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Kooperation oder Konfrontation ?

Automobilindustrie: Zusammenarbeit zwischen OEM und Zulieferern
Kooperation oder Konfrontation ?

In der Automobilindustrie gewinnen die Zulieferer immer mehr an Bedeutung, was sich auch auf die Art der Zusammenarbeit zwischen Herstellern (OEM) und Zulieferern auswirkt. Doch welche Form der Zusammenarbeit führt tatsächlich zum Erfolg? Dieser Frage haben sich unsere Autoren Marco Wendt und Oliver Schmitzer angenommen.

Marco Wendt, Senior Associate Lean Procurement & Supply Chain Management, MBtech Consulting Oliver Schmitzer, Diplomand Lean Procurement & Supply Chain Management

Module und Bauteile werden immer komplexer. Automobilhersteller (Original Equipment Manufacturer, OEM) verlagern immer mehr Wertschöpfungsanteile auf ihre Zulieferer, die dadurch immer mehr Einfluss gewinnen. Der fortschreitende Konzentrationsprozess in der Zulieferindustrie verstärkt diesen Trend, sodass sich das Machtgefüge zwischen OEM und Zulieferern insgesamt verschiebt: OEM geben immer mehr Know-how an Lieferanten ab und sehen sich immer häufiger monopolistischen Strukturen bei den Zulieferern gegenüber.
In diesem Zusammenhang wird eine partnerschaftliche Zusammenarbeit zwischen OEM und Zulieferern zu einem entscheidenden Erfolgsfaktor für die Hersteller, denn die Leistungskraft jedes Unternehmens hängt direkt von der Leistungsfähigkeit seiner Zulieferer ab. Wer seine Lieferanten und Zulieferer optimal steuert und eine erfolgreiche Beziehung zu ihnen pflegt, verschafft sich deshalb enorme strategische Wettbewerbsvorteile. In einer aktuellen Fallstudie mit ausgewählten OEM hat MBtech Consulting, Sindelfingen, untersucht, welche Formen der Zusammenarbeit heute existieren und wie OEM die Beziehungen zu ihren Zulieferern künftig intensivieren wollen.
Dazu arbeiteten die Berater zunächst die qualitativen und quantitativen Erfolgsfaktoren für eine gute Zusammenarbeit aus Sicht der einzelnen OEM heraus und bewerteten diese auf Basis einer Selbsteinschätzung der Hersteller.
Machtspiele und echte Partner
Mit Hilfe von Bewertungen der OEM durch die Lieferanten aus aktuellen Supplier Surveys stellten sie anschließend Selbstbild und Fremdbild gegenüber.
Es zeigte sich, dass zwei Arten der Zusammenarbeit zwischen Automobilherstellern und deren Schlüssellieferanten (Modul- und Systemlieferanten) vorherrschen: ein klassisch auf Macht basierendes Modell sowie ein zweites, in dem Hersteller und Lieferanten partnerschaftlich und weitgehend gleichberechtigt kooperieren. Hersteller, die sich dem Machtmodell zuordnen lassen, agieren ihren Lieferanten gegenüber primär durch Direktiven, spielen also ihre Machtposition aus, um Kosten zu senken. Der Lieferant kann in diesen Beziehungen nur reagieren, aber kaum aktiv gestalten. Die „echten Partner“ hingegen streben Kostensenkung dadurch an, dass sie gemeinsam mit den Lieferanten Technologien und Prozesse verbessern. In diesen Beziehungen nimmt der Lieferant somit eine stark aktive Rolle ein.
Betrachtet man nun, welche Hersteller sich den jeweiligen Modellen zuordnen lassen, offenbart sich eine Zweiklassengesellschaft aus Premiumherstellern auf der einen Seite und Massenherstellern auf der anderen. Die Ansichten dieser beiden Gruppen darüber, welche Faktoren über den Erfolg der Zusammenarbeit entscheiden, sind sehr unterschiedlich. Premiumhersteller legen bei der Auswahl von und der Zusammenarbeit mit ihren Lieferanten bereits heute Wert auf qualitative Kriterien und wollen die Tendenz zu Soft Skills wie Vertrauen und Offenheit künftig noch verstärken. Die Massenhersteller hingegen sehen die wesentlichen Erfolgsfaktoren für die Zusammenarbeit in den quantitativen Kriterien und wähnen sich mit der eher konfrontativ belegten Zusammenarbeit auf der Gewinnerstraße (siehe Grafik). Aber wer ist nun wirklich auf dem „richtigen“ Weg? Aus heutiger Sicht lässt sich festhalten, dass die Premiumhersteller insgesamt wirtschaftlich erfolgreicher sind als die Massenhersteller. Bei ihnen muss allerdings der Grad der Kollaboration schon deshalb höher sein, weil sie aufgrund niedrigerer Stückzahlen und höherem Innovations- und Qualitätsanspruch stärker mit den Lieferanten vernetzt sein müssen und stärker von diesen abhängig sind. Die Massenhersteller hingegen, die dem Machtmodell folgen, spielen ihre Marktmacht aufgrund hoher Stückzahlen aus – ohne jedoch letztlich, zumindest zum jetzigen Zeitpunkt, den gewünschten wirtschaftlichen Erfolg zu erzielen.
Förderung und Forderung
