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Logistische Beschaffungsnetzwerke

Strategische, virtuelle, regionale, operative...
Logistische Beschaffungsnetzwerke

Logistische Beschaffungsnetzwerke
Vor dem Hintergrund erhöhten Konkurrenzdrucks und dem Problem gesättigter Märkte sind Unternehmen gezwungen, auf veränderte Anforderungen flexibel und schnell zu reagieren. Infolge immer kürzer werdender Produktinnovationen bei gleichzeitiger Verringerung der Produkttiefe ist eine Strukturanpassung unumgänglich.

Prof. Dr. Jochem Piontek

Logistikdienstleister müssen neben wettbewerbsfähigen Preisen individuelle Kundenwünsche erfüllen und umfangreiche Serviceleistungen anbieten. Jedoch sind Unternehmen mit der gegenwärtigen Organisationsstruktur nur selten in der Lage, die aktuellen Geschäftsstrategien umzusetzen. Unter diesem Aspekt konzentrieren sich die Unternehmen auf die Verbesserung der Logistikkette, die von der Leistungserstellung bis zur Leistungsverwertung verläuft.
Die Sichtweise der Logistikkette bedingt eine ganzheitliche Betrachtung und Analyse der gesamten Güter- und Informationsströme von Rohstofflieferanten bis zum Endkunden. Die umfassende Betrachtung der logistischen Prozeßkette, bei der die Güter- und Informationsflüsse der gesamten Wertschöpfung vom Rohstoff bis zum Endprodukt analysiert, hinterfragt und zielorientiert verbessert oder optimiert werden, ist bereits in vielen Unternehmen erkennbar: So werden in den Kooperationen zwischen Industrie und Handel sowie zwischen Automobilzulieferern und -herstellern immer längere Teilketten der gesamten logistischen Kette ganzheitlich gestaltet, um Kosten zu senken oder den vom Kunden wahrgenommenen Nutzen der Logistikleistung zu steigern.
Es zeichnen sich bereits Weiterentwicklungen des Konzepts der Logistikkette und im prozeßorientierten Denken ab. Die Tendenz zur Erstellung von verschiedenen Unternehmensnetzwerken und die daraus resultierenden Anforderungen an die Logistik ist eine dieser Entwicklungen.
Netzwerkstrukturen
Ein Unternehmensnetzwerk besteht aus rechtlich selbständigen, aber wechselseitig abhängigen Unternehmen, die durch kooperative, auf Gegenseitigkeit beruhende Austauschbeziehungen miteinander verbunden sind. Die Unternehmen sind grundsätzlich frei in der Wahl ihrer Partner und sind auch frei, neue Kooperationen einzugehen, sind aber für einen gewissen Zeitraum auf die Leistungen ihrer Partner angewiesen, woraus eine wechselseitige Abhängigkeit entsteht.
Es gibt eine große Anzahl von unterschiedlichen Arten der Netzwerke. Sie unterscheiden sich in ihrer Funktionsweise und den Nutzenpotentialen, die sie bieten:
•Die Führung kann entweder zentral von einem Unternehmen oder verteilt von verschiedenen Unternehmen erfolgen.
•Die Organisationsstruktur kann entweder hierarchisch (wie im Falle einer Zuliefererpyramide in der Automobilindustrie) mit einer formellen Beziehung oder auf dem Prinzip der Gleichberechtigung mittels eines eher losen Verbundes erfolgen.
•Die Stabilität (zeitliche Dauer) kann relativ hoch (über mehrere Jahre) sein oder nur im Rahmen eines Projektes andauern.
Weitere Unterschiede sind im Ausmaß der vertraglichen Bindung, der Intensität des Leistungsaustausches oder dem Ausmaß der gegenseitigen Kommunikation oder Information zu sehen. Diese Merkmale finden sich in den Modellen der
•Strategischen Netzwerke,
•Virtuellen Unternehmen,
•Operativen Netzwerke,
•Regionalen Netzwerke.
Strategische Netzwerke
Sie werden durch ein lokales Unternehmen geführt (Endprodukthersteller oder Handelsunternehmen). Zweck dieses Netzwerks ist normalerweise die Bedienung eines vorhersehbaren Marktes durch langfristige Zusammenarbeit. Durch die großen Abnahme- bzw. Liefermengen sowie relativ stabilen Beziehungen, ist eine Koordination logistischer Aufgaben durch gemeinsame Planung und Programme möglich. Für die Logistik von Bedeutung ist die sich im Laufe längerer Zusammenarbeit bildende Kooperationskultur, welche mit dem Einsatz von Informations- und Kommunikationstechnik einen durchgängigen, schnellen Informationsfluß ermöglicht.
