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Kostenorientiertes Technologie-Management

Beispiel Serienweiterentwicklung in der Automobilzulieferindustrie
Kostenorientiertes Technologie-Management

Kostenorientiertes Technologie-Management
Dipl.-Ing. Dipl. Wirtsch.-Ing. Anselm Uttenweiler (32) ist seit 1998 Commodity-Einkaufsleiter bei einem französischen Automobilzulieferkonzern in Bietigheim und dabei zuständig für die interdisziplinäre Koordination von Serienweiterentwicklung/ Value Engineering für sieben Werke in Europa. Davor war er drei Jahre in einer internationalen Managementberatung im Bereich Operations (Einkauf, Logistik) tätig
Wenn es um die Erschließung von Kostenreduzierungspotentialen geht, beschränkt sich der Einkauf oft auf einkaufstypische Instrumente wie Volumenbündelung, Global Sourcing etc. Dem Potential aus technischen Änderungen am Einkaufsprodukt wird einkaufsseitig zu geringe Bedeutung geschenkt.

Doch gerade hier fallen dem technischen Einkauf bei abnehmender Wertschöpfungstiefe der Unternehmen wichtige Aufgaben zu, wenn es gilt, technisches Produkt- und Prozess-Know-how der Lieferanten für die eigene Produktrationalisierung zu nutzen und gleichzeitig ernstzunehmender technischer Ansprechpartner für die Fachabteilungen zu werden. Am Beispiel der Serienweiterentwicklung (SWE) in der Automobilzulieferindustrie wird dargestellt, wie der Einkauf diese Rolle ausüben kann.

Der technische Einkauf als kostenorientiertes Technologie-Management
In modernen, technologieorientierten Unternehmen ist seit längerem ein Wandel des Einkaufs erkennbar. War der Einkauf früher die Funktion des Unternehmens, die Zeichnungen verschickte, Angebote einholte und auswertete und letztlich dem billigsten Zulieferer den Zuschlag erteilte, ist das Arbeitsfeld des heutigen Einkäufers durch höhere Komplexität gekennzeichnet. Der Einkaufsentscheider ist ein strategisch handelnder Technologiemanager, der am Produkt Kosteneinsparungen initiiert und umsetzt.
Ein wichtiger Grund hierfür liegt in der gewachsenen kommerziellen Bedeutung der unternehmerischen Einkaufsfunktion. Das Einkaufsvolumen nimmt mit geringer werdender unternehmenseigener Wertschöpfungstiefe zu – ausgelöst durch eine zunehmende wirtschaftliche Arbeitsteilung, die die vertikale (und auch horizontale) Ausgliederung von Unternehmensfunktionen nach sich zieht. Dadurch verfügt der Einkauf gegenüber der Produktion typischerweise über den größten Hebel für potentielle Kosteneinsparungen.
Darüber hinaus geht mit abnehmender Wertschöpfungstiefe ein Trend zur Beschaffung größerer Baugruppen und Systeme anstelle geringerwertiger (Einzel-) Teile. Das Know-how zur Entwicklung und Fertigung solcher Systeme verlagert sich von der unternehmenseigenen Entwicklungs- und Fertigungsabteilung zum Lieferanten. Es wird demnach zunehmend nach definierten Funktionen, nicht aber nach baulich definierten Erzeugnissen angefragt. Gleichwohl bleibt es für das beschaffende Unternehmen erforderlich, nicht nur die Systemfunktionen an sich, sondern auch die wichtigen darin enthaltenen Einzelteile in fertigungstechnischer wie auch in produkttechnologischer Hinsicht zu durchleuchten, da andernfalls ein technischer und ökonomischer Vergleich zu Alternativprodukten und Marktentwicklungen nicht mehr fundiert hergestellt werden könnte. Damit entfiele eine technisch-ökonomische Risikobetrachtung der eingekauften Produkte und der eigenen Erzeugnisse.