Auf Grundlage der Studienergebnisse und ihrer Erfahrungen empfehlen die Berater eine auf den beiden Säulen „Förderung“ und „Forderung“ basierende Strategie, um die Zusammenarbeit erfolgreich zu gestalten. „Förderung“ bezieht sich dabei primär auf monetäre Leistungen/Zugeständnisse dem Lieferanten gegenüber, mit denen der Hersteller sein Interesse an dessen Erfolg zeigt. „Forderung“ hingegen dokumentiert den Leistungsanspruch des Herstellers gegenüber seinen Lieferanten.
Die Berater haben ein Handlungsmodell aus fünf Einzelempfehlungen entwickelt, das auf einem Gleichgewicht aus Forderung und Förderung basiert:
  • 1. Interesse am Erfolg des Lieferanten zeigen. Interesse ist ein Schlüsselfaktor für die Qualität jeder Beziehung. Hersteller, die sich offen für die Probleme der Lieferanten interessieren, ihnen wirtschaftlichen Freiraum lassen und beispielsweise auch Gewinne aus Prozessoptimierungen mit ihnen teilen, schaffen eine Vertrauensbasis und damit das Gefühl der inneren Verpflichtung (Commitment).
  • 2. Rivalität der Zulieferer nutzen. Mit der Strategie des Dual Sourcing kann ein Hersteller seinen Lieferanten einerseits das Gefühl vermitteln, ein besonderer Leistungsträger zu sein. Andererseits erhält er aber auch eine gesunde, leistungsfördernde Rivalität zwischen den beiden aufrecht.
  • 3. Schnittstellen zu den Lieferanten optimieren. Hierbei sollten Kontrolle, Kommunikation, Teambildung sowie der persönliche Kontakt im Mittelpunkt stehen. Kontrolle ist dabei nicht als Substitut für Vertrauen zu sehen; vielmehr soll sie opportunistisches Verhalten verhindern und somit letztlich zur Vertrauensbildung beitragen. Die Bewertung der Leistung ist die Grundlage, um Probleme zu beseitigen.
  • 4. Eine wirkliche Partnerschaft aufbauen. Um die mit der Partnerschaft verbundene Integration und Kooperation mit den Lieferanten zu erzielen, sollten zunehmend auch weiche Faktoren (Soft Facts), eine entscheidende Rolle bei der Zusammenarbeit spielen. Vertrauen und Fairness in der Zusammenarbeit reduzieren opportunistisches Verhalten der Partner. So lässt sich gerade in frühen Phasen der Zusammenarbeit durch Offenheit und Information eine Vertrauensbasis bilden.
  • 5. Prozesse beim Lieferanten gemeinsam verbessern. Lieferanten können vom Produktions-Know-how des OEM profitieren. Dabei geht es jedoch nicht um kurzfristig ausgelegte Programme wie Drei-Tages-Seminare zur „Lean Production“, sondern um Programme, bei denen der OEM zunächst selbst die Prozesse des Lieferanten genau analysiert, um sie anschließend gemeinsam mit dem Lieferanten im Sinne der gewünschten Zusammenarbeit zu optimieren. Mit dieser intensiven Form der Prozessverbesserung lassen sich bereits zu Beginn einer Partnerschaft klassische Potenziale wie schnellere Durchlaufzeiten erreichen.
Das Gleichgewicht aus Förderung und Forderung ist eine solide Basis für den Erfolg der Zusammenarbeit. OEM können die Motivation der Lieferanten durch eine partnerschaftliche und auf Vertrauen basierende Zusammenarbeit stark steigern. Ein Lieferant, der unterstützt wird und merkt, dass seine Bemühungen ihm Vorteile bringen, ist auch bereit, deutlich mehr in die Zusammenarbeit zu investieren. Die Erfahrung zeigt jedoch, dass es sinnvoll ist, die Motivation der Lieferanten durch eine gesunde Konkurrenzsituation ständig aufrechtzuerhalten. Fällt diese Konkurrenzsituation weg, besteht die Gefahr, dass die Lieferanten sich zu sicher fühlen – so schleichen sich Nachlässigkeiten ein oder die Leistungsbereitschaft sinkt.
Aktuell betreibt nur Toyota ein System, das dem beschriebene Handlungsmodell nahe kommt: Sein Zulieferer-Keiretsu bildet ein engmaschiges Netzwerk zwischen dem Mutterkonzern und den Zulieferern und zielt auf gemeinsames Lernen sowie eine fortlaufende Verbesserung und kontinuierliches Wachstum ab. Die Untersuchungen zeigen, dass die meisten OEM noch einen weiten Weg vor sich haben, um zu einem erfolgreichen Zusammenarbeitsmodell mit ihren Lieferanten zu kommen. Insbesondere die Premiumhersteller wie BMW und Audi haben jedoch den Bedarf an stärkerer Zusammenarbeit mit ihren Schlüssellieferanten erkannt und richten ihr Lieferantenmanagement bereits entsprechend aus.
Die Verlockung, über Druck bei den Preisverhandlungen kurzfristige kleine Kostenvorteile zu erzielen, ist aber für viele Hersteller noch immer größer als die Einsicht, dass sich durch partnerschaftliche Zusammenarbeit mittel- bis langfristig größere und vor allem nachhaltige Kostenpotenziale generieren lassen. Wer diese Potenziale nutzen will, muss umdenken.
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