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Lean-Themen und Traktor-Know-how

Supply Chain und Produktion bei AGCO Fendt, Marktoberdorf
Lean-Themen und Traktor-Know-how

Fendt, Hersteller von Traktoren und Landmaschinen, hat das Produktions- und Logistikkonzept im Werk Marktoberdorf gänzlich neu gestaltet. Der Einkauf hat dabei Anliefermodi und Anliefersystematiken verändert und die Lieferanten systematisch in die neue Prozesslandschaft eingebunden. Darüber sprachen wir mit Josip T. Tomasevic, Vice President Global Purchasing and Materials, AGCO, Hubertus Köhne, Vice President Manufacturing, bei der AGCO Premiummarke Fendt, Torsten Dehner, Vice President Purchasing & Materials, EAME, Wolfgang Geiger, Director Purchasing, Fendt EAME, und Michael Allgaier, Manager Internal Supply Chain.

Beschaffung aktuell: Herr Tomasevic, Fendt hat jetzt mit einem neuen Montagewerk die Produktionskapazitäten modernisiert und deutlich ausgebaut. Sie sind erst seit Kurzem Vice President Global Purchasing and Materials. Hatten Sie den Eindruck, es sei höchste Zeit, dass der Traktorenhersteller hier investiert?

Josip T. Tomasevic: Aber nein, ganz im Gegenteil. Hier wurde seit Jahren mit strategischem Weitblick investiert. Denn – wenn wir die anspruchsvollen Wünsche unserer Agrartechnikkunden erfüllen wollen, brauchen wir neben der reinen Kapazität vor allen Dingen auch eine hohe Flexibilität. Das Ziel ist, 20 000 kun-denindividuelle Traktoren im Jahr herzustellen. Um das zu ermöglichen, mussten wir das Produktions- und Logistikkonzept gänzlich neu gestalten und die erforderlichen Prozesse in dem neu implementierten SAP Release abbilden. Einkauf und Logistik haben in enger Zusammenarbeit mit den vertrauten Dienstleistern und langjährigen Lieferpartnern Anliefermodi und Anliefersystematiken verändert und die Lieferanten systematisch in die neue Prozesslandschaft eingebunden. Das Ergebnis kann sich mehr als sehen lassen: Nach unserer Kenntnis ist hier der weltweit modernste Werksverbund für Traktoren entstanden.
Beschaffung aktuell: Sie sprechen von der modernsten Traktorenfertigung der Welt. Haben Sie sich so gründlich umgesehen?
Hubertus Köhne: Ja, wir haben uns einiges angesehen. Neben diversen Traktorenfabriken, vor allen Dingen, auch branchenfremde Referenzwerke. Zum Beispiel in Georgetown, Kentucky, USA. Toyota Motor Manufacturing betreibt dort ein Werk, in dem 7500 Leute rund 400 000 Automobile und 500 000 Motoren pro Jahr herstellen – eine bemerkenswerte Koordinationsleistung. Natürlich haben wir keine vergleichbaren Stückzahlen – aber eine ähnliche Komplexität, die es zu beherrschen gilt. Das heißt, einige Anregungen für unseren neuen Werksverbund haben wir uns in der Automobilindustrie geholt. Von dort haben wir die geeigneten Lean-Themen ausgewählt und mit unserem Traktoren-Know-how kombiniert. Das gibt es im Agri-Business so noch nicht. Dafür haben wir rund 240 Mio. Euro in Deutschland investiert. AGCO, unser Mutterkonzern, investiert bewusst auch in HCC-Ländern (High-Cost-Countries).
Beschaffung aktuell: Fendt ist nur eine von vier Marken des AGCO-Konzerns. Was bedeutet diese Mehrmarkenstrategie für den Einkauf?
Tomasevic: Wir stellen Marke mit durch Spezialisierung erzielbarem Kundenmehrwert in Beziehung. Die vier Marken unterscheiden sich deutlich voneinander, wobei innerhalb der Marken breite Produktpaletten angeboten werden – bei Fendt kommt beispielsweise jetzt noch der neue Feldhäcksler Katana 65 hinzu.
Beschaffung aktuell: Unter der Haube ist also nicht bei allen AGCO-Produkten dasselbe?
Tomasevic: Definitiv nein.
Torsten Dehner: Die Marken und Produkte unseres Konzerns unterscheiden sich unter anderem durch ihre Performance. Dabei setzen wir auch auf unterschiedliche technische Lösungen von unseren Lieferanten.
Beschaffung aktuell: Es gibt also auch keine Plattformstrategie, wie sie bei den Automobilherstellern verbreitet ist?
Tomasevic: Wir denken eher in Baukästen und Modulen. Das Thema werden wir künftig zusammen mit unseren Kollegen in der Technik sowie mit ausgewählten Lieferpartnern weiterentwickeln und systematisch vorantreiben.
Beschaffung aktuell: Wo ist die Heimat Ihrer Lieferanten?
Tomasevic: Auf der ganzen Welt. Wir haben zum Beispiel in Südamerika einen Marktanteil von mehr als 50 Prozent. Daher kommt auch eine Vielzahl von Lieferanten aus dieser Re- gion. Unsere Lieferantenbasis ist eben dort, wo unsere Produktionsstätten sind, gerade auch in Indien und China. In Russland etablieren wir derzeit eine Lieferantenstruktur. Um die Fabriken herum bauen wir die Lieferantennetzwerke auf. Als einer der ersten Hersteller entwickeln wir uns derzeit auch in Afrika. Wenn die stark wachsende Weltbevölkerung künftig satt werden will, muss die Leistungsfähigkeit der Landwirtschaft größer werden. Das geht nur mit der Nutzung von Brachflächen und einem größeren Maschineneinsatz, um die Effizienz und die Produktivität der Landwirtschaft weiter zu steigern. Hier hat Afrika ein großes Potenzial.
