Startseite » Allgemein »

Kostenoptimale Disposition in der Ersatzteilversorgung

Entwicklung und Einführung eines Tool
Kostenoptimale Disposition in der Ersatzteilversorgung

Der vorliegende Beitrag stellt die Umsetzung einer kostenoptimalen Beschaffung von Ersatzteilen vor, welche von der Zentrum für Logistik und Unternehmensplanung ZLU GmbH, Berlin, entwickelt und gemeinsam mit der Deutschen Bahn im Unternehmensbereich Fernverkehr erfolgreich eingeführt wurde. Zielsetzung ist, die SAP-gestützte Disposition, die bei automatischer Disposition nicht immer kostenoptimale Dispositionsvorschläge macht, durch ein Offlinetool deutlich zu verbessern und den Disponenten Entscheidungshilfen anzubieten.

und Dipl.-Ing. Thomas Wöhlert, Projektleiter der Zentrum für Logistik und Unternehmensplanung ZLU GmbH, Berlin Dipl.-Ing. Ole Wagner, Bereichsleiter Dipl.-Ing. Michael Galle, Hauptabteilungsleiter Beschaffungslogistik, Deutsche Bahn AG;

Kostenoptimale Disposition
Die Disposition wird in vielen Unternehmen noch immer nur als notwendiges Beiwerk neben den Funktionen Einkauf und Produktion angesehen, deren Optimierung daher nur sehr eingeschränkt oder gar nicht erfolgt. Dabei hat die Nachschub- und Bestandsdisposition einen nicht zu unterschätzenden Einfluss auf die Kosten der Materialwirtschaft und damit auf die Gesamtkosten des Unternehmens. Zur Bestimmung kostenoptimaler Parameter ist die Betrachtung der gesamten Prozesskette notwendig, da in allen Teilbereichen die Kosten durch dispositive Entscheidungen beeinflusst werden.
Insbesondere Kosten durch Fehlteile (wenn ein Ersatzteil nicht zum Bedarfszeitpunkt vorhanden ist) und Sicherheitsbestände sind von entscheidendem Einfluss auf die Gesamtkosten des Prozesses. Ein weiterer wichtiger Parameter ist die Bestellmenge, deren Höhe sich auf den durchschnittlichen Lagerbestand, die Häufigkeit der Bestellvorgänge und damit auf die Nachschubkosten auswirkt.
So muss aufgrund einer nicht optimalen Nachschub- und Bestandsdisposition häufig auf kosten- und zeitintensive Ersatzmaßnahmen zurückgegriffen werden, um bei Nullbestand die benötigten Teile kurzfristig zu beschaffen. Die Sicherheitsbestände für andere Artikel sind aufgrund von nicht durch Zahlen zu belegende Bauchentscheidungen oder durch pauschale Forderungen einer bestimmten Verfügbarkeit viel zu hoch, so dass hohe Kosten für Bestände und Lagerhaltung entstehen. Durch Bestellmengen, die nicht unter Berücksichtigung aller durch sie verursachten Kosten, sondern durch Pauschalregelungen (z.B. Bestellung der in der Wiederbeschaffungszeit verbrauchten Menge) festgelegt werden, können hohen dispositiven Aufwand durch zu häufiges Bestellen oder hohen Lagerbestand bei zu großen Bestellmengen verursachen.
Die Deutsche Bahn hat für die Beschaffung von Ersatzteilen zur Instandhaltung ihrer Schienenfahrzeuge und Anlagen die Notwendigkeit einer kostenoptimalen Disposition erkannt. Hierzu wurden gemeinsam mit dem Zentrum für Logistik und Unternehmensplanung Strategien zur kostenoptimalen Disposition entwickelt und in einem Dispositionstool KODIS umgesetzt. Daraus kann der Disponent nach Eingabe der erforderlichen Parameter direkt Dispositionsparameter berechnen und in SAP eingeben.
Kostenblöcke
Der Disponent hat, wie bereits oben erläutert, mit seinen dispositiven Entscheidungen über Bestellmenge und Sicherheitsbestand erheblichen Einfluss auf den Beschaffungsprozess und die Höhe der entstehenden Kosten. Zur Optimierung werden zunächst die relevanten Kostenblöcke dargestellt und dann die Bestimmung der Zielgrößen erläutert.
