Startseite » Allgemein »

Limbisches System steuert Ratio

Warum sich/Sie Menschen kaum verändern können
Limbisches System steuert Ratio

Zwei Kollegen sollen gemeinsam ein neues Projekt präsentieren. Sie kennen den Sachverhalt genau und halten das Vorhaben für entscheidend für die weitere Entwicklung ihrer Abteilung. Sorgfältige Vorbereitung ist daher selbstverständlich. Als sich der entscheidende Termin nähert, sind beide aufgeregt, aber der eine voller Vorfreude und Siegesgewissheit, der andere voller Selbstzweifel. Prof. Dr. Gerhard Roth beschreibt, warum Menschen so verschieden reagieren.

Prof. Dr. phil. Dr. rer. nat. Gerhard Roth, Universität Bremen, Abteilung für Verhaltensphysiologie und Entwicklungsneurobiologie

Die Persönlichkeitsstruktur eines Menschen wird im Wesentlichen durch das limbische System festgelegt. Das limbische System ist Teil des Gehirns und stellt eine Übergangszone zwischen der Großhirnrinde und dem Hirnstamm dar. Seine Aufgaben sind: vegetative Steuerung, Beteiligung an Denk- und Gedächtnisprozessen, Steuerung von Emotionen und Motivation – letzterer kommt für Lernen und Lernbereitschaft eine wichtige Funktion zu.
Das limbische System bewertet alle unsere Aktionen nach den Dimensionen „gut – lustvoll – erfolgreich“ bzw. „schlecht – schmerzlich – erfolglos“ und speichert diese Bewertungen ab. Es nimmt bereits im Mutterleib seine Arbeit auf und legt unbewusst das grundlegende Verhältnis eines Individuums zu sich, zur Welt und anderen Menschen fest. Die Monate vor der Geburt kristallisieren sich als die prägendsten und wichtigsten in der Entwicklung eines Menschen heraus – in dieser Zeit entwickelt sich der Rahmen, in den hinein spätere Erfahrungen abgespeichert werden.
Die Aneignung von Erfahrung funktioniert nach einem klaren Prinzip: neue Erfahrungen, die die bestehende Erfahrung bestärken –, im Guten wie im Schlechten – werden abgespeichert. Je erwachsener wir werden, desto resistenter werden wir gegen Veränderungen unserer Grundeinstellung.
Hinzu kommt noch, dass die Netzwerke des limbischen Systems die Eigenschaft haben, recht schnell oberflächlich zu lernen, aber nur sehr schwer vergessen können. Dies spiegelt sich in der Erfahrung wider, dass sich erwachsene Menschen nicht durch Einsicht, sondern nur durch starke emotionale Ereignisse ändern. Die vielversprechendste Möglichkeit Menschen zu verändern besteht also tatsächlich darin, Mitmenschen in ihrem richtigen Handeln durch positive Emotionalität zu bestärken.
Subjektiv erleben wir uns in großen Teilen unseres Denkens, Fühlens, Wollens, unserer Handlungsplanung und Handlungsausführung als frei. Unser Ich empfindet sich dabei als Verursacher dieser Zustände und Handlungen.
Warum es keine rationale Entscheidung gibt
Dies scheint eine Illusion zu sein. Uns sind nur Prozesse, die in der Großhirnrinde stattfinden, bewusst; folglich stammen also wesentliche Anteile unserer Handlungssteuerung aus Teilen unseres Gehirns, die dem Bewusstsein grundsätzlich unzugänglich sind wie beispielsweise das limbische System, von dem man heute weiß, dass es unter anderem Gedanken und Absichten, die uns in den Sinn kommen, veranlasst und steuert. Es entscheidet unter Berücksichtigung der jeweiligen Reize aus der Umwelt und dem Körper, was wir im nächsten Augenblick tun. Dies bedeutet, dass die eigentlichen Antriebe unseres Verhaltens aus den „Tiefen“ unserer unbewussten Gedächtnisinhalte und den damit verbundenen Gefühlen und Motiven stammen. Wir Menschen haben offensichtlich eine nur geringe Einsicht in die eigentlichen Beweggründe unseres Handelns.
Die unbewussten Vorgänge in unserem Gehirn wirken stärker auf die bewussten ein als umgekehrt. Das (weitgehend sprachlich-sozial vermittelte) Ich baut seine eigene Rechtfertigungswelt für unser Handeln auf, die oft wenig mit dem zu tun hat, was die unbewusst arbeitenden Gehirnzentren entscheiden. Dies führt zu den typischen Pseudoerklärungen eigenen Verhaltens, die aber gesellschaftlich akzeptiert werden.
Das Ich ist nicht der „Herr im Hause“, sondern ein Konstrukt des Gehirns zur besseren Planung und Ausführung komplexer Handlungen, insbesondere im Bereich sozialer Kommunikation. Die subjektiv empfundene Freiheit des Wünschens, Planens und Wollens ist eine Illusion. Der Mensch fühlt sich frei, wenn er tun kann, was er zuvor wollte. Unsere bewussten Wünsche, Absichten und unser Wille stehen aber unter Kontrolle des unbewussten emotionalen Erfahrungsgedächtnisses. Was letztendlich getan wird, entscheidet das limbische System – also unser emotionaler Erfahrungsschatz.
Erster Grundsatz:
Menschen tun nur dann etwas, wenn sie sich davon bewusst oder unbewusst eine Belohnung versprechen.
Fünf Grundsätze zur Verhaltensänderung
Was eine Belohnung ist, ist so verschieden, wie Menschen individuell verschieden sind. Die letztendliche Belohnung für das Gehirn ist der Ausstoß so genannter endogener Opiate, der hirneigenen „Drogen“ im mesolimbischen System.
Zweiter Grundsatz:
Weitermachen wie gehabt ist eine starke Belohnung in sich. Am Bewährten festzuhalten, vermittelt das Gefühl der Sicherheit und Geborgenheit und reduziert die Angst vor der Zukunft.
Die Ausbildung von Gewohnheiten und Routinen und das Festhalten an ihnen entlastet auch unser Gehirn kognitiv, und dies ist ebenfalls eine starke Belohnung.
Dritter Grundsatz:
Eine Verhaltensänderung tritt nur dann ein, wenn diese eine wesentlich stärkere Belohnung verspricht, als es das Festhalten am Gewohnten liefert.
Geringe Belohnungsaussichten sind deshalb nicht in der Lage, das Verhalten von Personen zu ändern.
Vierter Grundsatz:
Belohnungen müssen klar und möglichst zeitnah sein. Je weiter eine Belohnung in der Zukunft liegt, desto geringer wirkt sie. Daraus folgt: Je ferner in der Zukunft eine Belohnung liegt, desto stärker („leuchtender“) müssen die damit verbundenen positiven Erwartungen sein.
Fünfter Grundsatz:
Es gibt keine externe Motivation, Motivation muss immer intern sein. D. h. das Gehirn unseres Gegenübers muss vom Belohnungswert der Verhaltensänderung selbst überzeugt sein.
Die beste Motivation ist diejenige, die eine Person sich aus freien Stücken selbst gibt. Derjenige Personalführer ist der erfolgreichste, der es fertig bringt, seine Motive zu denen seines Gegenübers zu machen.

