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Internationaler Werkzeugbau

Beschaffung von Werkzeugen
Internationaler Werkzeugbau

Der Lehrstuhl für Produktionssystematik am Werkzeugmaschinenlabor WZL der RWTH Aachen beschreibt im Rahmen einer dreiteiligen Reihe das Potenzial des internationalen Werkzeugeinkaufs. Der erste Teil zeigt einen Überblick über globale Werkzeugbaumärkte und beschreibt eine Vorgehensweise für einen erfolgreichen Werkzeugeinkauf. Im zweiten und dritten Teil erfolgt die Vorstellung von jeweils einem interessanten Werkzeugbaumarkt.

Die Werkzeugbaubranche ist gemessen am Umsatz eine Nischenbranche des Maschinenbaus. Sie ist weltweit durch kleine und mittlere Betriebe geprägt. Obwohl heterogen in Bezug auf Unternehmensgröße und Leistungsangebot, unterliegt die Branche jedoch weltweit denselben Einflüssen und Herausforderungen. Eine zunehmende Produktderivatisierung bei gleichzeitig kürzeren Produktlebenszyklen hat zu einem erheblichen Anstieg des Werkzeugbedarfs produzierender Unternehmen geführt. Der Anteil der Werkzeugkosten an den Produktionskosten bezogen auf das einzelne Derivat ist in diesem Zuge gestiegen und hat den Kostendruck auf die Werkzeugbeschaffung erhöht. Die Globalisierung hat überdies zu einer Internationalisierung von Produktionsstandorten beigetragen, sodass der Werkzeugbedarf zunehmend international verteilt anfällt.

Zur Versorgung internationaler Produktionsstandorte sowie kosteneffizienten Beschaffung anforderungsgerechter Werkzeuge für den Heimatmarkt müssen globale Märkte in den Fokus rücken. Dies ermöglicht die gezielte Beeinflussung der Werkzeugkosten, trägt zur globalen Produktionssicherheit bei und stärkt somit nachhaltig die Wettbewerbsfähigkeit produzierender Unternehmen. Die Nutzung internationaler Märkte für den Werkzeugeinkauf bringt jedoch viele Herausforderungen mit sich: Oftmals fehlt dem Einkauf das werkzeugbauspezifische Marktwissen. Aufgrund der sehr heterogenen und kleingliedrigen Branchenstruktur ist es sehr aufwendig dieses Wissen zu erlangen. Ebenso sind die technologischen und prozessseitigen Anforderungen in Bezug auf Werkzeug und Werkzeugbaubetrieb selten unternehmensweit einheitlich definiert. Die Lieferantenauswahl sowie ein Angebotsvergleich ist für den Einkauf daher schwierig umzusetzen.
Eine lokale Werkzeugbranche entwickelt sich überall dort, wo Produktion betrieben wird. Werkzeuglieferanten finden sich daher potenziell auf allen Kontinenten. Nicht alle Märkte befinden sich jedoch auf dem gleichen Entwicklungsstand oder besitzen zusätzliches Entwicklungspotenzial. Als Einkäufer ist es daher zumeist nicht erforderlich, sich mit allen Märkten zu beschäftigen. Stattdessen kann, abhängig von den spezifischen Anforderungen, eine Vorauswahl getroffen werden. Dazu lohnt es sich, den derzeitigen Status-quo sowie das Entwicklungspotenzial einzelner Werkzeugbaumärkte zu kennen. Am WZL hat sich dazu die Einteilung der „Werkzeugbau-Welt“ nach Marktgröße, Marktreife und Entwicklungspotenzial etabliert.
Die Marktgröße kann eindeutig über das Herstellungsvolumen von Werkzeugen beziffert werden. Weltweit beherrschen sechs Werkzeugbaumärkte mit großem Abstand die Bereiche der Spritzgieß- und Massiv-/Blechumformungswerkzeuge. China nimmt in diesem Vergleich gefolgt von den USA und Japan die Spitzenposition beim Wert der hergestellten Werkzeuge ein. Einziger Nettoimporteur unter den führenden Werkzeugbaunationen sind die USA. Die Exporte der anderen fünf Länder übersteigen dagegen den Wert der Importe. Außer bei Südkorea und Italien, die einen hohen Anteil an Spritzgießwerkzeugen herstellen und verwenden, ist das Verhältnis zwischen Spritzgießwerkzeugen und Massiv-/ Blechumformungswerkzeugen in den sechs großen Märkten nahezu ausgeglichen. Im europäischen Raum folgen nach Deutschland und Italien die Märkte Frankreich, Portugal und Spanien mit jeweils einem Wert von deutlich unter 1 Mrd. Euro an hergestellten Werkzeugen. Bei einer detaillierten Betrachtung des Werkzeugaußenhandels von Deutschland zeigt sich je nach Werkzeugart ein deutlich unterschiedliches Bild. Deutschland importiert Spritzgießwerkzeuge vor allem aus China, Italien und der Schweiz. Gleichzeitig wird ein Teil des hergestellten Volumens vornehmlich in die USA und nach Tschechien exportiert. Blechverarbeitungswerkzeuge werden vor allem aus Italien und der Schweiz importiert. Ihr Export erfolgt hauptsächlich in die USA, nach China und nach Großbritannien.