Der Beschaffungsprozess lässt sich in fünf für die Disposition relevante Teilprozesse einteilen: Disposition und Abruf, Transport, Warenvereinnahmung und Einlagerung, Lagerung sowie die Prozesse bei mangelnder Lagerverfügbarkeit.
Die Nachschubkosten setzen sich aus den Dispositionskosten, den Transportkosten und den Einlagerungskosten zusammen, für die Kosten Materialwirtschaft kommen noch die Bestands- und Lagerhaltungskosten sowie die Ersatzmaßnahmen des Disponenten bei Fehlteilen dazu. Zusammen mit den Fehlteilkosten der Produktion, die auftreten, wenn die Disposition ein Material der Produktion nicht oder nicht in der erforderlichen Menge rechtzeitig zur Verfügung stellen kann, ergeben sich die für die Optimierung der Disposition relevanten Gesamtkosten.
Zielgröße Bestellmenge
Mit der Festlegung einer Bestellmenge beeinflusst der Disponent auf der einen Seite die Dispositionskosten (wie oft pro Jahr wird bestellt) und auf der anderen Seite die Höhe des Lagerbestands (wieviel wird auf einmal bestellt und auf Lager gelegt). Dieser Zusammenhang ist schon lange bekannt und wird z.B. in der Andlerschen Losgrößenformel berücksichtigt.
Die Kosten, die bei unterschiedlichen Bestellmengen auftreten, werden aber meist nicht richtig angesetzt. Oft wird bei den Bestands- und Lagerhaltungskosten nur ein Prozentsatz vom Teilewert angenommen, der zwar bei den Bestandskosten richtig ist, nicht aber bei den Lagerhaltungskosten. Die Lagerhaltungskosten hängen vom Platzbedarf im Lager, also von Kapazität und Größe der Ladeeinheit und den Lagereinrichtungen ab und nicht vom Wert des Artikels. Bei den Einlagerungskosten wird meist nicht nach fixen und variablen Bestandteilen unterschieden, was aber erforderlich wäre. Des Weiteren wird sowohl bei der Einlagerung als auch bei der Lagerung oft übersehen, dass bei Bestellmengen, die nicht ganzzahlige Vielfache der Ladeeinheitenkapazität sind, teilweise leere Ladeeinheiten entstehen.
Durch Berücksichtigung aller Prozesskosten lässt sich eine kostenoptimale Bestellmenge ermitteln. Im Bereich der kostenoptimalen Bestellmenge ist der Verlauf der Gesamtkostenkurve relativ flach, so dass geringe Abweichungen von der kostenoptimalen Bestellmenge keinen großen Einfluss auf die Kosten haben.
Zielgröße Sicherheitsbestand
Der Sicherheitsbestand soll verhindern, dass bei Schwankungen im Bedarf oder in der Lieferzeit vor Eintreffen der Nachschubmenge der Bestand auf Null sinkt und damit der Artikel nicht verfügbar ist. Bei einem Sicherheitsbestand von Null ist die permanente Verfügbarkeit gleich 50%. Je höher der Sicherheitsbestand ist, desto größer ist die Verfügbarkeit und damit die Wahrscheinlichkeit, einen Bedarf jederzeit befriedigen zu können.
Der Sicherheitsbestand erzeugt auf der einen Seite Bestands- und Lagerhaltungskosten, verhindert aber auf der anderen Seite Fehlteilkosten, die entstehen, wenn ein Artikel benötigt wird, aber nicht vorhanden ist. Fehlteilkosten sind hier nicht Kosten für einen nur schwer zu beziffernden Umsatzausfall, sondern Kosten für zusätzliche Loks oder Wagen, die bei Stillstand benötigt werden. Der Sicherheitsbestand wird häufig von der Produktion nach dem Prinzip der maximalen Sicherheit vorgegeben oder über eine hohe Verfügbarkeit definiert, ohne dabei die Prozesskosten zu berücksichtigen.
Auswertungssystematik