Es liegt auf der Hand, dass das mit abnehmender Wertschöpfungstiefe aus den eigenen Fachabteilungen fließende Prozess- und Produkt-Know-how bis zu einem gewissen Grad vom Einkauf aufgefangen bzw. zurückgewonnen werden muss, da die entsprechenden Fachbereiche hierfür nur noch partiell ausgerichtet sind. Die Entwicklung wird vornehmlich die Wechselwirkungen der zu einem Endprodukt zusammengesetzten Systeme untereinander und deren Auswirkungen auf das Endprodukt im Auge haben, und erst sekundär den inneren Wirkungsmechanismus eines als Blackbox betrachtbaren zugekauften Systems. Als Konsequenz für den Einkäufer bedeutet dies, dass er sich mehr und mehr zum gefragten technischen Gesprächspartner der eigenen Fachabteilungen und damit auch der technischen Bereiche des Zulieferers entwickeln muss.
Spinnt man den Faden weiter, kommen auf den Einkauf mit zunehmender Geschwindigkeit des Technologiewandels weitere Aufgaben hinzu. Der Einkauf darf sich nicht auf den Vergleich und das Erklärenkönnen unterschiedlicher Technologien beschränken, er hat vielmehr selbst – ebenbürtig zu den Fachabteilungen – für eine schnelle und zielgerichtete Technologieintegration in das eigene Unternehmen zu sorgen. Keine andere Unternehmensfunktion hat das Ohr näher am Markt und blickt weiter über ein breitgefächertes, mittlerweile globales, potentielles Zulieferfeld. Der Einkauf ist aufgefordert, Märkte, Technologietrends und zulieferteilebezogene Wettbewerbskonstellationen zu verfolgen und für das eigene Unternehmen zu nutze zu machen.
Nimmt der Einkäufer diese komplexe Rolle des Technologiemanagers nicht an und begrenzt sein Aufgabengebiet auf wirtschaftliche Zusammenhänge, setzt er sich der Gefahr aus, Spielball der in- und externen technischen Fachabteilungen zu bleiben. Genau das hat in der Vergangenheit dazu geführt, dass sein Beitrag für den Unternehmenserfolg moderat ausfiel und eine Würdigung seiner Funktion ausblieb. Wie der Einkauf diese Rolle auskleiden kann, wird am Beispiel der SWE dargestellt. Die SWE ist ein Unternehmensprozess, der in besonderem Maße technisch-wirtschaftlich verzahnte Problemstellungen aufweist, die neben der Beteiligung der Entwicklung insbesondere die des Einkaufs und der Entwicklungslieferanten erfordern. In praxi liegt die Prozessführerschaft nicht selten beim Einkauf.
SWE im Kontext der Entwicklungstätigkeit
Während Anwendungs- und Basisentwicklung seit jeher Kernbereiche der Entwicklungstätigkeit in der Automobilzulieferindustrie sind, führt die systematische Weiterentwicklung der Serienprodukte im Hinblick auf Kosteneinsparungen noch ein Schattendasein. Dies ist nur insoweit erklärbar, als die SWE bislang für ein Unternehmen von sekundärer Priorität ist. Hieraus ergibt sich ein in vielen Unternehmen brachliegendes Potential, das es zur Festigung der eigenen Wettbewerbsposition auszuschöpfen gilt.
Schwerpunkte der Anwendungsentwicklung sind die Einhaltung eines Qualitäts- und Terminziels für die Abwicklung eines gewonnenen Kundenauftrags. In dieser Entwicklungsphase findet ausschließlich erprobte und bewährte Technologie Verwendung. Diese wird im Laufe einer typischerweise drei Jahre dauernden Entwicklungstätigkeit in Zusammenarbeit mit dem Kunden (und den Lieferanten) auf einen bestimmten Modelltyp zugeschnitten. Entscheidend ist, dass das zu entwickelnde Produkt zu einem definierten Zeitpunkt in einwandfreier Qualität massenproduzierbar, d.h. serienreif ist. Zwar werden sowohl für den Entwicklungsumfang als auch für das Produkt selbst ein Kostenbudget bzw. Zielkosten definiert, Rückstände in punkto Zeit oder Qualität werden jedoch im Notfall erkauft und stechen Kostenziele letztendlich aus.
