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Implementierung eines Frühwarnsystems

Supply Frühwarnsysteme (II)
Implementierung eines Frühwarnsystems

Implementierung eines Frühwarnsystems
Innovation von einem auch im Einkauf vorausschauend handelnden Unternehmen: Mit dem neuen Infrarot-Nachtsichtsystem von Bosch können Autofahrer den Streckenverlauf in der Nacht besser erfassen und andere Verkehrsteilnehmer oder Hindernisse viel früher wahrnehmen
Mit steigender Abhängigkeit von den eigenen Lieferanten und einer immer komplexeren Umweltsituation steigt auch in der Unternehmenspraxis die Notwendigkeit, Supply Risk Management-Konzepte zu implementieren. Im Folgenden wird am Beispiel des Geschäftsbereichs Automobilelektronik der Robert Bosch GmbH ein besonders umfassender Ansatz vorgestellt, wie ein Supply Frühwarnsystem in der Praxis implementiert werden kann.

Marco Moder, marco.moder@de.bosch.com Peter Meyer, peter.meyer2@de.bosch.com Prof. Dr. Christopher Jahns, Executive Director des SMI, ebs, Oestrich-Winkel, E-Mail: c.jahns.ebs@supplyinstitute.org Prof. Dr. Evi Hartmann, Research Director Purchasing & Supply Management am SMI, e.hartmann.ebs@supplyinstitute.org

