In welchen Strukturen wird eingekauft?
Die Beantwortung dieser Fragen liefert die fundierte Informationsbasis, auf deren Grundlage die Ableitung von Global-Sourcing-Strategien erfolgt. Es sind bestehende Ansätze und angewendete Methoden in den Gestaltungsfeldern aufzunehmen. Besonders wichtige Instrumente sind: Beschaffungsmarktforschung, Beschaffungsfrüherkennung, Lieferantenbewertung und -entwicklung, Preisstrukturanalysen, Total-Cost-of-Ownership-Analysen und die Definition von logistischen Prinzipien. Konkret geht es bei der Erfassung der Ausgangssituation darum, das bestehende Leistungsniveau in der Beschaffung zu erfassen und zu bewerten. Von besonderem Interesse ist die Aufnahme und Bewertung der bereits durchgeführten Global-Sourcing-Aktivitäten. Erzielte Erfolge, aber auch Misserfolge bieten hohes Lernpotenzial, das es zu nutzen gilt. Für die Auswahl von Erfolg versprechenden Beschaffungsobjekt-Lieferanten-Kombinationen setzt das TCW eine mehrstufige Filtersystematik ein.
Durch den Einsatz dieses Filters können aus der Vielzahl von Beschaffungsobjekten diejenigen ausgewählt werden, bei denen hohe Einsparpotenziale zu vermuten sind. Diese Beschaffungsobjekte werden dann weiteren, vertiefenden Analysen zugeführt:
  • Global-Footprint-Portfolio-Analyse,
  • Detailanalyse der bestehenden Wertschöpfungskette und
  • Durchführung eines Lieferantenworkshops.
Mit der Erstellung des Footprint-Portfolios wird das Ziel verfolgt, die Eignung der Beschaffungsobjekte für Verlagerungen zu bewerten. Dabei sind zwei grundlegende Faktoren von Bedeutung:
  • 1. Bewertung der Beschaffungsobjekte (Beschaffungsgüterportfolio) und
  • 2. Bewertung der Potenziale durch Nutzung alternativer Beschaffungsquellen und Verlagerung (Beschaffungsquellenportfolio).
Global Sourcing wird häufig mit Einkauf in Niedriglohnländern gleichgesetzt. Dabei wird verkannt, dass die Lohn- und Lohnnebenkosten nur eine Einflussgröße auf den Beschaffungspreis darstellen. Deshalb sind weitere Kosteneinflussgrößen wie beispielsweise Rohstoffkosten wie Energiekosten oder bestehende Fertigungskosten ebenfalls zu analysieren. Der Beschaffungspreis stellt eine wichtige Steuergröße im Einkauf dar, es sind aber darüber hinaus noch Beschaffungsnebenkosten oder Kosten für Leistungen Dritter, wie Kosten für Verpackungs- und Transportleistungen, zu berücksichtigen. Das zweite Bewertungskriterium für die Bewertung der Global-Sourcing-Fähigkeit ist das bestehende Versorgungsrisiko. Für die Bewertung sind die Einflussgrößen zu identifizieren und die Ausprägungen für sämtliche Materialgruppen zu erfassen.
Nachdem die interne Sichtweise, geprägt durch die Analyse der Beschaffungsobjekte aufgenommen wurde, sind in einem nächsten Schritt die Beschaffungsquellen zu analysieren. Dazu wird ein Beschaffungsquellen-Portfolio erstellt, welches die Kriterien „Global-Sourcing-Potenzial“ und „Risiko des Beschaffungsmarktes“ abbildet. Um eine Positionierung der bestehenden und der potenziellen Beschaffungsquellen durchführen zu können, sind die Kategorien zu konkretisieren. Die Bewertung des Global-Footprint-Potenzials erfolgt über eine Differenzbetrachtung, das heißt, es werden die Unterschiede zur heutigen Beschaffungssituation betrachtet.
Die systematische und laufende Analyse und Dokumentation von Ergebnissen der Beschaffungsmarktforschung gewinnt durch Global Sourcing an Bedeutung. In der unternehmerischen Praxis werden nicht sämtliche Informationen in der gleichen Detailliertheit und Genauigkeit vorliegen. Es sind die vorhandenen Informationen auszuwerten, bei Informationslücken muss individuell entschieden werden, ob Abschätzungen ausreichen oder detaillierte Recherchen durchzuführen sind. Die Bewertungen sollten ebenfalls in crossfunktionalen Teams durchgeführt werden, um die Expertise sämtlicher relevanten Unternehmensbereiche einzubringen.