Gerhard Roth
geboren 1942 in Marburg, ist Professor für Verhaltensphysiologie an der Universität Bremen und Rektor des Hanse-Wissenschaftskollegs in Delmenhorst.
Er veröffentlichte rund 180 Publikationen auf dem Gebiet der experimentellen und theoretischen Neurobiologie und der Neurophilosophie, darunter vier Bücher (u. a. Das Gehirn und seine Wirklichkeit, Frankfurt/Main 1994).
Sein besonderes Interesse gilt dem interdisziplinären Brückenschlag zwischen den Neurowissenschaften, der Psychologie und den Sozialwissenschaften.
Aktuelles Heft
Titelbild Beschaffung aktuell 4
Ausgabe
4.2024
PRINT
ABO

Industrie.de Infoservice
Vielen Dank für Ihre Bestellung!
Sie erhalten in Kürze eine Bestätigung per E-Mail.
Von Ihnen ausgesucht:
Weitere Informationen gewünscht?
Einfach neue Dokumente auswählen
und zuletzt Adresse eingeben.
Wie funktioniert der Industrie.de Infoservice?
Zur Hilfeseite »
Ihre Adresse:














Die Konradin Verlag Robert Kohlhammer GmbH erhebt, verarbeitet und nutzt die Daten, die der Nutzer bei der Registrierung zum Industrie.de Infoservice freiwillig zur Verfügung stellt, zum Zwecke der Erfüllung dieses Nutzungsverhältnisses. Der Nutzer erhält damit Zugang zu den Dokumenten des Industrie.de Infoservice.
AGB
datenschutz-online@konradin.de