Startseite » Allgemein »

Lieferantenkrise: Unverhofft kommt nicht oft

Martin Roth, Leiter Finanzplanung und Informationsmanagement, Dr. Ing. h.c. F. Porsche AG, Stuttgart
Lieferantenkrise: Unverhofft kommt nicht oft

Die Krise eines Unternehmens kommt selten überraschend und unverhofft. Auch die derzeit große Zahl der insolventen Automobilzulieferer ist keine Überraschung, jedenfalls nicht für Porsche. Dort hat der Einkauf bereits 2005 ein umfassendes Lieferantenrisikomanagement installiert. Darüber sprachen wir mit Martin Roth.

Beschaffung aktuell: Herr Roth, erfahrungsgemäß steigt die Zahl der Insolvenzen erst, wenn die Krise sich dem Ende zuneigt. War Porsche von insolventen Lieferanten betroffen?

Martin Roth: Die Finanz- und Wirtschaftskrise hat angesichts dramatischer Umsatz- und Renditeeinbrüche bei den Automobilherstellern in 2009 tiefe Spuren in der Zulieferindustrie hinterlassen. Als Konsequenz dieser Krise stellten seit Ende 2008 weltweit zahlreiche Zulieferunternehmen Antrag auf Insolvenzeröffnung. Allein in Deutschland meldeten 2009 rund acht Prozent der Zulieferunternehmen Insolvenz an. Auch Porsche sah sich mit einer steigenden Anzahl von Lieferanteninsolvenzen in 2008 und 2009 konfrontiert. Durch die konsequente Implementierung eines präventiven Lieferantenrisikomanagements ist es uns aber gelungen, zu einem frühen Zeitpunkt potenzielle Schwachstellen zu identifizieren und entsprechende Maßnahmen zur Risikominimierung einzuleiten.
Beschaffung aktuell: Wie sieht in Ihrem Hause die Prüfung und Bewertung der finanziellen und technischen Leistungsfähigkeit von Lieferanten aus?
Roth: Bei Porsche werden sämtliche Serienlieferanten hinsichtlich leistungs- und finanzwirtschaftlicher Risiken überwacht. Die Leistung unserer Lieferanten während der Entwicklungsarbeit, der Serienbelieferung und bei der Ersatzteilversorgung beurteilen wir im Rahmen der Lieferantenbewertung. Einen Schwerpunkt der halbjährlichen Beurteilung bilden Qualität, Mengen- und Termintreue sowie Maßnahmen zur Kostenoptimierung während der
Serienlaufzeit.
2005 wurde die Lieferantenbewertung durch ein umfassendes Lieferantenrisikomanagement zur Bestimmung von Ausfallrisiken, die Überwachung der finanzwirtschaftlichen Stabilität der Lieferanten und die Begleitung von Insolvenzen erweitert. Das Lieferantenrisikomanagement wurde derart konzipiert, dass sowohl qualitative als auch finanzwirtschaftliche Informationen in einer ganzheitlichen Risikobetrachtung zusammengefasst werden.
Beschaffung aktuell: Wie lässt sich eine mögliche Insolvenz von Lieferanten frühzeitig erkennen?
Roth: Die Krise eines Unternehmens kommt selten überraschend und unverhofft. Oft besteht ausreichend Zeit, um frühe Krisensignale erkennen und geeignete Gegenmaßnahmen einleiten zu können. So lässt sich der Krisenverlauf idealtypisch in die drei Stadien „strategische Krise“, „Ertragskrise“ und schließlich „Liquiditätskrise“ unterteilen. Je früher eine drohende Krise erkannt und dieser entgegengewirkt wird, desto größer ist der verbleibende Handlungsspielraum. Die in den vergangenen Jahren im Rahmen des Lieferantenrisikomanagements gesammelten Erfahrungen belegen, dass die Analyse finanzwirtschaftlicher Kennzahlen eine sehr gute Prognose über die Ausfallwahrscheinlichkeit eines Lieferanten erlaubt. So zeigt sich im Rahmen von Diskriminanzanalysen beispielsweise für die Eigenkapitalquote eine hohe Prognosegüte. Je längerfristiger somit die Finanzlage eines Unternehmens überwacht wird, desto früher können kritische Entwicklungen erkannt und gemeinsam mit dem Unternehmen Maßnahmen zur Risikobegrenzung definiert werden.
