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Mit vorgehaltenem Revolver?

Die Kunden-Lieferanten-Beziehung – aus der Sicht eines Verkäufers
Mit vorgehaltenem Revolver?

Ein Plädoyer für gegenseitiges Vertrauen in der Kunden-Lieferanten-Beziehung hält unser Autor Wolfgang Jacobi-und blickt dabei auf Erfahrungen zurück, die er mit seinen Kunden gemacht hat.

Dr.-Ing. Wolfgang Jacobi

Steckverbinder sind Komponenten, die in unterschiedlichen Endprodukten zum Einsatz kommen: in Automobilen, Medizingeräten, Handys, Flugzeugen, Werkzeugmaschinen u. a. Was ich im Folgenden erläutere, gilt ebenso für Komponenten anderer Art wie Schalter, Relais, Schrauben, Pumpen, Kugellager usw. Die Regeln des Umgangs zwischen Endkunden und Lieferanten sind vom Produkt weitgehend unabhängig.
Die Kunden-Lieferanten-Beziehung ist ein eheähnliches Verhältnis. Manchmal dauert sie Jahrzehnte, häufig gewinnen beide Seiten durch das Verhältnis. Das schließt nicht aus, dass es mal laut wird, dass man sich auch mal auf die Nerven geht, aber unter dem Strich wissen beide Seiten, was sie aneinander haben. Aber es gibt natürlich auch die Ehen, bei denen pausenlos Vorwürfe ausgetauscht werden, bei denen der Stärkere versucht, seine Macht auszuspielen. Dabei gibt es auf keiner Seite Gewinner.
Wo liegt der Unterschied zwischen nackter Erpressung und sinnvollem Druck? Was veranlasst die einen Kunden, auf ihre Lieferanten wie Kommissare loszugehen – zwar nicht mehr mit Ledermantel und umgeschnalltem Revolver, aber im Verhalten und Vorgehen durchaus ähnlich-? Und wie kommt es, dass andere Kunden – trotz allem Druck, den sie ausüben – ein partnerschaftliches Verhältnis entwickeln können und damit viel mehr erreichen?
Kunden-Lieferanten-Beziehungen begründen eine gegenseitige Abhängigkeit, die heute auch bei standardisierten Produkten oft sehr weit geht. Es ist nicht so, dass man den Lieferanten von genormten Teilen leicht austauschen könnte. Das liegt u. a. daran, dass die Normen oft gar nicht vollständig alle wesentlichen Merkmale beschreiben und dass die Zusammenarbeit heute meist weit über das reine Produkt hinausgeht und z. B. auch Logistikvereinbarungen und Datenaustausch umfasst. Die Abhängigkeit geht bei kundenspezifischen Entwicklungen, die auf vielen Gebieten (z. B. in der Automobilelektronik, in der Medizintechnik ) immer wichtiger werden, natürlich noch viel weiter und ein Lieferantenwechsel ist hier oft nur unter großen Schwierigkeiten möglich.
Unsere Wirtschaftswelt wird immer bürokratischer. Das ist in dynamischen und neuen Märkten auch heute noch anders. Da ist für Kommissare und Funktionäre auf der Kundenseite kein Platz.
Ich kann mich an eine Vergabe in den siebziger Jahren erinnern, bei der die Vergabebedingungen für eine große Hydraulikanlage tatsächlich auf einem Bierdeckel festgehalten wurden: drei wichtige technische Daten, der Preis, die Lieferzeit. Das war’s. Die offizielle Bestellung hatte dann einen Umfang von zwei Seiten.
Vor knapp zehn Jahren, als im Handygeschäft noch Goldgräberstimmung herrschte, haben wir bei ODU Aufträge über Werkzeuge und Montageautomaten in Millionenhöhe erhalten. Das waren Vierzeiler. Kein Mensch wusste, wem die Automaten gehörten. Mal haben wir sie in die Bilanz genommen, mal der Kunde, vielleicht auch alle beide oder keiner von uns. Entscheidend war vor allem: Funktionierte das Teil und konnte es pünktlich und in wachsenden Stückzahlen geliefert werden? Über den Preis wurde meist nicht oder kaum verhandelt. In solchen Zeiten sitzen alle in einem Boot.
Und das gibt es auch heute noch: In China hat vor zwei Jahren ein sehr dynamischer Unternehmer zu mir gesagt: „Wenn Sie mir versprechen, dass Sie sich persönlich um das Projekt kümmern, haben Sie den Auftrag.“ So war’s: kein Papier, keine Paragrafen. Nur Engagement und Kompetenz waren verlangt. Und: Vertrauen.
Zwei Beispiele aus der Praxis
Abbildung 1 zeigt eine Verteileranlage für die Mobilfunk-Infrastruktur und ein Steckerpärchen. Der Kunde ist auf seinem Gebiet Weltmarktführer und steht wie alle Lieferanten auf diesem Gebiet unter einem riesigen Preis- und Kostendruck.
