Für Nachzügler ist die Zeit zum Aufwachen längst gekommen. Schließlich befinden wir uns bereits mittendrin in der Autonomisierung und Vernetzung von Devices, Prozessen, Smart Homes, Maschinen und Geräten. Es vergeht kein Tag, an dem wir nicht bahnbrechende Neuigkeiten über wegweisende Technologien erfahren wie IoT, Robotik, AI, Cloud Computing, 3D-Druck, Smart Data oder Augmented Reality. Und all diese Technologien revolutionieren nicht nur eine Branche, sondern – einmalig in der Industriegeschichte – sämtliche Branchen gleichermaßen auf radikale Weise und das nicht linear, sondern exponentiell.
Wir erinnern uns: In den 70er-Jahren des vorigen Jahrhunderts kamen Strategie und Marketing als neue Managementinnovationen auf. Und Managerinnen und Manager paukten die neuen Themen, General Management Trainings wurden in jedem Unternehmen durchgeführt und die Manager aus den KMUs besuchten die General Management und Strategie-Kurse an den besten Universitäten. Dasselbe müsste jetzt eigentlich – nicht nur im Einkauf – mit Hochdruck für Schlüsselfragen passieren wie: Was ist User Experience? Wie funktioniert Design Thinking? Welche Lean-Startup-Methoden gibt es, welche passen zu unserem Unternehmen und wie setzen wir diese ein, auch wenn wir ein großes Unternehmen sind? Wir haben zwar eine digitale Strategie – aber wie kommen wir jetzt zu unserer Digital Roadmap, also wie machen wir es? Welche Methoden der agilen Organisationsentwicklung nutzen wir? Brauchen wir Social Media Forensics?
Hören heißt nicht beherrschen
Eine Up-front-Berieselung zu diesen Themen auf prominenten Konferenzen kann nicht annähernd als Educational Effort gewertet werden. Was für „alte“ Managementkompetenzen gilt, gilt für die digitale Transformation exponentiell: Wissen ist nicht einmal die halbe Miete. Probieren geht hier wirklich über Studieren. Den ganzen Digitalismus muss man einmal mitgemacht, miterlebt, ausprobiert und getestet – eben erlebt und gespürt – haben. Roadtesting the future, sozusagen. Das ist der Unterschied zu immer noch praktizierten und zunehmend wirkungslosen Education-Formaten: Frontal funktioniert nicht mehr. Welcher Manager hat schon Sensoren im Lager ausprobiert, um einen logistischen Teilprozess transparenter zu machen? Oder für drei Stunden einen E-Commerce-Shop eingerichtet und betrieben? Oder zig Apps, Business Ideas und Prototypen aus User-Experience-Sicht zerrissen und kritisiert? Erst danach kann man wirklich mitreden und, viel wichtiger, mitgestalten.
Digital Leadership
Die Vierte Industrielle Revolution verändert natürlich auch das Leadership-Paradigma und die Unternehmenskultur gravierend. Wo bisher Perfektionismus und achtfache Compliance die Prozesse in gewohnte Längen zogen, beschleunigt nun die Fail-fast-fail-better-Kultur die Arbeitsabläufe auf atemberaubendes Tempo: Mit dem Google Design Sprint zum Beispiel in nur fünf Tagen zur Innovation, anstatt mit großem IT-Projekt in fünf Monaten. Oder ein Minimum Viable Product (MVP) nach bereits fünf Wochen anstatt fünf Monate auf den klassischen Prototypen zu warten. Logisch auch, dass wenn sich Leadership und Culture ändern, die Kommunikation ebenfalls revolutioniert wird, zum Beispiel nach dem Prinzip der Social Media: Kollegial, partnerschaftlich und integrativ, statt nach dem Prinzip Command & Control einmal im Monat den Tagesbefehl vor der versammelten Truppe zu zelebrieren.
Digitale Bildungsoffensive
Diese lediglich skizzierten Bildungsbedarfe des Managements werden von vielen Unternehmen ignoriert, von etlichen auf die lange Bank geschoben und von wenigen, den Best in Class, in diesen Tagen mit einer Vehemenz angepackt, die dem exponentiellen Tempo der Entwicklung gerecht wird.