Bei der Basisentwicklung liegt der Fokus auf der Entwicklung neuer Technologien, die sich sowohl auf das Produkt selbst als auch auf den Herstellungsprozess beziehen können. Typische Inhalte der Basisentwicklung sind die Entwicklung zusätzlicher Funktionen am Produkt oder vollständiger Neuprodukte für zusätzliche Anwendungsgebiete. Auch neue Herstellungsverfahren zur Kostenreduzierung oder Qualitätsverbesserungen der Produkte fallen hierunter. Projekte in der Basisentwicklung sind auf ein oder mehrere Jahre angelegt und haben zum Ziel, neue Technologien zur Anwendungsreife zu bringen und der Anwendungsentwicklung zu übergeben.
Ziel der SWE im Sinne von Rationalisierungsmaßnahmen ist die Kostenreduzierung am Produkt. Ausgangspunkt ist immer das Serienteil, also das laufende Produkt, das unter Einhaltung der mindesten noch akzeptierten Qualität bzw. seiner Mindestfunktion möglichst kostengünstig hergestellt werden soll. Ergebnisse dieser Entwicklungstätigkeit beziehen sich vornehmlich auf das (noch) laufende Produkt, werden aber soweit wie möglich auch für Neuprodukte gleichen oder ähnlichen Typus genutzt. Damit profitiert die Anwendungsentwicklung nicht nur von den Erkenntnissen, die in der Basisentwicklung gewonnen werden, sondern ebenso von dem in der SWE erlangten Produkt- und Prozess-Know-how. Genauso wie die Anwendungs- und Basisentwicklung ist die SWE stark interdisziplinär geprägt. Im Unterschied zu den beiden erst genannten liegen allerdings in Abhängigkeit vom Projektinhalt stark schwankende Projektlaufzeiten vor, die etwa zwischen drei und 18 Monaten betragen können.
Durch SWE umsetzbare Kostenpotentiale
Das mit Hilfe der SWE umsetzbare Kostenreduzierungspotential umfasst markt- und technologiebedingte Entwicklungen, mit denen sich das Unternehmen zwangsläufig auseinandersetzen muss:
• Unternehmenszukäufe bzw. -konzentrationen: Hierdurch resultiert das Nebeneinander unterschiedlicher Standards oder Spezifikationen innerhalb einer Erzeugnisfamilie. Dies ist unter Kosten- und Komplexitätsgesichtspunkten nicht optimal. Unternehmenszukäufe oder -kooperationen bieten das größte Potential für auf anderem Wege nur mit hohem Aufwand durchführbare Benchmarkinguntersuchungen.
• Neue Technologien sind aufgrund ihrer noch kurzen Dauer im Serieneinsatz einer relativ geringen Beobachtungs- und Untersuchungsintensität unterworfen. Der Ausgangspunkt für den Durchbruch in die Serie war das Vorhandensein einer neuen Funktion bzw. der gleichen Funktion in Verbindung mit einem relativen Kostendurchbruch im Vergleich zum Vorgängerprodukt, nicht jedoch die Optimierung der Technologie im Hinblick auf ein absolutes Kostenminimum. In diesem Fall liegt also noch ein unausgeschöpftes Potential zur Entfeinerung des Produktes vor.
• Technologiesprünge im Produktportfolio: Mit Einzug einer neuen (kostenreduzierenden) Technologie veralten alle bisherigen, laufenden Produkte. Der Ansatzpunkt der SWE besteht darin auszuloten, inwieweit die neue Technologie bzw. ein neues Design auf laufende Produkte oder Module dieses Produktes zwecks Kostenreduzierung angewandt werden kann (Produktretrofit). Dem Einsparungspotential, resultierend aus der billigeren Technologie, stehen entwicklungs- und qualitätsbezogene Aufwendungen für Änderungen an einem bis dahin stabil laufenden Produktionsprozess entgegen.