Die kostenoptimale Disposition ermittelt für jeden Artikel die Zielgrößen Bestellmenge und Sicherheitsbestand. Zur Berechnung der kostenoptimalen Bestellmenge werden die Gesamtkosten aus Nachschubkosten und Bestands- und Lagerhaltungskosten gebildet. Zur Berechnung der Nachschubkosten werden Kostendaten für Disposition, Einlagerung, Lagerung und Transport benötigt. Weiterhin gehen Daten zu den Artikeln wie Jahresbedarf, Wert, Lagerplatzbedarf und Sicherheitsbestand ein. Die kostenoptimale Bestellmenge liegt beim Minimum der Gesamtkosten.
Der kostenoptimale Sicherheitsbestand ergibt sich bei den Gesamtkosten aus Bestands- und Lagerhaltungskosten und Fehlteilkosten. Hierzu werden Mengendaten zu den Artikeln wie Jahresbedarf, Tagesabgänge pro Jahr und Bedarfsschwankungen benötigt. Diese Daten müssen aus SAP gewonnen werden. Als weiteres gehen Kostendaten für Eilbeschaffung, Zug- oder Wagenstillstand bei Nullbestand, Kosten für Lagerung und Bestand sowie Daten zur Beschaffung wie Versorgungszeitraum und Lieferzeitschwankungen in die Berechnung ein. Beim Minimum der ermittelten Gesamtkosten errechnet sich die kostenoptimale Verfügbarkeit und damit der kostenoptimale Sicherheitsbestand.
Toolentwicklung KODIS
Für die Umsetzung einer kostenoptimalen Disposition in der Instandhaltung der DB AG wurde vom Zentrum für Logistik und Unternehmensplanung das Dispositionstool KODIS entwickelt und gemeinsam mit Mitarbeitern der Bahn in ausgewählten Werken erfolgreich eingeführt.
Aufbau des Tools
Das auf ACCESS basierende Tool bietet durch die Datenbankfunktionalitäten zum einen eine hohe Sicherheit und ermöglicht außerdem die komfortable Einbindung von Massendaten aus SAP. Da die Unterstützung der Disposition mit diesem Tool neue Anforderungen an die Mitarbeiter stellt, wurde viel Wert auf die Benutzerfreundlichkeit gelegt. Die werksübergreifenden Rahmendaten und werksspezifischen Kenndaten, die für die Berechnung benötigt werden, sind von den Artikeldaten getrennt und können zentral gepflegt werden. Hierdurch kann das Tool dezentral in vielen Werken eingesetzt, aber dennoch zentral gepflegt und aktualisiert werden.
Bedienung und Eingabe
Die Artikeldaten werden direkt in die Eingabemaske des Berechnungstools eingegeben und gespeichert. Sie stehen damit für weitere Bearbeitungen oder regelmäßige Überprüfungen zur Verfügung. Der Datenbestand der Mengendaten für ein Jahr wird monatlich aus SAP aktualisiert, die Dispositionsrechnungen sind jedoch nur bei wesentlichen Änderungen von Verbrauchsverhalten oder bei anderen Kenndaten erforderlich. Ansonsten werden die Dispositionsparameter regelmäßig vierteljährlich überprüft.
Optimierungsrechnung und Ergebnisse
Nach Abschluss der Eingabe kann die Optimierungsrechnung zur Bestimmung kostenoptimaler Dispositionsparameter durchgeführt werden. Bei Variation der Verfügbarkeit werden direkt die Einflüsse auf die Fehlteilkosten und über den Sicherheitsbestand auf die Bestandkosten angezeigt, so dass eine kostenoptimale Verfügbarkeit eingestellt werden kann. Es lässt sich nun eine höhere, von der Produktion geforderte Verfügbarkeit bewerten und es kann gemeinsam eine für das Gesamtunternehmen vertretbare Verfügbarkeit gefunden werden. Wenn die Optimierung abgeschlossen ist, werden nachstehende Ergebnisse ausgegeben:
Die im Tool ermittelte kostenoptimale Bestellmenge und der abhängig von der eingestellten Verfügbarkeit errechnete Sicherheitsbestand können nun zur Disposition in SAP eingegeben werden. Die Eingabe erfolgt vorerst noch manuell, braucht aber auch nur in längeren Abständen (vierteljährlich) überprüft und gegebenenfalls aktualisiert zu werden.