Der Geschäftsbereich Automobilelektronik der Robert Bosch GmbH mit Sitz in Reutlingen entwickelt, fertigt und vertreibt elektronische Produkte für den Einsatz im Fahrzeug. Das Produktspektrum reicht von Bauelementen über Steuergeräte bis hin zu Fahrerassistenzsystemen. Das Beschaffungsvolumen des Geschäftsbereichs verteilt sich auf die Bereiche Elektronik, Mechanik und indirekte Materialien & Investitionen.
Die Komplexität bei den Beschaffungsgütern hat in der Vergangenheit zu internen, externen und Supply Chain-Risiken geführt, die teilweise zu erheblichen Störungen in der Versorgung von Zukaufteilen führten. Beispiele umfassen Fehler bei der Datenmigration während der Umstellung auf ein neues IT-System beim Lieferanten, unzureichende Qualität durch Testlücken bei Bauteilen, Kapazitätsprobleme durch starke Nachfrageschwankungen vom Markt oder strategische Neuausrichtungen von Lieferanten, in deren Folge Produkte für die Automobilindustrie nicht mehr hergestellt wurden. Allen eingetretenen Risikofolgen lagen zwei zentrale Probleme zugrunde: Die Ursache für das Risiko war nicht frühzeitig bekannt und häufig wurden nicht rechtzeitig adäquate Maßnahmen zur Risikosteuerung eingeleitet. Ziel des aufgebauten Supply Frühwarnsystems war es also, eine möglichst vollständige Informationsdecke zu schaffen und die Vorbereitung von Maßnahmen für kritische Risiken sicherzustellen.
In einem ersten Schritt wurde aus den Erfahrungen der Vergangenheit und mittels Brainstorming eine Liste von etwa 150 Risiken aufgestellt, aufgeteilt in externe, strategische und operative Risiken. Beim Aufbau dieses Supply Risk Portfolios wirkten externe Experten des Supply Management Instituts der European Business School in Oestrich-Winkel mit, um eine Bosch-übergreifende Sichtweise auf existierende Probleme sicherzustellen.
Analyse führt zu einer komplexen und heterogenen Risikostruktur
Auf Basis dieser Liste wurden zahlreiche Experteninterviews sowie ein Workshop mit Mitarbeitern verschiedener Geschäftsbereiche durchgeführt, um die wesentlichen Supply-Risiken für den Einkauf der Robert Bosch GmbH zu identifizieren. Es wurde deutlich, dass durch interne Arbeitsanweisungen und das existierende unternehmerische Risikomanagement der größte Teil der firmeninternen Risiken bereits beherrscht wird. Der Fokus des aufzubauenden Supply Frühwarnsystems wurde daher auf die Risiken in der Supply Chain gelegt sowie auf externe Risiken, die auf Lieferanten wirken. Insgesamt zwölf Risiken zeigten sich hierbei als wichtig für alle Lieferanten, die intern als ‚Top Supply Risiken’ bezeichnet werden. Darüber hinaus haben sich die Risiken jedoch sehr heterogen dargestellt, eine differenzierende Betrachtungsweise war dementsprechend notwendig. Viele Risiken sind nur bei Mechaniklieferanten relevant, andere wiederum nur für Elektroniklieferanten. Im Bereich der indirekten Materialien sind Aussagen häufig erst auf Materialgruppenebene möglich, hierbei haben sich viele Materialgruppen aber auch als unkritisch erwiesen. Andere Unterscheidungen waren notwendig, so nach Ländergruppen, aus denen Lieferanten liefern, nach der Größe oder auch der Eigentümerstruktur des Zulieferers.
Indikatoren für die wesentlichen Risiken definieren
Um die wesentlichen Risiken managen zu können, wurde eine entsprechende Indikatorstruktur aufgebaut. Jedes der im vorherigen Schritt identifizierten und als wesentlich erkannten Risiken hat mindestens einen Indikator erhalten. Ausgewählte Methoden zur Überwachung der Indikatoren sind in obenstehender Grafik dargestellt. Dieser Artikel fokussiert im Folgenden auf das aufgebaute IT-gestützte Supply Frühwarnsystem, welches die automatisierbaren Indikatoren integriert und auch zur Eingabe kritischer Risiken durch die Einkäufer genutzt wird.
Sofern möglich, wurden für die wesentlichen Risiken Indikatoren aus drei Quellen definiert: interne Indikatoren aus eigenen Datenquellen, Daten von externen Dienstleistern und Indikatoren in Form von Fragen, die vom Lieferanten in definierten Zyklen beantwortet werden. Das Supply Frühwarnsystem erfasst auf diese Weise in der aktuellen Version insgesamt 68 Kern-Indikatoren, die fest im System verdrahtet sind. Indikatoren können für alle Lieferanten relevant sein, aber auch für bestimmte Länder oder Materialgruppen definiert sein. Durch ein solch flexibles Arrangement ist es möglich, die beschriebene Komplexität in der Risikostruktur auch durch das IT-System abzudecken. Ergänzend können für jeden Lieferanten bis zu fünf zusätzliche Indikatoren definiert werden, die in Form einer Abfrage durch den zuständigen Einkäufer an den Lieferanten gestellt werden. Mögliche Zyklen für die Indikatoren reichen von einer monatlichen bis hin zu einer jährlichen Abfrage. Jedem der definierten Indikatoren sind zwischen einem und drei Schwellenwerten hinterlegt. Während die Mehrheit der Indikatoren Absolutwerte oder Trendentwicklungen überprüft, kommen bei einigen auch weiterentwickelte mathematische Verfahren zum Einsatz, um typische Schwankungen identifizieren zu können.
