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Handhabung von Beurteilungskonflikten in der Beschaffung

Konfliktmanagement: Negative, neutrale oder positive Konfliktnachwirkungen
Handhabung von Beurteilungskonflikten in der Beschaffung

Handhabung von Beurteilungskonflikten  in der Beschaffung
Konflikte kann es in allen Bereichen geben. Sie werden oft als negativ angesehen. Dabei sind nicht die Konflikte, sondern nur ihre Handhabung (Unterdrückung, Regelung, Bewältigung) ausschlaggebend, ob der Konflikt eskaliert und positive oder negative Nachwirkungen hat.

Christopher Bisping studierte Wirtschaftspädagogik an der Universität zu Köln und verfasste seine Diplomarbeit „Zur Handhabung möglicher Konfliktarten in der Beschaffung“ 2003 im Fach Beschaffung und Produktpolitik bei Prof. Dr. Udo Koppelmann. E-Mail: cbisping@gmx.de

Es gibt verschiedene Möglichkeiten, Konflikte zu handhaben. Welche angewendet werden sollten, hängt von der Situation und den beteiligten Personen ab. Generell gilt, dass es nicht nur eine optimale Methode gibt, sondern dass im Einzelfall immer zwischen den vorhandenen Alternativen entschieden werden muss. Das Thema Konflikte ist bisher Gegenstand vielfältiger Forschungsarbeiten gewesen. Hierbei wurde auch einiges zu Konflikten in Organisationen herausgefunden. Es gibt kaum Untersuchungen speziell zur Konflikthandhabung in der Beschaffung.
Das Ziel dieses Artikel ist zu zeigen, wie in der Praxis mit möglichen Konflikten in der Beschaffung umgegangen werden kann. Dies soll anhand eines selbst entworfenen Prozessmodells der Konflikthandhabung im Folgenden kurz dargestellt werden.
Prozessmodell für die Konflikthandhabung
Für das Prozessmodell wird davon ausgegangen, dass ein konkreter Sachkonflikt besteht und dieser gehandhabt werden soll. Bedingungen und Potenziale werden unterschiedlich wahrgenommen und bewertet. Die Konflikteskalation hat unterschiedliche Ausprägungsgrade, wobei die Grenzen und Übergänge fließend und im Ablauf variabel sind. Je stärker die Eskalation, umso schwerer ist eine Konflikthandhabung.
Als erster Prozessschritt soll eine genaue Definition und Analyse des Konfliktes erfolgen, um im Folgenden einen effizienten und effektiven Umgang mit ihm zu gewährleisten. Anschließend wird versucht, die Sach- und Beziehungsebene zu trennen (zweiter Prozessschritt). Bestehen Probleme und Spannungen auf der Beziehungsebene, soll zuerst versucht werden, diese zu lösen, damit es zu keiner verzerrten Wahrnehmung, Konfliktverschiebung oder willkürlichen Konfliktunterdrückung kommt (dritter Prozessschritt). Als vierten Prozessschritt zur Vorbereitung der Handhabung des Sachkonfliktes sollen die Kommunikation verbessert, neue Informationen gesammelt und Entscheidungskriterien aufgestellt werden. Erst dann erfolgt im fünften Schritt die konkrete Handhabung des Sachproblems. Sie erfolgt mit der Zielsetzung, den Konflikt zu bewältigen oder zu regulieren. In Ausnahmefällen kann auch eine bewusste Unterdrückung sinnvoll sein.
Die Übergänge zwischen Konfliktunterdrückung, -regelung und -bewältigung sind fließend und hängen stark von dem persönlichen Empfinden der Parteien ab. Im sechsten Prozessschritt empfiehlt es sich, Vereinbarungen oder Anweisungen schriftlich festzuhalten, damit es nicht im Nachhinein zu Missverständnissen kommt. Es ist sinnvoll, die getroffenen Vereinbarungen nach einiger Zeit zu überprüfen. Die Nachwirkungen eines Konfliktes können nicht nur negativ, sondern auch neutral oder sogar positiv sein. Welcher Art sie im Einzelfall sind, hängt von dem bisherigen Konfliktverlauf, der gewählten Handhabungsmethode, der Umsetzung und der Einhaltung möglicher Vereinbarungen sowie von der persönlichen Einschätzung der Konfliktparteien ab. Im Fall erneuter Unstimmigkeiten empfiehlt es sich, den vorgeschlagenen Konflikthandhabungsprozess erneut zu durchlaufen.
