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Genau den richtigen Zeitpunkt treffen

Einbindung des Lieferanten in den Entwicklungsprozess
Genau den richtigen Zeitpunkt treffen

Outsourcing und die wachsende Bedeutung von Produktinnovationen hat die Einbindung von Lieferanten in Entwicklungsaktivitäten zu einer zentrale Aufgabe für das Einkaufs- und Entwicklungsmanagement werden lassen. So stellt sich heute nicht mehr die Frage, ob Lieferanten in eigene Entwicklungsprozesse integriert werden sollen, sondern vielmehr zu welchem Zeitpunkt die Einbindung erfolgen soll.

Dipl. Wirt-Ing. MBA Bernd Kehl, Purchasing Manager eines führenden Zulieferers der Automobilindustrie; Im Rahmen seines MBA-Studiums am European Institute for Purchasing Management in Genf hat er ein Entscheidungsverfahren zur zeitpunktgerechten Lieferanteneinbindung entwickelt. E-Mail: bkehl@12move.com

Zunehmender Zeit- und Kostendruck hat dazu geführt, dass immer mehr Unternehmen dazu übergegangen sind, Lieferanten in eigene Entwicklungsaktivitäten einzubinden. Vorteile, die sich dadurch häufig
ergeben, sind die Mobilisierung zusätzlichen Entwicklungs-Know-hows und die Erschließung weiterer Entwicklungskapazitäten der Lieferanten, was zu innovativen Produkten, verkürzten Entwicklungszeiten, verbesserter Produktqualität und auch niedrigeren Kosten geführt hat.
Dennoch hat sich gezeigt, dass die Lieferantenintegration nicht immer spannungsfrei verläuft. Oft empfindet gerade die eigene Entwicklungsabteilung die intensive Einbindung von Lieferanten als belastend. Neben eher psychologischen Barrieren wie dem „not invented here“-Syndrom wird häufig der mit der Lieferantenbetreuung einhergehende Zeitaufwand als problematisch angesehen.
So ist der eigene Entwicklungsbereich mit der Ausarbeitung von Rahmenbedingungen und Spezifikationen gerade in der Anfangszeit von Produktentwicklungsprozessen ausgelastet. Die häufig anzutreffende Tendenz, möglichst viele Lieferanten zu Entwicklungsbeginn einzubinden führt daher zu einer Überlastung des eigenen Entwicklungsbereiches. Konsequenz: Die Lieferantenintegration verläuft suboptimal, da keine ausreichenden internen Kapazitäten für die Lieferantenbetreuung während der Startphase zu Verfügung stehen. Die sich aus der Einbindung von Lieferanten ergebenden Potenziale werden deshalb nur unvollständig umgesetzt. Eine wenig präzise Vorbereitung der Lieferanteneinbindung kann auch zu erheblichen Mehrkosten im gesamten Entwicklungsprozess führen. Dies kommt vor allem dann vor, wenn die Marktmacht der Nachfrager zum Verhandeln extrem niedriger, oft nicht mehr kostendeckender Lieferantenpreise ausgenutzt wird. Um den Auftrag zu erhalten sind viele Lieferanten zu weitgehenden Zugeständnissen bereit, versuchen dann jedoch im anschließenden Entwicklungsprozess ihre Kostensituationzu verbessern. Dies gelingt den Lieferanten vor allem dann, wenn keine detaillierten technischen Spezifikationen und Rahmenbedingungen vorliegen, die Aufgabe und Umfang der vom Lieferanten zu erbringenden Aufgaben regeln und weitergehende kommerzielle Vereinbarungen oder Targetpreis-Vereinbarungen fehlen.
Um die Potenziale einer Lieferanteneinbindung gerade zu Beginn eines Entwicklungsprojektes richtig nutzen zu können, ist es notwendig, sich intensiv Gedanken darüber zu machen, wann welcher Lieferant in die eigenen Entwicklungsaktivitäten eingebunden werden soll. Das eigene Projektteam muss sich demnach klar darüber werden, welcher Lieferant zu welchem Zeitpunkt in die eigenen Entwicklungsaktivitäten eingebunden werden soll.
Kriterien für das Timing der Lieferanteneinbindung
Um den optimalen Zeitpunkt für die Lieferanteneinbindung ermitteln zu können ist es notwendig, zunächst die Kriterien zu ermitteln, die Einfluss auf die Zusammenarbeit zwischen eigener Entwicklung und Lieferant haben.