Dehner: In Afrika sind wir mit unserer Marke Massey Ferguson präsent. Dort erfreuen wir uns einer enormen Bekanntheit. Wenn die Leute von ihrem „Massey“ sprechen, meinen sie Traktor ganz im Allgemeinen.
Beschaffung aktuell: Das heißt, Sie sind ständig unterwegs?
Tomasevic: Ja, die Produktion ist global, also auch die Einkaufsorganisation. Die Fäden in Europa laufen bei Torsten Dehner in Neuhausen/Schweiz zusammen. Dort ist das Headquarter für Europa, Afrika und den Mittleren Osten (EAME). Es gibt drei weitere, nämlich für Nordamerika, Südamerika und Asien. Vor kurzem hatten wir in München unser Global Purchasing Leadership-Team-Meeting, wo wir die globale Einkaufsstrategie diskutierten.
Beschaffung aktuell: Was wurde diskutiert?
Tomasevic: Wir wollen uns als Team weiterentwickeln, streben aber auch gemeinsame Projekte und gemeinsame Lösungen an. Es gibt ein großes Bedürfnis, sich hier auszutauschen. Solche Meetings finden vier Mal im Jahr statt. Das Ziel ist, die Leistungsfähigkeit unserer Einkaufsorganisation deutlich zu steigern. Um dies zu erreichen, arbeiten wir derzeit daran, eine globale Einkaufsstrategie zu entwickeln und zu implementieren.
Dehner: Der Einkauf ist in den vier Weltregionen zentral organisiert, die vier Regionen arbeiten aber bisher relativ selbstständig. Sie finden sich nur unter Herrn Tomasevic zusammen. Zukünftig werden wir die weltweite Zusammenarbeit deutlich steigern.
Beschaffung aktuell: Wie viele Arbeitstage verbringen Sie in der Konzernzentrale in Duluth, Georgia?
Tomasevic: Weniger als die Hälfte.
Beschaffung aktuell: Als wir geboren wurden, hatte ein Ackerschlepper rund 15 PS. Heute sind 150 PS gar nichts. Wo soll das enden?
Wolfgang Geiger: 150 PS hat bei uns ein Traktor der Mittelklasse. Wir bieten heute Fendt-Traktoren im Leistungsbereich von 70 bis 390 PS an. Unsere Kunden müssen die Kosten pro Hektar genau im Auge behalten. Je mehr sie in einem Arbeitsgang tun können, desto besser. Das setzt aber voraus, dass der Bauer mehrere Anbaugeräte gleichzeitig verwenden kann, daher muss der Schlepper genügend Kraft haben. Dennoch sind unsere Fahrzeuge sehr verbrauchsorientiert. Auch die Elektronik entwickeln wir ständig weiter. In unseren großen Traktoren finden Sie inzwischen mehr Elektronik als in einem Pkw der Oberklasse.
Beschaffung aktuell: In welche Richtung gehen Ihre Innovationen? Noch mehr Kraft? Effizienz? Ergonomie?
Geiger: Sowohl als auch. Insbesondere sehen wir einen Trend zum Fullliner, wobei alle Gerätschaften aus einer Hand kommen. Wir sind dabei, die Kommunikation der Maschinen, zum Beispiel vom Feldhäcksler zum Traktor, zu verbessern und Schnittstellen zwischen den Systemen zu vereinfachen und zu standardisieren. Und besonderen Wert legen wir eben auf Effizienz.
Dehner: Das heißt, Verbesserung der Leistung.
Tomasevic: Auch Nachhaltigkeit spielt künftig eine große Rolle.
Beschaffung aktuell: Sie sprechen von der Kommunikation zwischen den Maschinen. Und was sagt der Feldhäcksler zum Traktor?
Tomasevic: Er sagt ihm beispielsweise wo er sich hinstellen oder mit welcher Geschwindigkeit er fahren soll. Eine Erntemaschine wie der Feldhäcksler braucht ja immer Begleitfahrzeuge für das Erntegut. Was die Positionierung der Maschinen angeht, ist heute fast alles GPS-gesteuert. Darüber hinaus gibt es Diagnosesysteme, die, wenn es nötig ist, auf Wartungsarbeiten aufmerksam machen. Dann spricht der Feldhäcksler zum Bauern.
Beschaffung aktuell: Welche Innovationen erwarten Sie von Ihren Lieferanten?
Tomasevic: Wir arbeiten sehr eng zusammen – zum Beispiel mit Motoren-, Kühler- oder Hydraulikherstellern. Wichtig ist, dass die Lieferanten das Verständnis für die Technologie unserer Produkte mitbringen. Kürzlich haben wir in Wadenbrunn unseren diesjährigen Fendt-Feldtag abgehalten. Da kommen gut und gerne 50 000 Leute und beobachten mehr als 100 Traktoren und 130 Geräte im Grünland und auf dem Acker im vollen Einsatz. Es ist ein Kundentag, wir laden aber auch viele Lieferanten dazu ein. Von den Lieferanten erwarten wir innovative und zuverlässige Lösungen, die Steuerung dieses ganzen Ernteprozesses intelligent mitzugestalten.
Beschaffung aktuell: Wie hoch ist Ihr Einkaufsvolumen?
Tomasevic: Das Einkaufsvolumen beträgt rund fünf Milliarden Euro verteilt auf etwa 2000 Lieferanten.
Dehner: Wobei jede unserer Marken eine Heritage hat, das heißt, eine eigene Tradition, die sich unter anderem auch in der Lieferantenbasis bzw. der Anzahl der Lieferanten widerspiegelt. Unsere Strategie sieht vor, die Anzahl der Lieferanten in allen Standorten zu reduzieren und das Geschäft mit den jeweils besten Lieferanten weiterzuentwickeln.
Beschaffung aktuell: Meine Herren, vielen Dank für dieses Gespräch.