Wenn es bei dem Konflikthandhabungsprozess zu Schwierigkeiten kommt, erscheint es sinnvoll, die Hilfe einer dritten Partei für einen einzelnen Prozessschritt oder auch für den gesamten Prozess in Anspruch zu nehmen. Notfalls könnte diese Partei auch ermächtigt werden, stellvertretend Entscheidungen zu treffen.
Im Folgenden wird dieses Prozessmodell auf Konflikte und ihre Handhabung in der Beschaffung angewendet. In allen Phasen des Beschaffungsprozesses (Situationsanalyse, Bedarfsanalyse, Marktanalyse und -auswahl, Lieferantenanalyse und -auswahl, Lieferantenverhandlung und Beschaffungsabwicklung) können Beurteilungskonflikte auftreten.
Mögliche Beurteilungskonflikte in der Situationsanalyse
Folgende Situation könnte entstehen:
  • Es herrscht eine politische Instabilität in einem wichtigen Beschaffungsland.
  • Von zwei Beschaffern wird die Situation unterschiedlich beurteilt.
  • Wie verhält sich die Regierung des Landes?
  • Wird es eine gravierende Steuererhöhung geben?
  • Es entbrennt zwischen den beiden Kontrahenten eine heiße Debatte, bei der nicht nur sachlich diskutiert wird, da bereits eine gewisse affektive Betroffenheit vorliegt und die subjektive Wahrnehmung etwas verzerrt ist.
Wie im Prozessmodell für die Konflikthandhabung ausgeführt, empfiehlt es sich, als erstes die Konfliktsituation genau zu analysieren und den Konflikt zu definieren. Der Streitpunkt „Beurteilung der Situation des Landes“ ist neben möglichen Beziehungsproblemen zu untersuchen. Dann sollte eine Trennung von Sach- und Beziehungsproblem vorgenommen werden. Anschließend ist es die Aufgabe der Parteien, zu versuchen, eine Lösung für die Beziehungsprobleme und die Wahrnehmungsverzerrung zu finden.
Zur Lösung des Sachproblems empfiehlt es sich, die Kommunikation über die Sache zu verbessern, so dass alle verfügbaren Informationen ausgetauscht und neue gesucht werden können (Analyse von Lösungsmöglichkeiten). Dadurch wird erreicht, dass eine mögliche unterschiedliche Beurteilung aufgrund von Informationsdefiziten und -unterschieden aufgehoben wird. Anschließend sind Entscheidungskriterien zu sammeln und zu gewichten. Hier sind alle Beschaffungsobjektmerkmale und deren Wechselwirkungen zu berücksichtigen.
Beispielsweise besteht bei hoher Preisbedeutsamkeit, selbst bei einem kleinen Risiko, eher Handlungsbedarf als bei geringer Preisbedeutsamkeit. Zudem sind die Risikopräferenzen des Unternehmens von Bedeutung. Als Nächstes kann mit Hilfe dieser Entscheidungskriterien von beiden Parteien eine neue Beurteilung vorgenommen werden. Stimmen die beiden Beurteilungen der Parteien überein oder kann man sich auf eine Vorgehensweise einigen, ist die Konfliktbewältigung geglückt. Sind trotz der neuen Beurteilungen noch Differenzen vorhanden, müssen die Parteien auf der Basis der neuen Informationen versuchen, eine alternative Lösung zu finden.
Beispielsweise kann nach einem Lieferanten in einem anderen Land gesucht werden, der vergleichbare Konditionen anbietet. Ist die für das Unternehmen gewünschte Risikoeinstellung gemeinsam festgelegt worden, kann man sich bei unterschiedlicher Einzelbeurteilung der Lage auf ein Mittelmaß für die zu treffenden Maßnahmen verständigen. Handelt es sich bei den im Land georderten Gütern um Normprodukte, ist auch im Fall einer etwaigen Steuererhöhung ein schneller Lieferantenwechsel möglich. Ebenso besteht die Möglichkeit, vorsorglich einen langfristigen Vertrag mit dem Lieferanten zu schließen.
Als Kompromiss wäre auch denkbar, dass zum Zwecke der Risikominimierung nur noch eine reduzierte Menge der benötigten Ware aus diesem Land bezogen wird. Falls die beiden Mitarbeiter der Beschaffung sich auf keine Vorgehensweise einigen können, sollte der Abteilungsleiter eine Entscheidung für sie treffen. Die Vorschläge können je nach dem persönlichen Empfinden als Konfliktunterdrückung oder -regelung verstanden werden.