Bei dem Steckerpärchen handelt es sich um einen so genannten Push-Pull-Stecker. Zu Anfang des Projektes wurden etwa hundert Stecker pro Woche zu Serienpreisen geliefert. Das Designin war über die Entwicklungsabteilung erfolgt, aber der Einkauf war von Anfang an mit eingebunden. Er hat immer darauf hingewiesen: „Technisch hervorragend, aber ihr bleibt nur im Geschäft, wenn ihr den Preis auf einen Bruchteil senken könnt.“ Die Kundenvorstellungen wurden in einer Road-Map – geplante Preise und Stückzahlen über die kommenden Jahre – festgelegt. Heute liefert ODU einige zehntausend Stecker pro Woche zu etwa 1/3 des ursprünglichen Serienpreises. Wie war das möglich? Technische Stichworte sind: konstruktive Änderungen, Werkstoffumstellungen, Druckguss statt Drehteilen, Nickel statt Chrom, Investitionen in Automatisierung, Verlagerung von Montagearbeiten. Ganz entscheidend: Der Kunde war bereit, konstruktive Vorschläge von ODU aufzugreifen und eigene Prozesse umzustellen. Der Kunde hat verstanden, dass ein Lieferant Zeit und einen brauchbaren Planungsrahmen braucht, wenn er in großem Stil umstellen und investieren soll. Die Preisqualität für ODU hat sich kaum verändert. Als ein chinesischer Cherry-Picker auftauchte und Testberichte und weitgehend identische Musterteile zu wesentlich niedrigeren Preisen auf den Tisch legte, ist der Kunde nicht einfach „fremd“ gegangen, sondern hat mit ODU gesprochen und gemeinsam haben wir wieder eine Lösung gefunden.
Zum zweiten Beispiel gibt es aus verständlichen Gründen kein Bild, denn dies ist das Beispiel einer problematischen Beziehung. Der Kunde spielt auf verschiedenen Gebieten weltweit ganz vorne mit, ohne Frage ist er auf vielen Gebieten technisch kompetent, aber die seit vielen Jahren bestehenden Geschäftsbeziehungen zu ODU haben sich abgekühlt. Warum?
Spätestens mit dem Erscheinen von Herrn Lopez bei Volkswagen ist vielen Menschen deutlich geworden, dass sich auf der Welt etwas verändert hatte: Plötzlich haben die Kunden jedes Jahr niedrigere Preise verlangt. Die Automobilindustrie kann im Grundsatz auch recht gute Gründe für diese Forderung anführen. Sie bietet ihren Lieferanten sehr oft stabile Projekte mit jahrelanger Laufzeit und im Laufe des Projektverlaufs steigenden Stückzahlen. Unter diesen Umständen gibt es Lernkurven, da kann man investieren und Kosten reduzieren.
Aber plötzlich tauchten an allen Ecken wilde Leute auf, die auch Lopez spielen wollten.
In unserem Fall fehlten aber dafür einfach die Voraussetzungen. So kam der Kunde zu ODU mit der Erklärung: „Wir erwarten in Zukunft von allen unseren wichtigen Lieferanten, dass sie jährlich die Preise um x Prozent reduzieren.“ Woher nehmen? Kosten lassen sich nicht beliebig senken und normalerweise hat kein Lieferant Gewinnspannen, die ihm laufende Preisreduzierungen erlauben. Also haben wir Vorschläge unterbreitet, was wie geändert werden könnte, um die Kosten zu reduzieren. Das wurde notiert, aber nie aufgegriffen und umgesetzt.
In den nächsten Jahren dann das gleiche Spiel, mit weiteren Vorwürfen und Drohungen verbunden: „Wenn ihr nicht, dann … erhaltet ihr keine Anfragen mehr“ usw. Szenen einer – schlechten – Ehe. Dabei hat der Kunde selbst nie etwas angeboten, z. B. verbindliche Abnahmestückzahlen oder steigende Abnahmemengen bei sinkenden Preisen.
So schleppt sich ein Verhältnis dann dahin, beide Seiten schauen sich nach neuen Partnern um. Wenn der Kunde Glück hat, findet er einen besseren Lieferanten. Größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass er einen guten Lieferanten verliert, denn leistungsfähige Lieferanten finden natürlich auch neue Kunden.
Was wichtig ist für eine erfolgreiche Zusammenarbeit
Voraussetzung für eine erfolgreiche Zusammenarbeit ist zunächst einmal fachliche Kompetenz – auf beiden Seiten. Der Lieferant muss auf seinem Gebiet leistungsfähig, technisch kompetent und flexibel sein, wobei im Bereich kundenspezifischer Entwicklungen eine hohe Fertigungstiefe ein großer Vorteil ist. Er muss aber auch den Markt des Kunden und die nachgelagerten Prozesse verstehen. Der Kunde muss die Stärken und Grenzen des Lieferanten richtig einschätzen können. Langfristiges Denken ist verlangt, nicht kurzatmiger Aktionismus.
Ganz wichtig ist, dass der Kunde bereit und in der Lage ist, sinnvolle Vorschläge des Lieferanten aufzugreifen und umzusetzen – auch und gerade wenn diese sein Produkt und seine Prozesse betreffen. Das setzt gute Kommunikation und professionelle Zusammenarbeit zwischen den Abteilungen des Kunden voraus. Und ganz wesentlich: Irgendjemand beim Kunden muss bereit sein, die Verantwortung für die Umstellung zu übernehmen. Das passiert aber nur in einer Atmosphäre des Vertrauens, nur in einem Unternehmen, in dem auch riskante Entscheidungen getroffen werden dürfen und sollen, wenn sie gut fundiert sind. Nicht zuletzt: Es muss klar sein, dass leistungsfähige Lieferanten die Voraussetzung für den eigenen Erfolg sind.
All das ist leicht gesagt. Bleibt die Frage: Warum macht das nicht jeder so?
Weil der richtige Umgang mit Lieferanten in erster Linie eine Frage der Unternehmenskultur ist. Und die kann man nicht einkaufen, die muss erarbeitet und vorgelebt werden.

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