Fendt – die Hightech-Marke

AGCO-Corporation

Die AGCO-Corporation gehört zu den weltweit größten Herstellern und Anbietern von Traktoren und Landmaschinen. Zum Gesamtangebot von AGCO gehören Traktoren, Mähdrescher, Futterernte- und Drillmaschinen, Düngerstreuer sowie Bodenbearbeitungsgeräte. Im Vertrieb arbeitet das Unternehmen nach eigenen Angaben mit dem leistungsstärksten Vertriebsnetz der Branche zusammen — das sind mehr als 3000 unabhängige Händler, Vertriebsstellen, und Lizenzinhaber in über 140 Ländern der Welt. Fendt ist die Hightech-Marke für höchste Ansprüche im Konzern. Unter dem Dach von AGCO wird Fendt mit seinen Innovationen zukünftig nicht mehr allein in Europa sondern auf allen Märkten der Welt vertreten sein.
Produktionsstandorte sind Marktoberdorf und Asbach-Bäumenheim. In Marktoberdorf befindet sich die Produktion von Getrieben und Hinterachsen, die Montage sowie die Entwicklung. Das Zweigwerk in Asbach-Bäumenheim stellt Komfortkabinen und Karosseriebauteile her. Insgesamt arbeiten in den beiden Werken knapp 3000 Leute. Die Jahresproduktion beträgt momentan etwa 17 500 Maschinen im Leistungsbereich von 42 bis 275 kW vom Schmalspur-Schlepper für Wein und Obstbau bis zum 10,3 t schweren Großschlepper für den Ackerbau.
Fendt war ein ursprünglich inhabergeführter Traktorenhersteller mit Sitz im Allgäu. 1997 wurden die Marke Fendt sowie das Fendt-Werk an den AGCO-Konzern verkauft. Der Konzern mit Sitz in Duluth, Georgia, USA, erzielte 2011 einen Umsatz von 8,8 Mrd. USD. Für 2012 wird ein Umsatzziel von über 10 Mrd. USD angepeilt.
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