Weitere Motive für eine systematische SWE werden durch das Unternehmen selbst verursacht und umfassen Unzulänglichkeiten vorgelagerter Prozesse (z.B. in der Anwendungsentwicklung). In diesem Fall wird die SWE als Instrument eingesetzt, Versäumnisse der Vergangenheit auszuräumen:
• Nicht bewältigte Terminanforderungen: Die durch einen Kundenauftrag ausgelösten Anwendungsentwicklungen unterliegen durch die Fixierung eines SOP (Start of Production) des Kunden einem rigiden Zeitplan mit definierten Meilensteinen. Drohende Überschreitungen des Zeitplans werden mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln des Unternehmens bekämpft. Die Folge kann die Entwicklung von Produkten sein, die unter Kostengesichtspunkten nicht optimiert sind.
• Mangelnde Einbindung des Lieferanten: Durch eine mangelnde oder zu späte Einbindung des Lieferanten bleibt das prozess- bzw. teilespezifische Know-how des Lieferanten für die auftragsbezogene Anwendungsentwicklung ungenutzt. Auch in diesem Fall entstehen bezüglich Wirtschaftlichkeit und natürlich auch Qualität allenfalls suboptimale Produkte.
• Einseitige Ausrichtung der Entwicklungsorganisation: Besitzt die Anwendungsentwicklung eine reine Kundenausrichtung ohne die zweite Dimension einer Teilefamilien- oder Technologieausrichtung (als technisches Pendant zur Einkaufsorganisation), fehlt es an warengruppen- bzw. technologiebezogenen Spezialisten. Für unterschiedliche Kunden entstehen grundsätzlich technologisch bzw. konstruktiv unterschiedliche Lösungen. Hieraus ergeben sich Defizite hinsichtlich Design- und Materialstandardisierung.
Davon abgeleitet beschäftigt sich die SWE mit folgenden Projektinhalten:
• Standardisierung von Rohmaterialien (z.B. Metalle oder Kunststoffe) im Hinblick auf die geeignetste Spezifikation bzw. auf Mengeneffekte,
• Standardisierung von Bauteilen im Hinblick auf die Reduzierung der Variantenvielfalt,
• Materialsubstitutionen (z.B.: Kunststoffteil ersetzt Stanzteil, Standardstahl mit Oberflächenveredelung ersetzt rostfreien Stahl),
• Designänderung (z.B.: einteiliges komplexes Bauteil ersetzt Baugruppe, Erweiterung Toleranzbereich),
• Modulwechsel (redesignte, kostengünstigere Module bzw. Baugruppen werden in laufenden Endprodukten eingesetzt).
Jedes Projekt der SWE startet mit einer Idee und endet mit der Umsetzung in der Serie, letztlich aber erst dann, wenn der reduzierte Preis eines Einkaufsteils in das System eingepflegt ist. Vier Phasen lassen sich im Projektablauf voneinander unterscheiden:
• Ideenfindungs- und -bewertungsphase,
• Entwicklungsphase,
• Testphase,
• Umsetzungsphase.
Folgende Aktivitäten werden in den verschiedenen Phasen durchgeführt:
Phase 1
(Ideenfindung und -bewertung)
• Allgemeine Aktivitäten:
Beschreibung der Idee,
Beschreibung des betroffenen Produktspektrums,
Festlegung eine Projektleiters,
Festlegung eines Projektteams.
• Einkaufsbezogene Aktivitäten:
Potentialermittlung (Preisdelta, Mengen),
Ermittlung Investition Lieferant (Entwicklung),
Ermittlung Musterkosten
• Entwicklungs- und laborbezogene Aktivitäten:
Technische Machbarkeitsanalyse,
Skizzen-/ Zeichnungsanfertigung für modifiziertes bzw. neues Teil,
Risikoabschätzung für technische Realisierung,
(Grob-) Definition der notwendigen technischen Tests,
Abschätzung eines Projektzeitplans,
Abschätzung der Testkosten.
• Produktionsbezogene Aktivitäten:
Definition der betroffenen Produktlinien,
Ermittlung des Änderungsumfangs,
Ermittlung der Umstellungskosten,
Abschätzung der Umstellungsdauer.
• Qualitätsbezogene Aktivitäten:
Festlegung der Art der Kundeninvolvierung (Kundenfreigabe, Lebenslaufnotiz etc.),
Festlegung der dazu notwendigen Dokumente,
Prüfung Notwendigkeit Kundenmuster (Kosten, Dauer).
