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Internationaler Einkauf in Produktions- und Anlagenbauunternehmen

Projektteamstruktur oder Matrixorganisation
Internationaler Einkauf in Produktions- und Anlagenbauunternehmen

Durch zunehmende Globalisierung der Märkte steht der internationale Einkauf vor hohen Anforderungen. Chancen und Risiken internationaler Bieter müssen erkannt und bewertet werden, um zu einer optimalen Lieferantenauswahl zu kommen. Zielsysteme in Produktions- und Anlagenbauunternehmen sind unterschiedlich.

Klaus Walter, Peter Wimmer

Während in Produktionsunternehmen die Optimierung der logistischen Abläufe im Vordergrund steht, dominieren im Anlagenbau kundenspezifische Einzelaufträge. Zur Ergebnisoptimierung kann die Linienorganisation in beiden Geschäftsarten durch eine temporäre Projektteamstruktur überlagert oder durch eine permanente Matrixorganisation ergänzt werden.
Beschaffungsmärkte verändern sich immer schneller. Die grundsätzlichen Ziele des Einkaufs sind Minimierung von Preis und Lieferzeit sowie Erreichung der geforderten Qualität. Das ist zunächst nicht neu, denn seit jeher werden Preisunterschiede zur Ergebnisoptimierung genutzt. Jedoch gewinnen diese durch die zunehmende Internationalisierung der Märkte höhere Bedeutung.
Die rasante Entwicklung der Kommunikationstechnologie setzt der zeitnahen Bereitstellung von Informationen heute keine Grenzen mehr. Die Herausforderung für den Einkauf besteht darin, entsprechende Beschaffungsquellen weltweit zu lokalisieren. Der optimalen Abstimmung zwischen Lieferant und Abnehmer hinsichtlich Beschaffungsauftrag, Produktion und Lieferung steht nichts mehr im Wege.
Gute Kommunikation setzt aber nicht nur perfekte Kommunikationstechnologien, sondern ebenso Verständnis für die Kultur der jeweiligen Partner voraus. So kann zum Beispiel die Bedeutung der Einflußgrößen „geforderte Qualität“ und „Einhaltung der Lieferzeit“ je nach Kulturkreis divergieren. Der Gebrauch der Weltsprache Englisch und der Handelssprache Spanisch ist schon lange selbstverständlich.
Auch die Logistik stellt im heutigen Industriezeitalter keine unüberwindbare Barriere mehr dar. Daß dafür in den Industrie- und auch heranwachsenden Schwellenländern eine angemessene Infrastruktur vorhanden sein muß, steht außer Frage. Die Beschaffung von Rohstoffen im Ausland wird seit Jahrzehnten praktiziert. Sind diese gewachsenen Handelsbeziehungen auf die Beschaffung technisch hochwertiger Leistungen übertragbar? Dies ist im konkreten Fall anhand spezifischer Kriterien zu untersuchen.
Die internationale Orientierung qualifizierter Fachkräfte hat weltweiten Know-how-Transfer zur Folge. Dies wird am Beispiel der Schwellen- und Entwicklungsländer besonders deutlich. Dabei sind vier Hauptarten des Know-how-Transfers zu unterscheiden:
  • 1.Verbreitung von Wissen durch Studium im Ausland,
  • 2.Verlagerung von Produktionsstätten ins Ausland,
  • 3.Internationale Forschungsprojekte,
  • 4.Internationale Fachmessen.
Die zu erwartende Qualität der Leistungen im jeweiligen Lieferland ist anhand der spezifischen Anforderungen genau zu überprüfen. Daraus kann sich ergeben, daß die Leistungen eines ausländischen Lieferanten die Anforderungsprofile bestimmter Märkte treffen, bei anderen aber nicht oder noch nicht erreicht werden. Die zunächst nur selektive Einsatzmöglichkeit bedingt Weiterentwicklungspotentiale. Der Abgleich zwischen geforderter Leistung und deren Erfüllung wird durch die zunehmende Berücksichtigung internationaler Standards erleichtert.
Außer der technischen Leistungsfähigkeit eines Lieferanten muß auch dessen finanzieller Status berücksichtigt werden. Daraus resultierende Risiken können durch unabhängige Firmenauskünfte, Handelskammern, Banken oder Bürgschaften bewertet und abgesichert werden. Währungsrisiken sind beispielsweise durch Vertragsabschluß in eigener Währung, einer Weichwährung oder ein Devisentermingeschäft auszuschließen.