Die Marktreife zeigt die technologische und prozessseitige Kompetenz eines Marktes im Durchschnitt aller Betriebe an. Sie kann beispielsweise anhand der Qualität und Komplexität der hergestellten Werkzeuge, der Fortschrittlichkeit der eingesetzten Systeme sowie der vorhandenen Ressourcen in der Fertigung differenziert bestimmt werden.
Datenbank mit 1400 Betrieben. Am WZL unterstützen dabei eine Datenbank mit mittlerweile mehr als 1400 bewerteten Werkzeugbaubetrieben außerhalb Deutschlands sowie zahlreiche Bereisungen in den letzten Jahren, bei denen ein Vor-Ort-Eindruck gewonnen werden konnte. Bezogen auf die Marktreife zeigt sich, dass die technologische und prozessseitige Kompetenz des deutschsprachigen Raums weltweit nur noch in Südkorea und Japan flächendeckend gefunden werden kann. Mit etwas Abstand folgen Nordamerika und Südeuropa, wobei diese Märkte teilweise einen stärkeren technologischen Fokus auf bestimmte Werkzeugtypen aufweisen. Wiederum mit Abstand folgen China Osteuropa und die Türkei, wobei sich in China mittlerweile einige wenige Betriebe nah am westeuropäischen Standard etablieren konnten. Es folgen eine Vielzahl von Märkten auf durchschnittlich ähnlichem Niveau. Begünstigend für die Entwicklung einer Werkzeugbaubranche wirkt immer eine vorhandene Automobilproduktion. Dies hat sich beispielsweise in Südafrika mit einer traditionell hohen Durchdringung der internationalen Automobilindustrie gezeigt und wiederholt sich derzeit in Mexiko, dessen automobiler Boom verstärkt beachtenswerte Werkzeugbaubetriebe entstehen lässt. Ebenso können staatliche Förderprogramme stimulierend wirken. So geschehen in Indien, wo die Werkzeugbaubranche seit Jahren im Fokus der staatlichen Förderung steht.
Das Entwicklungspotenzial zeigt einen Trend für die zukünftige Entwicklung einer lokalen Werkzeugbaubranche an. Dieses Potenzial kann aus der Entwicklung der produzierenden Industrie dieser Märkten abgeleitet werden. Besonders hervorzuheben sind in diesem Zusammenhang Märkte, wie Indien, Indonesien, Brasilien oder auch Vietnam. Ebenso wird mit dem Entwicklungspotenzial ein qualitativer Unterschied des Einstandspreises angezeigt. So können in Europa für 10 Euro im Durchschnitt 0,6 kg Werkzeuggewicht erworben werden. In China ist das durchschnittlich erwerbbare Werkzeuggewicht für 10 Euro doppelt so hoch. Dies ist mit erheblich niedrigeren Faktorkosten in China zu erklären: Ein Facharbeiter kann in China im Vergleich zu Deutschland für den gleichen Lohn mehr als achtmal länger beschäftigt werden. Daneben spielen bei der Beurteilung dieser Kennzahl aber auch Rohmaterialpreise, die Mitarbeiterproduktivität sowie die Werkzeugkomplexität insgesamt eine Rolle.
Fasst man die drei Dimensionen zur Beschreibung der „Werkzeugbau-Welt“ zusammen, können einzelne Märkte in Klassen zusammengefasst werden. Diese stellen für einen Einkauf eine erste Indikation dar, wo eine Lieferantensuche, bezogen auf einen bestimmten Werkzeugbedarf, lohnenswert ist. Die „All-Stars“ sind Märkte mit historisch großem Marktvolumen, bei gleichzeitig hoher Marktreife in Bezug auf verfügbare Werkzeugbaukompetenz. Werkzeugbaubetriebe in diesen Märkten sind für innovative und technologisch komplexe Werkzeugbedarfe heranzuziehen, die einen großen Anteil an Kompetenz im Engineering und in der Qualifizierung der Werkzeuge erfordern. Hierzu zählen Länder wie Deutschland, Südkorea, Japan, Italien sowie mit etwas Abstand auch die USA und Kanada. Mit „Rookies“ werden Märkte beschrieben, die entweder in Bezug auf Marktgröße oder Marktreife nicht zur Spitzengruppe gehören. Diese Gruppe umfasst Länder, wie die Schweiz mit hoher technologischer Kompetenz sowie Portugal, Spanien und Teile Osteuropas mit etwas kleineren, spezialisierten Werkzeugbaumärkten. Auch China gehört aufgrund einer im Branchendurchschnitt immer noch geringeren technologischen Kompetenz insbesondere im Engineering und der Werkzeugqualifizierung zu den „Rookie-Märkten“. Die „Rising Stars“ sind kleinere Werkzeugbaumärkte, die jedoch aktuell oder in der Zukunft ein größeres Wachstum erwarten. Dies beruht vor allem auf günstigen Entwicklungen der produzierenden Industrie in deren Umfeld und positiven Randbedingungen für den Werkzeugbau. Hierzu zählen die Länder Indien, Mexiko, Brasilien, Vietnam und Indonesien.