Entscheidung nach Phase 1: Go or Stop!
Kriterien: Höhe und Zeitpunkt Potential, Technisches Umsetzungsrisiko, Investitionsaufwand, kundenbezogenes Freigaberisiko, relative Vorzugswürdigkeit u.a.
Phase 2 (Entwicklungsphase)
• Durchführung der internen/externen technischen Entwicklungsarbeiten,
• Festlegung des neuen Design/der Spezifikation.
Entscheidung nach Phase 2: Go, Go back or Stop!
Kriterien: Technische Machbarkeit, Wirtschaftlichkeit
Phase 3 (Testphase)
• Detaillierte Testfestlegung (Teile, Abfolge, KO-Kriterien, Zeitplan etc.),
• Testdurchführung (Produktion, Dauerlauf, Material etc.),
• Interne Freigabe,
• Externe Freigabe.
Entscheidung nach Phase 3: Go, Go back or Stop!
Kriterien: Testergebnisse, Freigaben
Phase 4 (Umsetzungsphase)
• (Interne) Produktionsumstellung,
• Durchführung der Zeichnungsänderungen,
• Einkäuferische Umsetzung.
Bereichsübergreifende Zusammenarbeit innerhalb der SWE
Interdisziplinäre Zusammenarbeit ist der Schlüssel zum Erfolg bei der Realisierung von Kosteneinsparungspotentialen im Rahmen der SWE. Wie aus den verschiedenartigen Aktivitäten ersichtlich, ist die Mitarbeit der Funktionen Einkauf, Entwicklung, Labor, Versuch, Produktion und Vertrieb unerlässlich für die erfolgreiche Bearbeitung kostenreduzierender Ansätze. Wird eine dieser Funktionen nicht konsequent an der Projektarbeit beteiligt oder ergeben sich funktionale Kapazitätsengpässe, kommen die betroffenen Projekte zum Stillstand oder scheitern im Extremfall vollständig.
Dies ist in mehrerlei Hinsicht folgenschwer: Einmal ins Stocken geratene Projekte haben ein besonders ausgeprägtes Trägheitsmoment – die Motivation zur Wiederaufnahme der Projektarbeit ist gering. Gleichzeitig müssen sich die Beteiligten nach einer gewissen Zeit erneut in die spezifische, möglicherweise schlecht dokumentierte Thematik einarbeiten, Doppelarbeit und Aktenstudium sind die Folge. Letztlich können Misserfolge den Motor für die bereichsübergreifende Zusammenarbeit ganz abwürgen, die Projektmitarbeiter flüchten frustriert in ihren eigentlichen Kompetenzbereich und widmen sich transparenten, klar vorgezeichneten Aufgaben, die sich verhältnismäßig einfach ohne Beteiligung anderer Fachbereiche erledigen lassen.
Gefördert wird der interdisziplinäre SWE-Prozess unter folgenden Voraussetzungen:
• Vereinbarung funktionsübergreifender Zielsetzungen,
• Kostensensibilisierung insbesondere der technischen Fachabteilungen,
• adäquate Dimensionierung der Teams,
• Erfolgsmessung: Einsparpotential vs. Mitarbeiterinput,
• Projektführung durch den technischen Einkauf.
Von großer Bedeutung ist die Forderung, von einer rein funktionsbezogenen zu einer funktionsübergreifenden Zielsetzung überzugehen. Funktionsspezifische Ziele sind nur dann sinnvoll, wenn sie von der Funktion – soweit überhaupt möglich – aus eigener Kraft erreicht werden können. Beispiele für funktionsbezogene Ziele könnten im Einkauf Kostenreduzierungen aufgrund von Verhandlungen, Lieferantenwechsel, Global Sourcing o.ä. darstellen. Hier handelt es sich dann um einkaufs-wirtschaftliche Ansätze, bei denen der Einkauf die Rollen als Ideengeber, Umsetzer und Process Owner gleichzeitig wahrnimmt. Selbstverständlich müssen andere Funktionen auch in solchen einkaufsdominierten Themenstellungen von ihrem Mitgestaltungsrecht Gebrauch machen, beispielsweise die Entwicklungsabteilung, wenn es um die Beurteilung von Lieferanten hinsichtlich deren technologischer Kompetenz geht.