Mögliche Beurteilungskonflikte in der Beschaffungsabwicklung
Nachdem alle internen Informationen gesammelt worden sind, wird untersucht, auf welchem Markt die Lieferantensuche vorgenommen werden soll. Zwischen den Mitarbeitern der Beschaffung kann es zu unterschiedlichen Beurteilungen in der Vorauswahl, in der Makro- und in der Mikroauswahl kommen. Denkbare Ursachen hierfür sind, dass einige Auswahlkriterien „weich“ sind, die Mitglieder der Organisation über einen unterschiedlichen Informationsstand verfügen und einige wichtige Kriterien nicht messbar, sondern nur schätzbar sind. In der letzten Prozessstufe der Beschaffung geht es um die konkrete Ausführung und Kontrolle der Vereinbarungen: Bestellung, Beschaffungsüberwachung und Entsorgung.
Beispielsweise kann es zu einer nicht genauen Einhaltung des Vertrages durch den Lieferanten kommen. Er liefert einen Tag zu spät, wodurch die Produktion umorganisiert werden muss und zusätzliche Kosten entstehen. Zwischen dem Vorstand, der Produktionsabteilung und der Beschaffung entbrennt ein Streit darüber, ob eine mögliche Sanktionsstrafe durchgeführt werden oder im Sinne der Koalitionstheorie darauf verzichtet werden soll. Die Produktion, die umdisponieren musste, beharrt auf einer Bestrafung. Die Beschaffung lehnt dies ab, da sie den Lieferanten im Allgemeinen als zuverlässig beurteilt und dieser sich im Moment in einer finanziellen Engpasssituation befindet.
Der Vorstand steht auf Seiten der Beschaffung und ist gegen eine Bestrafung. Der Konflikt befindet sich noch in einem nicht so weit eskalierten Stadium, er kann sich aber schnell ausweiten.
Aus Sicht der Produktion ist es verständlich, dass sie für den Schaden eine Bestrafung des Lieferanten fordert. Die Beschaffung kennt die Situation des Marktes und des Lieferanten sehr gut, zudem ist ihr die verfolgte Win-Win-Politik gegenüber dem Lieferanten wichtiger. Nachdem die ersten drei vorgeschlagenen Prozessschritte durchlaufen wurden, sollte durch bessere Informationen von den Parteien versucht werden, sich gegenseitig die Lage zu verdeutlichen. Die Produktion ist aufgefordert, sich von der Beschaffung und von dem Vorstand genau über die Lage des Lieferanten informieren zu lassen und der Beschaffung zu vertrauen, um im Sinne des Gesamtwohls des eigenen Unternehmens zu handeln.
Zudem sollte die Beschaffung die Produktion genau informieren, mit welchen Risiken und Kosten ein möglicher Lieferantenwechsel verbunden ist, wenn der jetzige Lieferant eventuell aufgrund der Sanktionsstrafe in Konkurs gerät. Auf der anderen Seite sind die Beschaffung und der Vorstand angehalten, sich auch genau informieren zu lassen, welche Folgen die verspätete Lieferung für die Produktion hatte. Der Vorstand sollte seinerseits Verständnis haben für die Situation der Beschaffung und der Produktion und ihnen die Unternehmensziele und das Managementkonzept des Vorstandes mitteilen.
Zur Bewältigung des Konfliktes könnte der Produktion eine Kompensation vom Vorstand angeboten werden. Die Mitarbeiter könnten für ihre zusätzliche Leistung eine geldliche Zuwendung bekommen. Bei diesem Vorgehen liegt das Problem darin, dass möglicherweise ein Präzedenzfall geschaffen wird. Die Produktion könnte dann, ebenso wie andere Abteilungen, öfter einen Bonus für besondere Leistungen verlangen. Andere Abteilungen könnten darauf neidisch werden und sich ungerecht behandelt fühlen. Dies würde dem Unternehmensklima schaden und neue Konflikte auslösen. Zudem müssten die Zuwendungen vom eigenen Unternehmen bezahlt werden. Eine Regulierung des Konfliktes wäre aus den genannten Gründen langfristig günstiger.