Die Position der Materialgruppen im Beschaffungsgüterportfolio legt die Zeile im Gesamtportfolio fest. Durch die Positionierung im Beschaffungsquellenportfolio ergibt sich die Spaltenposition im Portfolio. Durch dieses Vorgehen ergibt sich das dargestellte Footprint-Portfolio. Dabei können sowohl bestehende als auch potenzielle Lieferanten oder auch Märkte dargestellt werden (siehe Graphik).
Es sind verschiedene zusätzliche Auswertungen durchführbar. Im DV-Tool ist eine so genannte Drill-down-Funktion integriert. Dadurch wird es möglich, die Positionierung zuerst auf einem hohen Aggregationsniveau vorzunehmen und bei interessanten Fragestellungen die Detailtiefe zu erhöhen. Beispielsweise ist es sinnvoll, zuerst die Kombination von Beschaffungsobjekten und aktuell genutzten und potenziellen Beschaffungsmärkten darzustellen. Über ein Menü können für einzelne Märkte die bekannten Lieferanten visualisiert werden. Zur Übersichtlichkeit trägt die Funktion zum Ein- bzw. Ausblenden einzelner Beschaffungsobjekte oder einzelner Beschaffungsquellen bei.
Innerhalb des Global-Footprint-Portfolios lassen sich typische Bereiche identifizieren und Normstrategien hinterlegen. Es lassen sich grundsätzlich zwei Bereiche trennen: Bereiche mit hohen Potenzialen durch Verlagerung und die mit geringen Potenzialen. Sehr große Potenziale bestehen bei der Beschaffung von Hebel- und Risikomaterial. Es sind, um die Potenziale realisieren zu können, Maßnahmen des Risikomanagements zu ergreifen. Bei den Risikobedarfen besteht bereits eine hohe Risikoposition. Es ist detailliert zu prüfen, welche marktseitigen Risiken bestehen und welche Maßnahmen ergriffen werden können/müssen, um den jeweiligen Markt zu entwickeln. Der Fallunterscheidung liegt die Annahme zugrunde, dass die Kombination von hohen Versorgungsrisiken und hohen Marktrisiken nicht mehr durch den Einsatz der Instrumente des Risikomanagements beherrscht werden kann.
Nur differenzierte Strategien sind Erfolg versprechend. Eine zu starke Zergliederung und Verteilung der Beschaffungsquellen führt zu hohen Transaktionskosten und kann Vorteilhaftigkeit der Preise überkompensieren. Auf Basis der gewonnenen Erkenntnisse ist die Wertschöpfungskette differenzierter zu analysieren.
Mit diesem erstellten Footprint-Portfolio und der Kalkulation der Verlagerungspotenziale ist die Basis geschaffen, um mit ausgewählten Tier-1 und auch Tier-2-Lieferanten Konzeptworkshops zu vereinbaren.
Das Workshopkonzept sieht vor, einen ein- bis zweitägigen Workshop zur Identifikation und Abstimmung bestehender Potenziale und Ableitung von Maßnahmen zur Realisierung der Potenziale durchzuführen. Etwa in einem Abstand von zwei Wochen wird ein Follow-up-Workshop definiert, in dem die Einsparpotenziale quantifiziert und ein verbindlicher Umsetzungsplan verabschiedet wird. Diese Workshop-Systematik ist den Lieferanten frühzeitig vorzustellen, ebenfalls ist zu einem frühen Zeitpunkt eine Vereinbarung zu schließen, in welchem Verhältnis die zu erreichenden Potenziale zwischen Abnehmer und Lieferant aufgeteilt werden.
Der erzielbare Einkaufserfolg ist enorm: Für ausgewählte Beschaffungsobjekte (Systeme als auch Komponenten) ergaben sich Preisreduzierungen zwischen 9 und 17 Prozent bezogen auf den jeweiligen Basispreis. Dieser Preiseffekt ist ein Netto-Effekt, Veränderungen der Logistikkosten in der Wertschöpfungskette sind bereits berücksichtigt. Die erfolgreiche Umsetzung der Global-Footprint-Strategie benötigt besondere Sorgfalt bei der Erarbeitung von Maßnahmen, Meilensteinplänen und Verantwortlichkeiten. Im Schrifttum wird hierzu eine Vielzahl von Vorschlägen unter dem Stichwort „Projektmanagement und -controlling“ vorgestellt und soll hier nicht vertieft werden.
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