Argumente, die von der Entwicklungsseite für eine frühzeitige Lieferanteneinbindung kommen, betonen meistens die Notwendigkeit, gemeinsam mit den Lieferanten technische Rahmenbedingungen und Schnittstellen festlegen zu müssen, die maßgeblich den weiteren Produktdesignprozess beeinflussen. Fragen der Materialauswahl oder möglicher technischer Fertigungsverfahren oder der allgemeinen technischen Auslegung spielen hier oft eine Rolle. Im Allgemeinen kann man festhalten, dass folgende technische Kriterien einen Einfluss haben (Auswahl):
  • Benötigte geschätzte Entwicklungszeit
  • Anzahl der Schnittstellen zu anderen technischen Funktionen
  • Bekanntheitsgrad der benötigten Technologien
  • Komplexität der Entwicklungsaufgabe
  • Anzahl der Fertigungsverfahren
  • Verwendung fertigungstechnisch an-spruchsvoller Werkstoffe
  • Höhe der eigenen Entwicklungskapazität (z. B. Anzahl Mitarbeiter)
  • Typ der eingesetzten Konstruktionsverfahren (CAD, FEM etc.)
Es sind aber nicht nur rein technische Fragen, die Einfluss auf den Zeitpunkt der Lieferanteneinbindung haben. So spielen auch eher monetäre Überlegungen eine große Rolle wie zum Beispiel:
  • Allgemeine Entwicklungskosten
  • Kosten benötigter Fertigungseinrichtungen und Werkzeuge
  • Anzahl von Entwicklungsschleifen
  • Stundensatz der eigenen Entwicklungsabteilung und der von Entwicklungslieferanten
  • Anzahl zur Verfügung stehender Entwicklungslieferanten
  • Kosten benötigter Prototypen etc.
Um an Hand dieser Kriterien den optimalen Zeitpunkt der Lieferanteneinbindung bestimmen zu können, ist es notwendig, diese Kriterien zu bewerten. Dabei ist es vollkommen ausreichend, wenn man eine Bewertung nach den Auswirkungen der Kriterien auf das Entwicklungsergebnis grob nach den Kriterien hoch, mittel oder gering bezeichnet.
Ein Entscheidungsportfolio wird durch die beiden Kriterien „Risiken einer verspäteten Lieferanteneinbindung“ und „Kostenrisiken möglicher Änderungen im Entwicklungsprozess“ gebildet: Die dadurch ent-stehenden Segmente sind durch folgende Kriterienpaare gekennzeichnet:
1. Hohes Risiko einer verspäteten Lieferanteneinbindung und niedriges Kostenrisiko möglicher Änderungen.
In dieses Segment fallen Lieferanten, die Komponenten oder Systeme liefern, die bereits zu Projektbeginn spezifiziert werden müssen, da deren Auslegung hohen Einfluss auf die Gestaltung weiterer techni-scher Baugruppen oder Teile haben.
Auf der anderen Seite sind Kosten möglicher späterer Änderungen der Komponenten oder Systeme eher niedrig.
  • 2. Hohes Risiko einer verspäteten Liefe-ranteneinbindung und hohes Kostenrisiko möglicher Änderungen. Diesem Segment können all die Lieferanten zugeordnet werden, die Komponenten oder Systeme liefern, die zu Beginn der Entwicklungstätigkeit spezifiziert werden können. Im Gegensatz zum ersten Quadranten treten hier je-doch hohe Kosten auf, wenn Änderungen notwendig werden.
  • 3. Niedriges Risiko einer verspäteten Lieferanteneinbindung und niedriges Kostenrisiko möglicher Änderungen. In diesem Portfolio-Segment befinden sich alle Lieferanten von Normteilen oder Standardkomponenten.
  • 4. Niedriges Risiko einer verspäteten Lieferanteneinbindung und hohes Kostenrisiko möglicher Änderungen.
Diesem letzten der Quadranten des Entscheidungsportfolios werden all die Lieferanten zugeordnet, bei denen frühzeitige Einbindung sinnlos ist, da das Design dieser Komponenten maßgeblich vom Design anderer Bauteile abhängt.