Implementierung beim Anwender
Gemeinsam mit den Verantwortlichen der DB AG aus dem Vorstandsressort Einkauf und den Bereichen Materialwirtschaft und Produktion des Unternehmensbereichs Fernverkehr wurde die kostenoptimale Disposition entwickelt und nach erfolgreichen Tests in Abstimmung mit den Materialdisponenten der Pilotwerke ein Schulungsprogramm erstellt und die Disponenten geschult. Unter Einsatz von KODIS wurden im Pilotbereich für etwa 70 A-Artikel die kostenoptimalen Dispositionsparameter errechnet, mit der Produktion abgestimmt und im SAP-System eingepflegt.
Verbesserungen im Pilotbereich
Durch Umsetzung der Vorschläge aus dem Dispositionstool ergeben sich im Pilotbereich Einsparpoteniale von über einem Drittel der Logistikkosten. Diese lassen sich noch einmal unterscheiden nach stillstandsrelevantem Material, bei dem der Zug ohne dieses Teil das Werk nicht verlassen kann und Ersatzmaßnahmen nicht rechtzeitig möglich sind (37%), und nicht stillstandsrelevantem Material, bei dem die fehlenden Teile über Ersatzmaßnahmen beschafft werden können (31%).
Fazit und Ausblick
Die Ergebnisse im Pilotbereich haben gezeigt, dass durch eine kostenoptimale Disposition deutliche Einsparungen bei den Prozesskosten erzielt werden können, die bei über einem Drittel der Logistikkosten liegen. Durch Einführung von KODIS wird die hierzu erforderliche Ermittlung von kostenoptimalen Dispositionsparametern deutlich vereinfacht.
Es wurde auch erkannt, dass neben der Einführung des Tools nur gleichzeitig durchgeführte umfassende Schulungen aller Verantwortlichen und Nutzer in Logistik- und Prozesszusammenhängen die erforderlichen Grundlagen des Logistikverständnisses erzeugen können, die für den langfristigen nutzbringenden Einsatz erforderlich sind.
Durch entsprechende Modifikation ist das Tool auch auf andere Industriebereiche und für andere Materialgruppen als Ersatzteile übertragbar, bei denen durch Fehlteile nicht die Gefahr eines Fahrzeugstillstands, sondern z.B. eines Produktionsausfalls besteht. Diese Kosten müssen dann als Fehlteilkosten in die Berechnung einfließen. Anwendungsbereiche der vorgestellten kostenoptimalen Disposition liegen vor allem im Ersatzteil- und Instandhaltungsbereich sowie bei Klein- und Sonderserien- bzw. Werkstattfertigung.
Literatur
Baumgarten, H.: Trends und Strategien in der Logistik 2000. Analysen – Potentiale – Perspektiven, Berlin 1996.
Gudehus, T.: Logistik: Grundlagen – Strategien – Anwendungen, Berlin, Heidelberg, New York 1999.
Straube, F.: Logistik und Bedarfsermittlung im Einkauf in: Strub. M (Hrsg.): Das große Handbuch Einkaufs- und Beschaffungsmanagement, Landsberg/Lech 1998.
Unsere Whitepaper-Empfehlung
Aktuelles Heft
Titelbild Beschaffung aktuell 3
Ausgabe
3.2024
PRINT
ABO

Industrie.de Infoservice
Vielen Dank für Ihre Bestellung!
Sie erhalten in Kürze eine Bestätigung per E-Mail.
Von Ihnen ausgesucht:
Weitere Informationen gewünscht?
Einfach neue Dokumente auswählen
und zuletzt Adresse eingeben.
Wie funktioniert der Industrie.de Infoservice?
Zur Hilfeseite »
Ihre Adresse:














Die Konradin Verlag Robert Kohlhammer GmbH erhebt, verarbeitet und nutzt die Daten, die der Nutzer bei der Registrierung zum Industrie.de Infoservice freiwillig zur Verfügung stellt, zum Zwecke der Erfüllung dieses Nutzungsverhältnisses. Der Nutzer erhält damit Zugang zu den Dokumenten des Industrie.de Infoservice.
AGB
datenschutz-online@konradin.de