Der Einkauf produzierender Unternehmen hat sich vom Bestellabwickler gewandelt zum Mittler zwischen Lieferanten und hausinternen Bereichen. Interdisziplinäre Zusammenarbeit mit Produktion, Logistik und Entwicklung ist heute der Schlüssel zur Leistungssteigerung. Dieser Bedeutungs- und Rollenwandel muss sich in der Organisation des Einkaufs widerspiegeln.
Dr. Matthias Dämmig
Sowohl Ablauf- als auch Aufbauorganisation könnten häufig besser auf die Erfordernisse zugeschnitten sein. In der Ablauforganisation sind die Prozesse zwar oft schon entlang der Bestellabwicklung definiert und optimiert – ein erfreulicher Trend, gefördert durch die Einführung standardisierter Warenwirtschaftssysteme. Meist wurden aber keine Abläufe zur interdisziplinären Arbeit und zur globalen Kooperation definiert. Zudem muss das Management-Instrumentarium zum Messen der Einkaufsleistung vielfach noch integriert werden.
Die Aufbauorganisation des Einkaufs ist für die Beschaffung von produktivem Material meistens auf Ebene der höchsten organisatorischen Einheit mit operativer Geschäftsverantwortung angesiedelt und noch traditionell nach Materialgruppen ausgerichtet. Kommunikationsschwierigkeiten in der interdisziplinären Arbeit sind dadurch programmiert, da andere Funktionen wie Forschung und Entwicklung, aber auch die Zulieferer eher nach Funktionsgruppen aufgestellt sind.
In den meisten Einkaufsfunktionen sind Schlüsselfragen zur Aufbauorganisation noch nicht geklärt: Bei welchem Grad der Zentralisierung lassen sich einerseits globale Skaleneffekte in der Bündelung realisieren, andererseits aber die Nähe zum operativen Geschäft (den Produktionsstandorten) oder zu den Lieferanten beibehalten? Welche Vernetzung der Einheiten untereinander ist angemessen? Wie sollen Erfolgsmessung und Führung ausgestaltet werden?
Durch die ungenügende organisatorische Ausgestaltung werden wertvolle Potenziale im Einkauf verschenkt. Wie aber sehen Ablauf- und Aufbauorganisation im Idealfall aus? Ein Patentrezept für die Konzeption gibt es nicht, wohl aber konkrete Ansatzpunkte, die als Wegweiser fungieren: Die in der jeweiligen Industrie zur Zeit effektivsten Stellhebel zur Kostenoptimierung sowie das bereits erreichte Niveau der jeweiligen Einkaufsorganisation.
Auf den wichtigsten Einsparhebel zuschneiden
Wie erkennt die Einkaufsleitung, ob eine Anpassung von Ablauf- oder Aufbauorganisation erforderlich ist? Sollte sie notwendig sein, welche Organisationskonzepte kommen für das jeweilige Unternehmen in Frage? Die Auswahl des optimalen Konzeptes sollte sich am Hauptziel des Einkaufs orientieren: über optimale Beschaffung zum Unternehmenserfolg beizutragen. Etwas vereinfacht dargestellt bestimmt also der erfolgversprechendste Einsparhebel die Organisationsform.
Zu klären ist demnach: Wie lassen sich die in Summe höchsten Einsparungen erzielen? Und wie groß ist die mengen- und währungsbereinigte Gesamtverbesserung? Sind die in dieser Hinsicht wirksamsten Stellhebel identifiziert, lassen sich über Detailvergleiche von Abläufen und Strukturen binnen weniger Monate konkrete Aktionen einleiten. Im folgenden werden die fünf bedeutendsten Einsparhebel mit ihren Implikationen für Ablauf- und Aufbauorganisation vorgestellt.
1. Volumenbündelung: Ist dies für eine Einkaufsorganisation oder einen wesentlichen Teilbereich der zentrale Hebel zur Erfolgssteigerung, sind unternehmensweit alle gleichartigen Beschaffungsvorgänge zu koordinieren. Dazu muss über alle Artikel, Lieferanten, Preise und Mengen größtmögliche Transparenz geschaffen werden. Über Vergaben entscheidet in der Regel eine koordinierende Stelle. Die dazu passende Aufbauorganisation ist so zentralisiert wie möglich – bis zu der Ebene, auf der noch gemeinsame Artikel beschafft werden. Nur Einkaufsabteilungen von solchen Unternehmensteilen bleiben unabhängig, deren Beschaffungsvolumina sich nicht überschneiden.