Insgesamt liegen hinter dem System somit mehr als hundert Schwellenwerte, um ein umfassendes Risikomanagement zu ermöglichen. Denn erst diese umfassende Identifikation von drohenden Risiken macht es möglich, die komplexe Risikolandschaft zu managen. Mit der Identifikation der drohenden Risiken ist jedoch erst eines der beiden zentralen Ziele des Supply Frühwarnsystems erreicht.
Integration als zentraler Erfolgsfaktor
Es muss auch sichergestellt sein, dass in der Organisation entsprechende Maßnahmen definiert und rechtzeitig eingeleitet werden, um kritische Risiken entsprechend zu vermeiden oder die Auswirkungen zu minimieren. Hierzu wurden umfangreiche organisatorische und technische Prozesse implementiert, die eine effektive Risikosteuerung sicherstellen.
1. Klare Zuteilung der Verantwortlichkeiten
Jeder Indikator ist per Definition ein Einkaufs-, Logistik- oder Qualitätsindikator. Gleichzeitig ist jedem Lieferanten ein Hauptansprechpartner in allen drei Abteilungen zugeteilt. Die Verantwortung für die Maßnahmendefinition trägt also immer ein einzelner Mitarbeiter. Gleichzeitig ermöglicht die Verteilung auf drei Abteilungen eine optimale Nutzung des vorhandenen Know-hows in der Organisation, denn so wird ein Risiko immer durch den Mitarbeiter bearbeitet, der Experte für den Indikator und den Lieferanten ist. Zudem wurden Kooperationen mit anderen Abteilungen vereinbart, soweit diese aus Kompetenzsicht sinnvoll sind. So unterstützen die Finanzabteilung und ein externer Dienstleister die Einkäufer bei der Interpretation von Bilanzkennzahlen, wenn das System ein drohendes finanzielles Risiko bei einem Lieferanten erkannt hat. Erst diese gebündelte Kompetenz macht es möglich, schließlich zusammen mit dem Lieferanten Wege zu begehen, um auch kritische Risiken zu minimieren.
Die Maßnahmendefinition erfolgt im System innerhalb fest definierter Zeiträume und abhängig von der Schwere des zugrunde liegenden Risikos. Zu jedem Indikator sind mehrere Maßnahmen möglich, die abgearbeitet werden. Nicht definierte Maßnahmen ziehen eine automatische Eskalation nach sich. Durch die klare Zuteilung der Verantwortung und die definierten Zeiträume bis zur Bearbeitung einer ersten Maßnahme wird eine rasche Bearbeitung aller drohenden Risiken erreicht.
Zielgruppenorientierte Aufbereitung der verfügbaren Daten
Das System stellt verschiedene Risikoreports zur Verfügung, die auf fünf Ebenen die Informationen aufbereiten und den Mitarbeitern eine optimale Übersicht über die Risikolage von Lieferanten oder auch des gesamten Lieferantenportfolios ermöglichen. Hierbei sind die verfügbaren Daten durch verschiedene technische Sicherheitsmechanismen geschützt. Die Informationen werden vom System standort- und abteilungsübergreifend an Mitarbeiter verteilt, die eng mit dem Lieferanten zusammenarbeiten. Dieser interne Systemzugriff steht nur speziell dafür geschultem Personal aus den Supply-Chain-Abteilungen zur Verfügung, um die Vertraulichkeit der Daten zu garantieren.
Klare zeitliche Vorgaben
Die Aktivitäten des Supply Risk Managements bei der Robert Bosch GmbH, die als einen zentralen Pfeiler den organisatorischen Aufbau des Supply Frühwarnsystems und seiner technischen Implementierung umfassen, haben zu einem deutlichen Rückgang der durch Lieferanten verursachten Lieferstörungen geführt. Die Informationsversorgung der Mitarbeiter in Einkauf und Logistik ist gleichzeitig deutlich gestiegen und hat somit auch allgemein zu einer besseren Sensibilisierung für Supply-Risiken geführt. Trotzdem ist der Aufbau des Frühwarnsystems nur als erster Schritt eines ganzheitlichen Supply Risk Managements zu sehen. Im Sinne konzeptioneller Überlegungen ist das Ziel, einen ‚Bosch Supply Risk Management-Ansatz’ aufzubauen, welcher auch Maßnahmen der Risikosteuerung integriert und schließlich in der Formulierung einer ganzheitlichen Supply Risk Strategie münden muss. In eine solche Strategie müssen auch die Lieferanten integriert sein, denn das beste Supply Risk Management wird nur funktionieren, wenn die gesamte Supply Chain gleiche Interessen verfolgt und gemeinsam an einem Strang zieht. An diesem Verständnis gilt es vertrauensvoll innerhalb der gesamten Lieferkette zusammenzuarbeiten – nur ein vereintes Vorgehen schafft für alle beteiligten Parteien Wettbewerbsvorteile und kann kritische Lieferstörungen langfristig und effizient auf ein Minimum reduzieren.

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Autoren


Zusammenfassung

In der Dezember-Ausgabe von Beschaffung aktuell wurde die konzeptionelle Vorgehensweise für die Implementierung und die Durchführung von Frühwarnsystemen in Einkauf und Beschaffung vorgestellt. In diesem Beitrag werden die theoretischen Überlegungen an einem praktischen Beispiel verdeutlicht, dargestellt an der Implementierung eines Supply Frühwarnsystems bei der Robert Bosch GmbH, dem weltweit größten Automobilzulieferer.
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