Nachteilig wirken aus logistischer Sicht die Einschränkung der Flexibilität und die Tatsache, daß dadurch Schwankungen des Kapazitätsbedarfs nicht optimal ausgeglichen werden können. Anwendung finden diese Netze vor allem im Bereich der Automobilindustrie.
Virtuelle Unternehmen
Virtuelle Unternehmen werden durch unabhängige Unternehmen, die auf Basis eines gemeinsamen Geschäftsvorstandes kooperieren, gebildet. Im Zuge einer solchen projektähnlichen Kooperation werden Unternehmen zusammengeführt, die individuelle Kernkompetenzen besitzen, die synergetisch kombinierbar sind. Das Unternehmen, das dem Kunden am nächsten steht, übernimmt die Führung des Verbandes. Charakterisiert wird dieses Gebilde durch gegenseitiges Vertrauen, intensive Nutzung von Informations- und Kommunikationstechnik und den Verzicht auf detaillierte Verträge und spezifische Investitionen. Außerdem treten die beteiligten Unternehmen gegenüber dem Kunden als Einheit auf. Überträgt man dieses Modell auf die Logistik, so muß versucht werden, Güterflüsse in verstärktem Maße durch Informationsflüsse zu substituieren. Anstelle des physischen Gütertransportes tritt eine Auftragsinformation an das Produktionsunternehmen, das sich in räumlicher Nähe zum Endkunden befindet .
Virtuelle Unternehmensnetzwerke stellen an die Neugestaltung von Logistikkonzepten hohe Anforderungen. Diese sollen sich in kurzer Zeit realisieren lassen und dennoch effiziente Lösungen darstellen. Besondere Herausforderungen für die Gestaltung des Logistiksystems ist die Beteiligung an mehreren Produktionsnetzen zur gleichen Zeit (Multiple Vernetzung = Mehrfachbindung). Als potentielle Anwender für dieses Modell werden Softwarehersteller genannt, die informationstechnische Infrastruktur besitzen oder auch Produzenten von Produkten mit kurzer Lebensdauer (Bekleidung, Spielwaren).
Operatives Netzwerk
Zweck dieser Zusammenarbeit ist es, die kurzzeitig freien Kapazitäten der Partner für die eigenen Belange zu nutzen. Dieses wird durch ein interorganisatorisches Informationssystem (IOS) zur Meldung freier Kapazitäten wie Lagerräume, Logistikbereiche etc. erreicht. Jedoch stellt die mangelnde Verfügbarkeit eines solchen IOS-Systems das wesentliche Hindernis dar. Ferner haben sich selbst vergleichbar einfache Anwendungen wie EDI bis vor kurzem relativ langsam etabliert.
Merkmale dieses Netzwerks sind die Abwicklung weitestgehend standardisierter Transaktionen, die einzelne Wertschöpfungsaktivitäten betreffen, z.B. die gemeinsame Nutzung eines Lagerhauses.
Regionales Netzwerk
Es zeichnet sich durch fallweise wiederholte Zusammenarbeit vieler, meist kleiner Unternehmen aus, die in derselben Region ansässig sind. Diese Unternehmen arbeiten je nach Auftragslage zusammen und haben zumeist eine ähnliche Unternehmensstruktur. Dabei sind hohe Flexibilität und geringe Gemeinkosten oft wichtiger als die Einzigartigkeit von Kompetenzen der Unternehmen.
Durch die Ausnutzung von Bündelungseffekten besonders im Transportbereich ist dieser Netzwerktyp aus logistischer Sicht eher attraktiv. Neben Ökologiegesichtspunkten spielen auch kurze Transportentfernungen sowie einfache Umsetzung von JIT-Konzepten eine Rolle. Die Anforderungen an das interorganisatorische Informationssystem (IOS) sind geringer als im operativen Netzwerk oder im virtuellen Unternehmen und daher besonders für kleine und mittelständische Unternehmen in der Region interessant.
