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Kompass fürs Beschaffungslabyrinth China

Die Auswahl chinesischer Lieferanten erfordert ein systematisches Vorgehen
Kompass fürs Beschaffungslabyrinth China

China ist ein Land mit nahezu unbegrenzten Beschaffungsmöglichkeiten für die Leichtindustrie. Ohne systematisches Vorgehen bei der Lieferantenauswahl wird der Aufbau von erfolgreichen Lieferantenbeziehungen allerdings kaum realisierbar sein.

Christian Keller, Volker Langner

Motor des chinesischen Wirtschaftsbooms ist vor allem die Leichtindustrie. Zu Preisen, die im internationalen Vergleich nahezu unantastbar sind, fertigen chinesische Unternehmen Konsumgüter aller Art in gigantischen Volumina. Immer mehr westliche, insbesondere auch mittelständische Unternehmen streben deshalb danach, China als Quelle für Global-Sourcing-Aktivitäten zu nutzen. Die Auswahl eines geeigneten chinesischen Lieferanten ist dabei allerdings alles andere als einfach, stellt gleichzeitig aber die entscheidende Erfolgsvoraussetzung der Beschaffung in China dar.
Neben den großen soziokulturellen und rechtlichen Differenzen zwischen westlichem und chinesischem Kulturkreis erschwert insbesondere die enorme Vielfalt an potenziellen Lieferanten die Auswahl eines passenden Partners. So zählt beispielsweise allein Chinas Schuhindustrie mehr als 16 000 Unternehmen, davon 7200 Schuhproduzenten und 8800 Zulieferbetriebe. Es wird deutlich, dass ein systematisches Vorgehen im Lieferantenauswahlprozess unabdingbar ist. Mittels strategischer Vorüberlegungen lässt sich die Zahl potenzieller chinesischer Lieferanten auf eine überschaubare Größenordnung reduzieren.
Eingrenzung durch Vorüberlegungen zu …
Die Beschaffung in China ausschließlich vor dem Hintergrund der Realisierung von Preisvorteilen und Kostenreduzierung zu sehen, wäre aus absatzpolitischen Gesichtspunkten töricht. Günstige Produkte alleine, die die Qualitätsanforderungen der Konsumenten aber nicht erfüllen, werden mittel- bis langfristig Absatzeinbußen bewirken, von der Schädigung von Image und Reputation ganz zu schweigen. Folglich müssen die in China beschafften Artikel – unabhängig davon, ob es sich um komplette Produkte oder lediglich gewisse Komponenten handelt – über ein Qualitätsniveau verfügen, das den Anforderungen des westlichen Partners bzw. dessen Kunden genügt.
Internationalen Qualitätsansprüchen konforme Produkte werden in erster Linie diejenigen chinesischen Unternehmen liefern können, die bereits über eine mehrjährige Erfahrung in der OEM-Fertigung für internationale Markenkonzerne verfügen. Andererseits hat eine steigende Zahl chinesischer Unternehmen mittlerweile ein ISO 900x ähnliches Qualitätssystem eingeführt und weist eine entsprechende ISO-Zertifizierung auf. Ideal erscheint folglich die Auswahl von Lieferanten, die sowohl durch Erfahrung in der OEM-Produktion für renommierte, ausländische Konzerne als auch durch die Einhaltung entsprechender ISO-Standards die Qualität ihrer Leistungen dokumentieren können.
Doch selbst bei der Auswahl solcher Lieferanten sollte Folgendes berücksichtigt werden. Bei Qualität handelt es sich im weitesten Sinne um etwas, das verbessert werden kann. Bereits bei den Lieferverhandlungen muss den chinesischen Zulieferern detailgenau vorgeben werden, welche Anforderungen das zu beschaffende Produkt zu erfüllen hat. Vorzugsweise in Schriftform (in Englisch, wenn möglich auch in chinesischer Sprache) sind die zu verwendenden Materialien, Designansprüche, etwaige Besonderheiten usw. zu definieren, um unerwünschten Qualitätsfehlern vorzubeugen. Bei Verstößen gegen diese Vorgaben sollte von vornherein eine Option auf Nichtabnahme respektive Nichtzahlung vereinbart werden. Über den erstmaligen Abschluss eines Lieferantenvertrages hinaus ist es notwendig, den einmal erreichten und nachhaltig gewünschten Qualitätsstandard kontinuierlich vor Ort zu kontrollieren. Die Erfahrung zeigt, dass ohne diesen fortwährenden Druck auf den Zuliefer das geforderte Qualitätsniveau bedingt durch die chinesischen Mentalitätsunterschiede kaum aufrechtzuerhalten ist.