Neben unmittelbar die Leistungserstellung betreffende Faktoren, spielt auch das politische, volkswirtschaftliche und rechtliche Umfeld eine entscheidende Rolle für die Lieferantenauswahl. In einem politisch und rechtlich instabilen System kann die Lieferfähigkeit durch Faktoren wie z.B. Korruption, staatliche Sanktionierung und sonstige Handelshemmnisse erschwert werden. Unzureichende Informationen über das bestehende Rechtssystem stellen ebenfalls ein unkalkulierbares Risiko dar. Um rechtliche Risiken zu vermeiden, können zum Beispiel entweder heimisches Recht und Gerichtsstand (in der Praxis problematisch hinsichtlich Durchsetzbarkeit), internationales Kaufrecht oder eine neutrale Schiedsgerichtsbarkeit vereinbart werden.
Zusammenfassend kann festgestellt werden, daß die immer schnellere Veränderung der Beschaffungsmärkte nicht nur ein Resultat des Preisdrucks in den eigenen Absatzmärkten ist, sondern daß sich ein grundsätzlicher struktureller Wandel vollzieht, der sich in einer zunehmenden Globalisierung der Beschaffungsmärkte zeigt.
Einkaufsfunktion in einem Produktionsunternehmen
Hauptkennzeichen für Produktionsunternehmen ist der Wiederholcharakter von Einzelteilen, Baugruppen und Endprodukten, wobei eine hohe prozeßbezogene Standardisierung angestrebt wird. Dadurch ist eine kostenmäßige Optimierung von Fertigung und Materialwirtschaft möglich. Ausgehend von einer geringeren Teilevielfalt können Produktionskapazitäten besser ausgenutzt sowie Lagerhaltung verringert und Preisvorteile ausgeschöpft werden. Im Vordergrund von Produktionsunternehmen steht die optimale Gestaltung logistischer Prozesse entlang der gesamten Wertschöpfungskette.
Ein wesentlicher Ansatzpunkt zur Kostenoptimierung liegt in der Minimierung der eigenen Lagerhaltung, indem diese Funktion zunehmend von Lieferanten wahrgenommen und durch bedarfssynchrone Anlieferung optimiert wird. Weitere Einsparpotentiale ergeben sich durch Lieferantenvereinbarungen über Warenausgangskontrollen und damit Wegfall der Eingangskontrollen auf der Kundenseite. Dies schließt u.a. auch den Verzicht auf Einwand verspäteter Mängelrügen durch den Lieferanten ein.
Der Einkäufer im Produktionsunternehmen übernimmt die Rolle eines Beziehungsmanagers zwischen Anbieter und Nachfrager. Die Bedeutung für den Einkauf liegt in Ausarbeitung, Verhandlung und Abschluß von Rahmenvereinbarungen, die eine einfache Abwicklung über weitgehend standardisierte Einzelverträge ermöglicht.
…und im Anlagenbau
Im Anlagenbau werden rein auftragsbezogene Leistungen erstellt. Die Hauptleistungen des Anlagenbaus sind Engineering, Service und Montage einer schlüsselfertigen Lösung. Deshalb kommt bei dieser Geschäftsart kompetenten Projektleitern, die den Auftrag während der gesamten Laufzeit begleiten, besondere Bedeutung zu. Organisatorisch weicht die Prozeßorientierung tendenziell der Projektausrichtung, wodurch die klassische Funktionsstruktur von einer Projektstruktur überlagert werden kann.
Im Gegensatz zum Produktionsunternehmen wird die internationale Beschaffung erheblich stärker durch Forderungen des Kunden geprägt, weshalb schon im Anfragestadium die Kundenspezifikation zugrundegelegt wird. Neben der technischen Spezifikation des Kunden muß der Einkauf auch die kommerziellen Vertragsgrundlagen kennen. Hinsichtlich einer Risikominimierung werden die Konditionen des Kundenvertrages, wie z.B. Gewährleistung, Pönale und Zahlungsbedingungen auftragsbezogen individuell verhandelt und an die Lieferanten weitergegeben. Hieraus resultieren komplexe Einzelverträge pro Bedarfsfall.