Die drei Dimensionen der Werkzeugwelt. Der Lehrstuhl Produktionssystematik am Werkzeugmaschinenlabor WZL der RWTH Aachen hat in den vergangenen Jahren zahlreiche produzierende Unternehmen unterschiedlicher Größe bei der Identifikation und Bewertung von globalen Werkzeugbaubetrieben unterstützt. Dabei werden immer wieder die gleichen Herausforderungen identifiziert, die es zu lösen gilt. Nach der Eingrenzung der Suche auf die für den Bedarfsfall geeigneten Märkte, bleibt die Aufgabe, in diesen Märkten die wenigen Werkzeugbaubetriebe zu finden, die für den spezifischen Werkzeugbedarf geeignet sind. In China allein sollen nach offiziellen Angaben 40 000 Werkzeugbaubetriebe ansässig sein. Viele Namen können zwar in öffentlichen Datenbanken oder in Zusammenarbeit mit Auslandshandelskammern gefunden werden, eine Aussage über die Kompetenz eines Betriebs ist jedoch nicht möglich. Dies hat zu einer fünfschrittigen Vorgehensweise geführt, mit der zuverlässig Lieferanten für den spezifischen Werkzeugbedarf eines Unternehmens identifiziert und bewertet werden können.
Zu Beginn dieses Prozesses müssen Anforderungen an Lieferanten mit eindeutigen Grenzwerten festgelegt werden. Diese Anforderungen können das Werkzeug selbst, den Lieferantenprozess, die für den Werkzeugbedarf erforderlichen Ressourcen sowie das wirtschaftliche Umfeld betreffen. Es hat sich gezeigt, dass selbst bei technologisch unterschiedlichen Werkzeugbedarfen die Anforderungen an Lieferanten einheitlich sind, sich die erforderlichen Grenzwerte jedoch unterscheiden.
Anschließend werden Daten durch eine umfassende Recherche potenzieller Lieferanten erhoben. Neben der Nutzung von Datenbanken sind Gespräche mit lokalen Verbänden hilfreich. Schließlich erweist sich die Zulieferindustrie des Werkzeugbaus bei der Datenbeschaffung häufig als hilfreich. Die unterschiedlichen Quellen ergeben eine weitgehend ungefilterte Liste möglicher Betriebe. Mit einem Fragebogen können die definierten Anforderungen direkt abgefragt werden.
Die gewonnenen Daten werden in einem dritten Schritt mit den aufgestellten Anforderungen verglichen. Dadurch kann die große Anzahl an recherchierten Lieferanten auf einen engeren Kreis reduziert werden, der im Detail betrachtet werden kann.
Eine finale Auswahl der Lieferanten bedarf auch bei gründlicher Recherche eines Vor-Ort-Besuchs. In diesem vierten Schritt können Einkäufer einen detaillierten Eindruck der lokalen Rahmenbedingungen gewinnen, eine Beziehung zu ihren späteren Ansprechpartnern aufbauen sowie die Konsistenz der vorab erhobenen Daten überprüfen.
Abschließend werden in einem fünften Schritt die Lieferanteninformationen unternehmensweit einheitlich abgespeichert und in Handlungsanweisungen überführt, sodass sie zeit- und ortsunabhängig im Einkauf genutzt werden können.
Internationale Märkte eröffnen aussichtsreiche Möglichkeiten für den Werkzeugeinkauf. Bisher können diese allerdings aufgrund des mangelnden werkzeugbauspezifischen Marktverständnisses sowie einer fehlenden Vorgehensweise zur systematischen Identifikation und Bewertung von Märkten von produzierenden Unternehmen nicht vollumfänglich genutzt werden. Die Beschreibung der „Werkzeugbau-Welt“ hat einen Eindruck über die Charakteristika verschiedener Werkzeugbaumärkte vermittelt. Mithilfe der beschriebenen Vorgehensweise können in internationalen Märkten Werkzeugbaubetriebe identifiziert und anforderungsgerecht bewertet werden.
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