Es ist davon auszugehen, daß zukünftig wandelbare, sehr flexible Unternehmensnetzwerke (Virtuelle Unternehmen und operative Netzwerke) die Zusammenarbeit in eher stabilen Netzwerken ergänzen werden. Unternehmen werden in mehrere Netzwerke gleichzeitig eingebunden sein, was sich ansatzweise bereits in der Automobil- und Computerindustrie abzeichnet. Es besteht jedoch ein Zielkonflikt zwischen dem Aufbau eines spezialisierten kooperierenden Logistksystems und der gleichzeitig nötigen Flexibilität zur Einstellung auf Partner in anderen Netzwerken.
Prozeßorientierte Beschaffungsnetzwerke
Mit der Konfiguration des Produktionsnetzwerkes wird das Beschaffungsnetzwerk nachhaltig determiniert: Die Wertschöpfungstiefe legt Art und Ausmaß der zu beschaffenden Inputfaktoren fest. Ferner beeinflußt die Verankerung bestimmter Wertaktivitäten an einzelnen Produktionsstandorten die beschaffungsrelevanten Transfer- und Transaktionskosten.
Die Logistikstrategien von Industrie- und Handelsunternehmen streben auch im Beschaffungsbereich eine deutliche Verringerung der Schnittstellen an. Dies hat zur Folge, daß seitens der Produktionsunternehmen für bestimmte Klassen von Inputgütern nur noch ein oder zwei Zulieferer in Anspruch genommen und in Entwicklungsprozesse mit einbezogen werden. Das Konzept des Single Sourcing gilt jedoch auch für Handelsunternehmen. Die enge Kooperation zwischen Lieferant und Beschaffer führt zu einer totalen aber dennoch flexiblen prozeßorientierten Vernetzung.
Process Sourcing
Process Sourcing als Sourcing-(Teil-)Strategie wird als crossfunktionale Vernetzung der unternehmenseigenen Wertschöpfungsaktivitäten mit denen der Zulieferer definiert. Ziel von Process-Sourcing-Strategien ist die Beschaffung von komplexen Aktionsfolgen und die funktions- und unternehmensübergreifende Organisation der Wertschöpfungsprozesse im Sinne einer Wertschöpfungspartnerschaft, da eine funktionsbezogene Isolierung der arbeitsteilig ausgeführten Prozesse zwischen Unternehmen aufgrund der Interdependenz der Grund- und Querschnittsfunktionen selten möglich und sinnvoll ist. Die vertikale Verknüpfung der Wertketten von Abnehmer und Zulieferer umfaßt beim Process Sourcing mehrere Funktions(teil)bereiche.
Voraussetzung für Process Sourcing ist gegenseitige Offenheit und Prozeßorientierung bei Zulieferer und Abnehmer. Die Prozeßorientierung betrachtet den Durchlauf von Prozessen durch das Unternehmen; dabei bildet die ablauforganisatorische Zusammenfassung von Aufgaben einen Prozeß.
Entwicklungsstufen des Process Sourcing
Die Process Sourcing Strategie definiert, bei welchen Prozessen in welchen Grund- und/oder Querschnittsfunktionen und damit verbunden, in welchen Phasen des Produktlebenszyklus das Unternehmen mit seinen Zulieferern zusammenarbeitet. Dabei greifen die wertschöpfenden Prozesse von Abnehmer und Zulieferer ineinander. Der Zulieferer kooperiert in Grund-/und Querschnittsfunktionen mit dem Abnehmer oder erstellt diese eigenverantwortlich. Bei der Ausgliederung von wertschaffenden Aktivitäten ist jedoch eine enge partnerschaftliche Zusammenarbeit einer vollständigen Fremdvergabe aufgrund der geringeren Transaktionskosten vorzuziehen.
Folgende Entwicklungsstufen des Process Sourcing können nach Umfang und Vernetzungsgrad der Wertschöpfungsaktivitäten zwischen Zulieferer und abnehmender Unternehmung unterschieden werden.
Produktionszentrierte Zulieferung
Unternehmensübergreifende Vernetzung der Wertkette ist auf der ersten Entwicklungsstufe auf den Produktionsbereich beschränkt, in dem der Zulieferer die Leistungserstellung übernimmt. Die Zusammenarbeit bei der Produktion ist traditionell Mittelpunkt der Arbeitsteilung zwischen Zulieferer und Abnehmer und Ausgangspunkt der Integration der Wertschöpfungsketten. Diese Stufe wird als produktionszentrierte Zulieferung charakterisiert: Der Zulieferer stellt im Grunde Fertigungskapazität bereit, wobei ein Mindestniveau der Qualität und geringstmögliche Kostenverursachung angestrebt werden.
