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Kooperation durch Delegation

Projekteinkäufer als Lotsen
Kooperation durch Delegation

In Projekte eingebundene Einkäufer berichten nicht nur an Ihre Leitung, sondern auch an die Projektleitung. Der Einkauf ist aber nicht Erfüllungsgehilfe der Projektleitung, sondern umfassend für die Beschaffung verantwortlich. Da sind Konflikte vorprogrammiert. Der Autor empfiehlt Kooperation durch klare Delegation nach dem „Hafenlotsenmodell“.

Organisatorisch implementierte Zielkonflikte In Matrixorganisationen oder ähnlichen Strukturen sind Ziel- und Rollenkonflikte oft organisatorisch implementiert und auch gewollt. Das gilt umso mehr, wenn Projektleitung und Einkauf disziplinarisch an unterschiedliche, mehr oder weniger gleichberechtigte Geschäftsführer berichten. Für den Einkauf steht die Wirtschaftlichkeit der Beschaffung im Vordergrund. Es sollen konkrete Kostenreduzierungen und das optimale Preis-Leistungs-Verhältnisse erzielt werden. Die Projektleitung wird vor allem an Termin- und Budgeteinhaltung gemessen. Funktionieren Einkauf und Projektleitung als ein Team, ergibt sich gerade aus dem Konflikt und aus der Diskussion das Optimum hinsichtlich aller Ziele. Soweit die Theorie. In der Praxis existieren Bereichsegoismen, Wettbewerb um interne Ressourcen und es „menschelt“. Kompetenzgerangel, Doppel- und Blindarbeit sind die Folgen.

Konfliktpotenziale und Doppelarbeit von der Marktsichtung bis zur Vertragsverhandlung. Konfliktpotenziale existieren in nahezu allen Teilprozessen des Einkaufs, von der Marktsichtung über Vertragsabschluss bis zur Rechnungsprüfung. Wer leitet Vertragsverhandlungen im Projekt? Wer ist federführend bei der Auswahl von Lieferanten? Mit welcher Gewichtung fließen kaufmännische Kriterien und technische Kriterien in die Auswahl ein? Wenn Einkäufer keine technischen Spezialisten sind, führen Projektleitungen oder technische Experten Marktanalysen fast zwangsläufig federführend aus, während der Einkauf sich auf die Beschaffung von Wirtschaftsdaten der Lieferanten konzentriert und bei Lieferantenbesuchen in erster Linie nur dabei ist. Projektleitungen beschäftigen sich in Vollzeit mit ihrem Projekt, einschließlich der Beschaffung. Einkäufer hingegen arbeiten oftmals für mehrere Projekte gleichzeitig. Dann müssen einzelne Projektleitungen – wie die vielen Kunden an den wenigen Kassen der Supermärkte – auch mal auf eine Angebotseinholung oder einen Vertrag warten.
Bei knappen Ressourcen im Einkauf sind Kompromisse nötig. Im Prinzip lassen sich die Wünsche der Projektleitungen an den „Servicelevel“ bei Großprojekten in vollem Umfang nur erfüllen, wenn Einkaufsmitarbeiter exklusiv für das Projekt arbeiten. Dafür haben Einkaufsbereiche aber regelmäßig nicht ausreichend Ressourcen. Also müssen Kompromisse gemacht werden. In Einzelfällen kann ein solcher Kompromiss auch die Delegation von Teilaufgaben der Beschaffung an Projektmitarbeiter sein. Das darf allerdings nicht dazu führen, dass Einkaufsaufgaben regelmäßig von der Projektleitung erledigt werden, weil man sich nicht über Zieltermine einigen kann und weil die Projektleitung Beschaffungsergebnisse früher als vom Einkauf zugesagt haben möchte.
In einem solchen Spannungsfeld sind drei Voraussetzungen für eine effektive und effiziente Zusammenarbeit im Projekteinkauf erforderlich: Erstens müssen – nach Vereinbarung der Ecktermine – eine konsequente Detailplanung, Überwachung und Steuerung des Beschaffungsprozesses sowie die Durchführung aller operativen Einkaufsaufgaben nach klarer Absprache mit der Projektleitung durch den Einkauf erfolgen. Zweitens müssen die Kompetenzen des Einkaufs hinsichtlich Management und fachlicher Expertise ausreichen und zu denen der Projektleitung passen und, drittens, müssen die Einstellungen und Beziehungen der Beteiligten zueinander stimmen.
Der Lotse geht an Bord. Im Hamburger Hafen überlässt der Kapitän das Kommando über das Schiff dem Hafenlotsen. Dieser übernimmt die Verantwortung im Hafen, weil hier spezielle Kenntnisse für die sichere Navigation nötig sind. Ähnlich einem Fahrerwechsel bei einer Rallye in speziellem Terrain. Genauso sollten insbesondere in Matrixstrukturen mit durchgezogenen und gestrichelten Berichtslinien Einkauf und Projektleitung eine klare Delegation von Autorität und Verantwortung über den Beschaffungsprozess an den Einkauf vereinbaren und leben. Nur so können Doppelarbeit und überflüssige Schnittstellendiskussionen vermieden werden.
Passende Kompetenzprofile und Persönlichkeiten sind Erfolgsvoraussetzungen für Vertrauen und ein Loslassen der Projektleitung. Sie kosten allerdings Geld, denn die Einstellung oder Ausbildung von Einkäufern, die auf Augenhöhe mit Projektleitern kommunizieren und verhandeln können, hat ihren Preis. Facheinkäufer müssen die Spezifikationen und Anforderungen an die Güter und Dienstleistungen und den Markt gut verstehen. Die Hauptansprechpartner für die Projektleitung müssen über sehr gute Führungskompetenz und ein ausreichendes Standing verfügen. Wenn das Budget des Einkaufs hierfür nicht ausreicht, muss der Einkauf kleinere Brötchen backen und sich mit der Rolle eines Dienstleisters in einem Prozess, den er nicht selbst steuert, begnügen. Dann darf man sich aber auch nicht über Äußerungen von Projektleitern wie „Der Einkäufer ist mein persönlicher Shopper“ wundern.
Wohin die Reise geht. Ein Einkauf, der es als seine Mission sieht, sowohl Dienstleister im Prozess als auch Manager des Beschaffungsprozesses zu sein, muss sich dementsprechend klar und konsequent positionieren. Dazu gehört es für die Einkaufsleitung, systematisch und kontinuierlich an allen strategischen Stellschrauben, nämlich Strategie, Struktur, Systeme/Prozesse, Mitarbeiter, Kompetenzen sowie an der Kultur im Einkauf zu arbeiten. Wenn die Projekteinkäufer willens und in der Lage sind, eine solche Mission zu realisieren und das Ruder bei der Beschaffung zu übernehmen, dann ist das Hafenlotsenmodell ein guter Ansatzpunkt in den Planungs- und Schnittstellengesprächen, besonders zu Beginn eines Projektes.
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