Im Rahmen der SWE werden keine reinen wirtschaftlichen Themenstellungen behandelt, sondern technische Modifikationen am Produkt, die letztendlich zur Reduzierung der Einkaufspreise führen. Neben der Einschätzung des Einkaufs ist hier das Fachwissen der technischen Abteilungen gefragt. Letztere haben einmal Vorschläge des Einkaufs oder der Lieferanten bezüglich ihrer technischen Umsetzbarkeit zu bewerten. Darüber hinaus sind die Fachabteilungen selbst gefordert, Produkte und Verfahren immer wieder neu zu hinterfragen und geeignete Projekte mit Kostenreduzierungspotential zu definieren.
Das Kunststofflabor beispielsweise darf sich nicht damit zufrieden geben, materialspezifische Messwerte aufzunehmen, gegenüberzustellen und deren Übereinstimmung mit einer bestimmten Norm nachzuweisen. Vielmehr müssen vom Labor zur Unterstützung der Konstruktion auch Empfehlungen zur Materialwahl oder zur konstruktiven Auslegung eines bestimmten Teils oder einer Teilefamilie ausgesprochen werden. Dies setzt selbstverständlich voraus, dass das Labor über entsprechende Kenntnisse zu unterschiedlichen Kunststoffmaterialien verfügt.
Mit der notwendigen Einbeziehung der technischen Fachbereiche neben dem Einkauf in den SWE-Prozess wird evident, dass interdisziplinäre Zielsetzungen vereinbart werden müssen. Dies trifft insbesondere auf den Fall zu, in dem Projektmitglieder der SWE auch noch ihren funktionalen Linienbereich bedienen und damit der SWE nicht 100% zur Verfügung stehen – also wenn Bereichsegoismen zum Hindernis der SWE werden können. Geeignete Ziele für die SWE könnten zum Beispiel die Anzahl zu entwickelnder Ideen bzw. Projekte oder das durch die Projektarbeit zu realisierende Einsparvolumen sein.
Ein weiteres organisatorisches Gestaltungskriterium ist die Dimensionierung der an der SWE beteiligten Teams. Jede Projektaufgabenstellung erfordert einen bestimmten Expertenmix. Abhängig von Typ und Anzahl der Projekte ergibt sich ein charakteristisches Belastungsprofil der unterschiedlichen Funktionen bzw. einzelner Experten. An dieser Stelle ist zu überprüfen, ob Soll- und Ist-Profil übereinstimmen. In der Unternehmenspraxis ist aufgrund regelmäßig begrenzter Mitarbeiterressourcen eine Projektpriorisierung erforderlich (Einsparpotential, technische Machbarkeit u.a.). Hierbei muss ein klarer Zusammenhang zwischen den investierten Mitarbeiterkapazitäten und dem erreichten Einsparvolumen herausgestellt werden. Es muss beantwortet werden können, ob sich ein bestimmter vorliegender Personaleinsatz rechnet und inwiefern eine Aufstockung der Kapazitäten für die SWE ein zusätzliches Einsparvolumen zur Folge hat. Dies ist selbstverständlich immer aus dem Unternehmensblickwinkel, nicht alleine aus Abteilungssicht zu beurteilen.
Führungsrolle Einkauf
Warum ist nun die unternehmerische Einkaufsfunktion prädestiniert, die Führungsrolle innerhalb der SWE zu übernehmen? Hierfür sprechen im wesentlichen vier Gründe:
• Einmal ist der technische Einkauf originär darauf ausgerichtet, technisch-wirtschaftlich verzahnte Sachverhalte zu beurteilen. Eine Qualifikation des Einkäufers als Ingenieur bzw. Wirtschaftsingenieur, wie sie in der Praxis immer häufiger anzutreffen ist, trägt dieser Ausrichtung Rechnung.