In China gibt es mittlerweile mehrere Organisationen wie den deutschstämmigen TÜV oder die englische Lloyds, die bei der Durchführung von derartigen Qualitätskontrollen beratend zur Seite stehen.
Genauso wichtig wie der Qualitätsstandard ist die Lieferzuverlässigkeit des chinesischen Partners. Selbst die besten Produkte zu den günstigsten Preisen helfen einem Unternehmen nicht weiter, wenn es über diese nicht rechtzeitig, d. h. zum Zeitpunkt des Kaufwunsches des Kunden bzw. der planmäßigen Weiterverarbeitung verfügen kann. Häufig gehört aber gerade eine mangelhafte Lieferzuverlässigkeit – die georderten Artikel werden zu spät oder in zu geringen Mengen geliefert – zu den schwerwiegendsten Problemfeldern bei der Zusammenarbeit mit chinesischen Herstellern. Zur Sicherung der angestrebten Termintreue in der Lieferantenpartnerschaft ist der Fokus bei der Beschaffung wieder auf solche Unternehmen zu richten, die über Erfahrung im OEM-Geschäft verfügen. Diesen sollte die Notwendigkeit termingetreuen Arbeitens aus ihrer langjährigen Zusammenarbeit mit internationalen Konzernen bestens bekannt und folglich untrennbarer Teil der Unternehmenspolitik sein.
Neben Qualität und Liefertreue stellt die Unternehmensgröße des chinesischen Zulieferers ein entscheidendes Eingrenzungskriterium dar. Zur Veranschaulichung soll an dieser Stelle die eingangs bereits beispielhaft erwähnte Branchenstruktur der chinesischen Schuhindustrie dienen. Von den 7200 Schuhproduzenten werden ca. 2550 Unternehmen aufgrund ihres Umsatzvolumens von mehr als fünf Millionen RMB (ca. 604 000 US-Dollar) in den amtlichen Statistiken als so genannte Großhersteller geführt.
… Produktqualität, Liefertreue und Unternehmensgröße
Ähnliche Größengruppierungen finden sich in anderen Branchen. Durch die Eingrenzung des Betrachtungsfokus auf die Großhersteller gestaltet sich das Feld potenziell in Frage kommender Lieferanten nicht nur um ein Vielfaches überschaubarer, sondern noch einige andere Faktoren mehr sprechen für den Aufbau einer Lieferantenbeziehung zu Unternehmen dieser Kategorie.
Viele der kleineren Hersteller werden die vorab bereits definierten Eingrenzungskriterien hinsichtlich Qualität und Lieferzuverlässigkeit ohnehin kaum erfüllen können und kommen für eine nähere Untersuchung deshalb nicht in Frage. Bei Betrieben, denen dies trotz ihrer geringen Unternehmensgröße gelingt, verbleibt dennoch ein erheblicher Risikofaktor, der gegen die Aufnahme einer Zusammenarbeit spricht.
Aufgrund des großen Wettbewerbsdrucks auf dem chinesischen Binnenmarkt sind gerade diese kleinen Betriebe gezwungen, ihre Marktposition durch innovative Vorgehensweisen zu stärken. Soll die eigene Existenz langfristig gesichert werden, bedarf es der Kreation einer aussagekräftigen Marke. Dies lässt sich durch das bloße Kopieren der Produkte des ausländischen Partners zweifellos weitaus einfacher erreichen als durch selbstständige Aktivitäten.
Beispielsweise können aufwändige Forschungs- und Entwicklungstätigkeiten auf diesem Wege umgangen werden. Die Gefahr, ein Opfer von Plagiaten und Fälschungen zu werden, ist bei der Lieferantenbeziehung zu solch kleinen Herstellern also exorbitant hoch. In dem Maße wie im Zuge der Zusammenarbeit F &E- und Fertigungs-Know-how an den chinesischen Partner fließen, nimmt dieses Risiko zu – gelten die Chinesen doch ohnehin als Weltmeister im Kopieren von ausländischen Technologien.