Als eine Regelungsmöglichkeit wäre klar festzuhalten, dass die Sanktionsstrafe auf jeden Fall verhängt wird, wenn der Lieferant noch einmal zu spät liefert. Dies sollte ihm in einem Schreiben angekündigt werden. Die Produktion wäre auf diese Weise für ihre Extraleistung immer noch nicht entschädigt, dürfte aber mit diesem Kompromiss zufrieden sein, da der Lieferant sich auf jeden Fall bemühen wird, nicht noch einmal verspätet zu liefern. Zudem könnte durch Fenster- und Heilungsfragen versucht werden, neue Lieferanten auch im Hinblick auf Liefersicherheit auszuwählen bzw. dorthin zu entwickeln. Wichtig ist, dass diese Vereinbarungen schriftlich festgehalten (Prozessschritt sechs), kontrolliert und eingehalten werden. Ansonsten sinkt das Vertrauen, und bei einem nächsten Konfliktfall wird die Handhabung schwieriger.
Der Vorstand des Unternehmens könnte diesen Konflikt durch eine Entscheidung gegen die Strafe ohne viel Information und Kommunikation problemlos unterdrücken. Dies wäre keine gute Handhabung, da sich die Produktion auf jeden Fall übergangen fühlen würde, was negative Konfliktnachwirkungen mit sich bringen könnte. Bei genügend Einfühlungsvermögen und Informationsbereitschaft könnte das Management mit regulativer Wirkung eine Entscheidung für oder gegen die Strafe treffen. Sollte der Vorstand nicht genügend Zeit haben, ist es sinnvoller, die Hilfe einer externen dritten Partei, z.B. einer Unternehmensberatung zu nutzen, als den Konflikt zu unterdrücken.
Fazit: Jeder Konflikt ist durch seine Situation und die daran beteiligten Personen einzigartig und hat eine Sach- und Beziehungsebene. Aus diesem Grund und wegen der Einzigartigkeit bedarf jede Kontroverse einer genauen Analyse und einer spezifischen Handhabung. In den meisten Fällen empfiehlt es sich, den schwierigsten Weg der Konflikthandhabung einzuschlagen, d.h. es soll eine Konfliktbewältigung erreicht werden, um möglichst positive Konfliktnachwirkungen zu erzielen.
Um im Einzelfall für alle Beteiligten die sinnvollste Handhabung wählen zu können, wurde ein eigenes Prozessmodell zur Konflikthandhabung entwickelt, das auch die Beziehungsebene bei Sachkonflikten berücksichtigt. Dadurch wird es realistisch für den Praxiseinsatz. Durch die einzelnen Prozessschritte wird den Konfliktparteien eine Struktur angeboten, die vor Willkür schützt und durch die Konflikte eher produktive als destruktive Nachwirkungen haben. Auch viele andere Konfliktarten können mit diesem Prozessmodell gehandhabt werden.
Besonders die Beurteilungskonflikte können in jeder Stufe des Beschaffungsprozesses auftreten. Sie beruhen auf unterschiedlichen Erfahrungen, Informationen und unterschiedlicher Informationsverarbeitung, daher ist es hier besonders wichtig, die Kommunikation zu verbessern, neue Informationen zu sammeln und Entscheidungskriterien aufzustellen. In vielen Fällen könnten in der Praxis schon durch diese Vorgehensweise Beurteilungskonflikte gelöst werden.
Schlussfolgerungen sind, dass Konflikte in der Beschaffung nicht vorweg als negativ und ihre Unvermeidbarkeit nicht als Strafe angesehen werden sollten. Stattdessen ist es wichtig, eine bewusste, prozessgesteuerte Handhabung einzuführen, um die positiven Wirkungen von Konflikten zu nutzen. Im Konfliktbereich ist noch sehr viel Weiterbildung und weitere Forschung durchzuführen. Zudem ist es von großer Bedeutung für Konflikte in der Beschaffung, dass Unternehmen sich als Koalition sehen. Dabei ist es notwendig, mit allen Beteiligten, insbesondere den Mitarbeitern und den Lieferanten, ein kooperatives Verhältnis in einem guten Betriebs- bzw. Geschäftsklima aufzubauen, anstatt Konkurrenz zu fördern und sich gegenseitig auszuspielen.
Literatur:
  • Ackhoff, R. L./Emery F.E. (Zielbewusste Systeme 1975)
  • Bosshard, K. (Konflikt und Konfliktmessung in Unternehmen 1988)
  • Delhees, K. H. (Interpersonelle Konflikte und Konflikthandhabung in Organisationen 1979)
  • Glasl, F. (Konfliktmanagement 1999)
  • Hugo-Becker, A. /Becker, H. (Psychologisches Konfliktmanagement 1995)
  • Koppelmann, U. (Beschaffungsmarketing 2000),
  • Rüttinger, B. (Konflikte und Konfliktlösen 1988),
  • Sokianos, N.-P. (Die Zielanalyse als ein Instrument des Konfliktmanagements 1981)
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