Im Dortmunder Stadtteil Hörde ist der Hochofen 3 des ehemaligen Hoesch-Stahlwerkes Phoenix gerade in Schiffsladungen zerlegt auf dem Weg nach China, um nur 180 km südwestlich von Peking in der Region Hubei wieder zu neuem Leben zusammengeschweißt zu werden.
Im Oktober 1998 produzierte der Hochofen 3, der erst 1990 für eine zweistellige Millionensumme saniert worden war, das letzte Roheisen. 144 Jahre lang glühten in Dortmund-Hörde die Hochofen-Essen; in den 90er Jahren wurden hier täglich 4.000 Tonnen Roheisen erzeugt. Nun herrscht Ruhe über dem westlichen Stadtteil von Hörde. Rund 220 Ingenieure und Techniker begannen zum Advent 1998 mit der Demontage und Zerlegung unter der Regie des Lütticher Spezialunternehmens Pirson. Im Dreischichtbetrieb mussten die gigantische Hochofenbirne, einige Kilometer Gichtgasleitungen sowie eine komplette Gasturbinenhalle so zerschnitten und zerlegt werden, dass sie in 40-Fuß-Containern und Binnenschiffsladungen über Dortmund-Hafen, Duisburg und Rotterdam nach China verschifft werden konnten. Vier bis zu 100 m hohe 800-t-Kräne waren dazu im Einsatz. Alle Teile und Baugruppen wurden nummeriert, registriert und mit den dazugehörigen Plänen versandfertig gemacht.
Eine sorgfältig ausgetüftelte Abbruchlogistik mit fast 2.000 Detail-Abrissplänen, 3 laufende Meter Aktenordner umfassend, waren dazu erforderlich. Immerhin hatte der rostige Riese eine Höhe von 70 m und ein Gewicht von 22.000 Tonnen. Seit November 99 zeugen nur noch die gewaltigen Betonfundamente sowie die beiden benachbarten Hochöfen 1 und 2 von dem abgereisten Koloss.
Mit solchen noch funktionsfähigen Industrieveteranen lässt sich gut Geld machen, wenn man einen Käufer findet. Darauf ist die in Meerbusch residierende Firma Interselect des Unternehmers Karl-Heinz Wöllner spezialisiert. Wöllner zählt weltweit zu den anerkanntesten Spezialisten für die Demontage komplexer Industrieanlagen. Interselect kaufte den Hochofen und wurde das gute Stück durch Vermittlung einer Agentur aus Hong Kong bald darauf an die chinesische Handan Iron and Steel Group los.
Rund 400 Millionen Mark ließen die Chinesen sich den Deal kosten, einschließlich Demontage, Transport und Wiederaufbau. Ein neuer Hochofen hätte mindestens das Doppelte gekostet. Die Demontage dauerte insgesamt fast zwölf Monate; die Chinesen wollen das Zusammenpuzzeln in eigener Regie in wenigen Monaten bewältigen. Dazu waren während der Demontage 14 chinesische Ingenieure und drei Dolmetscher damit beschäftigt, mehr als 1.000 technische Zeichnungen in Chinesisch zu übersetzen. (ks)
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