Umgesetzt wird Volumenbündelung als Haupthebel beispielsweise durch weltweite Koordination von Rohstoff- und Vormaterialeinkäufen. Im konkreten Fall ist zu prüfen, ob die Bündelung vereinbar ist mit den logistischen Randbedingungen und mit Hedging-Strategien zur Absicherung kurzfristiger Marktschwankungen.
2. Neue regionale oder globale Lieferanten: Hat sich der Aufbau neuer Lieferanten in der Region des Produktions- oder Absatzortes als potenzialträchtigster Hebel herauskristallisiert, sind die Abläufe so auszugestalten, dass sich die Einkäufer umfassende Kenntnis der regionalen oder globalen Beschaffungsmärkte aneignen können. Sie müssen die Industriestruktur vor Ort kennenlernen, zoll- und steuerrechtliche Gebräuche, Qualitätsniveaus und aktuelle Absatzstrukturen. Konkret erfordert dies in den Abläufen Qualifizierungsmaßnahmen für die Mitarbeiter, Auditieren der Produktionsabläufe in Frage kommender Lieferanten, Aufbauen von Logistikketten und nicht zuletzt ständiges Analysieren, wie Wettbewerber ihren Einkauf gestalten.
Aufbauorganisatorisch umsetzen lassen sich solche Anforderungen durch regionale Einkaufsbüros in den Hauptbeschaffungsmärkten. Sie fungieren entweder als Know-how-Zentren und beraten die operativen Geschäftseinheiten oder haben selbst operative Beschaffungs- und Kostenverantwortung für das in der Region vergebene Volumen. In jedem Fall sind Sprachkenntnisse und Vertrautheit der Mitarbeiter mit der jeweiligen Kultur Voraussetzungen für langfristigen Erfolg.
Relevant ist dieser Ansatz zum Beispiel für Einkaufsorganisationen, die durch Expansion nach Asien Faktorkostenvorteile realisieren wollen, etwa bei der Beschaffung von Komponenten für den Anlagen-, Maschinen- oder Automobilbau.
3. Standardisierung bestehender und neuer Produkte: Verbunden mit der kostenbewussten Gestaltung neuer Produkte, ist dies meist der Hebel mit dem größten Optimierungsspielraum, wenn Komponenten und Module, ja sogar komplette Anlagen beschafft werden. Da dieser Hebel bei der Produktgestaltung ansetzt, kann ihn der Einkauf nicht allein betätigen. Deshalb ist in diesem Fall die interdisziplinäre Zusammenarbeit von Einkauf, Entwicklung, Produktion und ggf. weiteren Bereichen ganz besonders wichtig.
Wichtig ist auch die richtige Form dieser Zusammenarbeit: Eine informelle Abstimmung reicht bei weitem nicht aus, vielmehr müssen die Verantwortlichen der involvierten Abteilungen gemeinsame, verbindliche Ziele in den Dimensionen Kosten, Zeit und Qualität verfolgen. Dies gelingt am besten, wenn die Verantwortungsbereiche bei allen Beteiligten ähnlich geschnitten sind. Für die Aufbauorganisation des Einkaufs bedeutet dies: Abkehr von der traditionellen Ausrichtung nach Materialgruppen, stattdessen Ausrichtung nach Modulen und Systemen wie in der Entwicklung üblich.
Praktiziert wird interdisziplinäre Zusammenarbeit zum Beispiel in der Automobilindustrie, wenn Plattformkonzepte umgesetzt werden. Dort ist sie auch in derProduktentstehung fest etabliert: In sogenannten Simultaneous-Engineering-Teams arbeiten Entwicklung, Einkauf und Produktion Hand in Hand.
4. Entwicklungs- und Lebenszykluspartnerschaften mit Lieferanten: Ist dies der erfolgreichste Hebel, steigt die Bedeutung des Einkaufs als Schnittstelle zum externen Partner. Der Lieferant wird in die unternehmensinternen Abläufe eingebunden, was im Extremfall die Einflussmöglichkeit des Einkaufs auf das betreffende Beschaffungsvolumen stark einschränkt.
Der Lieferant konzipiert und entwickelt das Produkt mit und kann über Zielkosten und andere Leistungsparameter mitreden. In der Produktion kann er Logistikaufgaben übernehmen (zum Beispiel durch Direktanlieferungskonzepte) oder sogar in die Montage integriert sein, wie bei der Fertigung des Smart von DaimlerChrysler.
Ein weiteres Beispiel für umfassende Lieferantenintegration ist die Kooperation von Hardware- und Softwareherstellern in der Computerindustrie. Prozessor-Design, Gesamthardwarekonzeption und das Design von Betriebssystem und Anwendungssoftware sind eng miteinander verwoben und machen die Marktteilnehmer voneinander abhängig.