Beschaffung aktuell: Wie bewertet Porsche seine Lieferanten?
Roth: Die Entwicklung des Konzeptes zu einem Risikocontrolling der Supply Chain orientierte sich an den klassischen Phasen des Risikomanagements: Risikoidentifikation, Risikoanalyse und -bewertung, Risikosteuerung und Risikoüberwachung. Im Rahmen des bei Porsche eingesetzten Konzeptes haben wir uns für die Erfassung der vier Risikofelder „qualitativ-strategische Risiken“, „finanzwirtschaftliche Risiken“, „länderspezifische Risiken“ und „Risikoeinschätzung durch den Einkauf“ entschieden. Diese Risikofelder umfassen neben den formalen Aspekten auch explizit informelle Einschätzungen im Sinne eines ganzheitlichen Risikomanagements.
Beschaffung aktuell: Welche Tools setzen Sie dabei ein?
Roth: Die Abfrage der strategischen und der finanzwirtschaftlichen Risiken erfolgt im Rahmen eines Self-Assessments des Lieferanten mittels einer seitens Porsche zur Verfügung gestellten Ratingsoftware. Das Ratingergebnis wird einmal jährlich an Porsche übermittelt und durch das Länderrisiko sowie die Experteneinschätzung des Einkaufs ergänzt. Hieraus lässt sich anhand eines durch Porsche entwickelten Risikoquantifizierungstools der Lieferanten-Risikoindex ermitteln.
Beschaffung aktuell: Welche Maßnahmen ergreift Porsche, wenn ein Lieferant insolvent zu werden droht?
Roth: Sofern die Risikobewertung Risiken in der Lieferantenbeziehung signalisiert, werden unmittelbar Maßnahmen zur Risikohandhabung eingeleitet. Hierzu werden in einem ersten Schritt die Risiken frühzeitig mit dem Lieferanten besprochen und gemeinsam konkrete Maßnahmen verabschiedet.
In Abhängigkeit des Schadensausmaßes im Fall einer Lieferanteninsolvenz ist für Porsche zu definieren, welches Restrisiko akzeptabel ist. Zeigt sich ein hohes Risikoausmaß und eine hohe Schadenseintrittswahrscheinlichkeit kann dies unter Umständen auch zu einer Beendigung der Geschäftsbeziehung und Verlagerung der Umfänge führen.
Beschaffung aktuell: Die „Rettung“ eines Lieferanten ist Sache des gesamten Unter- nehmens. Wie geht Porsche hier vor?
Roth: Die „Rettung“ eines Lieferanten ist meines Erachtens in erster Linie Verantwortung der Geschäftsführung und des Eigentümers des Lieferanten. Somit sind sämtliche kritischen Lieferanten aufgefordert, im Rahmen einer Analyse der aktuellen Lage die Ursachen für die kritische Finanzlage aufzudecken und selbst angemessen zu reagieren. Lediglich sofern im Rahmen eines Restrukturierungskonzepts die Finanzlage des Unternehmens mittel- bis langfristig stabilisiert werden kann, ist das Unternehmen weiterhin wettbewerbsfähig. Insofern können eventuelle Unterstützungsmaßnahmen durch Kunden lediglich dazu dienen, die Liquiditätslage kurzfristig zu verbessern.