Am erfolgreichsten sind jene Kompetenzoffensiven, die zwischen vier Kernzielgruppen differenzieren. Angefangen bei den Managerinnen und Managern: Sie durchlaufen ein Digital-Readiness-Programm. Dieses dauert, soll es etwas bewegen, im Schnitt mindestens sechs bis zehn Tage, auf Intervalle verteilt. Und zwar ganz klassisch Face to Face, aber eben nicht up front, sondern überwiegend in der direkten Anwendung, sozusagen im Feldexperiment. Zwischen den Intervallen bereiten die Manager das Gelernte auf, adaptieren es auf ihre Verhältnisse und sichern Transfer und Return on Education mit Unterstützung von Digital Learning.
Mitarbeiter, die schon längst mit der Entwicklung neuer, digitaler Produkte, Services und Geschäftsfelder befasst sein sollten, sollten in Sachen Co-Creation fitgemacht werden. Sie trainieren Methoden wie den Google Design Sprint und die MVP Tracks. Sie machen sich mit einer kooperativen Kommunikationskultur vertraut, um hoch kollaborativ möglichst viel externe Kreativität ins Unternehmen einzubinden.
Die dritte Zielgruppe einer strategisch strukturierten digitalen Bildungsoffensive sind die Digital Talents an den Universitäten und bei den Educational Providern, bei denen sie Coding statt Computer Science, Digital Business statt Business Administration oder Social Media Marketing statt Marketing studieren. Ein Unternehmen mit Interesse an seiner eigenen Zukunft wird sich mit einer handverlesenen Auswahl dieser Einrichtungen vernetzen, Scholarships sponsern und die Studierenden mit Praktika und Projekten überschütten.
Dies ist bei Weitem die wichtigste Zielgruppe der digitalen Bildungsoffensive. Sie ist sozusagen die conditio sine qua non der digitalen Transformation: Ohne sie geht gar nichts. Transformation? Nicht ohne unsere Digital Coaches. Sie wirken als interner Katalysatoren, Enabler, Change Driver innerhalb der Organisation. Diese Gruppe von Leuten aus dem Unternehmen (im KMU einer, in den Großkonzernen schnell auch mal 100) treiben letztendlich den digitalen Wandel operativ voran, geben technischen und – weitaus wichtiger – sozialen und Change Management Support und bilden das Scharnier zwischen ausführender operativer Ebene und der Digital Strategy.
Der Digital Coach
Der Digital Coach ist der Experte oder die Expertin, die wie die schnelle Eingreiftruppe immer dann am betrieblichen Brandherd auftaucht, wenn ein digitales Projekt ins Schleudern gerät. Die Digital Coaches sind jene Change Driver, die erst einmal die komplette, meist überwiegend skeptische Basis auf die digitale Transformation einschwören und bei der Stange halten – besser als das etatmäßige Manager und Managerinnen können oder wollen. Warum können die Digital Coaches das? Weil sie nicht nur tiefgreifende Ahnung von den Technologien und Managementmethoden des digitalen Zeitalters haben – dafür wurden sie ausgebildet. Sondern weil sie – im Gegensatz zu reinen Digital Nerds – auch mit großer kommunikativer und sozialer Kompetenz ausgestattet wurden. Deshalb können sie Menschen für den digitalen Wandel inspirieren und begeistern und allfällige Widerstände in Wohlgefallen auflösen. Sie sind Feuerlöscher und Einheizer zugleich. Ohne sie geht der digitale Wandel – wenn überhaupt – nur zögerlich über die Bühne.
Von unten stoßen die Digital Talents zum Unternehmen, von oben wird das Management auf das Niveau der Digital Readiness gebracht, während lateral Co-Creation von internen digitalen Produktentwicklern mit vielen externen Kreativen betrieben wird und die Digital Coaches die ganze Transformation auf Drehzahl bringen. Alle vier Zielgruppen zusammengenommen ergeben das, was die 4. Industrielle Revolution Wirklichkeit werden lässt: Educated people succeeding in the Digital Era.