5. Effizienzsteigerung in der Bestellabwicklung: Ist dies der wirksamste Optimierungshebel, besteht die organisatorische Anpassung in der Dezentralisierung und Automatisierung von Bestellvorgängen. Der Einkauf verhandelt Rahmenverträge und schaltet sich aus der operativen Bestellabwicklung aus.
Umgesetzt werden derartige Konzepte beispielsweise mit Purchasing Cards oder E-Purchasing über Internet. Auch kann die Beschaffung von C-Teilen komplett an externe Dienstleister ausgelagert werden. Dies schlägt sich in einer schlankeren Aufbauorganisation nieder, da die Bestellabwicklung als Aufgabe des Einkaufs wegfällt. Die verbleibenden Einkäufer managen im Gegenzug komplexere Rahmenverträge und Partnerschaften.
Mitarbeiter auf die Neuerungen vorbereiten
Ist der erfolgversprechendste Hebel identifiziert und die Organisation darauf zugeschnitten worden, muss das formale Gerüst von Ablauf- und Aufbauorganisation mit Leben gefüllt werden. Zwei Elemente sollte ein Umsetzungsprogramm enthalten:
Klare Signale des Managements: Die Führungsebene muss überzeugend darstellen, warum die Veränderung notwendig ist. Mögliche Gründe sind, dass sich die eigene Organisation auf einem langsameren Verbesserungspfad bewegt als der Durchschnitt der Industrie, oder dass Abläufe zwar auf dem Papier definiert sind, aber nicht von der gesamten Mannschaft umgesetzt werden.
Zu den Aufgaben des Managements gehört auch, jedem einzelnen im gesamten Einkauf mitzuteilen, was von ihm oder ihr erwartet wird. Am besten gelingt dies anhand von quantitativen Zielvereinbarungen, einem Instrument, das sich bereits in anderen Funktionen bewährt hat. Die Auswahl geeigneter Messgrößen ist allerdings nicht einfach: Zunächst muss die Einkaufsleistung der Abteilung messbar gemacht werden. Dabei sind Preis-, Mengen- und Währungseffekte gesondert auszuweisen. Anschließend ist die Gesamtleistung auf einzelne herunterzubrechen, um Zielvereinbarungen zu treffen. Bei der Zielformulierung ist zu berücksichtigen, dass der Einkaufsleiter bei Abrechnungsmodalitäten, Währungsabwicklungen usw. oft über mehr Gestaltungsspielraum verfügt als die Sachbearbeiter.
Qualifizierung der Mitarbeiter: Neue Abläufe erfordern ein intensives Training on the job. Bei der erstmaligen interdisziplinären Optimierung des Produkt-Designs hat man in Projekten typischerweise einen On-the-job-Coach für zwei bis drei Teams über einen Zeitraum von acht bis zehn Wochen, ergänzt um ein- bis zweitägige formale Trainings als Auftakt. Die Mühe zahlt sich in mehrfacher Hinsicht aus: Zum einen bleiben die Mitarbeiter hoch motiviert, wenn dank der intensiven Betreuung zügig Erfolge realisiert werden. Zum anderen wurden bei derartigen Optimierungen nicht selten Einsparpotenziale in der Größenordnung von 20% und mehr identifiziert; dadurch hat sich der Trainingsaufwand in weniger als einem Jahr amortisiert.
Die eigentliche Herausforderung für die Organisation besteht jedoch darin, sich auch nach einer projektgestützten, einmaligen Weiterentwicklung beständig weiter zu verbessern. Dazu muss mindestens einmal jährlich das Anspruchsniveau des Einkaufs anhand der Ziele des Gesamtgeschäfts überprüft werden, um aktuelle Zielvorgaben für die Mitarbeiter zu erarbeiten.
Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass es für die Weiterentwicklung der Einkaufsorganisation klare Orientierungspunkte gibt. Wer die erfolgversprechendsten Hebel ausmacht, kann die organisatorischen Voraussetzungen ableiten und schaffen. Das Management als Motor im Unternehmen sollte daher alle drei bis fünf Jahre Strategie und Organisation auf den Prüfstand stellen. Nicht um sich selbst in Frage zu stellen und die Organisation zu demotivieren, sondern um den nächsten Schritt vorzubereiten – getreu der Devise, dass Stillstand Rückschritt bedeutet. So kann langfristig die Leistungsfähigkeit des Einkaufs und damit sein Beitrag zum Unternehmensergebnis sichergestellt werden.
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