Mit Hilfe dieses Portfolios können nun so genannte Standardstrategien für die Lieferanteneinbindung abgeleitet werden. Die Einbindung der so genannten Entwicklungspartner erfolgt am besten auf der Basis von so genannten funktionalen Spezifikationen. Mit Hilfe geeigneter Tools lassen
sich diese Spezifikationen in einem vergleichsweise kurzen Zeitraum ohne großen Aufwand erstellen. Diese funktionalen Spezifikationen sind in der Regel für diese Lieferanten vollkommen ausreichend, um die Entwicklungsaufgabe erfolgreich zu bewältigen. Da jedoch auch die Erfahrungen der Lieferanten mit gleichartigen Projekten maßgeblichen Einfluss auf die Entwicklungsarbeit haben, bietet es sich an, langfristige Entwicklungspartnerschaften aufzubauen, um das gewonnene Know-how auch für weitere Entwicklungsaufgaben nutzen zu können.
Für so genannte strategische Entwick-lungspartner sollte statt dessen eine detaillierte technische Spezifikation Grundlage jedes Auftrags sein. Das bedeutet, dass die eigene Entwicklungsabteilung gerade zu Beginn der Entwicklung ihre Aktivitäten auf die Definition dieser Lastenhefte fokussieren kann. Aus diesem detaillierten Leistungsrahmen lassen sich sämtliche Pflichten des Entwicklungspartners ableiten. Auch kann die eigene Entwicklungsabteilung so genannte Konzeptwettbewerbe mit Lieferanten durchführen. Das bedeutet, die potenziellen strategischen Entwicklungspartner sind aufgefordert, ihre Vorschläge zur Lösung der Entwicklungsaufgabe vorzustellen.
Auf Basis dieser Konzepte kann dann die Lieferantenauswahl erfolgen. Vorteil dieses Konzeptwettbewerbs ist es, dass die eigene Entwicklungsabteilung bereits vor Auftragsvergabe innovative technische Lösungen benannt bekommt und in ihre eigenen Lastenheftdefinition einfließen lassen kann, d. h. Lieferanten-Know-how wird bereits vor einer endgültigen Bestimmung des Entwicklungspartners genutzt.
Nachteil dieser Vorgehensweise sind die Kosten, da die meisten Lieferanten nur bei äußerst lukrativen Aufträgen bereit sind, ihre Entwicklungskonzepte ohne finanzielle Gegenforderung vorzustellen.
Die Auswahl der Commodity-Lieferanten sollte auf Grund ihrer Austausch- und Vergleichbarkeit am besten auf der Basis reiner Kostenüberlegungen erfolgen. Best-Price-Evaluation bedeutet in diesem Zusammenhang, dass Lieferanten überwiegend auf der Basis von monetären Überlegungen ausgewählt werden.
Die Auswahl der Cost Driver genannten Lieferanten erfolgt ähnlich wie die der strategischen Entwicklungspartner. Auch hier sind Lieferantenauswahl und detaillierte technische Lastenhefte empfehlenswert. Unterschied ist dabei, dass diese Spezifikationen nicht zu Projektbeginn vorliegen müssen, sondern im weiteren Entwicklungsverlauf nach und nach erstellt werden können. Dabei sollten die Erkenntnisse aus der bisherigen Entwicklungsarbeit einfließen und sich bietende Möglichkeiten einer technischen Entfeinerung genutzt werden.
Vereinfacherung des Entscheidungsprozesses
Das sich nun ergebende Entscheidungsportfolio bietet sowohl dem Einkauf als auch der Entwicklungsabteilung folgende Vorteile: Durch die Klassifizierung der Lieferanten wird eine Transparenz geschaffen, welche Lieferanten möglichst frühzeitig eingebunden werden sollen und auf Basis welcher Rahmenbedingungen und Spezifikationen die Lieferanteneinbindung erfolgen soll. Auch kann die eigene Entwicklungsabteilung nun die Aktivitäten der Lastenhefterstellung gezielt auf die Bereiche konzentrieren, wo detaillierte Unterlagen gefordert sind.
Somit hilft das so genannte „Supplier Involvement Timing“-Portfolio dem Entwicklungsmanagement, die eigenen Kapazitäten fokussiert einzusetzen und so schneller und mit reduziertem Aufwand den Entwicklungsprozess vorantreiben zu können, ohne auf das externe Know-how der Lieferanten verzichten zu müssen.
Der Einkauf kann mit Hilfe dieses Tools seine Sourcing-Aktivitäten so steuern, dass zeitnah notwendige Beschaffungsmarktdaten vorliegen um notwendige Entscheidungen rechtzeitig zu treffen.
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