• Zum zweiten verfolgt der technische Einkauf intensiver als andere Funktionen im Unternehmen Markt- und Technologietrends innerhalb der jeweiligen Commodity. Insofern ist er am besten in der Lage, technisch-wirtschaftliche Produktbenchmarks herzustellen, als Ausgangsbasis zur Definition konkreter Ratio-Projekte. Defizite sind hier insoweit vorhanden, als der Einkäufer bislang Entwicklungen in anderen Technologien, die nicht in direktem Zusammenhang mit Funktion oder Prozess aktueller Einkaufsprodukte von ihm erkannt werden, zu sehr vernachlässigt. Dazu gilt es, eine Zusammenarbeit zwischen dem Technologieeinkauf und der Basis-/ Grundlagenentwicklung zu etablieren.
• Der dritte Gesichtspunkt betrifft das Lieferantenhandling im Falle externer Entwicklungsleistungen. Der Einkauf spielt hierbei die Schlüsselrolle als Verbindungsglied zwischen Unternehmen und Lieferant. Aktivitäten wie Projektmanagement, Steuerung der Kommunikation, Lieferantenauswahl und -motivation, Vertragsgestaltung u.ä. sind vom Einkauf auszuüben.
• Der vierte und entscheidende Grund für eine Führungsrolle des Einkaufs in der SWE ist die Tatsache, dass technische Potentiale an Serienprodukten häufig im Zusammenhang mit beschaffungspolitischen Fragestellungen stehen. Konkret kann dies beispielsweise bedeuten, dass durch den Einkauf erzielte Verhandlungs- oder Mengenbündelungseffekte die aus rein technologischer Sicht betrachtete relative Vorzugswürdigkeit einer technischen Lösung A gegenüber einer anderen technischen Lösung B umkehren können. Auch mögen unterschiedliche Lieferanten oder geographische Märkte gleiche Technologien monetär unterschiedlich bewerten. Insofern ist ein rein generisch-technologischer Ansatz zur Ermittlung von Kostenreduzierungspotentialen nicht brauchbar, es kommt bei der SWE immer auch auf die monetäre Einschätzung unterschiedlicher Technologien durch den Markt an. Diese Markteinschätzung in systematischer Weise zu ermitteln ist letztendlich nur der technische Einkauf in der Lage.
Entwicklungslieferanten in die SWE einbinden
Wertet man die Projekte im Rahmen der SWE in der Automobilzulieferindustrie aus, zeigt sich, dass mehr als die Hälfte der Ideen lieferantenseitig generiert werden. Dies ist nicht verwunderlich, da die Lieferanten das größte technische Know-how zu den Einkaufsprodukten verfügen. Die Lieferanten sind häufig in der besseren Position, über alternative Herstellungsverfahren, Materialien oder Designs zu befinden, da dies ja ihr Kerngeschäft ist und entsprechende Empfehlungen auch an andere Kunden ausgesprochen werden. Der andere Teil der Ideen entspringt der Analyse und Kreativität von Einkauf, Entwicklung, Produktion und Labor.
Dieser Sachverhalt wirft zwei Fragen auf:
• Wie kann ein Unternehmen sicherstellen, dass die Lieferanten möglichst intensiv in den Ideenfindungsprozess eingebunden werden?
• Wie werden diese Ideen mit Hilfe der Zulieferer am effizientesten auf ihre technische und wirtschaftliche Machbarkeit überprüft und bei Positivbefund umgesetzt?
Basis für beide Problemkreise ist die richtige Einkaufsstrategie in den jeweiligen Warengruppen. Entwicklungsprojekte mit Serienlieferanten setzen voraus, dass technologisch und wirtschaftlich leistungsfähige Lieferanten in der richtigen Anzahl je Warengruppe vertreten sind. Ein Zuviel an Lieferanten bewirkt eine Zersplitterung des Einkaufsvolumens, Weiterentwicklungen an Serienteilen überspannen dann nicht die ganze Teilefamilie, wodurch mengen- und technologiebezogene Synergien innerhalb der Teilefamilien nicht genutzt werden. Umgekehrt führt ein Zuwenig an Lieferanten zu mangelndem Wettbewerb innerhalb der Teilefamilie und zu eingeschränktem technologischen Benchmarking.