Unsere Rolle als Kunde kann und darf weder die Beratung im Rahmen einer Restrukturierung noch die Finanzierung von Unternehmen sein. Die Erarbeitung eines Restrukturierungskonzepts ist Aufgabe des Unternehmens gegebenenfalls unterstützt durch entsprechende Beratungsunternehmen. Die Finanzierung der operativen Geschäftstätigkeit von Unternehmen, von Investitionen und Restrukturierungsprojekten obliegt den Finanzinstituten.
Beschaffung aktuell: Auch der Wechsel von Lieferanten verursacht Kosten. Gibt es bei Porsche eine Strategie, diese zu minimieren?
Roth: Das präventive Lieferantenrisikomanagement ist eben gerade diese Strategie, denn es erlaubt eine frühzeitige Identifikation von finanzwirtschaftlich instabilen Lieferanten. Angesichts der bei uns entstehenden Risiken und Kosten sind finanzwirtschaftlich kritische Zulieferer grundsätzlich nicht akzeptabel. Solche Unternehmen können wir bei zukünftigen Vergaben nicht mehr berücksichtigen.
Diese Strategie erlaubt uns, Verlagerungskosten durch spätere Insolvenzen zu vermeiden bzw. in Bezug auf das Gesamtportfolio deutlich zu reduzieren.
Beschaffung aktuell: Gibt es ein größeres Risiko bei Produkten, die Porsche exklusiv fertigt, wie zum Beispiel den 911, als bei Produkten, bei denen man sich das Risiko mit einem Partner teilt, wie zum Beispiel bei der Cayenne-Produktion?
Roth: Die Risiken aus einem Lieferantenausfall ergeben sich für Porsche aus den Verlagerungsoptionen und der Fortführungswahrscheinlichkeit des Unternehmens. Sind zum Zeitpunkt des Lieferantenausfalls keine Alternativen verfügbar, können sich Kosten aus der Fortführung des Unternehmens im Rahmen der Insolvenz ergeben. Diese Kosten sind aber unabhängig von der Zusammenarbeit mit einem Partner.
Beschaffung aktuell: Wird es, nachdem Porsche in den Volkswagenkonzern ein- gebunden wurde, ein gemeinsames Lieferantenmanagement geben?
Roth: In einem integrierten Automobilkonzern ergeben sich zahlreiche Möglichkeiten zur Zusammenarbeit. Angesichts der Wertschöpfungstiefe von Porsche wird auch nach der Integration weiterhin eine enge Zusammenarbeit mit den Lieferanten erforderlich sein. Bereits heute sind in beiden Häusern vergleichbare Lieferantenrisikomanagementsysteme implementiert, sodass in Zukunft von einer engeren Abstimmung zur Vorgehensweise bei kritischen Lieferanten auszugehen ist.
Beschaffung aktuell: Herr Roth, wir danken für dieses Gespräch.
Das Lieferantenrisikomanagement wurde derart konzipiert, dass sowohl qualitative als auch finanzwirtschaftliche Informationen in einer ganz- heitlichen Risikobetrachtung zusammengefasst werden.
Unsere Webinar-Empfehlung
Aktuelles Heft
Titelbild Beschaffung aktuell 3
Ausgabe
3.2024
PRINT
ABO

Industrie.de Infoservice
Vielen Dank für Ihre Bestellung!
Sie erhalten in Kürze eine Bestätigung per E-Mail.
Von Ihnen ausgesucht:
Weitere Informationen gewünscht?
Einfach neue Dokumente auswählen
und zuletzt Adresse eingeben.
Wie funktioniert der Industrie.de Infoservice?
Zur Hilfeseite »
Ihre Adresse:














Die Konradin Verlag Robert Kohlhammer GmbH erhebt, verarbeitet und nutzt die Daten, die der Nutzer bei der Registrierung zum Industrie.de Infoservice freiwillig zur Verfügung stellt, zum Zwecke der Erfüllung dieses Nutzungsverhältnisses. Der Nutzer erhält damit Zugang zu den Dokumenten des Industrie.de Infoservice.
AGB
datenschutz-online@konradin.de