Instrumente des Kostenmanagements auf dieser Kooperationsstufe sind beispielsweise Value Analysis, Produktstandardisierung und Target Costing. Für die Qualitätssicherung sind TQM, Qualitätssicherungs-Systemaudits und Qualitätskennzahlensysteme von Bedeutung. Bereits auf dieser Ebene des Process Sourcing sind Planungen von Wertschöpfungsprozessen aus anderen Funktionsbereichen außerhalb des Einkaufs, insbesondere aus Produktion, Qualitätsmanagement und Controlling in die Beschaffungsstrategie zu integrieren.
Logistikintegrierte Zulieferung
Auf der zweiten Entwicklungsstufe wird die Wertschöpfungspartnerschaft um logistische Funktionen erweitert, die durch den Zulieferer oder einen Logistischen Dienstleister wahrgenommen werden. Instrumente und Verfahren einer logistikintegrierten Zulieferung sind sequenzgerechte Anlieferung, Just-in-Time-Verbindungen oder gemeinsame Puffer. Dabei ist es notwendig, neben dem Bereich Logistik auch das Kommunikations- und lnformationsmanagement in die Planung des Process Sourcing einzubeziehen.
Know-how-integrierte Zulieferung
Übernimmt der Zulieferer für den Abnehmer die Entwicklung von Produkten und Prozessen, so wird diese Erweiterung des Leistungsbündels als Know-how-integrierte Zulieferung bezeichnet. Die Vernetzung der Wertschöpfungsaktivität zwischen Zulieferer und Abnehmer findet bereits vor der Leistungserstellung im Forschungs- und Entwicklungsbereich statt und erfordert in dieser Phase die Integration des Marketingbereichs.
Diese Entwicklungsstufe wird oft im Zusammenhang mit dem organisatorischen Ansatz des Simultaneous Engineering und dem Target Costing diskutiert. Spätestens das Erreichen dieser Stufe des Process Sourcing erfordert eine Lieferantenfestlegung bereits in der Entwicklungsphase von Produkten (Advance Purchasing bzw. Forward Sourcing). Zur Erhaltung der Flexibilität hinsichtlich der Auswahl des produzierenden Lieferanten, können jedoch in dieser Phase Entwicklungsdienstleister, beispielsweise Ingenieur- oder Konstruktionsbüros, zur Ausführung von Forschung und Entwicklungsaufgaben herangezogen werden.
Entsorgungsintegrierte Zulieferung
Auf der vierten Stufe ist der Zulieferer für die Entsorgung der von ihm erstellten Zulieferteile verantwortlich, und seine Leistungsspanne umfaßt den gesamten Produktlebenszyklus des von ihm hergestellten Zulieferteils bzw. Moduls. Alternativ kann die Entsorgung auch von Dritten, z.B. von spezialisierten Entsorgungsunternehmen übernommen werden. Ansätze für diese Stufe des Process Sourcing sind u.a. das Design for Assembly, Disassembly und Recycling (DFADR) und Computer Integrated Demanufacturing (CID).
Aus dieser Systematisierung der Entwicklungsstufen des Process Sourcing ergeben sich bereits grundsätzliche Ansätze der Strategieentwicklung für die jeweiligen Stufen der Kooperationsprozesse und die betroffenen Grund- und Querschnittsfunktionsbereiche. Strategieansätze der vorgelagerten Phasen des Produktlebenszyklus wirken sich auch auf spätere Phasen aus und müssen damit in der Strategieplanung dieser Phasen beachtet werden. Die Zusammenarbeit in der Entwicklungsphase hat z. B. hinsichtlich der späteren Produktions- und Entsorgungskosten des entwickelten Produktes entscheidenden Einfluß auf die nachfolgenden Phasen des Produktlebenszyklus. Die Entwicklung und Darstellung von Strategiezielen und -instrumenten zur unternehmensübergreifenden Vernetzung von Wertschöpfungsaktivitäten wird daher entlang des Produktlebenszyklus erfolgen.
Prof. Dr. Jochem Piontek, Diplom-Kaufmann, ist Professor für Logistik an der Hochschule Bremerhaven. Zuvor war er verantwortlicher Einkäufer in einem namhaften Maschinenbauunternehmen.
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