Wird es in Neuprojekten versäumt, Lieferanten frühzeitig einzubinden oder ergibt sich aufgrund raschem technologischem Wandel eine neue Ausgangsbasis für die Produktauslegung, müssen im Rahmen der SWE volumenträchtige A-Teile neu analysiert werden. Der Lieferant ist hierbei gefragt, sich von der ursprünglichen Zeichnung zu lösen und mit Hilfe eines definierten Anforderungsspektrums des Produkts zu einem kostenreduzierenden Design zu gelangen. Wichtig hierbei ist, dass sich der Lieferant in das Endprodukt des Kunden eindenkt und schnittstellen-übergreifende Lösungen verfolgt. Für Baugruppen oder Systeme sind deshalb mehrere Entwicklungslieferanten in die Wertanalyse zu integrieren.
Es kann sinnvoll sein, auch neue, in anderen Technologiefeldern vertretene Lieferanten für den SWE-Prozess einzuspannen. Dies ist dann angebracht, wenn es z.B. um konkurrierende Herstellungsverfahren für ein bestimmtes Funktionsteil geht. Die Einbindung neuer Lieferanten im gleichen Technologiefeld kann ebenso erfolgversprechend sein. Hier besteht die Herausforderung darin, eine bestehende Technologie weiterzuentwickeln und ggf. den neuen Lieferanten im Erfolgsfall an Serienaufträgen zu beteiligen, sei es für laufende oder zukünftige Produkte. Letzteres ist dann zu empfehlen, wenn, ausgehend von einem bis dahin erreichten technologischen Niveau der Produkte, erstklassige Lieferanten die Serie beliefern und das Produkt wirtschaftlich, aber eben nicht technologisch ausgereizt zu sein scheint.
Sowohl für die Ideenfindung als auch für deren Umsetzung ist es elementar, die geeigneten Lieferanten motivieren zu können. Gerade in Zeiten guter Auftragslage oder bei scheinbar festen, eingefahrenen Lieferanten-Abnehmerbeziehungen gelingt dies nur schwer. Der Lieferant muss stets spüren, dass er sich das zukünftige Geschäft erkämpfen muss – hierfür ist in allerhöchstem Maße der Einkauf verantwortlich, der an die Lieferanten zwar Signale des Vertrauens, nicht aber der Sättigung auszusenden hat. Hierzu zählt natürlich auch die stete, verbindliche Konfrontation bestehender Lieferanten mit dem Wettbewerb.
Sind umfangreiche Entwicklungsarbeiten durch den Lieferanten notwendig, muss dies entsprechend durch Entwicklungsverträge honoriert werden. Man kann davon ausgehen, dass eine aus Kunden- bzw. Einkaufssicht allzu gerne dem Lieferanten aufgezwungene Entwicklungsarbeit ohne entgeltliche Vergütung scheitern wird. Da der Lieferant in diesem Fall keine Mitarbeiterressourcen in ausreichendem Maße zur Verfügung stellen kann, wird entsprechend oberflächlich oder langsam vorgegangen. Euphorisch begonnene Projekte kommen schnell zum Stillstand und führen häufig zu Frust auf beiden Seiten, neue Entwicklungsprojekte mit dem selben Lieferanten werden erst gar nicht mehr initiiert.
Ein probates Mittel, die Lieferanten herauszufordern, besteht im Profit-Sharing. Führen technische Änderungen am Produkt in gemeinsamer Entwicklungsarbeit zu signifikanten Kosteneinsparungen, wird der Lieferant an diesen für einen bestimmten Zeitraum (z.B. für ein Jahr) beteiligt. Länge des Zeitraums und Höhe des Anteils sind vorher miteinander abzustimmen. Da die Einsparungen nicht immer einwandfrei ermittelt bzw. abgegrenzt werden können, setzt dieses Verfahren besonders partnerschaftliches Verhalten beider Seiten voraus. Im übrigen ist dieser Typus von Rationalisierungskooperation zwischen Kunde und Lieferant (Dienstleister) im Bereich des Facility- bzw. Energiemanagement State of the Art.
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