Organisationsformen im internationalen Einkauf
Die Organisationsform des internationalen Einkaufs hat die Kriterien aller im Beschaffungsprozeß involvierten Stellen in punkto Qualität, Bezugspreis, Lieferzeit und Bonität des Lieferanten zu berücksichtigen. Maßgebliche Stellen sind Kunde, Technik, Disposition und Fertigung. Diese Kriterien können, unabhängig davon, ob es sich um ein Anlagenbau- oder Produktionsunternehmen handelt, in Form von Checklisten in die Strategie des Einkaufs einfließen.
Für Produktionsunternehmen ist die Sicherstellung eines störungsfreien Fertigungsprozesses ein Hauptziel, während im Anlagenbau die optimale Ausführung eines Auftrages im Vordergrund steht. Typischerweise gliedern sich Produktionsunternehmen in die klassischen Linienfunktionen wie Vertrieb, Technik, Produktion und Materialwirtschaft. Die Einkaufsfunktion kann hierbei folgendermaßen realisiert sein:
•Das gesamte Produktionsunternehmen verfügt über eine zentrale Einkaufsabteilung mit arbeitsplatzbezogenen Materialzuständigkeiten. Ferner kann diese Einkaufsfunktion hinsichtlich strategischer (Lieferantenauswahl, Rahmenverträge und Preisverhandlung) und operativer Aufgaben (Einzelabrufe und Terminierung) unterteilt werden, wobei letztere in Richtung Bedarfsträger verlagert werden können.
•Jedes Fertigungszentrum hat eine eigene Einkaufsfunktion. In diesem Fall sind strategische und operative Einkaufsaufgaben dezentral zugeordnet.
Das Ergebnis der klassischen Linienorganisation kann durch funktionsübergreifende Arbeitsgruppen verbessert werden. Hierbei werden Schwerpunkt- oder kritische Materialien im Rahmen der Gesamtprozeßoptimierung (Bezugsquellen, logistische Systeme etc.) berücksichtigt.
Auch in Anlagenbauunternehmen wird von einer Linienorganisation ausgegangen. Da hier jedoch der Projektcharakter gegenüber der Prozeßorientierung dominiert, können fallweise Anpassungen durch eine Matrixstruktur vorgenommen werden. Dies bietet sich insbesondere bei Großobjekten ab einem bestimmten Auftragswert an. Typische Schnittstellenprobleme, wie z.B. mangelhafter Informationsfluß und sequentielle Arbeitsfolgen, die zu unnötigen Verzögerungen von Durchlaufzeiten führen, werden durch auftragsbezogene, interdisziplinäre Teams reduziert.
Bei einer Matrixstruktur, die Projektteams in die bestehende Linienorganisation integriert, wird ein optimierter Informationsfluß institutionalisiert, der in einer reinen Linienstruktur nur bedingt möglich ist. Die Verfügbarkeit sämtlicher Projektinformationen bewirkt einerseits die Vermeidung von Arbeitsfehlern durch rechtzeitiges Erkennen von Zusammenhängen, andererseits wird die Mitarbeitermotivation über den Bezug zur Gesamtleistung gesteigert.
Anlagenbauunternehmen können auch im Rahmen einer reinen Projektstruktur organisiert sein. Damit sind alle Kernelemente der Funktionslinie im jeweiligen Auftrags-team vorhanden. Beispiele hierfür sind Arbeitsgemeinschaften oder Konsortien bei Großprojekten, die temporär eine eigene Organisationsstruktur erfordern und während ihrer Laufzeit einen eigenen Unternehmenscharakter aufweisen.
Sowohl in Anlagenbau- als auch in Produktionsunternehmen sind Projektteams ein entscheidender Faktor zur Optimierung interner Geschäftsabläufe und damit Voraussetzung für die Erfüllung der von den Kunden geforderten Leistungen. Dabei müssen alle erforderlichen Kernkompetenzen in die Projektteams integriert werden.
Die Zusammenarbeit in Teams erfordert klar definierte Regeln für die beteiligten Mitglieder, ohne jedoch Kreativität und Kompetenz des einzelnen zu reduzieren. Die ideale Organisationsform des internationalen Einkaufs kann nicht unabhängig von Branche und Geschäftsart bestimmt werden. Die Integration von interdisziplinären Arbeitsgruppen in die Unternehmensstruktur schafft entscheidende Wettbewerbsvorteile. Ob diese Teams dauerhaft als fester Bestandteil in eine Matrixorganisation implementiert oder temporär zur speziellen Problemlösung herangezogen werden, ist im Einzelfall zu analysieren.
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