Grundsätzlich kann die Gefahr des Raubkopierens bei der Zusammenarbeit mit Großherstellern zwar nicht ausgeschlossen werden, dennoch sollte diese hier ein überschaubareres Risiko darstellen. Viele dieser Unternehmen vertreiben bereits Eigenmarken und verfügen demzufolge über ein steigendes Reputationsbewusstsein. Zudem bieten einige dieser Hersteller die Möglichkeit an, im Zuge der Lieferbeziehung ganze Produktionshallen ausschließlich für die Belange des ausländischen Geschäftspartners bereitzustellen. Nur die dieser Halle zugeteilten Arbeiter dürfen diese dann auch betreten. Eine unerwünschte Weitergabe von Know-how wird somit zumindest erschwert.
Zusammenfassend sollte sich die Lieferantenauswahl in China gemäß den erörterten strategischen Vorüberlegungen auf Unternehmungen konzentrieren, welche den folgenden Anforderungen gerecht werden:
  • Großhersteller der jeweiligen Branche (in der Schuhindustrie: Umsatz >5 Millionen RMB)
  • Erfahrung im OEM-Geschäft
  • ISO 900x-Zertifizierung
Dieser Anforderungskatalog ist im Einzelfall auf die jeweilige Branchenstruktur und unter Berücksichtigung der zu beschaffenden Produkte anzupassen. Insbesondere für die Beschaffung von Produkten der Leicht-/Konsumgüterindustrie können die dargestellten Kriterien aus Autorensicht jedoch als idealtypisch bezeichnet werden.
Die nach Anwendung der Eingrenzungskriterien verbleibenden Unternehmen sind sodann vornehmlich im Rahmen einer Selbstauskunft näher zu analysieren. Es gilt in erster Linie zu klären, inwieweit ein ins Auge gefasster chinesischer Lieferant das Interesse tatsächlich rechtfertigt. Hierfür ist es ratsam, einen auf die unternehmensindividuellen Beschaffungsbedürfnisse zugeschnittenen Bewertungskriterienkatalog zugrunde zu legen. Die definierten Bewertungskriterien sind mit einer quantitativen Komponente im Rahmen eines Scoring-Modells zu verbinden. Dies ermöglicht die Messbarkeit der Leistungsunterschiede zwischen den einzelnen für die Selbstauskunft verbliebenen Lieferanten.
Finale Lieferantenauswahl mittels Scoring-Modell
Die im nachfolgenden Scoring-Modell aufgenommenen Bewertungskriterien und deren Gewichtungen haben lediglich Beispielscharakter. Letztlich sind diese auf Basis der unternehmensindividuellen Bedürfnisse und Anforderungen an die Lieferantenbeziehung festzulegen.
Es wird deutlich, dass die Anwendung eines Scoring-Modells ein hohes Maß an Objektivität sicherstellt sowie eine systematische Entscheidungsfindung bei der Lieferantenauswahl gewährleistet. Nur mit den leistungsstärksten Unternehmungen sind letztlich konkrete Verhandlungen über den Abschluss eines Lieferantenvertrages zu führen.
Literatur:
  • Boss, C./Boss, E./Sieren, F.: The China Management Handbook, New York, 2003
  • Koppelmann, U.: Beschaffungsmarketing, 4. Auflage, Berlin, 2003
  • Li, J.: Die Rolle der VR China im Rahmen des Global Sourcing deutscher Industrie- und Handelsunternehmen, Institut für Asienkunde, Hamburg, 1998

  • Diplom-Betriebswirt (FH) Christian Keller absolviert derzeit ein MBA-Studium an der School of International Business Reutlingen und ist freier Mitarbeiter der KMBR Reutlingen. E-Mail: a-ch.keller@t-online.de
    Diplom-Betriebswirt (FH) Volker Langner ist Partner der KMBR Reutlingen, die mittelständische Unternehmen im Zuge der Internationalisierung begleitet. E-Mail: v.langner@kmbr.de
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